Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: vergütung, zulage, verrechnung, abrechnung, vorauszahlung, gegenleistung, lohnerhöhung, verfügung, form, tarifvertrag

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 26.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 Sa 2202/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 TVG, § 305c Abs 2 BGB, §
307 Abs 1 BGB, § 366 Abs 1
BGB, § 3 Abs 1 TVG
Anrechnung übertariflicher Zahlungen auf spätere rückwirkende
Tariflohnerhöhung - Auslegung eines Anrechnungsvorbehalts
Leitsatz
1. Ob eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich mit einer übertariflichen Vergütung
verrechnet werden kann, hängt von der zugrunde liegenden Vergütungsabrede ab. Haben die
Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt diese.
Andernfalls ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht.
2. Danach war der durch die Beklagte (O. R. Supermarkt GmbH) übertariflich im Dezember
2007 gezahlte Betrag nicht anrechnungsfest. Die Verrechnung war einzelvertraglich zulässig.
Die Beklagte hat sich eine entsprechende Tilgungsbestimmung in dem Leistungsschreiben
aus Dezember 2007 wirksam vorbehalten. Der Vorbehalt genügt den Anforderungen der §§
305 ff. BGB.
3. Die durch die Beklagte "unabhängig vom Ausgang der Tarifverhandlungen" ab März 2008
gezahlte zwei- später zweieinhalbprozentige Vergütungserhöhung ging in Höhe von 27,48
Euro über das hinaus, was die Tarifvertragsparteien für diesen Zeitraum durch § 6a GTV
später vorgesehen haben. Dieser (weitergehende) Betrag stand zur Tilgung des Anspruchs
der Klägerin aus § 6a GTV für die Zeit bis Februar 2008 nicht zur Verfügung. Insoweit hat sich
die Beklagte eine rückwirkende Tilgungsbestimmung im Schreiben vom 11. März 2008 nicht
vorbehalten.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
03.08.2009 – 19 Ca 7288/09 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise
abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 27,48 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2009 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 83 v. H. und die Beklagte zu 17 v.
H. zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung übertariflicher Zahlungen auf
spätere rückwirkende Tariflohnerhöhungen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kassiererin
beschäftigt und Mitglied der Gewerkschaft ver.di. In den Jahren 2007 und 2008 führten
die Tarifpartner des Einzelhandels zähe und lang andauernde Tarifverhandlungen. Im
Dezember 2007 zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 129,73
Euro brutto. Über den Hintergrund dieser Zahlung informierte sie die Belegschaft
zeitgleich mit einem Schreiben, in dem es ua. heißt:
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In einem an alle Belegschaftsmitglieder gerichteten Schreiben der tarifgebundenen
Beklagten vom 11. März 2008 hieß es sodann unter der Überschrift
:
Diese Erhöhung wirkte sich in den Monaten März bis Mai 2008 auf die Vergütung der
Klägerin mit jeweils 26,97 Euro brutto monatlich aus. Im Juni erhöhte die Beklagte die
Vergütung um weitere 0,5 %, bei der Klägerin insgesamt um 33,05 Euro brutto
gegenüber dem Monat Februar 2008.
Am 4. September 2008 einigten sich der Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V. und
ver.di für den Berliner Einzelhandel auf einen neuen Gehaltstarifvertrag (GTV). Darin
heißt es unter § 6a:
Für die teilzeitbeschäftigte Klägerin errechnete die Beklagte insoweit in der Abrechnung
für den Monat September 2008 einen unter den Parteien der Höhe nach unstreitigen
Betrag von 259,45 Euro brutto. Hiervon zog sie 129,73 Euro im Hinblick auf den im
Dezember 2007 gezahlten Betrag ab. Von den verbleibenden 129,72 Euro behielt sie die
gesamte Summe der in den Monaten März bis Juni 2008 erbrachten übertariflichen
Leistungen in Höhe von 113,96 Euro ein. Ein der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin
entsprechender Anteil von 33,33 Euro beträgt 21,62 Euro brutto, für die Monate März bis
Juni 2008 also insgesamt 86,48 Euro.
Für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 sieht der Tarifvertrag eine Tariflohnerhöhung um 3 % vor.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hätte von der Einmalzahlung im
Dezember allenfalls für den Monat Dezember 2007 21,62 Euro anrechnen dürfen. Die für
die Zeit ab dem 1. März 2008 gezahlte „freiwillige“ Tariferhöhung müsse ihr ebenfalls
verbleiben, soweit sie über 21,62 Euro hinausgehe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 157,21 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie
habe sich die Anrechnung aller übertariflichen Leistungen vollumfänglich vorbehalten.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das im Wesentlichen damit begründet,
die Beklagte habe in ihren Schreiben ausreichend deutlich gemacht, dass die Leistungen
vollumfänglich auf Tariflohnerhöhungen angerechnet würden. Damit habe sie zum
Ausdruck gebracht, dass sie eine Vorleistung erbringen wollte und letztlich nach der
Tarifeinigung der Zustand habe hergestellt werden sollen, als sei die Tariferhöhung
bereits zum Dezember 2007 bzw. März 2008 auf das Arbeitsverhältnis angewandt
worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 4. September 2009 zugestellte Urteil am 1. Oktober
2009 Berufung eingelegt und diese mit einem beim Landesarbeitsgericht am 30.
Oktober 2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie setzt sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander und
vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. August 2009 – 19 Ca 7288/09 –
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 157,21 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. April 2009 zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie bezieht sich ebenfalls im
Wesentlichen auf den erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 30.
Oktober, 21. Dezember und 30. Dezember 2009 sowie vom 5. Januar 2010.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
II. Die Berufung ist teilweise begründet, da die Klage teilweise begründet ist. Die Beklagte
durfte von dem sich aus § 6a GTV ergebenden Betrag die im Monat Dezember 2007
erbrachte Leistung in Abzug bringen. Sie hat aber zu Unrecht darüber hinaus weitere
27,48 Euro abgezogen. Insoweit ist die Berufung begründet.
Der Klägerin standen nach § 6a GTV für die Monate Juli 2007 bis Juni 2008 259,45 Euro
brutto zu. Dieser Anspruch ist in Höhe von 129,73 Euro aufgrund der Verrechnung in der
Abrechnung für September 2008 mit der Einmalzahlung im Dezember 2007 erloschen,
in Höhe von weiteren 86,48 (21,62 x 4) Euro brutto angesichts der für die Monate März
bis Juni 2008 gezahlten und insoweit anrechenbaren Vergütungserhöhung sowie in Höhe
der im September 2008 abgerechneten 15,76 Euro brutto. Für die durch die Beklagte
darüber hinaus abgezogenen 27,48 Euro brutto gab es keinen Anrechnungsvorbehalt,
was der Berufung insoweit zum Erfolg verhalf.
1) Die Beklagte war berechtigt, auf den der Klägerin nach § 6a GTV zustehenden Betrag
die im Dezember 2007 gezahlten 129,73 Euro anzurechnen. Sie hat eine entsprechende
vorbehaltene Tilgungsbestimmung in der Septemberabrechnung 2008 vorgenommen.
a) Der Anspruch auf Zahlung des sich aus § 6a GTV ergebenden Betrages ist
entstanden. Die Vorschriften des GTV sind als Inhaltsnormen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG
auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, da beide Parteien gem. § 3 Abs. 1 TVG
tarifgebunden sind.
b) Die Beklagte hat den Anspruch in Höhe von 129,73 Euro brutto durch Verrechnung
mit dem im Dezember 2007 geleisteten übertariflichen Betrag gem. § 362 Abs. 1 BGB
erfüllt. Die Verrechnung war zulässig, weil die übertarifliche Zahlung keinen
Vergütungsbestandteil darstellt, den die Beklagte in jedem Falle neben dem jeweiligen
Tariflohn zahlen muss. Sie hat sich die Tilgungsbestimmung im Dezember 2007 wirksam
vorbehalten.
aa) Ob eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf eine übertarifliche Vergütung
angerechnet werden kann, hängt von der zugrunde liegenden Vergütungsabrede ab.
Haben die Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt
diese. Andernfalls ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung
besteht. Die Anrechnung ist grundsätzlich möglich, sofern dem Arbeitnehmer nicht
vertraglich ein selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt
zugesagt worden ist Allein in der tatsächlichen Zahlung liegt keine vertragliche Abrede,
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zugesagt worden ist Allein in der tatsächlichen Zahlung liegt keine vertragliche Abrede,
die Zulage solle auch nach einer Tariflohnerhöhung als selbständiger Lohnbestandteil
neben dem jeweiligen Tariflohn gezahlt werden. Eine neben dem Tarifentgelt gewährte
übertarifliche Zulage greift künftigen Tariflohnerhöhungen vor. Für den Arbeitgeber ist
regelmäßig nicht absehbar, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen weiter in der Lage
sein wird, eine bisher gewährte Zulage in unveränderter Höhe fortzuzahlen. Dies ist – so
das Bundesarbeitsgericht - für den Arbeitnehmer erkennbar und Grundlage einer sog.
freiwilligen übertariflichen Zulage. Der Anrechnungsvorbehalt ist demgemäß bereits mit
der Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung oder Zulage hinreichend klar
ersichtlich. Erhöht sich die tarifliche Vergütung, entspricht die Zulässigkeit der
Anrechnung regelmäßig dem Parteiwillen, weil sich die Gesamtvergütung nicht verringert
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der übertarifliche Vergütungsbestandteil als
freiwillig oder anrechenbar bezeichnet worden ist. Es reicht aus, dass das Gesamtentgelt
übertariflich ist. Der in diesem enthaltene übertarifliche Vergütungsbestandteil hängt
von der Höhe des Tarifentgelts ab und ist deshalb variabel. Er entspricht in seiner
rechtlichen Bedeutung weder einer anrechenbaren noch einer anrechnungsfesten
übertariflichen Zulage. Will der Arbeitnehmer geltend machen, das vertraglich
vereinbarte Arbeitsentgelt setze sich in Wahrheit aus dem Tarifentgelt und einer
anrechnungsfesten übertariflichen Zulage zusammen, hat er tatsächliche Umstände
vorzutragen, die den Schluss auf eine solche Vereinbarung erlauben. Andernfalls kann
die Erhöhung des Tarifentgelts nur dann zu einem effektiv erhöhten Zahlungsanspruch
des Arbeitnehmers führen, wenn das Tarifentgelt das vereinbarte Entgelt übersteigt (vgl.
BAG 23. September 2009 - 5 AZR 973/08 – Juris, zu III 1 der Gründe).
bb) Danach war der übertariflich im Dezember 2007 gezahlte Betrag nicht
anrechnungsfest. Die Verrechnung war einzelvertraglich zulässig. Die Beklagte hat sich
eine entsprechende Tilgungsbestimmung wirksam vorbehalten.
(1) Die Einmalzahlung von 259,45 Euro brutto nach § 6a GTV stellt eine pauschale
Tariflohnerhöhung für die Monate Juli 2007 bis Juni 2008 dar. Das ergibt sich aus den
maßgeblichen Tarifvorschriften.
(a) Unter einer Tariflohnerhöhung ist die Erhöhung des regelmäßigen Entgeltbetrags zu
verstehen. Bei einem Stundenlohn liegt sie in der Erhöhung des je Arbeitsstunde zu
zahlenden Entgeltbetrags, bei einem Monatslohn in der Erhöhung des monatlich zu
zahlenden Entgeltbetrags. Eine Tariflohnerhöhung setzt aber nicht die
„tabellenwirksame“ Erhöhung des Tariflohns voraus. Der Begriff „Einmalzahlung“ ist
sowohl als Ausdruck für eine pauschale Lohnerhöhung als auch zur Kennzeichnung einer
von der konkreten Gegenleistung unabhängigen Sonderzahlung gebräuchlich. Welche
Art der Vergütung vorliegt, muss durch Auslegung des Tarifvertrags ermittelt werden
(vgl. BAG 16. April 2002 - 1 AZR 363/01 - AP Nr. 38 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und
Tariflohnerhöhung = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 39, zu II 3 der Gründe). Die
Einmalzahlung kann als Gegenleistung pauschal, eventuell nachträglich, für mehrere
Lohnzahlungsperioden vorgesehen sein und wird dadurch nicht zur Sonderzahlung (vgl.
BAG 27. August 2008 - 5 AZR 820/07 - AP Nr. 36 zu § 307 BGB = NZA 2009, 49 = EzA §
4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 49, zu II 1 b aa der Gründe).
(b) § 6a GTV gewährt zusätzlich zum bisherigen Tariflohn einen Geldbetrag für einen
Zeitraum von zwölf Monaten, ohne einen besonderen Zweck damit zu verbinden. Es
handelt sich um die Übergangszeit bis zum Wirksamwerden der dreiprozentigen
Lohnerhöhung ab dem 1. Juli 2008. Der Pauschalbetrag tritt damit ab dem Inkrafttreten
des GTV an die Stelle einer prozentualen Lohnerhöhung. § 6a GTV stellt auch
ausdrücklich einen Entgeltbezug her, indem die Leistung für solche Zeiträume
vorgesehen ist, für die Entgelt oder Entgeltersatzleistungen erbracht worden sind. Die
strikt zeitanteilige Berechnung durch § 6a GTV spricht darüber hinaus für eine
zusätzliche Vergütung der geleisteten Arbeit ohne besondere Zweckbindung.
(2) Die Beklagte war nicht gehindert, die tarifliche Einmalzahlung rückwirkend auf die
übertarifliche Zahlung im Monat Dezember 2007 anzurechnen. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber regelmäßig eine
nachträglich für bestimmte Monate vereinbarte Tariflohnerhöhung auf die in diesen
Monaten bereits geleisteten übertariflichen Zulagen durch ausdrückliche oder
konkludente Erklärung anrechnen und so die Erfüllung des noch offenen Anspruchs aus
der Tariflohnerhöhung durch die bereits geleisteten Zahlungen bewirken. Die
Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB kann durch eine, auch stillschweigend
mögliche, Vereinbarung der Parteien offen gehalten und dem Schuldner vorbehalten
werden. Hiervon ist bei dem mit einer freiwilligen übertariflichen Zulage verbundenen
Anrechnungsvorbehalt jedenfalls insoweit auszugehen, wie eine Tariflohnerhöhung sich
auf einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht. Erfolgt die
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auf einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht. Erfolgt die
Anrechnung, tritt der erhöhte Tariflohn zum gewährten Entgelt nur so weit hinzu, wie er
dieses übersteigt, dh., der übertarifliche Lohnbestandteil verringert sich um den Betrag
der Tariflohnerhöhung. Bei rückwirkenden Tariflohnerhöhungen stellt sich damit erst
nachträglich heraus, dass ein als übertariflich angesehener Bestandteil des Lohns in
Wahrheit Tariflohn war. Hierin erschöpft sich die Bedeutung der Tariflohnerhöhung.
Rechtsgrund der geleisteten Zahlungen bleibt die vertragliche Lohnvereinbarung (vgl.
BAG 27. August 2008 - 5 AZR 820/07 - AP Nr. 36 zu § 307 BGB = NZA 2009, 49 = EzA §
4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 49, zu II 1 der Gründe).
(3) Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass sich allein aus den unter (2)
dargelegten Grundsätzen zunächst nur eine Anrechnungsmöglichkeit in Höhe von 21,62
Euro ergibt. Daraus lässt sich noch nicht zwingend die Möglichkeit einer Verrechnung mit
dem gesamten, im Monat Dezember 2007 übertariflich gezahlten Betrag ableiten.
Voraussetzung hierfür war, dass es sich bei den 129,73 Euro nicht allein um eine
Zahlung für den Monat Dezember 2007 handelte.
Gerade dies ergibt sich aber aus dem Vorbehalt, unter dem die Beklagte die Zahlung
geleistet hat. Die Beklagte hat die Leistung als Vorauszahlung auf die zu erwartende
Tariflohnerhöhung erbracht. Dabei hat sie keine zeitliche Eingrenzung vorgenommen.
Vielmehr hat sie sich zulässigerweise (vgl. dazu BAG 3. Juni 2003 - 1 AZR 314/02 - BuW
2004, 260, zu I 1 der Gründe) eine nachträgliche Bestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB
mit dem Inhalt vorbehalten, die absehbaren, aber der Höhe nach noch unbekannten
Tariferhöhungen durch diesen Betrag tilgen zu dürfen. Eine Begrenzung auf den
Tariferhöhungsbetrag für den Monat Dezember ist für die Klägerin ersichtlich nicht
gewollte gewesen.
(4) Der Anrechnungsvorbehalt genügt den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB.
(a) Er stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB dar (vgl. BAG 27.
August 2008 - 5 AZR 820/07 - AP Nr. 36 zu § 307 BGB = NZA 2009, 49 = EzA § 4 TVG
Tariflohnerhöhung Nr. 49, zu II 1 d der Gründe).
(b) Die Auslegung als eine mit späteren Tariflohnerhöhungen verrechenbare
Vorauszahlung unterliegt keinen Zweifeln iSv. § 305c Abs. 2 BGB. Die Beklagte hat den
mit der Zahlung verfolgten Leistungszweck und eine Anrechenbarkeit klar und eindeutig
mitgeteilt. Die Leistung ist unter Bezugnahme auf die laufenden Tarifverhandlungen
ausdrücklich als Überbrückungszahlung und als freiwillige anrechenbare Leistung
bezeichnet worden. Darüber hinaus hat sich die Beklagte die Anrechnung auf künftig
vereinbarte tarifliche Leistungen vorbehalten. Der durchschnittlich verständige
Arbeitnehmer musste davon ausgehen, dass er nach einer Tariflohnerhöhung mit einer
Verrechnung des gezahlten Betrages rechnen musste und diesen nicht nochmals würde
verlangen können. Es sollte sich also im Ergebnis gar nicht um eine übertarifliche
Leistung handeln, sondern um eine Vorwegnahme einer zu erwartende Tariferhöhung.
Ein solcher Vertragsinhalt ist nicht ungewöhnlich (§ 305c Abs. 1 BGB). Vielmehr muss
der Arbeitnehmer mit einer Anrechnung einer ausdrücklich als anrechenbar
bezeichneten Leistung durch den Arbeitgeber rechnen.
(c) § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht verletzt. Eine Vereinbarung über die Zahlung der
übertariflichen Vergütung stellt keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese
ergänzende Regelung (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) dar, sondern regelt unmittelbar das
Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Eine Bruttolohnabrede ist gem. § 307 Abs. 3
Satz 2 BGB nur am Maßstab des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu
überprüfen (vgl. BAG 1. März 2006 - 5 AZR 540/05 - AP Nr. 40 zu § 4 TVG Übertariflicher
Lohn und Tariflohnerhöhung = NZA 2006, 688 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 47,
zu II 1 c der Gründe; 27. August 2008 - 5 AZR 820/07 - AP Nr. 36 zu § 307 BGB = NZA
2009, 49 = EzA § 4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 49, zu II 1 d cc der Gründe).
(d) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende
unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) daraus ergeben, dass die
Klausel nicht klar und verständlich ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen und
Rechtsfolgen müssen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine
ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel hat im Rahmen des
rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so
eindeutig und so verständlich wie möglich darzustellen. Doch darf das Transparenzgebot
den Verwender nicht überfordern. Es soll zugleich der Gefahr vorbeugen, dass der
Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird (vgl. BAG
14. März 2007 - 5 AZR 630/06 - AP Nr. 45 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag =
NZA 2008, 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 18, zu III 2 e aa der Gründe).
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Diesen Anforderungen genügt der Inhalt des Schreibens der Beklagten. Die
vorbehaltene Verrechnungsmöglichkeit bezieht sich unzweifelhaft auf die im Rahmen der
laufenden Tarifverhandlungen zu erwartende Tariflohnerhöhung. Entgegen der Ansicht
der Klägerin führt der Umstand, dass die Leistung nicht auf einen konkreten Zeitraum
bezogen ist, nicht zur Intransparenz. Die Bezugnahme auf eine zu erwartende
Tariflohnerhöhung ist hinreichend bestimmt. Dem verständigen Arbeitnehmer wird
daraus deutlich, dass die Tariferhöhung bis zur Höhe der Einmalzahlung anrechenbar
sein solle.
(5) Die streitige Anrechnung widerspricht insoweit auch nicht billigem Ermessen (§ 315
Abs. 1 BGB). Die vertragliche Vergütung wird unverändert gewährt, der Arbeitgeber
nimmt lediglich die Tariflohnerhöhung zum Anlass, den Tariflohn zu zahlen. Die Klägerin
behält ihren tariflichen Anspruch ebenso wie ihren vertraglichen Anspruch.
(6) Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus der tariflichen Regelung selbst
(§ 6a Abs. 4) kein Anrechnungsverbot. Dort werden lediglich die dargestellten und durch
die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Anrechnungsvorbehalt
wiedergegeben.
2) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aber noch einen Anspruch aus § 6a GTV auf
Zahlung von 27,48 Euro brutto. Insoweit war ihre Berufung erfolgreich. Die Beklagte
konnte den verbleibenden tariflichen Anspruch der Klägerin nur teilweise durch die in den
Monaten März bis Juni 2008 gezahlten Beträge im Rahmen der nachträglichen
Tilgungsbestimmung erfüllen. Die der Klägerin durch die Beklagte „unabhängig vom
Ausgang der Tarifverhandlungen“ gezahlte zwei- bzw. zweieinhalbprozentige
Vergütungserhöhung (insgesamt 113,96 Euro) ging in Höhe von 27,48 Euro über das
hinaus, was die Tarifvertragsparteien für diesen Zeitraum durch § 6a GTV (86,48 Euro)
später vorgesehen haben. Dieser (weitergehende) Betrag stand zur Tilgung des
Anspruchs der Klägerin aus § 6a GTV für die Zeit bis Februar 2008 nicht zur Verfügung.
Insoweit hat sich die Beklagte eine entsprechende Tilgungsbestimmung nicht
vorbehalten.
a) Die Beklagte hat den anteilig auf die Monate März bis Juni 2008 entfallenden Anspruch
der Klägerin aus § 6a GTV durch die mit ihrem Schreiben vom 11. März 2008
angekündigte Erhöhung der Vergütung ab März 2008 um zunächst 2, später 2,5 %
erfüllt. Insoweit war sie berechtigt, die Tariflohnerhöhung anhand der bereits gezahlten
Beträge zu tilgen. Es handelte sich um übertarifliche Leistungen, mit denen der
Arbeitgeber auch durch nachträgliche Leistungsbestimmung nach den oben dargelegten
Grundsätzen bereits ohne besonderen Hinweis Ansprüche aus einer späteren
Tariflohnerhöhung tilgen darf. Für den Arbeitnehmer ist danach das Angebot des
Arbeitgebers, ihm eine übertarifliche Leistung zu erbringen, erkennbar immer mit einem
entsprechenden Tilgungsbestimmungsrecht versehen. Hier hat sich die Beklagte diese
Möglichkeit in dem Anschreiben vom 11. März 2008 ausdrücklich und unmissverständlich
vorbehalten. Insoweit besteht unter den Parteien auch kein Streit.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte sie mit den in den Monaten März bis
Juni 2008 über die spätere Tariferhöhung hinaus gezahlten 27,48 Euro nicht den
verbleibenden Anspruch aus § 6a GTV tilgen. Insoweit war die Berufung der Klägerin
erfolgreich. Ein solches Tilgungsbestimmungsrecht stand der Beklagten nicht zu. Nach
der oben dargestellten Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitnehmer zwar
regelmäßig davon ausgehen, dass eine Tariflohnerhöhung – ggf. auch rückwirkend – auf
eine übertarifliche Zulage angerechnet und dadurch die übertariflich Zulage
entsprechend reduziert wird, soweit sie über die Tariferhöhung hinausgeht. Mit einer
weitergehenden Anrechnung muss ein Arbeitnehmer aber nicht rechnen.
Ein darüber hinausgehendes Tilgungsbestimmungsrecht hat sich die Beklagte bei
Zugrundelegung der maßgeblichen Auslegungskriterien auch nicht in dem Schreiben
vom 11. März 2008 wirksam vorbehalten. Danach sollte der Belegschaft ab dem 1. März
2008 „unabhängig vom weiteren Fortgang der Tarifverhandlungen“ eine freiwillige
anrechenbare Tariferhöhung in Höhe von 2 % gewährt werden. Diese „freiwillige
Tariferhöhung“ sollte zwar auch „auf zukünftig vereinbarte tarifliche Leistungen im vollen
Umfang anrechenbar“ sein. Diese Formulierung durfte die Belegschaft vom
Empfängerhorizont betrachtet dem Wortlaut entsprechend so verstehen, dass die
Beklagte sich verpflichten wollte, „unabhängig vom Ausgang der Tarifverhandlungen“ für
die Zeit ab dem 1. März 2008 die Vergütung des angesprochenen Personenkreises um 2
% zu erhöhen. Es war zwar darüber hinaus auch davon auszugehen, dass eine durch die
Tarifpartner anteilig für die Zeit ab dem 1. März 2008 vereinbarte Tariferhöhung durch
die „freiwillige Tariferhöhung“ getilgt werden solle. Mit einer Tilgung des sich aus § 6a
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die „freiwillige Tariferhöhung“ getilgt werden solle. Mit einer Tilgung des sich aus § 6a
GTV ergebenden Anspruchs für den davor liegenden Zeitraum anhand der Zahlungen ab
März 2008 musste sie hingegen nicht rechnen. Im Gegensatz zu der Einmalzahlung im
Monat Dezember 2007 kommt der prozentualen übertariflichen Leistung ab März 2008
nicht der Charakter einer allgemeinen Vorauszahlung für spätere Tariflohnerhöhungen
zu. Vielmehr war die Erhöhung ab dem Monat März 2008 auf konkrete Zeitabschnitte
bezogen. Die sich für die Zeit ab März 2008 aus § 6a GTV ergebenden Beträge hat sich
die Klägerin anrechnen lassen (siehe dazu oben unter 2a).
3. Der Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie waren den
Parteien entsprechend ihrem anteiligen Obsiegen bzw. Unterliegen aufzuerlegen.
IV. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Den
entschiedenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer
hat ihrer Entscheidung die durch das Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze
zugrunde gelegt.
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