Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 24.08.2006

LArbG Berlin-Brandenburg: tarifvertrag, vergütung, aufschiebende bedingung, wohlerworbene rechte, betriebsübergang, stellenbeschreibung, arbeitsgericht, ermessen, zulage, form

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 1869/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 314 ZPO, § 315 Abs 3 S 2
BGB, § 315 Abs 1 BGB, § 613a
Abs 1 S 1 BGB, § 4 Abs 1 TVG
Beschäftigungszeiten - Betriebsübergang - Stufenfestlegung
Leitsatz
1. Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei liefert der Tatbestand des Ersturteils.
2. Vor einem Betriebsübergang zurückgelegte Beschäftigungszeiten sind grundsätzlich bei
einer tariflichen Stufenfestlegung zu berücksichtigen. Dieses entspricht billigem Ermessen.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.8.2006
– 65 Ca 9760/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und um daraus
abgeleitete in rechnerischer Höhe letztlich unstreitige Vergütung für die Zeit vom
September 2005 bis Mai 2006. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob die
Betriebszugehörigkeit vor einem Betriebsübergang als Beschäftigungszeit bei der
Festlegung von Beschäftigungsstufen für die Vergütungshöhe anzurechnen ist.
Die Klägerin ist 61 Jahre alt (…1945), verheiratet und seit dem 1. Januar 1994 bei der
Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Stationshilfe mit 22 Wochenstunden in
deren Residenz L. beschäftigt. Für die Tätigkeit einer Stationshilfe gibt es einen
sogenannten „Arbeitsablauf – Stationshilfe“ (Bl. 65 d.A.). Die Bruttovergütung der
Klägerin beträgt 806,30 EUR. Diese wird als Gehalt/Grundvergütung Außertariflich“
bezeichnet. Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2004 Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
Am 24.09.2004 schlossen die P. S. Consulting und Coception für Senioreneinrichtungen
AG und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Manteltarifvertrag
(nachfolgend: MTV) (Bl. 10-27 d.A.), der nach dem Geltensbereich auf das
Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet und unter anderem folgende
Bestimmungen enthält:
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Hinsichtlich des Inhaltes der Anlage B zu diesem Tarifvertrag, die in die Bereiche
Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Beschäftigungstherapeuten, Krankengymnasten,
Verwaltung/Ärzte, Pflegepersonal und Beschäftigte in der Tätigkeit von gewerblichen
Arbeitnehmern unterteilt ist, wird auf Blatt 31 bis 50 der Akte verwiesen. Unter anderem
befinden sich hierin für Beschäftigte in der Tätigkeit von gewerblichen Arbeitnehmern
folgende Regelungen:
1. Arbeiter mit einfachen Tätigkeiten, z.B.
1.1 Haus- und Hofmeister
1.2 Wächter
2. Ferner
2.1 Arbeiter, die Speisen und Getränke zutragen
2.2 Arbeiter mit einfachen hauswirtschaftlichen Arbeiten, z.B. einfache
Küchenhilfsarbeiten wie Gemüseputzen und Kartoffelnschälen, ferner Geschirrspülen
2.3 Arbeiter mit einfachen Hilfstätigkeiten in Wäschereien und Plättereien wie Zureichen
und Zusammenlegen von Wäschestücken und Sortieren von Wäsche
2.4 Reiniger in Gebäuden
Die Klägerin hatte zunächst die Feststellung der Eingruppierung in Vergütungsgruppe VIII
verlangt. Im Laufe des Rechtsstreits in der ersten Instanz hat sie dieses Verlangen aber
nicht mehr weiter verfolgt. Am Ende ist sie der Meinung gewesen, dass sie in
Vergütungsgruppe X eingruppiert sei und aufgrund der Beschäftigungszeit seit dem 1.
Januar 1994 auch die beim Rechtsvorgänger zurückgelegten Zeiten für die
Stufenfestsetzung anerkannt werden müssten. Dieses rechtfertige die Zahlung der
letztlich in rechnerischer Höhe unstreitigen geltend gemachten Zahlung der
Vergütungsdifferenz.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt:
1. festzustellen, dass der Klägerin mit Wirkung vom 01.01.2005 an Vergütung
nach der Vergütungsgruppe X der Anlage B zum Manteltarifvertrag vom 24.09.2004
zwischen der P. S. Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG und der
Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) zusteht,
2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.627,91 EUR brutto zu zahlen,
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz EZB gemäß §
247 BGB seit dem 06.05.2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.
Der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der von ihr auszuübenden Tätigkeiten sei
unschlüssig. Bei der von der Klägerin eingereichten Stellenbeschreibung (Arbeitsablauf –
Stationshilfe) handele es sich nicht um die von der Klägerin auszuübenden Tätigkeiten,
sondern um eine abstrakte Beschreibung eines Aufgabengebietes. Richtigerweise sei die
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sondern um eine abstrakte Beschreibung eines Aufgabengebietes. Richtigerweise sei die
Klägerin allenfalls in Vergütungsgruppe X Beschäftigungsstufe 4 einzugruppieren. Die
Klägerin habe Betriebszugehörigkeitszeiten erstmals ab 1998 zu beanspruchen. Im
Zeitpunkt des Betriebsübergangs seien aus einer etwaigen Betriebszugehörigkeit beim
Vorbetreiber keine Anwartschaftsrechte oder sonstige Rechte, welche sich aus der
reinen Betriebszugehörigkeit ableiten, entstanden, so dass diese auch nicht
übergegangen seien.
Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung gemäß Vergütungsgruppe X bestehe ebenfalls
nicht. Der Tarifvertrag werde derzeit nicht umgesetzt, da Nachverhandlungen
stattfänden.
Durch Urteil des ArbG Berlin vom 24. August 2006 wurde zum einen festgestellt, dass
der Klägerin ab dem 1. Januar 2005 Vergütung nach der Vergütungsgruppe X der Anlage
B zum MTV zusteht. Dementsprechend wurde die Beklagte verurteilt,
Vergütungsdifferenzbeträge in Höhe von 1.627,91 EUR brutto zzgl. Zinsen zu zahlen.
Diese umfasste bis zum 31. Dezember 2005 Vergütung nach der Stufe 5 und danach
nach der Stufe 6.
Zur Begründung hatte das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der MTV am
1. Oktober 2004 in Kraft getreten sei. Die von der Beklagten vorgebrachten Gründe
stünden dem nicht entgegen.
Da die Klägerin durch die Vorlage einer Beschreibung des Arbeitsablaufs einer
Stationshilfe hinreichend dargelegt habe, dass sie die Tätigkeit einer Stationshilfe
ausübe, sei sie zutreffend in die – niedrigste – Vergütungsgruppe X eingruppiert. Der
Klägerin stehe auch die Vergütung nach den Stufen 5 bzw. 6 zu, weil entsprechend der
Wertung des § 613a BGB die gesamte Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen sei.
Gegen dieses der Beklagten am 21. September 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte
per Telefax am 16. Oktober 2006 Berufung eingelegt und diese per Telefax am 21.
November 2006 begründet.
In der Begründung hat die Beklagte ausgeführt, dass sie das Urteil im Umfang ihres
Unterliegens zur vollen Überprüfung durch das Berufungsgericht stelle. Das Urteil
beruhe auf Rechtsfehlern.
In der weiteren Begründung führt die Beklagte aus, dass der Abschluss neuer
Arbeitsverträge nach dem Willen der Tarifvertragsparteien Wirksamkeitsvoraussetzung
für das Inkrafttreten des MTV habe sein sollen. Eine Einigung der Tarifvertragsparteien
über den Inhalt der Arbeitsverträge liege aber noch nicht vor. Die Verhandlungen liefen
noch. Wegen weiterer Unklarheiten befänden sich die Tarifvertragsparteien derzeit in
Nachverhandlungen gemäß § 26a MTV. Der Tarifvertrag sei derzeit nicht umsetzbar.
Die Klägerin habe lediglich pauschal vorgetragen, als Stationshilfe tätig zu sein. Sie habe
ihre Tätigkeit nicht vollständig geschildert und auch keine Zeitanteile vorgetragen.
Insofern habe das Arbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast im
Eingruppierungsrechtsstreit verkannt.
Auch die Annahme der Vergütung nach Stufe 5 bzw.6 sei fehlerhaft. Nur die Jahre nach
der Betriebsübernahme im Jahre 1998 könnten berücksichtigt werden. Denn nach § 613a
BGB gingen nur Ansprüche und Rechte über. Dazu gehöre die Betriebszugehörigkeit
nicht.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. August 2006, 65 Ca 9760/06, wird
abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei es nicht von Bedeutung, dass
zwischen den Parteien kein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sei. Die
Ansprüche aus dem Tarifvertrag unterlägen keiner aufschiebenden Bedingung. Es
bedürfe auch keiner Darlegung der Tätigkeit der Klägerin entsprechend einem
klassischen Eingruppierungsrechtsstreit. Es sei unstreitig, dass die Klägerin überhaupt
arbeite. Allein deshalb schon sei sie in die niedrigste Vergütungsgruppe einzugruppieren.
Im unstreitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sei die Klägerin als
Stationshilfe bezeichnet. Durch die dortige Inbezugnahme der Stellenbeschreibung mit
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Stationshilfe bezeichnet. Durch die dortige Inbezugnahme der Stellenbeschreibung mit
dem Hinweis, dass dieses die Aufgaben der Klägerin seien, stehe dieser Umstand fest.
Die Zeiten vor dem Betriebsübergang seien als Beschäftigungszeiten anzurechnen. Da
in dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 1. Januar 1994 BMT-G in Bezug genommen sei
und dieser auch eine Vergütung abhängig von der Betriebszugehörigkeit vorsehe, und
auch in den Verdienstabrechnungen der Klägerin jeweils der 1.1.1994 als Eintrittsdatum
aufgeführt sei, sei angesichts des Betriebsübergangs die gesamte Beschäftigungszeit
der Klägerin für die Stufenzuordnung zu berücksichtigen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird gemäß §§ 64
Abs.6 ArbGG, 313 Abs.2 ZPO auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung
vom 21. November 2006 sowie der Berufungsbeantwortung vom 28. Dezember 2006
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht
im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs.6 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO)
eingelegt und begründet worden und auch ansonsten zulässig.
II.
Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klägerin ist in Vergütungsgruppe X der Anlage B (Beschäftigte in der Tätigkeit von
gewerblichen Arbeitnehmern) eingruppiert.
1.1 Zutreffend geht das Arbeitsgericht davon aus, dass der hier maßgebliche
Manteltarifvertrag vom 24. September 2004 sowie der Vergütungstarifvertrag Nr. 1 kraft
beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Ansprüche der Klägerin aus dem
Tarifvertrag nicht bereits wegen Nichtabschlusses eines neuen Arbeitsvertrages
unbegründet.
1.1.1 Soweit die Tarifvertragsparteien unter § 1 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages geregelt
haben, dass mit In-Kraft-Treten des Tarifvertrages Arbeitsverträge abgeschlossen
werden, ist hieraus nicht das Vorliegen einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des §
158 BGB zu entnehmen mit der Folge, dass Ansprüche aus dem Tarifvertrag erst
hergeleitet werden können, wenn ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen worden ist.
Der Manteltarifvertrag und der Vergütungstarifvertrag gelten aufgrund beiderseitiger
Tarifbindung seit ihrem Inkrafttreten spätestens am 1. Januar 2005 unmittelbar und
zwingend (§ 4 Absatz 1 TVG). Ein Abweichen vom Tarifvertrag ist gemäß § 4 Absatz 3
TVG nur zulässig, soweit dies durch den Tarifvertrag gestattet ist oder die Abweichung
eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthält. Die Beibehaltung
der bisherigen Vergütungsregelung zwischen den Parteien stellt keine für den Klägerin
günstigere Regelung dar, so dass die Beklagte hierauf die Nichtgeltung des
Tarifvertrages nicht stützen kann. Der Tarifvertrag selber beinhaltet entgegen der
Auffassung der Beklagten auch keine aufschiebende Bedingung. Gemäß § 27 MTV liegt
eine eindeutige Festlegung des Zeitpunktes des Inkrafttretens am 1. Oktober 2004 bzw.
für manche genau bezeichneten Regelungen am 1. Januar 2005 vor. Weiter heißt es
unter Ziffer 2 des § 27 des Manteltarifvertrages, dass bis zu diesem Zeitpunkt die
entsprechenden für den einzelnen Arbeitnehmer bis zum Inkrafttreten dieses
Tarifvertrags geltenden, einzelvertraglichen und tarifvertraglichen Regelungen in Kraft
bleiben. Die Geltung des neu abgeschlossenen Tarifvertrages wird weder in dessen § 27
noch in dessen § 1 vom Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages abhängig gemacht. Aus
dem Tarifvertrag selbst sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Geltung
des Tarifvertrages nur und erst dann erfolgen soll, wenn neue schriftliche Arbeitsverträge
abgeschlossen sind. Es ergibt sich aus dem Tarifvertrag lediglich die Verpflichtung, Sorge
für den Abschluss neuer Arbeitsverträge zu tragen. Eine Öffnungsklausel, die eine
Abweichung vom Tarifvertrag nach dem Gesetz erlaubt, ist dem Tarifvertrag damit nicht
zu entnehmen.
1.1.2 Soweit die Beklagte behauptet, nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollten
Ansprüche aufgrund des Tarifvertrages erst begründet werden, wenn alle
Voraussetzungen, somit auch der Abschluss eines schriftlichen neuen Arbeitsvertrages,
vorliegen, ist diese Auffassung weder durch den Wortlaut des Tarifvertrages gedeckt
noch aufgrund genauer Darlegungen, wann genau was diesbezüglich zwischen den
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noch aufgrund genauer Darlegungen, wann genau was diesbezüglich zwischen den
Tarifvertragsparteien vereinbart worden sein soll, begründet. Der Umstand, dass
konzernweit keine Bezahlung nach dem Tarifvertrag stattfindet und die Vergütung der
Mitarbeiter auf der Grundlage der bisherigen Regelungen erfolgt, führt als einseitige
Maßnahme der Beklagten selbstverständlich ebenfalls nicht dazu, dass eine
Anwendbarkeit des Tarifvertrages unterbleiben darf; ansonsten hätte es jeder
Arbeitgeber in der Hand, durch die grundsätzliche Nichtanwendung eines
abgeschlossenen und in Kraft getretenen Tarifvertrages dessen gesetzlich festgelegte
Wirkung zu umgehen.
1.1.3 Auch der Umstand, dass zwischen den Tarifvertragsparteien Nachverhandlungen
gemäß § 26a MTV stattfinden, ändert an den tarifvertraglichen Ansprüchen der Klägerin
nichts. § 26a MTV bestimmt lediglich, dass bei Auslegungsschwierigkeiten zwischen den
Tarifvertragsparteien mit dem Ziel einer einvernehmlichen Regelung verhandelt werden
muss. Hieraus ist nicht zu entnehmen, dass Ansprüche einer Partei, welche erst nach
entsprechender Auslegung des Tarifvertrages gegeben sind, vor Erzielung einer
einvernehmlichen Regelung individualrechtlich nicht geltend gemacht werden können.
1.2 Der Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass Ansprüche aus dem
Tarifvertrag bereits mangels ausreichender Darlegung der Anwendbarkeit der
Vergütungsgruppe X auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nicht gegeben seien.
1.2.1 In dem unstreitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung wurde „wegen
der ihr als Stationshilfe obliegenden Arbeiten“ auf die „zur Klageschrift eingereichte
Kopie ‚Arbeitsablauf – Stationshilfe’ “ verwiesen.
Den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren
liefert nach § 314 ZPO der Tatbestand des Ersturteils (BGH, Urteil vom 28. Juni 2005 – XI
ZR 3/04 m.w.N.). Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte
Behauptung bestritten ist oder nicht (BGH, ebenda).
Dabei ist es unerheblich, dass die Beklagte in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz den
Vortrag der Klägerin zu ihren Tätigkeitsinhalten bestritten hat. Denn der Beweis durch
den Urteilstatbestand kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht aber durch den Inhalt
der Schriftsätze entkräftet werden (BGH, ebenda). Vorher eingereichte Schriftsätze sind
durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung
Beweis erbringt, überholt. Bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt der
vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des Parteivorbringens im
Urteilstatbestand sind die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich (BGH, ebenda).
Danach war im Berufungsverfahren gemäß § 314 ZPO davon ausgehen, dass die
Beklagte das Vorbringen der Klägerin zu ihren Tätigkeitsinhalten mündlich unstreitig
gestellt hat.
1.2.2 Aber auch ohne diesen unstreitigen Tatbestand hätte die Klägerin nach Ansicht der
Kammer zunächst ihrer Darlegungslast genügt. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend
entgegengetreten, so dass der Vortrag der Klägerin für die Berufungsentscheidung
unterstellt werden konnte.
Im Rahmen einer Eingruppierungsfeststellungsklage und im Rahmen einer auf eine
bestimmte Eingruppierung gestützten Vergütungsklage hat der Arbeitnehmer die
Tatsachen vorzutragen und gegebenenfalls im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen
der rechtliche Schluss möglich ist, dass er die im Einzelfall für sich beanspruchten
Tätigkeitsmerkmale erfüllt. Eine pauschale Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen
einer Eingruppierung ist ausreichend, wenn die Parteien die Tätigkeit des Arbeitnehmers
als unstreitig ansehen und der Arbeitgeber selbst für die Tätigkeit die
Tätigkeitsmerkmale als erfüllt erachtet (BAG, Urteil vom 06. Juni 1984 - 4 AZR 203/82 -
und vom 27. Juni 1984 - 4 AZR 284/82).
Die Arbeitnehmerin erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die sie eingruppiert
ist (§ 12 Nr. 1 MTV). Eingruppiert ist die Klägerin nach § 12 Nr. 2 MTV in die
Vergütungsgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten von ihr nicht nur
vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entsprechen. Dabei entspricht nach Absatz 2
des § 12 Nr. 2 MTV die gesamte auszuübenden Tätigkeit den Tätigkeitsmerkmalen einer
Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für
sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales oder mehrerer
Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen. Das Arbeitsgericht geht unter
Anwendung dieser Vorschriften zu Recht davon aus, dass die Klägerin in
Vergütungsgruppe X einzugruppieren ist, da diese Vergütungsgruppe die niedrigste
Vergütungsgruppe der Beschäftigten in der Tätigkeit von gewerblichen Arbeitnehmern
darstellt. Die Klägerin kommt ihrer Darlegungslast bezüglich der Eingruppierung in
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darstellt. Die Klägerin kommt ihrer Darlegungslast bezüglich der Eingruppierung in
Vergütungsgruppe X zunächst nach, indem sie vorträgt, als gewerbliche Arbeitnehmerin
mit den Tätigkeiten nach der Stellenbeschreibung einer Stationshilfe eingesetzt zu sein.
Dieser Vortrag entspricht auch der Tätigkeitsbezeichnung im Arbeitsvertrag vom 1.
Januar 1994. Ausgehend von dieser vertraglichen Regelung genügt die für eine höhere
Eingruppierung grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtige Klägerin ihrer
Darlegungslast, wenn sie sich auf die Tätigkeitsbezeichnung und -beschreibung in
Arbeitsvertrag und Stellenbeschreibung beruft. Zwischen den Parteien ist auch
unstreitig, dass die Klägerin tatsächlich als Stationshilfe beschäftigt ist.
Auch wenn nach Ziffer 7 des Arbeitsvertrages die Klägerin vorübergehend mit
anderweitigen Tätigkeiten bedacht werden kann, kann die Beklagte sich nicht darauf
beschränken, die Ausübung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung mit
Nichtwissen zu bestreiten. Eine Erklärung mit Nichtwissen setzt voraus, dass der
Erklärende tatsächlich keine Kenntnis hat. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen,
dass der Arbeitgeber Kenntnis von den ausgeübten bzw. auszuübenden Tätigkeiten
seiner Arbeitnehmer besitzt oder sich hierüber unproblematisch Kenntnis beschaffen
kann. Ein wirksames Bestreiten mit Nichtwissen hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin als
Stationshilfe ist somit nicht anzunehmen. Solange die Beklagte nicht konkret darlegt,
mit welchen vom Arbeitsvertrag abweichenden Tätigkeiten außerhalb der Tätigkeit einer
Stationshilfe die Klägerin mit überwiegender Auslastung betraut worden sein soll, gilt der
Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Ausübung der Stationshilfentätigkeit gemäß § 138
Absatz 3 ZPO als zugestanden. Ausgehend von der danach unstreitigen Tatsache, dass
die Klägerin überwiegend Tätigkeiten als Stationshilfe ausübt, ist eine pauschale Prüfung
der Eingruppierung der Klägerin in die niedrigste Vergütungsgruppe, welche die
Tätigkeiten einer Stationshilfe beinhaltet, ausreichend.
2. Aufgrund ihrer Betriebszugehörigkeit seit dem 1. Januar 1994 befand sich die Klägerin
nach § 12b Nr. 3 MTV bis zum 31. Dezember 2005 in der Betriebszugehörigkeitsstufe 5
(während des zehnten und elften Beschäftigungsjahres). Am dem 1. Januar 2006
gelangte die Klägerin mit Beginn ihres zwölften Beschäftigungsjahres in die
Betriebszugehörigkeitsstufe 6.
2.1 Zwar stellt § 12b Nr. 1 MTV für die Höhe der Anfangsgrundvergütung auf den Beginn
des Monats ab, in dem der Angestellte seine Tätigkeit bei der P. S. AG oder einer deren
Tochtergesellschaften begonnen hat, während gemäß § 12b Nr. 2 Satz 2 MTV die
Anrechnung von Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber lediglich anheim
gestellt wird. Da nun aber der bisherige Betriebsinhaber mit Rücksicht auf die Regelung
in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB über den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den
Betriebserwerber nicht als „anderer Arbeitgeber“ anzusehen ist, sind die
Beschäftigungszeiten bei diesem wie solche bei der Beklagten zu behandeln (so auch
LAG Berlin, Urteil vom 25. August 2006 – 6 Sa 758/06).
2.2 Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen sollte und der Beklagten zuzugeben
ist, dass die Betriebszugehörigkeit kein “Recht” der Arbeitnehmer aus den bestehenden
Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist, ist bei der Klägerin für
das Jahr 2005 die Stufe 5 und für das Jahr 2006 die Stufe 6 anzunehmen.
Da die Betriebszugehörigkeit kein Recht im Sinne des § 613a Abs.1 Satz 1 BGB ist,
korrespondiert ihr dementsprechend keine Pflicht des Arbeitgebers, die auf einen
Erwerber überginge. Die Arbeitnehmer besitzen hinsichtlich der Berücksichtigung der
Betriebszugehörigkeit für etwaige Beschäftigungsstufen keine rechtlich gefestigte
Anwartschaft. Zwar hatten die Parteien im Arbeitsvertrag vom 1. Januar 1994 die
Geltung des BMT-G vereinbart. Dieser Tarifvertrag besaß auch von der
Betriebszugehörigkeit abhängige Stufen für die Vergütungsbemessung. Tarifverträge
stehen aber immer unter dem Vorbehalt jederzeitiger Abänderbarkeit.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. etwa BAG, Urteil vom 22. Oktober 2003 –
10 AZR 152/03), der die erkennende Kammer sich anschließt, tragen tarifvertragliche
Regelungen auch während der Laufzeit des Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt
ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt selbst für
entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche (sog.
"wohlerworbene Rechte"). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur
rückwirkenden Änderung nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der
Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie nach der
Rechtsprechung des BVerfG bei der Rückwirkung von Gesetzen. Danach sind die
Tarifvertragsparteien an das Willkürverbot des Art. 3 Abs.1 GG gebunden und haben
bezüglich vorhandener Besitzstände die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs.3 GG)
folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit,
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folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit,
gegebenenfalls auch im Rahmen des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG), zu beachten.
Die Klägerin befand sich lediglich faktisch in einer Situation, die ihr beim Fortbestand der
tatsächlichen Umstände einen künftigen Vorteil bringen konnte. Dieser Fortbestand hing
zudem nicht nur vom Ausbleiben eines Betriebsübergangs, sondern ebenso davon ab,
dass der BMT-G insoweit unverändert bleibt. Die bloße Chance auf den betreffenden
Vorteil stellt keine subjektive Rechtsposition dar und ist von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
grundsätzlich nicht geschützt (so auch BAG, Beschluss vom 27. Juni 2006 1 ABR 18/05
zum Sozialplan bei neu gegründeten Unternehmen).
Die Tarifvertragsparteien haben aber in § 12b Abs.2 Satz 2 des Manteltarifvertrages vom
24. September 2004 vereinbart, dass Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern
dabei angerechnet werden können. Die Tarifvertragsparteien haben die Entscheidung
über die Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten damit in das Ermessen des
Arbeitgebers gestellt (vgl. BAG, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 9 AZR 706/99 zum
Altersteilzeitvertrag).
Allerdings ist die Beklagte nicht frei in der Ausübung ihres Ermessens. Ersichtlich haben
die Tarifvertragsparteien nicht allein die Selbstverständlichkeit wiederholt, dass der
Arbeitgeber Vertragsfreiheit genießt und daher mit den Arbeitnehmern auf Grundlage
des MTV Verträge schließen kann. Ein Arbeitnehmer hat nach der Tarifvorschrift vielmehr
Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber bei der Entscheidung über seinen Antrag billiges
Ermessen wahrt (§ 315 Abs. 1 BGB). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei seiner
Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die
beiderseitigen Interessen angemessen zu wahren.
Im Hinblick auf die Rechtsauffassung der Beklagten, dass der MTV überhaupt noch nicht
in Kraft getreten sei, hat sie überhaupt noch keine Ermessensentscheidung getroffen.
Deshalb war die Bestimmung durch Urteil zu treffen (§ 315 Abs.3 Satz 2, 2. Alt. BGB).
Selbst wenn man die Nichtanrechnung der Jahre 1994 bis 1997 als Hilfsargumentation
der Beklagten in diesem Rechtsstreit zugrunde legen würde, hätte die Beklagte eine
unbillige Entscheidung getroffen. Auch in diesem Fall ist die Entscheidung durch Urteil zu
treffen (§ 315 Abs.3 Satz 2, 1. Alt. BGB).
Auf Seiten der Klägerin spricht für eine Anrechnung der Beschäftigungszeiten vor dem
Betriebsübergang, dass sie sie im gleichen Betrieb und sogar in der gleichen Einrichtung
zurückgelegt hat. Auch bis zum Inkrafttreten des MTV hat die Beklagte das
Arbeitsverhältnis nach einem Tarifvertrag mit Beschäftigungsstufen abgewickelt.
Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck von Beschäftigungsstufen als
Erfahrungsstufen für deren Anerkennung. Wenn die tarifliche Regelung sogar die
Anerkennung von Beschäftigungszeiten außerhalb von Betrieben der Beklagten oder
deren Rechtsvorgängern zulässt, können nur dann Vorbeschäftigungszeiten bei
Rechtsvorgängern der Beklagten keine Berücksichtigung finden, wenn sich die Tätigkeit
qualitativ erheblich von der jetzigen Tätigkeit bei der Beklagten unterscheidet. Hierzu hat
die Beklagte aber nichts vorgetragen und ist auch ansonsten nichts ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs.1 ZPO.
Aufgrund des erfolglosen Rechtsmittels hat die Beklagte die Kosten der Berufung zu
tragen.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher
Rechtsfragen bei der Auslegung des MTV gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zuzulassen.
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