Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: arbeitsgericht, klagefrist, urkunde, briefkasten, arbeitsrecht, auflage, original, beendigung, meinung, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 Ta 363/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 S 1 KSchG, § 623 BGB, § 126
Abs 1 BGB, § 114 S 1 ZPO
(Prozesskostenhilfeverfahren - Erfolgsaussicht bei Versäumung
der Klagefrist nach § 4 KSchG und nicht unterschriebenem
Kündigungsschreiben)
Leitsatz
Die Erfolgsaussicht einer Bestandschutzklage kann im Rahmen des Prozesskostenhilfe-
Bewilligungsverfahrens nicht mit der Begründung verneint werden, bei einer per Boten
zugestellten und nicht unterschriebenen Kündigungserklärung sei die Klagefrist nach § 4
KSchG versäumt worden. Denn es entspricht zum einen einhelliger Ansicht, dass die Rüge der
fehlenden Schriftform nach §§ 623, 126 BGB vom Anwendungsbereich des § 4 KSchG nicht
erfasst wird und zum anderen, dass die fehlende Erfolgsaussicht nicht verneint werden darf,
wenn das Gericht in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur abweicht oder die Erfolgsaussicht
der Klage von einer bisher nicht hinreichend geklärten, schwierigen Tat- oder Rechtsfrage
abhängt (BVerfG vom 8. November 2004, 1 BvR 2095/04, NJW-RR 2005, 500; vom 19. Februar
2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008, 1060).
Ist zwischen den Parteien streitig, ob die von der klagenden Partei zu den Akten gereichte -
nicht unterschriebene - Urkunde diejenige Kündigungserklärung ist, die zugestellt wurde, so
ist die Erfolgsaussicht der Klage jedenfalls dann zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme
ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der
klagenden Partei ausgehen würde. Auch dies entspricht ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, a.a.O.).
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin
vom 7. Januar 2010 - 38 Ca 19936/09 – aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung
an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
die am 9. November 2009 beim Arbeitsgericht Berlin erhobene Bestandsschutzklage,
mit der sie sich gegen die Beendigung des am 1. September 2009 begründeten
Arbeitsverhältnisses aufgrund einer spätestens am 10. Oktober 2009 zugegangenen
Kündigung vom 9. Oktober 2009 wendet. Zur Begründung ihrer Klage hat sie angeführt,
die Kündigung sei gemäß § 623 BGB unwirksam, weil das ihr zugegangene
Kündigungsschreiben nicht unterschrieben gewesen sei. Die Beklagte hat entgegnet, die
Kündigung sei wirksam, weil die Klägerin noch keinen Kündigungsschutz genieße und die
ihr per Boten in den Briefkasten geworfene Kündigungserklärung von dem
Geschäftsführer handschriftlich unterzeichnet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin, die bislang nur eine Fotokopie der ihr angeblich
zugegangenen Kündigungserklärung zur Akte gereicht hatte, zunächst eine Frist zur
Vorlage des Originals bis zum 8. Januar 2010 gesetzt. Mit Beschluss vom 7. Januar 2010
hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie auf Beiordnung
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage habe keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg und sei darüber hinaus mutwillig im Sinne von § 11a ArbGG, weil die
Klägerin die Klagefrist nach § 4 KSchG versäumt habe. Zwar stelle § 4 KSchG auf den
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Klägerin die Klagefrist nach § 4 KSchG versäumt habe. Zwar stelle § 4 KSchG auf den
Zugang der „schriftlichen“ Kündigung ab, so dass für eine mündlich erklärte Kündigung
keine Klagefrist laufe. Bei einer schriftlich verfassten Kündigung, bei der lediglich die
Unterschrift fehle, gelte dies jedoch jedenfalls dann nicht, wenn die Kündigung persönlich
übergeben oder wie hier durch Boten in den Briefkasten geworfen werde. Es bestehe
dann kein Zweifel, dass der Arbeitgeber tatsächlich eine Kündigung habe erklären wollen.
Gegen diesen, ihrem Prozessbevollmächtigten am 13. Januar 2010 zugestellten
Beschluss hat die Klägerin am Montag, dem 15. Februar 2010 bei dem Arbeitsgericht
Berlin Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Klagefrist nach § 4
KSchG laufe auch bei einer durch Boten zugestellten schriftlich verfassten
Kündigungserklärung nur dann, wenn diese unterschrieben sei. Im Übrigen stehe die
Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts im Widerspruch zur Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, wonach die mangelnde Schriftform einer Kündigungserklärung
auch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend gemacht werden könne,
was eine Verneinung der Erfolgsaussicht der Klage im Rahmen der PKH-Bewilligung
verbiete.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde ohne Begründung nicht abgeholfen. Nach
Aufforderung durch das Beschwerdegericht hat die Klägerin ein nicht unterschriebenes
Kündigungsschreiben vorgelegt und hierzu erklärt, es handle sich um das Original des
von ihr im Briefkasten vorgefundenen Schreibens (Blatt 39 der Hauptakte).
II.
1.
ZPO statthaft und gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO form- und fristgerecht
eingelegt und damit zulässig. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen,
so dass gemäß § 572 ZPO durch das Landesarbeitsgericht zu entscheiden ist.
2.
Aussicht auf Erfolg.
2.1.
Prozessaussichten so vernünftig wie ein nicht bedürftiger Anspruchsteller abwägt und
das Kostenrisiko berücksichtigt. Dem dient das Erfordernis der hinreichenden
Erfolgsaussicht, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, eine
Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren
der Prozesskostenhilfe an Stelle des Hauptsacheverfahrens darf nicht erfolgen (vgl.
BVerfG vom 10. August 2001, 2 BvR 569/01, AP Nr. 10 zu Art 19 GG; vom 7. April 2000,
1 BvR 81/00, AP Nr. 12 zu § 114 ZPO, jew. m.w.Nw.). Denn das
Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht
selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (BVerfG vom 2. März 2000, 1 BvR
2224/98, NJW 2000, 2098). Daher darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen,
die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu
verlagern. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn der
von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in
tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BAG vom 26. Januar
2006, 9 AZA 11/05, NZA 2006, 1180; BGH vom 14. Dezember 1993, VI ZR 235/92, NJW
1994, 1160).
2.2.
hinreichende Erfolgsaussicht.
2.2.1.
verneint werden. Die Klägerin hat zwar die Klagefrist nach § 4 KSchG, die auch bei
Kündigungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses zur
Anwendung kommt, versäumt. Sie stützt ihre Klage jedoch darauf, dass die ihr
zugegangene (maschinen-) schriftlich verfasste Kündigungserklärung nicht
unterschrieben war. Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen
durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, nach dem ausdrücklichen
Wortlaut in § 4 Satz 1 KSchG gilt die Klagefrist nur für schriftliche Kündigungen. Mangelt
es an der Schriftform, so kann der Arbeitnehmer die Nichtigkeit einer gemäß § 623 BGB
formunwirksamen Kündigung daher auch außerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG
geltend machen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes und entspricht
im Übrigen höchstrichterlicher Rechtsprechung und ganz überwiegender Auffassung in
der Literatur (vgl. nur BAG vom 28. Juni 2007, 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972;
Hergenröder in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 4 KSchG, Rdnr. 6;
Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, § 4 KSchG, Rdnr. 6 und
8; alle jew. m.w.Nw.).
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Aus den gesetzlichen Regelungen ergibt sich weiterhin, dass eine formunwirksame
Kündigung nicht nur bei mündlicher Erklärung vorliegt, sondern auch dann, wenn es einer
schriftlich verfassten Erklärung an der Unterschrift mangelt. Die durch § 623 BGB
vorgeschriebene Schriftform wird nach § 126 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde eine
eigenhändige Namensunterschrift oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen trägt (vgl.
nur BAG vom 24. Januar 2008, 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; Kiel in Erfurter Kommentar
zum Arbeitsrecht, a.a.O.; Rdnr. 8; Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht,
a.a.O., § 623 BGB Rdnr. 12). Selbst wenn das Arbeitsgericht eine hiervon abweichende
Rechtsansicht vertreten möchte, so weicht es damit von der überwiegend vertretenen
Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ab, was die Versagung von Prozesskostenhilfe
verbietet. Es stellt eine mit Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG unvereinbare Überspannung
der Anforderungen an das Vorliegen einer hinreichenden Erfolgsaussicht der
beabsichtigten Rechtsverfolgung nach § 114 ZPO dar, wenn das Gericht - selbst bei
Heranziehung schlüssiger Argumente und guter Begründung - in einer
entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
herrschenden Meinung in der Literatur abweicht (so BVerfG vom 8. November 2004, 1
BvR 2095/04, NJW-RR 2005, 500). Selbst wenn das Arbeitsgericht die Auffassung
vertreten sollte, es sei in der Rechtsprechung noch gar nicht entschieden, ob eine per
Boten überbrachte Kündigungserklärung, die zwar (maschinen-) schriftlich verfasst ist,
bei der jedoch die Unterschrift fehlt, innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG angegriffen
werden muss, so würde es sich jedenfalls um eine noch nicht geklärte schwierige
Rechtsfrage handeln, was die Versagung von Prozesskostenhilfe ebenfalls verbietet.
Denn bisher nicht hinreichend geklärte, schwierige Tat- und Rechtsfragen dürfen im PKH-
Verfahren nicht entschieden werden, sondern müssen einer Klärung im Hauptverfahren
zugeführt werden können (BVerfG vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008,
1060 m.w.Nw.).
2.2.2.
114 ZPO nicht abgesprochen werden. Die Klägerin hat nach Aufforderung durch das
Beschwerdegericht eine Urkunde eingereicht, von der sie behauptet, es handle sich um
das Original der ihr zugegangenen Erklärung. Diese Urkunde trägt in Übereinstimmung
mit ihrem Vortrag keine Unterschrift. Ob es sich bei dieser Urkunde um die ihr
tatsächlich zugegangene Erklärung handelt oder ob ihr gemäß dem unter Beweis
gestellten Vortrag des Beklagten eine unterschriebene Erklärung in den Briefkasten
geworfen wurde, lässt sich nicht ohne weiteres klären. Gegebenenfalls wird dies durch
Beweisaufnahme festzustellen sein. Kommt aber eine Beweisaufnahme ernsthaft in
Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor,
dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des
Beschwerdeführers ausgehen würde, so darf Prozesskostenhilfe nicht versagt werden
(BVerfG vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, a.a.O. m.w.Nw.).
Nachdem die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung klargestellt hat, dass den
Anträgen zu 1.) und 2.) keine jeweils eigenständige Bedeutung zukommen, sondern es
sich um eine Feststellungsklage handeln soll, bestehen gegen die Erfolgsaussicht der
Klage insgesamt keine Bedenken. Dies gilt trotz der zwischenzeitlich ausgesprochenen
Schriftsatzkündigung auch für den Klageantrag zu 3.), weil zum einen bei einer
Schriftsatzkündigung Form- und Zugangsfragen zu klären sind und zum anderen nicht
jede weitere ausgesprochene Kündigung dem Anspruch auf vorläufige
Weiterbeschäftigung entgegensteht. Da hierzu bislang jeglicher Sachvortrag auf beiden
Seiten fehlt, kann auch insoweit die Erfolgsaussicht nach dem dargelegten Maßstab
nicht versagt werden.
2.3.
hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden, so war der Beschluss des
Arbeitsgerichts aufzuheben. Das Beschwerdegericht hat von der Möglichkeit Gebrauch
gemacht, die Sache gemäß §§ 572 Abs. 3 ZPO, 78 ArbGG zur anderweitigen
Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an das Arbeitsgericht
zurückzuverweisen, damit dieses über die noch nicht geprüfte Bedürftigkeit der Klägerin
gemäß § 115 ZPO und über die Person des oder der Beizuordnenden gemäß § 121 ZPO
eine Entscheidung treffen kann, wobei ihr auch eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet
werden könnte (vgl. BGH vom 17. September 2008, IV ZR 343/07, NJW 2009, 440).
III.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Die Voraussetzungen für die Zulassung der
Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG.
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