Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 19.05.2009

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 15.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 Sa 1769/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 KSchG, § 102 Abs 1 BetrVG
Krankheitsbedingte Kündigung - Anhörung des Betriebsrats -
Mitteilung von Unterhaltsverpflichtungen
Leitsatz
Eine Kündigung ist unwirksam, wenn dem Betriebsrat vor Ausspruch einer
krankheitsbedingten Kündigung nicht die Unterhaltsverpflichtungen der Arbeitnehmerin
mitgeteilt werden
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom
19.05.2009 - 8 Ca 2000/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist …..1961 geboren, verheiratet und einem Kind gegenüber
unterhaltsverpflichtet, was der Beklagten bekannt ist.
Sie war seit dem 1. Januar 2005 bei der Beklagten als Kundenbetreuerin gegen ein
Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.007,78 € beschäftigt. Hinsichtlich der
krankheitsbedingten Fehltage und ihrer Ursachen wird auf die Seiten 3 - 5 des
Beklagtenschriftsatzes vom 27.02.2009 verwiesen. Danach war die Klägerin auch bei
Herausrechnung der mitgezählten Samstage ab dem Jahre 2006 jährlich deutlich über 6
Wochen pro Kalenderjahr arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008
hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung
der Klägerin an (Kopie Bl. 40 ff. d. A.). Die Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind
wurde dem Betriebsrat nicht mitgeteilt.
Unter dem 27. Oktober 2008 hat die Beklagte eine ordentliche Kündigung zum 30.
November 2008 ausgesprochen. Hiergegen richtet sich die am 11. November 2008
beim Arbeitsgericht Frankfurt/Oder eingegangene und der Beklagten am 18. November
2008 zugestellte Klage.
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, alle Krankheiten seien ausgeheilt. Insofern
hat sie sich auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen. Sie hat weiterhin die
Ordnungsgemäßheit der Anhörung des Betriebsrates u.a. mit dem Argument bestritten,
diesem sei die Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Kind nicht mitgeteilt worden.
Nachdem das Arbeitsgericht durch Teilversäumnisurteil vom 19.03.2009 festgestellt
hatte, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. Oktober
2008 nicht beendet worden ist, hat die Beklagte hiergegen rechtzeitig Einspruch
eingelegt.
Die Klägerin hat nach Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrages zuletzt
beantragt,
das Teilversäumnisurteil vom 19.03.2009 aufrecht zu erhalten.
Die Beklagte hat beantragt,
das Teilversäumnisurteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, seit 2005 10.099,99 € Lohnfortzahlungskosten erbracht zu
haben. Rechne man einen 20 %igen Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung hinzu,
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haben. Rechne man einen 20 %igen Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung hinzu,
betrügen die Kosten 12.119,99 €. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei nicht
notwendig gewesen, da keine Möglichkeiten bestanden hätten, am Arbeitsplatz der
Klägerin etwas zu ändern.
Mit Urteil vom 19. Mai 2009 hat das Arbeitsgericht Frankfurt/Oder das
Teilversäumnisurteil vom 19. März 2009 aufrechterhalten. Die Kündigung sei unwirksam.
Es sei allerdings von einer konstitutionellen Schwäche hinsichtlich der Gesundheit der
Klägerin auszugehen. Insofern könne eine Indizwirkung der Erkrankungen aus der
Vergangenheit unterstellt werden. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere jedoch auf
der zweiten Stufe. Insofern sei zu fordern, dass über einen Zeitraum von vier Jahren 25
% der Arbeitsleistung nicht erbracht werden. Ein geringfügiges Überschreiten des 6-
Wochen-Zeitraums reiche nicht aus. Die Kündigung sei auch deswegen unwirksam, weil
dem Betriebsrat andere Kosten, nämlich höhere, und Ausfallzeiten mitgeteilt worden
seien.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 13. Juli 2009 zugestellt worden. Am 11. August 2009
ging die Berufung und am 14. September 2009 (Montag) die entsprechende
Begründung beim Landesarbeitsgericht ein.
Die Beklagte verweist darauf, dass ihrer Ansicht nach das erstinstanzliche Urteil nicht
der Rechtsprechung des BAG entspreche. Hinsichtlich der Lohnfortzahlungskosten habe
das Arbeitsgericht fälschlicherweise nur die Zahlen bzgl. des Grundlohnes in Ansatz
gebracht und nicht auf die zusätzlich gezahlten Prämien. Insofern sei der Betriebsrat
nicht mangelhaft informiert worden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Teil-Versäumnisurteil vom 19.03.2009 das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 19.Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet erstmals, ihr Arbeitsplatz sei mit einem Stuhl ausgestattet gewesen, der
nicht ergonomischen Ansprüchen genüge. Im Übrigen hält sie das Urteil des
Arbeitsgerichts für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher
zulässig. Sie ist im Ergebnis jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das
Arbeitsgericht Frankfurt/Oder das Teil-Versäumnisurteil vom 19. März 2009
aufrechterhalten, denn die Kündigung vom 27. Oktober 2008 ist unwirksam.
1.
KSchG unwirksam, dürfte viel dafür sprechen, dass dies auf der damaligen
Tatsachenbasis nicht zutraf.
Die Krankheitszeiten der Klägerin lagen seit dem Jahr 2006 deutlich über dem 6-Wochen-
Zeitraum. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch
ausreichend, dass auch künftig zu erwarten ist, dass jährliche Lohnfortzahlungskosten
für einen Zeitraum von über sechs Wochen auftreten. Da zwischen den Parteien streitig
war, ob die Erkrankungen der Klägerin ausgeheilt waren, hätte hierüber Beweis erhoben
werden müssen. Letztlich konnte dies jedoch offen bleiben, da die Kündigung sich schon
aus anderen Gründen als unwirksam erwies.
2.
Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen
Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für
seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (BAG vom 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 -
NZA 2004, 1037, 1038). Der Arbeitgeber ist hierbei grundsätzlich verpflichtet, den
Betriebsrat (bzw. einem Personalrat) über das Alter, den Familienstand und die
Unterhaltsverpflichtungen des zu kündigenden Arbeitnehmers zu informieren, weil sie
bei personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen regelmäßig im Rahmen der nach §
1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bzw. § 626 Abs. 1 BGB notwendigen Interessenabwägung
Berücksichtigung finden können (BAG vom 23.04.2009 - 6 AZR 516/08 - NZA 2009, 960
Rn. 20 f.). Der Arbeitgeber braucht ausnahmsweise den Betriebsrat jedoch dann die
Sozialdaten nicht mitteilen, wenn und soweit sie - für den Betriebsrat erkennbar - für
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Sozialdaten nicht mitteilen, wenn und soweit sie - für den Betriebsrat erkennbar - für
seinen Kündigungsentschluss völlig unmaßgeblich sind (a. a. O. Rn. 22). Dies nimmt das
Bundesarbeitsgericht im Falle einer Betriebsstilllegung und bei einer Kündigung während
der Wartezeit an. Gleiches soll bei einer verhaltensbedingten Kündigung gelten, bei der
es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen
Sozialdaten ersichtlich nicht ankommt, sofern der Betriebsrat die ungefähren Daten
kennt (BAG a. a. O. Rn. 22 f.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte dem Betriebsrat
die Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Kind nicht mitgeteilt hat. Die Mitteilung der
Unterhaltspflichten gehört grundsätzlich jedoch zur Ordnungsgemäßheit der
Betriebsratsbeteiligung bei einer personenbedingten Kündigung. Die vom
Bundesarbeitsgericht angenommenen drei Ausnahmetatbestände liegen erkennbar
nicht vor. Insofern ist die Kündigung allein schon aus diesem Grunde unwirksam.
Daher kann es offen bleiben, ob eine möglicherweise fehlerhafte Mitteilung hinsichtlich
der Entgeltfortzahlungskosten gegenüber dem Betriebsrat ebenfalls zur Unwirksamkeit
der Kündigung führt.
3.
nach § 84 Abs. 2 SGB IX notwendigen betrieblichen Eingliederungsmanagements
ausreichend sind (vgl. BAG vom 12.07.2007 - 2 AZR 716/06 - NZA 2008, 173 Rn. 44).
4.
tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 ArbGG). Auf
die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
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