Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: versicherung, ordentliche kündigung, wichtiger grund, abmahnung, unbeteiligter dritter, betriebsrat, abgabe, geschäftsführer, betriebsübergang, werk

1
2
3
4
Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 2109/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 626 Abs 1 BGB, § 156 StGB, §
15 Abs 1 S 2 KSchG
Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung -
Erfordernis einer Abmahnung - Unwirksamkeit einer
außerordentlichen Kündigung - Betriebsrat
Leitsatz
1) Ob die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Prozess gegen den
Arbeitgeber eine Kündigung rechtfertigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
2) Es ist zu unterscheiden, ob die Abgabe vorsätzlich oder fahrlässig falsch war.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.9.2006 –
36 Ca 714/06 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung
der Beklagten vom 26.1.2006 nicht beendet worden ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen
verhaltensbedingten Kündigung.
Der Kläger ist 52 Jahre alt (…. 1954), geschieden und seit dem 15. Juni 1999 bei der
Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Sozialarbeiter mit einer Bruttovergütung in
Höhe von 2060,32 EUR beschäftigt. Er war der Vorsitzende des Betriebsrats des
Rechtsvorgängers T. Berlin e.V.
Zum 1. Januar 2006 erfolgte ein Betriebsübergang vom T. Berlin e.V. auf die Beklagte.
Über diese Absicht wurde der Kläger nach § 613a Abs.5 BGB mit einem
Informationsschreiben der Beklagten und ihres Rechtsvorgängers vom 29. November
2005, zugegangen am 30. November 2005 (Bl. 50-51 d.A.) informiert. Der T. Berlin e.V.
war Mitglied im P. Wohlfahrtsverband, die Beklagte ist Mitglied im D. Werk Berlin-
Brandenburg. Aufgrund des Umstandes, dass nach § 118 Abs.2 BetrVG für die Beklagte
das Betriebsverfassungsrecht nicht gilt, gab es seit dem 2. Januar 2006 verschiedene
Streitigkeiten zwischen dem Betriebsrat des T. Berlin e.V. und der Beklagten. Diese
wurden auch in mehreren gerichtlichen Beschlussverfahren auch im Rahmen des
vorläufigen Rechtsschutzes unter anderem über die Frage der Amtsausübung seit dem
2. Januar 2006 geführt.
Am 2. Januar 2006 führte der Betriebsrat des T. Berlin e.V. in Anwesenheit des Klägers
eine Betriebsratssitzung durch. Während dieser Sitzung erschien der Geschäftsführer
der Beklagten mit fünf weiteren Beschäftigten und übergab dem Betriebsrat ein
Schreiben der Beklagten vom 2. Januar 2006 (Bl. 19 d.A.), in welchem mitgeteilt wurde,
„dass die T. Berlin seit dem 01.01.2006 nicht mehr zum P. Wohlfahrtsverband, sondern
zum D. Werk Berlin-Brandenburg“ gehöre. Weiter wurde auf die daraus resultierende
Unanwendbarkeit des BetrVG hingewiesen. Die anwesenden weiteren Beschäftigten der
Beklagten räumten dann das Betriebsratsbüro und verlangten die Herausgabe einiger
Gegenstände wie Schlüssel und Dienst-Handy. Ob auch eine Herausgabe des privaten
Laptops des Klägers verlangt wurde oder ob sich die Beklagte nur danach erkundigte, ob
auf diesem dienstliche Angelegenheiten gespeichert seien, ist streitig.
5
6
7
8
9
10
11
12
Unmittelbar nach dem Räumen des Betriebsratsbüros erhielt der Kläger von der
Beklagten ein Schreiben vom 2. Januar 2006 (Bl. 23 d.A.), in welchem ihm mitgeteilt
wurde, dass sein Dienstort mit sofortiger Wirkung die P. Str. 24 in 14548 Caputh sei. Dort
befindet sich die Villa D., eine Bildungseinrichtung der Beklagten. Ob es sich um eine
Versetzung (so der Kläger) oder nur um eine kurzfristige und vorübergehende Aushilfe
aufgrund eines Wintereinbruchs (so die Beklagte) handelte, ist streitig.
Nachdem der Kläger dieser Versetzung widersprochen hatte, fuhr er auf Verlangen des
Geschäftsführers der Beklagten mit Herrn L. von der Beklagten nach Caputh. Der Kläger
wurde in einen Kellerraum (so der Kläger) oder in einen Raum des Souterrains (so die
Beklagte) geführt. Ob dem Kläger dieser Raum als sein zukünftiger Arbeitsraum (so der
Kläger) oder als Umkleideraum (so die Beklagte) vorgestellt wurde, ist streitig. Jedenfalls
ist der Raum ca. 14 m² groß, verfügt über geweißte Wände, einen gefliesten Boden und
eine Heizung. Er war mit Schrank, Tisch und Stuhl ausgestattet. Das Fenster mit den
Ausmaßen von 0,85 bis 0,88 m befand sich über der Erdoberfläche und war mit außen
liegenden Querstreben gegen Einbruch gesichert.
Ob dem Kläger dort (erst) mitgeteilt wurde, dass er als Aushilfsgärtner tätig werden solle
(so der Kläger) oder ob der Geschäftsführer ihn dort (lediglich) aufgefordert hatte tätig
zu werden (so die Beklagte) ist streitig. Jedenfalls kam es zu einer verbalen
Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten über
den Arbeitseinsatz des Klägers. Dieser endete damit, dass der Kläger erklärte, dass er
nunmehr krank sei. Die Einzelheiten des diesbezüglichen Gesprächs zwischen dem
Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten sind wiederum streitig. Jedenfalls
übergab der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger dann ein vorbereitetes
Kündigungsschreiben (Bl. 16 d.A.), welches eine außerordentliche Kündigung mit
sofortiger Wirkung, hilfsweise eine ordentliche Kündigung beinhaltete.
Gegen diese Kündigung erhob der Kläger unter dem 10. Januar 2006
Kündigungsschutzklage. In der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin
vom 19. September 2006 wurde - insoweit mittlerweile rechtskräftig - entschieden, dass
diese Kündigung unwirksam ist.
Ebenfalls unter dem 10. Januar 2006 reichte der Betriebsrat der Rechtsvorgängerin der
Beklagte, vertreten durch die Betriebsratsmitglieder M. und S. zum Aktenzeichen 65
BVGa 705/06 einen Antrag auf Zurverfügungstellung der bisherigen Betriebsratsräume
und bisheriger Sachmittel für die Betriebsratsarbeit ein. In diesem Verfahren reichte die
Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats eine eidesstattliche Versicherung des
Klägers über die Geschehnisse rund um den Betriebsübergang und die Ereignisse am 2.
Januar 2006 (Bl. 64-65 d.A.) zusammen mit einem Informationsschreiben der Beklagten
und ihres Rechtsvorgängers nach § 613a Abs.5 BGB vom 12. Dezember 2005 zum
bevorstehenden Betriebsübergang ein. In einer Berichtigung vom 12. Januar 2006 (Bl. 95
d.A.) korrigierte der Kläger in einem Punkt die eidesstattliche Versicherung vom 10.
Januar 2006. Nach den Erörterungen in der Berufungsverhandlung reichte die
Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, die auch die Verfahrensbevollmächtigte des
Betriebsrates war, seinerzeit zur Glaubhaftmachung die gleiche eidesstattliche
Versicherung und das Schreiben vom 12. Dezember 2005 in einem vom Kläger gegen
die Beklagte angestrengten einstweiligen Verfügungsverfahren (36 Ga 712/06) ein.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten erhielt die eidesstattliche Versicherung im
Anhörungstermin des Verfahrens 65 BVGa 705/06 am 19. Januar 2006. Darauf kündigte
die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Anwaltsschreiben vom 26.
Januar 2006 erneut fristlos und außerordentlich sowie vorsorglich fristgemäß zum 31.
März 2006 (Bl. 36-37 d.A.), weil die abgegebene eidesstattliche Versicherung in
mehreren Punkten falsch sei.
Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß
§ 69 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2006 die Klage gegen die
Kündigung vom 26. Januar 2006 im wesentlich mit der Begründung abgewiesen, dass die
eidesstattliche Versicherung des Klägers im Sinne von § 156 StGB falsch gewesen sei.
Der Kläger habe die eidesstattliche Versicherung im Rahmen des Verfahrens 65 BVGa
705/06 eingereicht, obwohl er gewusst habe, dass ihr Inhalt nicht den Tatsachen
entsprochen habe. Es sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass diese zum Zeitpunkt
ihrer Vorlage noch eine abstrakte Relevanz für das Verfügungsverfahren hätte haben
können. Denn der Kläger habe im Verfahren 65 BVGa 705/06 seine Angaben durch ein
Informationsschreiben konkretisiert, so dass gegebenenfalls am 2. Januar 2006 die
einmonatige Widerspruchsfrist gegen den Betriebsübergang noch nicht abgelaufen
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
einmonatige Widerspruchsfrist gegen den Betriebsübergang noch nicht abgelaufen
gewesen sei. Damit wäre der Kläger zumindest bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist des
§ 613a Abs.6 BGB weiter Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten und damit
Betriebsratsmitglied gewesen. Man könne nicht ausschließen, dass aufgrund der
falschen eidesstattlichen Versicherung eine falsche rechtliche Beurteilung hätte
abgegeben werden können.
Da der Kläger objektiv nicht mehr Betriebsrat gewesen sei, habe es sich auch nicht um
eine Amtspflichtverletzung, sondern um eine Vertragspflichtverletzung gehandelt.
Aufgrund der Schwere des Pflichtenverstoßes könne auch die Interessenabwägung im
Einzelfall nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen.
Aus diesem Grunde sei auch eine Abmahnung entbehrlich. Es sei nicht mit einer
Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens zu rechnen.
Gegen dieses dem Kläger am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger per
Telefax am 4. Dezember 2006 Berufung eingelegt und diese per Telefax am 19.
Dezember 2006 begründet.
In der Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass der Straftatbestand der falschen
eidesstattlichen Versicherung nicht gegeben sei und im konkreten Fall eine Abmahnung
auch nicht entbehrlich gewesen sei.
In der weiteren Begründung führt der Kläger aus, dass der Straftatbestand des § 156
StGB Rechtswidrigkeit und Vorsatz verlange. Der Kläger habe jedoch im einstweiligen
Verfügungsverfahren das Schreiben des Arbeitgebers vom 12. Dezember 2005
beigefügt. Ein wohlwollender und unbeteiligter Dritter hätte aufgrund dieser Angaben
zunächst einmal Sachverhaltsaufklärung betrieben. Dieses gelte umso mehr, als die
eidesstattliche Versicherung allein gar kein Datum beinhaltet habe. Diese sei allein viel
zu unkonkret gewesen.
Das Gericht habe auch nicht die konkrete Situation mit einem enormen psychischen
Druck auf Seiten der Betriebsratsmitglieder, insbesondere des Klägers, der ja bereits
eine existenzgefährdende Kündigung erhalten habe, gewürdigt. Jedenfalls könne nicht
von einer vorsätzlichen Tat ausgegangen werden.
Das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei zwar gestört, doch liege dieses in
der vorherigen Betriebsratsarbeit und der Aufgabe des Klägers als
Betriebsratsvorsitzender begründet. Insofern sei eine Abmahnung nicht von vornherein
entbehrlich gewesen.
Eine Umdeutung in eine fristgemäße Kündigung komme nicht in Betracht, weil zum
einen auch dort die Abmahnung fehle und zum anderen der Kläger auch im Falle eines
Wegfalls des Betriebsrates nach § 118 Abs.2 BetrVG nachwirkenden Kündigungsschutz
genieße.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil I. Instanz zum Aktenzeichen 36 Ca 714/06 vom 19. September 2006
abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die
Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2006 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert, dass gerade das auf den 12. Dezember 2005 datierte Schreiben
eine ergänzende Aufklärung des Gerichts nicht erfordert hätte. Da der Kläger selbst das
Schreiben am 30. November 2005 erhalten habe, habe er gewusst, dass die Angabe in
der eidesstattlichen Versicherung falsch gewesen sei. Er habe auch rechtswidrig
gehandelt, nachdem er offensichtlich von seiner Prozessbevollmächtigten entsprechend
belehrt worden sei. Auf irgendwelche Drucksituationen komme es nicht an.
Die abgegebene eidesstattliche Versicherung des Klägers, in der es „im Dezember
2005“ heiße, beziehe sich eindeutig auch auf die Anlage zur Antragsschrift in dem
genannten einstweiligen Verfügungsverfahren. Diese Anlage trage das Datum 12.
Dezember 2005. Deshalb sei die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts in der
angefochtenen Entscheidung völlig zutreffend. Selbst wenn das vom Kläger eingereichte
Schreiben das Datum 1. Dezember 2005 gehabt hätte, sei die Monatsfrist zum
Widerspruch gegen den Betriebsübergang erst am 2. Januar 2006 abgelaufen.
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Durch die Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen hat die Beklagte im Übrigen
auch noch einmal auf die weiteren für falsch gehaltenen Punkte in der eidesstattlichen
Versicherung des Klägers, wie sie im Schriftsatz der Beklagten vom 6. Februar 2006 (Bl.
56-61 d.A.) dargestellt wurden, Bezug genommen.
Aufgrund des vom Kläger selbst geschilderten gestörten Vertrauensverhältnisses sei
eine Abmahnung entbehrlich gewesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung vom 19. Dezember 2006 sowie der
Berufungsbeantwortung vom 22. Januar 2007 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im
Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und
begründet worden.
II.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien, auf das unstreitig das Kündigungsschutzgesetz
anzuwenden ist, ist nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche aus
verhaltensbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 26. Januar
2006 beendet worden.
1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2006 ist unwirksam, da
der Beklagten ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Seite stand.
1.1 Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn
Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr
zugemutet werden kann.
Hiernach ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile
erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf
die Besonderheit des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten
Kündigungsgründe (BAG, Urteil vom 15.11.1984 – 2 AZR 613/83 m.w.N.).
Bei der Überprüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist
zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des
Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein
solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles
und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (KR/Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rdz. 84 ff.;
ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 BGB Rdz. 34, 62 m.w.N.).
1.2 In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom
26. Januar 2006 mangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB als
unwirksam.
1.2.1 In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass grobe
Vertrauensverstöße eines Arbeitnehmers, insbesondere im Zusammenhang mit
strafbaren Handlungen, grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB
rechtfertigen können (BAG, Beschluss vom 10.02.1999 – 2 ABR 31/98; KR/Fischermeier,
a.a.O., § 626 BGB Rdz. 445 m.w.N.). Insbesondere kann die vorsätzliche Abgabe einer
falschen eidesstattlichen Versicherung einen Grund für eine außerordentliche Kündigung
darstellen (BAG Urteil vom 20. November 1987 -- 2 AZR 266/87).
Ob und inwieweit sich der Arbeitnehmer mit seinem Fehlverhalten strafbar gemacht hat,
40
41
42
43
44
45
46
47
Ob und inwieweit sich der Arbeitnehmer mit seinem Fehlverhalten strafbar gemacht hat,
ist für die Beurteilung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB oder für die
soziale Rechtfertigung einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht entscheidend (BAG,
Urteil vom 24. November 2005 – 2 AZR 39/05). Maßgeblich ist der mit der
Pflichtverletzung gegebenenfalls verbundene schwere Vertrauensbruch.
1.2.2 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche
Kündigung vom 26. Januar 2006 als unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626
Abs. 1 BGB steht der Beklagten nicht zur Seite.
1.2.2.1 Die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 10. Januar 2006 war objektiv
falsch. Denn mindestens ein Arbeitnehmer, nämlich der Kläger, hat das
Informationsschreiben noch im November erhalten. Wie der Beklagtenvertreter in der
Berufungsverhandlung erklärt hat, ist allerdings die Verteilung der Informationsschreiben
auch in Anbetracht der unterschiedlichen Betriebsstätten zu unterschiedlichen Zeiten
auch im Dezember erfolgt. Ob außer dem Kläger auch andere Arbeitnehmerinnen oder
Arbeitnehmer noch im November das Schreiben erhalten haben, konnte der
Beklagtenvertreter auf ausdrückliche Nachfrage nicht sagen.
Insofern hatte die Kammer bereits Zweifel, ob der Kläger die eidesstattliche
Versicherung vorsätzlich falsch abgegeben hat. Es sprach nach Ansicht der Kammer
ebensoviel für eine fahrlässige Falschabgabe. Auch das Bundesarbeitsgericht hat in der
Entscheidung vom 20. November 1987 ausgeführt, dass die Frage, ob es sich um eine
vorsätzlich oder fahrlässig abgegebene eidesstattliche Versicherung handele, weiterer
Aufklärung bedürfe (BAG, Urteil 2 AZR 266/87 unter II 2 b der Gründe am Ende) und es
damit für entscheidungserheblich angesehen.
Letztlich kann aber dahinstehen, ob der Kläger die eidesstattliche Versicherung
vorsätzlich oder fahrlässig als falsche abgegeben hat. Denn die besonderen Umstände
des Einzelfalles lassen den gegebenenfalls vorliegenden wichtigen Grund entfallen (siehe
dazu unten 1.3.2).
1.2.2.2 Das Arbeitsgericht hatte sich in der angefochtenen Entscheidung – aus seiner
Sicht zutreffend – darauf beschränkt, einen Punkt aus der eidesstattlichen Versicherung
des Klägers zu würdigen. Ob sie in den anderen Punkten wie im Schriftsatz der Beklagten
vom 6. Februar 2006 geschildert objektiv falsch ist, konnte nach Ansicht der Kammer
dahinstehen, weil die Beklagte jedenfalls insoweit einen Vorsatz des Klägers nicht
vorgetragen hat. Auch ergab sich aus den übrigen Umständen kein Anhaltspunkt für
eine insoweit vorsätzliche Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Denn bei
den übrigen Punkten handelte es sich allesamt um Einzelheiten der Auseinandersetzung
zwischen dem Betriebsrat der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Beklagten am
2. Januar 2006 im Betriebsratsbüro sowie zwischen dem Kläger und der Beklagten am 2.
Januar 2006 in Caputh. Dass objektive Sachverhalte in solch angespannten Situationen
im Nachhinein subjektiv unterschiedlich erinnert werden können, erschien der Kammer
nicht unwahrscheinlich.
1.3 Die Kündigung ist aber in jedem Fall unwirksam, weil der Kläger nicht zuvor
einschlägig abgemahnt worden war.
1.3.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt für eine
verhaltensbedingte Kündigung - sowohl außerordentlich als auch ordentlich - das so
genannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine
Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren
Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig
noch belastend auswirken. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer
Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der
Objektivierung der Prognose. Die Abmahnung ist zugleich auch Ausdruck des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nicht
gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um eine zukünftige
Vertragsstörung zu beseitigen und zu vermeiden. Diese Ansicht hat auch durch die
gesetzliche Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung
gefunden. Eine Abmahnung ist unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in
Zukunft - trotz Abmahnung - nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch
schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne
weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber
offensichtlich ausgeschlossen werden kann (so BAG, Urteile vom 12. Januar 2006, 2 AZR
21/05 und 2 AZR 179/05) oder wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung
derart erschüttert ist, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wieder hergestellt
werden kann (BGH, Urteil vom 2. März 2004 – XI ZR 288/02).
48
49
50
51
52
53
54
55
56
1.3.2 Bei Anlegung dieser Maßstäbe hielt die Kammer eine vorherige Abmahnung nicht
für entbehrlich. Zwar haben beide Seiten in der Berufungsinstanz übereinstimmend
vorgetragen, dass das Vertrauensverhältnis erheblich gestört sei. Die in der
Vergangenheit gestörte Vertrauensgrundlage betraf nach dem Vortrag beider Seiten
aber nicht die hier streitige Rechtsbeziehung der Parteien, nämlich das Arbeitsverhältnis,
sondern die betriebsverfassungsrechtliche Amtsausübung. Selbst wenn man diese
Bereiche nicht strikt voneinander trennen sollte, ist zu berücksichtigen, dass durch den
Wechsel des Betriebes vom P. Wohlfahrtsverband zum D. Werk der Kläger nicht mehr
(Betriebsrats)Amtsträger bei der Beklagten ist und deshalb kaum noch eine
Wiederholungsgefahr besteht.
Die Kammer hielt die Situation im Betrieb der Beklagten in den ersten Januartagen des
Jahres 2006 für eine ganz außerordentliche. Die Art und Weise der Beendigung der
Amtszeit des Betriebsrates mit dem Räumen des Betriebsratsbüros und die Verlagerung
des Einsatzortes des Klägers nach Caputh wirkten für die Kammer nicht unbedingt
angemessen.
Dieses rechtfertigt selbstverständlich auch nicht die Abgabe einer falschen
eidesstattlichen Versicherung durch den Kläger. Der Kläger hat eine eindeutige
Pflichtverletzung begangen, die auch das Arbeitsverhältnis der Parteien schwer belastet.
Gerade vom Kläger als Sozialarbeiter und Betriebsratsvorsitzendem, der nach dem
Vortrag beider Seiten – wenn auch als Betriebsrat - in Auseinandersetzungen mit der
Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht gerade ungeübt war, hätte ein besonneneres
Verhalten und eine gewissenhaftere Überlegung bei der Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung erwartet werden können.
Angesicht der Grenzwertigkeit der Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung
zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, der vom Kläger als zum damaligen Zeitpunkt
ausgeschiedenem Betriebsratsmitglied nicht zu verantwortenden Verwendung in dem
einstweiligen Verfügungsverfahren des Betriebsrates 65 BVGa 705/06), dem Umstand,
dass nicht die eidesstattliche Versicherung selbst, sondern nur im Zusammenhang mit
dem im Verfahren beigefügten Schreiben vom 12.12.2005 die Falschheit eventuell in
einer rechtlichen Würdigung Relevanz hätte entfalten können sowie der besonderen
Situation Anfang Januar 2006 hielt die Kammer eine Ausnahmesituation, die eine
vorherige Abmahnung nicht mehr erfordere, nicht für gegeben.
2. Auch die hilfsweise fristgemäße Kündigung ist unwirksam.
2.1 Die ordentliche Kündigung verstößt gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der
nachwirkende besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt für ein
Jahr nach Beendigung der Amtszeit. Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur vor, wenn die
Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht. Diese
Ausnahme ist hier nicht gegeben. Denn die Amtszeit des Klägers endete aufgrund der
Zugehörigkeit des Betriebes zum Diakonischen Werk ab dem 1.1.2006.
2.2 Die ordentliche Kündigung ist auch mangels vorhergehender Abmahnung
unwirksam. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 1.3 verwiesen werden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Als
unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die
gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum