Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, berufungsfrist, gesetzliche frist, unrichtige angabe, rechtsmittelfrist, bauarbeiten, arbeitsgericht, mittellosigkeit, verweigerung

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 17.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 423/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 233 ZPO, § 522 Abs 1 S 1
ZPO, § 114 S 1 ZPO, § 66 Abs 1
ArbGG
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Versäumung der
Berufungsfrist - bewusst falsche Angaben im
Prozesskostenhilfeverfahren
Leitsatz
Ein Berufungsführer ist ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, wenn er
während der Berufungsfrist einen ordnungsgemäßen Antrag auf Berichtigung der
Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gestellt hat und annehmen durfte, dass ihm
Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Hieran fehlt es, wenn bewusst unrichtige Angaben über das
vorhandene Vermögen gemacht werden.
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.
09.2008 - 64 Ca 60931/08 - wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags
vom 02.03.2009 auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, für die Monate Dezember
2006 bis Oktober 2007 Sozialkassenbeiträge in Höhe von 10.942,76 EUR zu zahlen.
Dabei ist zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagte in dem streitbefangenen
Zeitraum einen vom betrieblichen Anwendungsbereich des Tarifvertrag über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) ausgenommenen Malerbetrieb geführt hat.
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten durch ein am 17. September 2008 verkündetes
Urteil zur Zahlung der genannten Sozialkassenbeiträge verurteilt. Das Urteil wurde dem
Beklagten am 17. November 2009 zugestellt.
Der Beklagte beantragte am 16. Dezember 2008, ihm Prozesskostenhilfe für die
Durchführung des Berufungsverfahrens zu bewilligen. Dem Antrag war eine Erklärung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. November 2009
beigefügt. Der Beklagte gab dort nicht an, dass er über zwei Konten bei der C. verfügte,
die am 30. November 2009 ein Guthaben von 3.246,72 EUR bzw. 496,20 EUR aufwiesen.
Das Landesarbeitsgericht wies den Prozesskostenhilfeantrag durch Beschluss vom 9.
Februar 2009 zurück, weil die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe; der
Beschluss wurde dem Beklagten am 16. Februar 2009 zugestellt. Der Beklagte legte am
2. März 2009 Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 17. September 2008
ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
der Berufungsfrist; die Berufung wurde mit einem am 15. März 2009 eingegangenen
Schriftsatz begründet.
Der Beklagte hat am 15. Juli 2009 erneut die Bewilligung der Prozesskostenhilfe
beantragt, wobei er ein Nettoeinkommen von 2.387,06 und monatliche Belastungen von
2.251,23 EUR angab. Auf Nachfrage des Gerichts gab der Beklagte an, er würde –
anders als in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
angegeben – zwei Darlehensraten von monatlich 500,00 EUR und 385,60 EUR derzeit
nicht zahlen. Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass der Beklagte in den
Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 8 Sa 331/09 und 9 SHa
746/09 unrichtige bzw. unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse
gemacht hatte, hat es den Beklagten erfolglos zu ergänzenden Angaben aufgefordert.
Es hat daraufhin den Prozesskostenhilfeantrag durch Beschluss vom 14. September
2009 zurückgewiesen.
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Nachdem der Beklagte in seiner Berufungsbegründungsschrift zunächst behauptet
hatte, in seinem Betrieb seien in den Jahren 2006 und 2007 arbeitszeitlich überwiegend
Malerarbeiten, also das Tapezieren und Streichen von Wänden, Fassaden und Maschinen
ausgeführt worden, hat er – nach Durchführung einer Beweisaufnahme – zuletzt
vorgetragen, es seien neben Malerarbeiten und sonstigen Bauarbeiten auch
Wärmedämmverbundsystemarbeiten wie folgt ausgeübt worden:
Der Beklagte hält seinen Wiedereinsetzungsantrag für begründet, weil er von einer
Bewilligung der Prozesskostenhilfe habe ausgehen müssen. Die fehlende Angabe der
Konten bei der C. seien – so meint der Beklagte – unschädlich, weil die Kosten des
Berufungsverfahrens unter Berücksichtigung eines Schonvermögens von 2.600,00 EUR
durch das auf den Konten befindliche Guthaben nicht hätten gedeckt werden können.
Der Beklagte ist zudem der Auffassung, die in seinem Betrieb während des
streitbefangenen Zeitraums geleisteten Arbeiten stünden einer Anwendung des VTV
entgegen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.
September 2009 – 64 Ca 60931/08 – abzuweisen und ihm gegen die Versäumung der
Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unzulässig, weil der Beklagte die Berufungsfrist verschuldet
versäumt habe. Der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass sein
Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussichten zurückgewiesen werden würde;
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme daher nicht in Betracht. Im Übrigen
sei der Betrieb des Beklagten in dem streitbefangenen Zeitraum unter den betrieblichen
Geltungsbereich des VTV gefallen; sie – die Klägerin – mache sich insoweit den letzten
Vortrag des Beklagten hilfsweise zu Eigen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf
den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist unzulässig, weil der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt
hat und ihm insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
Sie war daher als unzulässig zu verwerfen, § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 522 Abs. 1 ZPO.
1.
lief die einmonatige Berufungsfrist (§ 66 Abs. 1 ArbGG) am 17. Dezember 2008 ab. Die
Berufungsschrift ging am 2. März 2009 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist bei
dem Landesarbeitsgericht ein.
2.
Beklagten als gewahrt. Der Beklagte hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet
versäumt; die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233
ZPO) lagen daher nicht vor.
a)
Vertretungszwang unterliegt, wirksam zu erheben, ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass der
Rechtsmittelführer ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten.
Davon ist auszugehen, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist alles in seinen Kräften
Stehende und Zumutbare getan hat, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende
Hindernis zu beheben. Aus diesem Grund muss er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist
alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe schaffen (BAG,
Beschluss vom 26.1.2006, 9 AZA 11/05 - AP Nr. 81 zu § 233 ZPO 1977 m.w.N.). Hierzu
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Beschluss vom 26.1.2006, 9 AZA 11/05 - AP Nr. 81 zu § 233 ZPO 1977 m.w.N.). Hierzu
gehört es vor allem, während der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe zu beantragen und
dabei – auf einem eingeführten Vordruck – eine ordnungsgemäß ausfüllte Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben und insoweit notwendige
Belege einzureichen (§ 117 ZPO). Musste die Partei hingegen vernünftigerweise mit der
Verweigerung der Prozesskostenhilfe rechnen, kommt eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand wegen der Versäumung einer Rechtsmittelfrist nicht in Betracht (vgl.
hierzu BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010, XII ZB 108/09 – juris; Beschluss vom 11.
Juni 2008 – XII ZB 184/05 – MDR 2008, 1297; Beschluss vom 31. August 2005 – XII ZB
116/05 – MDR 2006, 166 f.; Beschluss vom 19. Mai 2004 – XII ZA 11/03 – FamRZ 2004,
1548; Beschluss vom 27. November 1996 – XII ZB 84/96 – NJW 1997, 1078).
b)
Antrag vom 16. Dezember 2008 hin Prozesskostenhilfe für die Durchführung des
Berufungsverfahrens bewilligt werden würde. Dem steht bereits entgegen, dass der
Beklagte in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
erhebliche Bestandteile seines Vermögens – zwei Konten bei der C. mit einem
Kontostand von 3.742,92 EUR – nicht angegeben hatte. Zwar hindert nicht jede
ungenaue oder unrichtige Angabe in dem Vordruck über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse zwangsläufig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Können lückenhafte Angaben oder Zweifel an der Richtigkeit der dargestellten
Verhältnisse ohne weiteres, z.B. anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen oder
ausgeräumt werden, darf die Partei möglicherweise gleichwohl von einer Bewilligung der
Prozesskostenhilfe ausgehen. Gleiches kann gelten, wenn zwar einzelne Fragen in dem
Vordruck nicht beantwortet wurden, es sich aber aufgrund der sonstigen Angaben und
Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH, Beschluss vom
11. Juni 2008 – XII ZB 184/05 – a.a.O.). Eine derartige Sachverhaltsgestaltung ist im
vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Der Beklagte hat vielmehr bewusst Guthaben
auf Konten verschwiegen, das zumindest teilweise zur Deckung der Prozesskostenhilfe
hätte verwendet werden können. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass dieser Umstand
unentdeckt und das Gericht ihm gleichwohl Prozesskostenhilfe bewilligen würde. Dabei
ist es ohne Bedeutung, dass der Beklagte das verschwiegene Guthaben möglicherweise
nicht vollständig für den vorliegenden Prozess hätte einsetzen müssen. Denn es steht
nicht im Belieben der Partei, die Angaben in der Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse davon abhängig zu machen, ob sie für die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe von Belang sind. Es obliegt vielmehr dem Gericht, auf der Grundlage
der – vollständigen und wahrheitsgemäßen – Angaben der Partei über den
Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Sind die Angaben hingegen nicht
ordnungsgemäß erfolgt, kann die Partei nicht annehmen, ihr werde Prozesskostenhilfe
gewährt; sie muss vielmehr damit rechnen, dass ihr Prozesskostenhilfegesuch
abschlägig beschieden werden wird. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die
Angaben des Beklagten im Zusammenhang mit den gestellten
Prozesskostenhilfeanträgen auch sonst nicht ohne weiteres zu einer Bewilligung der
Prozesskostenhilfe führen konnten, sondern Anlass zu Nachfragen gab und zur
Verweigerung der Prozesskostenhilfe führte. So hatte der Beklagte im Zusammen-hang
mit seinem Prozesskostenhilfeantrag monatliche Belastungen angegeben, die sein
Einkommen überstiegen; der Antrag wurde von dem Arbeitsgericht zurückgewiesen.
Auch die Angaben im Zusammenhang mit dem Prozesskosten-hilfeantrag vom 15. Juli
2009 waren – ebenso wie die in den weiteren Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg 8 Sa 331/09 und 9 SHa 746/09 gemachten Angaben – unrichtig bzw.
unvollständig. Die Erklärungen des Beklagten über seine wirtschaftlichen Verhältnisse
waren regelmäßig anzuzweifeln, wenn nicht ihre Unrichtigkeit offenkundig war. Bei dieser
Sachlage konnte der Beklagte erst recht nicht annehmen, sein
Prozesskostenhilfegesuch vom 16. Dezember 2008 werde ohne weiteres Erfolg haben;
letztlich gilt dies aber bereits wegen der unterlassenen Angaben zu den Konten bei der
C..
II.
Die Berufung wäre im Übrigen – ihre Zulässigkeit einmal unterstellt – unbegründet. Der
Beklagte ist zur Zahlung der eingeklagten Sozialkassenbeiträge verpflichtet, weil sein
Betrieb in dem streitbefangenen Zeitraum unter den betrieblichen Geltungsbereich des
VTV fiel. Das Arbeitsgericht hat der Klage daher zu Recht entsprochen.
1.
Frage, ob ein Betrieb von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst wird, auf
die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer, nicht jedoch auf
wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und
gewerberechtliche Kriterien abzustellen. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VI VTV unterfallen
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gewerberechtliche Kriterien abzustellen. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VI VTV unterfallen
Betriebe als Ganzes dem VTV, wenn in ihnen arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten
ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Werden
überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV
genannten Tätigkeiten ausgeführt, fällt der Betrieb unter den betrieblichen
Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der
Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV sind
Betriebe verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige vom betrieblichen
Geltungsbereich des VTV ausgenommen, unter ihnen gemäß Nr. 6 Betriebe des Maler-
und Lackiererhandwerks, soweit nicht Arbeiten der in Abschnitt IV und V aufgeführten Art
ausgeführt werden. Die Partei, die sich auf eine Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Abschnitt
VII VTV beruft, hat die hierfür maßgeblichen Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen
(BAG, Urteil vom 24. November 2004 – 10 AZR 169/04 – AP Nr. 12 zu § 61 ArbGG 1979).
2.
Betrieb sowohl im Jahr 2006 als auch im Jahr 2007 arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten
i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV verrichtet, nämlich die als „sonstige Bauarbeiten“
bezeichneten Trockenbauarbeiten, Maurer- und Betonbauerarbeiten, Fliesen-, Platten-
und Mosaik-Ansetz- und Verlegearbeiten sowie Wärmedämmverbundsystemarbeiten
(Nr. 5, 15, 23, 37, 40), was zur Anwendbarkeit des VTV führt. Eine Ausnahme vom
Anwendungsbereich des VTV nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV liegt nicht vor. Auch wenn
es sich bei dem Betrieb des Beklagten um einen solchen des Maler- und
Lackiererhandwerks gehandelt haben sollte, wurden dort doch arbeitszeitlich
überwiegend Arbeiten der in Abschnitt IV und V genannten Art ausgeführt mit der Folge,
dass es bei der Anwendbarkeit des VTV bleibt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.
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