Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: postfach, treu und glauben, zugang, ordentliche kündigung, unterrichtung, auflage, willenserklärung, wiederholung, arbeitsgericht, verweigerung

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 17.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 1599/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 79 Abs 1 PersVG BE, § 79 Abs
2 S 4 PersVG BE, § 80 PersVG
BE, § 87 Nr 9 PersVG BE, § 108
Abs 2 BPersVG
Kein Zugang eines Antrags auf Zustimmung zur Kündigung bei
Einwurf in offenes Postfach des Personalrats
Leitsatz
Das offene Postfach des Personalrats in der Poststelle der Dienststelle stellt keine
Empfangsvorrichtung des Personalrats dar. Der Zugang von Schreiben an den Personalrat
wird daher nicht durch das Einlegen in das Postfach bewirkt.
Tenor
I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
13. Juli 2006 – 96 Ca 3447/06 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vor allem über die Wirksamkeit einer Kündigung ihres
Arbeitsverhältnisses, die von dem beklagten Land während der Probezeit der Klägerin
ausgesprochen wurde.
Das beklagte Land beschäftigte die Klägerin seit dem 5. August 2005 als Lehrerin. Es
unterrichtete den zuständigen Lehrerpersonalrat N. mit Schreiben vom 3. Januar 2006
von seiner Absicht, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung zu beenden und
bat um Zustimmung zu dieser Maßnahme. Das Schreiben wurde am 4. Januar 2006
gegen 14.00 Uhr in das Postfach des Personalrats gelegt. Der Vorsitzende des
Personalrats, der das Postfach am 4. Januar 2006 gegen 10.00 Uhr geleert hatte,
entnahm das Schreiben dem Postfach am 5. Januar 2006. Der Personalrat verweigerte
die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 19. Januar 2006,
das der Dienststelle an diesem Tag zuging. Das beklagte Land kündigte das
Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2006, das der Klägerin am
3. Februar 2006 erhielt, zum 28. Februar 2006.
Das Postfach des Personalrats befindet sich in der Poststelle des Dienstgebäudes
B.straße 34; es handelt sich um ein offenes, nicht verschließbares Regalfach. Der
Vorsitzende des Personalrats besitzt einen Schlüssel der Poststelle. In der Dienststelle
wird zweimal am Tag Post verteilt. Die Sitzungen des Personalrats finden in dem
genannten Dienstgebäude statt. Der Personalrat unterhält dort ein Büro, das bis 15.00
Uhr mit einer Verwaltungsmitarbeiterin besetzt ist.
Mit ihrer am 17. Februar 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten
Land am 28. Februar 2006 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewandt und die Verurteilung des beklagten
Landes zur vorläufigen Weiterbeschäftigung begehrt. Sie hat die die Kündigung für
unwirksam gehalten, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrats erfolgt
sei. Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten. Die Zustimmung des
Personalrats sei nicht fristgerecht verweigert worden; sie gelte daher gemäß § 79 Abs. 2
Satz 4 PersVG Berlin als erteilt. Auch habe der Personalrat die
Zustimmungsverweigerung unzureichend begründet. Von der weiteren Darstellung des
erstinstanzlichen Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch ein am 13. Juli 2006 verkündetes Urteil
entsprochen. Die Kündigung sei ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrats
erfolgt und daher rechtsunwirksam. Es könne dahinstehen, ob der Kündigungsantrag
dem Personalrat bereits am 4. Januar 2006 zugegangen sei, weil sich das beklagte Land
nach Treu und Glauben nicht auf diesen Zugangszeitpunkt berufen könne. Nach dem
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nach Treu und Glauben nicht auf diesen Zugangszeitpunkt berufen könne. Nach dem
unwidersprochenen Vortrag der Klägerin sei es in der Dienststelle üblich gewesen, dem
Personalrat dringende Angelegenheiten während einer Personalratssitzung zuzuleiten.
Dieser Praxis entsprechend hätte das beklagte Land den Kündigungsantrag am 4. Januar
2006 in die an diesem Tag stattfindende Sitzung des Personalrats bringen müssen. Der
Personalrat habe seine Zustimmungsverweigerung hinreichend begründet; das beklagte
Land hätte nunmehr das Verfahren nach § 80 PersVG Berlin betreiben müssen. Da die
Kündigung unwirksam sei, müsse das beklagte Land die Klägerin vorläufig
weiterbeschäftigen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihm am 8. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. September
2006 eingelegte Berufung des beklagten Landes, die es innerhalb der verlängerten
Berufungsbegründungsfrist begründet hat.
Das beklagte Land hält die Kündigung unter Wiederholung und Vertiefung seines
erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für rechtswirksam. Der Kündigungsantrag sei
dem Personalrat bereits am 4. Januar 2006 zugegangen; die Äußerungsfrist des
Personalrats habe daher am 18. Januar 2006 geendet. Der Antrag sei mit dem Einlegen
in das Postfach in den Machtbereich des Personalrats gelangt; auch habe der
Personalrat damit rechnen müssen, dass am frühen Nachmittag des 4. Januar 2006
erneut Post in das Postfach eingelegt werden würde. Eine Praxis, dringende Anträge in
die Personalratssitzung zu bringen, habe nicht bestanden.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Juli 2006
- 96 Ca 3447/06 - abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens für zutreffend. Ein Zugang des Kündigungsantrags sei am
4. Januar 2006 nicht bewirkt worden; jedenfalls könne sich das beklagte Land auf einen
Zugang an diesem Tag nicht berufen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf
den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
I.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom
27. Januar 2006 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG
i.V.m. §§ 87 Nr. 9, 79 Abs. 1 PersVG Berlin unwirksam, weil die erforderliche Zustimmung
des Personalrats nicht vorliegt.
1.
Arbeitsverhältnisses einer Angestellten mitzubestimmen. Die Maßnahme bedarf deshalb
gemäß § 79 Abs. 1 PersVG Berlin der vorherigen Zustimmung des Personalrats.
2.
Der Personalrat hat seine Zustimmung mit Schreiben vom 19. Januar 2006 verweigert;
das beklagte Land hat ein Verfahren nach §§ 80, 81 PersVG Berlin zur Ersetzung dieser
Zustimmung nicht betrieben. Die Zustimmung gilt auch nicht gemäß § 79 Abs. 2 Satz 4
PersVG Berlin als gebilligt, weil der Personalrat die Zustimmung innerhalb von zwei
Wochen nach der Unterrichtung der Dienststelle von der beabsichtigten Maßnahme
ordnungsgemäß verweigert hat.
a)
Unterrichtung und des Antrags auf Zustimmung (Germelmann/Binkert, PersVG Berlin, 2.
Auflage 2002, § 79 Rn. 84), wobei auf die Rechtsgrundsätze zurückzugreifen ist, die
gemäß § 130 Abs. 1 BGB für den Zugang schriftlicher Willenserklärungen gelten. Danach
ist die Willenserklärung zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die
tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten
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tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten
Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die
Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen (BAG, Urteil
vom 16. März 1994 - 5 AZR 447/92 - AP Nr. 68 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Urteil vom
16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - AP Nr. 16 zu § 130 BGB; BGH, Urteil vom 21. Januar
2004 - XII ZR 214/00 - NJW 2004, 1320 f., jeweils m.w.N.). Dies kann in der Weise
geschehen, dass die Erklärung in eine vom Adressaten bestimmte Empfangsvorrichtung
gelangt. Eine derartige Empfangsvorrichtung kann jedoch nur angenommen werden
kann, wenn die Erklärung mit dem Einlegen einem Zugriff des Absenders oder
Beförderers entzogen ist (BAG, Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 44//92 - a.a.O.; BGH,
Urteil vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88 - AP Nr. 40 zu § 794 ZPO). Nur in einem
derartigen Fall ist es gerechtfertigt, dass nunmehr der Empfänger die Gefahr des
Verlusts, der Veränderung oder Verzögerung der Willenserklärung trägt; nachdem diese
Risiken bis zum Zugang der Erklärung beim Erklärenden liegen. Die Parteien können
allerdings hiervon abweichende Vereinbarungen treffen und festlegen, wann und auf
welche Weise der Zugang von Erklärungen erfolgt sein soll (vgl. MünchKomm-Einsele,
BGB, 5. Auflage 2006, § 130 Rn. 3, 12).
b)
Landes vom 3. Januar 2006, mit dem er von der beabsichtigten Kündigung des
Arbeitsverhältnisses der Klägerin unterrichtet und um Zustimmung zu dieser Maßnahme
gebeten wurde, nicht bereits am 4. Januar 2006 zugegangen.
Die Dienststelle und der Personalrat haben nicht vereinbart, dass der Zugang einer
Erklärung bereits mit dem Einlegen in das Postfach des Personalrats bewirkt sein soll.
Dass der Personalrat das Postfach nutzte, sagt nichts über den Zeitpunkt des Zugangs
der dort eingelegten Schreiben aus. Das Postfach stellt auch keine Empfangsvorrichtung
des Personalrats in dem oben genannten Sinne dar. So kann schon nicht angenommen
werden, dass der Personalrat das Postfach eingerichtet hat, damit ihm dort Erklärungen
zugehen. Das Postfach ist Teil der Poststelle und daher in erster Linie der Dienststelle
zuzuordnen. Vor allem aber ist nicht gewährleistet, dass der Personalrat nach dem
Einlegen von Schreiben in das Postfach den alleinigen Zugriff zu diesen Erklärungen hat.
Da das Postfach nicht verschlossen ist, besitzt vielmehr die Dienststelle weiterhin Zugriff
auf die Erklärungen, bis der Personalrat das Fach geleert hat. Die Dienststelle ist daher
in der Lage, diese Erklärungen zu verändern oder zurückzunehmen, ohne dass der
Personalrat dies verhindern kann. Auch hat der Personalrat keine Handhabe, der -
versehentlichen oder absichtlichen - Leerung des Postfachs durch andere Personen
entgegenzuwirken. Dass der Vorsitzende des Personalrats einen Schlüssel zur Poststelle
hat, gewährleistet lediglich den jederzeitigen Zugriff zu dem Postfach, schließt aber
andere Personen von diesem Zugriff nicht aus. Bei dieser Sachlage ist es nicht
gerechtfertigt, das Risiko des Verlustes, der Veränderung oder der Verzögerung der
Erklärung dem Personalrat zuzuweisen, sobald die Erklärung in das Postfach gelangt.
Etwas anderes würde nur gelten, wenn ausschließlich der Personalrat das Postfach
leeren könnte. In einem derartigen Fall wäre es Sache des Personalrats, sich Kenntnis
von dem Inhalt des Postfachs zu verschaffen. Er müsste - da in der Dienststelle zweimal
täglich Post ausgetragen wird - auch mit einem Einwurf von Schreiben am Nachmittag
rechnen, was zu einem Zugang der Schreiben am Tag des Einwurfs führen kann. Da
jedoch das Postfach am 4. Januar 2006 nicht nur von dem Personalrat geleert werden
konnte, ging dem Personalrat das Schreiben des beklagten Landes vom 3. Januar 2006
erst mit der Leerung des Postfachs durch den Vorsitzenden des Personalrats am 5.
Januar 2006 zu.
c)
endete mit Ablauf des 19. Januar 2006 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1, 2 BGB). Die
schriftliche Zustimmungsverweigerung des Personalrats ging am 19. Januar 2006 und
damit vor dem Ende der Äußerungsfrist bei der Dienststelle ein. Der Personalrat hat die
Verweigerung der Zustimmung in ausreichender Weise begründet; die
Berufungskammer schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts
(Seite 8, 2. Absatz bis Seite 11, 1. Absatz des angefochtenen Urteils), die von dem
beklagten Land mit der Berufung auch nicht angegriffen wurden, ausdrücklich an (§ 69
Abs. 2 ArbGG).
II.
Das beklagte Land ist verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen, nachdem die Unwirksamkeit der
streitbefangenen Kündigung nunmehr zweitinstanzlich festgestellt worden ist und
besondere Umstände, die gleichwohl gegen eine tatsächliche Beschäftigung der Klägerin
sprechen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich sind.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.
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