Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: wirtschaftliche einheit, betriebsübergang, unwirksamkeit der kündigung, behinderter, betriebsmittel, restaurant, hotel, arbeitsgericht, betriebsinhaber, unterbrechung

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 26.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 Sa 2407/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 613a Abs 1 S 1 BGB, § 134
BGB, § 132 SGB 9
Kein Betriebsübergang bei Umwandlung in einen
Integrationsbetrieb
Leitsatz
1. Einem Betriebsübergang iSd. § 613a BGB steht eine grundlegende Änderung des
Funktions- und Zweckzusammenhangs entgegen. Eine solche Änderung liegt vor, wenn ein
Gastronomie- und Hotelbetrieb in einen Integrationsbetrieb iSd. § 132 SGB IX umgewandelt
wird und angesichts konzeptioneller Änderungen nicht mehr die Gewinnerzielung unter
Beschäftigung auch behinderter Menschen, sondern vielmehr die Förderung und Ausbildung -
überwiegend schwer - behinderter Menschen mit dem Ziel ihrer Integration Betriebszweck ist.
2. Eine Vereinbarung zwischen einem Arbeitnehmer und einem Betriebserwerber stellt eine
zur Unwirksamkeit nach § 134 BGB führende Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar, wenn es
Grund und Ziel der Vereinbarung ist zu verhindern, dass der Betriebserwerber in sämtliche
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt, insbesondere wenn der Arbeitsvertrag
den Ausschluss von bei dem Veräußerer erworbenen Besitzständen beinhaltet (vgl. BAG 19.
März 2009 - 8 AZR 722/07 - AP Nr. 369 zu § 613a BGB = NZA 2009, 1091 = EzA § 613a BGB
2002 Nr. 108, zu B II 2 d cc der Gründe).
3. Der neue Betriebsinhaber kann sich in so einem Fall nicht auf die Wirksamkeit der
Kündigung des Veräußerers berufen, wenn die an sich wirksame Kündigung durch die
Erfüllung eines Fortsetzungsanspruchs hätte korrigiert werden müssen (vgl. BAG 21. August
2008 - 8 AZR 201/07 - AP Nr. 353 zu § 613a BGB = NZA 2009, 29 = EzA § 613a BGB 2002
Nr. 95, zu B II 2 b cc der Gründe).
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.09.2009
– 56 Ca 8726/09 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Der 1952 geborene Kläger war ab 1986 im Forsthaus P. (Hotel, Restaurant und Café) am
G. beschäftigt, zuletzt als Bankett- und Veranstaltungsleiter sowie als Oberkellner.
Am 30. August 2008 erhielt er von dem damaligen Inhaber, der das Forsthaus von dem
Land Berlin gepachtet hatte, eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 6. Januar
2009. Hintergrund war das Auslaufen des Pachtvertrages zum 31. Dezember 2008. Der
Kläger griff die Kündigung nicht an, auch nicht die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist.
Ihm wurde eine Beschäftigung bei der neuen Pächterin in Aussicht gestellt. Am 17.
Dezember 2008 bot ihm die Beklagte, die neue Pächterin werden sollte, an, ihn ab März
2009 als Mitglied der Restaurantleitung einzustellen. Die Übernahme bestätigte sie ihm,
mit Schreiben vom selben Tag.
Die Beklagte betrieb und betreibt ein Integrationsunternehmen iSd. § 132 Abs. 1 SGB IX.
Der Gesellschaftszweck der Beklagten ist in dem Gesellschaftsvertrag ua. wie folgt
formuliert:
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Er besteht in der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke. Am 8. Januar 2009 bewilligte das
Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin der Beklagten aus Mitteln der
Ausgleichsabgabe nach § 134 SGB IX zur Erweiterung ihres Integrationsunternehmens
einen zweckgebundenen Zuschuss für den Aus- und Umbau sowie die Ausstattung des
Forsthauses P. zur Einrichtung von insgesamt 15 neuen Arbeits- und Ausbildungsplätzen
für schwerbehinderte Menschen. Nach dem Bescheid sollte die Einstellung der
schwerbehinderten Mitarbeiter sukzessive nach Abschluss der Aus- und Umbauarbeiten
nach der Neueröffnung erfolgen. Es folgten Umbau- und Modernisierungsarbeiten. Im
Hotel wurde ein Großteil des Mobiliars ausgewechselt, auch die Küche wurde
grundlegend erneuert. Das Mobiliar im Restaurant blieb erhalten.
Am 11. März 2009 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 27.
März 2009 mit einer sechsmonatigen Probezeit. Dieser sah eine Tätigkeit des Klägers als
„Chef vom Dienst/Sommelier“ vor. Von der früheren Belegschaft übernahm die Beklagte
außerdem zwei Köche. Sie beschäftigt zur Betreuung und Unterstützung der Belegschaft
ua. pädagogisch und psychologisch geschultes Personal. Anfang April 2009 eröffnete sie
den Betrieb wieder. Als Pädagogin war eine Frau B. zuständig, ab dem 1. Juni 2009
speziell für die Einrichtung „Forsthaus P.“ auch eine Motopädin. Zunächst gehörten der
Belegschaft drei behinderte Menschen an; in den Folgemonaten kamen kontinuierlich
weitere hinzu. Im Herbst 2009 waren es bereits neun, zum Zeitpunkt der
Berufungserwiderung 21, von denen zwei auch im nahe gelegenen Imbisscafé des
Jagdschlosses G. eingesetzt worden sind bzw. werden. ZT. wurden tageweise nach
Bedarf auch Leiharbeitnehmer beschäftigt. Der GdB der behinderten Mitarbeiter liegt bei
mindestens 50, oft deutlich darüber.
Schon bald nach der Arbeitsaufnahme durch den Kläger kam es zu Unstimmigkeiten, die
die Parteien unterschiedlich erklären. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin mit
Schreiben vom 16. April 2009 zum 30. April 2009. Gegen diese Kündigung wendet sich
der Kläger mit der am 6. Mai 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es habe ein Betriebsübergang vorgelegen. Die
Beklagte habe am 10. Januar den Betrieb identitätswahrend einschließlich sämtlicher
materieller Betriebsmittel übernommen. Es habe die Möglichkeit bestanden, die
arbeitstechnischen Zwecke wie zuvor weiterzuverfolgen. Dies sei auch geschehen.
Restaurant und Hotel seien weiterbetrieben worden, lediglich mit zT. anderen
Mitarbeitern. Auf den Integrationszweck dürfe nicht abgestellt werden. Durch seine
Beschäftigung und die der beiden Köche sowie die Weiterverwendung des Mobiliars im
Restaurant habe die Beklagte einen Wiedererkennungswert herbeiführen wollen. Sie
habe damit den wesentlichen Teil der Belegschaft übernommen. Entsprechend habe er
auch weisungsgemäß eine Weinkarte erstellt, die sich an die bisherige eng angelehnt
habe. Die Lieferanten hätten sich nicht geändert. Im Jahr 2008 seien acht Mitarbeiter
beschäftigt worden, darunter Saisonkräfte und fünf Aushilfen. Da die behinderten
Menschen bei der Beklagten durch Fachkräfte angeleitet würden, bestehe auch weiterhin
ein Bedarf für seine Arbeitskraft. Es sei nicht maßgeblich, wie ein Erwerber seinen Betrieb
finanziere. In einer Besprechung Anfang Dezember 2008 sei ihm die Restaurantleitung,
verbunden mit einer Oberkellnerstellung in Aussicht gestellt worden. Ihm habe evtl. eine
weitere Person zur Seite gestellt werden sollen.
Der Kläger hat – soweit für die Berufungsinstanz noch von Bedeutung - beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 16. April 2009 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie
habe den Betrieb angesichts des mit ihm verfolgten Integrationszwecks und der
fehlenden Gewerbsmäßigkeit nicht identitätswahrend übernommen. Der Vorpächter
habe seinen Betrieb stillgelegt und alle 17 Arbeitnehmer entlassen. Die Ähnlichkeit des
Betriebs sei nur scheinbar. Gebrauchsgegenstände seien neu angeschafft worden. Es
würden auch Weine anderer Lieferanten als bisher angeboten. Von den heutigen Gästen
seien nach ihrer Einschätzung allenfalls 50 vH. bereits ein- oder mehrmals Gäste des
Vorpächters gewesen. Hintergrund für die Kündigung sei der nicht angemessene
Umgang mit den behinderten Menschen. Es habe sich herausgestellt, dass der Kläger
nicht über die persönliche und fachliche Eignung für den Umgang mit dem anzuleitenden
Personenkreis verfüge.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das im Wesentlichen damit begründet,
es fehle angesichts des anderen Betriebszwecks an einem identitätswahrenden
Übergang des Betriebes. Der Gastronomiebetrieb sei vom Zweck zum Mittel der
Beschäftigung behinderter Menschen geworden. Könige seien nicht mehr die Kunden,
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Beschäftigung behinderter Menschen geworden. Könige seien nicht mehr die Kunden,
sondern die Beschäftigten. Die Annahme eines Betriebsübergangs führte in solchen
Fällen auch zu dem Ergebnis, dass bei einem Übergang der Belegschaft keine
Beschäftigung der behinderten Menschen möglich sei. Der Betriebszweck würde
vereitelt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Oktober 2009 zugestellte Urteil am 30. Oktober
2009 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
bis zum 5. Januar 2010 – mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 4. Januar 2010
eingegangenen Schriftsatz begründet.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen die erstinstanzlich
vertretenen Rechtsansichten. Maßgeblich sei, dass die Beklagte sich die vorhandene
Arbeitsorganisation zu Nutze gemacht habe. Es habe auch gar keine Änderung von
einem Hotel- und Gaststättenbetrieb in einen Berufsausbildungs- oder
Integrationsbetrieb stattgefunden. Vielmehr sei der Betrieb im Wesentlichen mit
denselben materiellen Mitteln und den wichtigsten Belegschaftsmitgliedern fortgeführt
worden. Die beabsichtigte Beschäftigung möglichst vieler behinderter Menschen stelle
ein unbeachtliches Erwerbsmotiv dar. Die Kündigung vom 20. August 2009 sei nach §
613a BGB unwirksam gewesen. Deshalb könne er sich auch noch auf den Fortbestand
seines Beschäftigungsverhältnisses berufen. Angesichts einer Beschäftigungszeit seit
1986 lägen die Voraussetzungen für eine Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes
vor. Außerdem fehle wegen seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten, die zum
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung allerdings noch nicht beschieden war, die
Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung.
Der Kläger beantragt in der Berufungsinstanz noch,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. September 2009 – 56 Ca 8726/09 –
teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch
die Kündigung der Beklagten vom 16. April 2009 nicht beendet wurde.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auch sie wiederholt im
Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das bereits am 6. Januar 2009 beendete
Arbeitsverhältnis habe nicht mehr übergehen können. Im Übrigen fehle es auch an
einem Betriebsübergang, da sie nicht eine Gastronomie oder ein Hotel, sondern die
Eingliederung und Rehabilitation Behinderter und Schwerbehinderter in das Arbeitsleben
sowie die Bildung und Ausbildung benachteiligter und behinderter Jugendlicher betreibe.
Das eingesetzte Leitungspersonal verfüge über Erfahrungen in vergleichbaren
Einrichtungen bzw. aus dem persönlichen Umfeld.
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 4.
Januar und vom 4. Februar 2010 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung
vom 4. März 2010.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klage unbegründet ist. Das Arbeitsgericht
hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis hat auf Grund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 16. April
2009 mit Wirkung zum 30. April 2009 sein Ende gefunden. Die Kündigung ist wirksam.
Sie war nicht auf ihre soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1 KSchG hin zu überprüfen, da
das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung
findet. Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender Zustimmung des
Integrationsamtes nach § 85 SGB IX unwirksam. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1
Nr. 1 SGB IX waren noch nicht erfüllt. Sonstige Gründe für die Unwirksamkeit der
Kündigung sind nicht ersichtlich und werden von dem Kläger auch nicht geltend
gemacht.
1) Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Auf das im März 2009
begründete Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz keine
Anwendung.
a) Nach § 1 Abs. 1 KSchG verlangt das Kündigungsschutzgesetz für den Eintritt des
allgemeinen Kündigungsschutzes ein Bestehen des Arbeitsverhältnisses in demselben
Betrieb oder Unternehmen von länger als sechs Monaten. Das Arbeitsverhältnis des
Klägers hatte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine sechs Monate
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Klägers hatte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine sechs Monate
bestanden.
aa) Insoweit konnte es die Kammer – wie bereits das Arbeitsgericht – im Ergebnis
offenlassen, ob es dem Kläger verwehrt ist, sich auf die Beschäftigungszeiten in dem
zum 6. Januar 2009 gekündigten Arbeitsverhältnis zu berufen, nachdem er die
Kündigung durch seinen früheren Arbeitgeber nicht angegriffen hat. Grundsätzlich steht
allerdings auch eine wirksame vorangegangene Kündigung einem Anspruch auf
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Folge der Berücksichtigung der
vorangegangenen Beschäftigungszeiten im Falle einer späteren identitätswahrenden
Fortführung des Betriebs nicht entgegen. Es ist zwar an sich nicht ausgeschlossen, über
den Bestand und auch den Besitzstand des Arbeitsverhältnisses zu verfügen, wofür zB.
die Vereinbarung einer Abfindung im Rahmen eines Aufhebungsvertrages sprechen kann
(vgl. BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 889/08 zu B II 2 d der Gründe). Solche Möglichkeiten
sind im zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsübergang eingeschränkt. § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB stellt zwingendes Recht dar. Eine Vereinbarung, die dagegen
verstößt, ist nach § 134 BGB unwirksam. So stellt eine Vereinbarung zwischen dem
Arbeitnehmer und dem in Aussicht genommenen Betriebserwerber eine zur
Unwirksamkeit nach § 134 BGB führende Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar, wenn
es Grund und Ziel der Vereinbarung ist zu verhindern, dass der Betriebserwerber in
sämtliche bestehende Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt (vgl. BAG
19. März 2009 - 8 AZR 722/07 - AP Nr. 369 zu § 613a BGB = NZA 2009, 1091 = EzA §
613a BGB 2002 Nr. 108, zu B II 2 d cc der Gründe). Dementsprechend kann ein mit
einem Betriebserwerber geschlossener Arbeitsvertrag unwirksam sein, soweit er einen
Erlass hinsichtlich des bei dem Veräußerer erworbenen Besitzstandes beinhaltet bzw.
der sich aus § 613a BGB ergebenden Rechtsfolge entgegensteht. Das gilt insbesondere
dann, wenn dem Arbeitnehmer ein Fortsetzungsanspruch zustand. Dieser
Fortsetzungsanspruch ist als Anspruch auf Wiedereinstellung nach § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB durch den neuen Betriebsinhaber zu erfüllen. Weder der frühere noch der neue
Betriebsinhaber können sich in so einem Fall auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen,
wenn die an sich wirksame Kündigung noch während des Laufes der Kündigungsfrist
durch einen Fortsetzungsanspruch hätte korrigiert werden müssen, weil mittlerweile
Tatsachen entstanden sind, die die Prognose bei Kündigungsausspruch nachträglich als
unzutreffend erscheinen lassen (vgl. BAG 21. August 2008 - 8 AZR 201/07 - AP Nr. 353
zu § 613a BGB = NZA 2009, 29 = EzA § 613a BGB 2002 Nr. 95, zu B II 2 b cc der
Gründe). Im Übrigen sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses – im Falle eines
Betriebsübergangs auch bei einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber - auf
die Wartezeit dann anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen
sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht. Ob ein enger
sachlicher Zusammenhang gegeben ist, lässt sich dabei nicht anhand starrer zeitlicher
Grenzen festlegen. Maßgeblich ist vielmehr neben der Dauer und dem Anlass der
Unterbrechung die Art der Weiterbeschäftigung (vgl. BAG 27. Juni 2002 - 2 AZR 270/01 -
AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit = NZA 2003, 145 = EzA § 1 KSchG Nr. 55, zu B I
der Gründe). Für einen engen sachlichen Zusammenhang spricht es, wenn einem
Arbeitnehmer noch vor einem Betriebsübergang eine ähnliche Beschäftigung bei einem
Betriebserwerber angeboten wird und nur eine saison- und umbaubedingte zeitliche
Unterbrechung vorliegt.
bb) Hier fehlt es jedenfalls an einem Betriebsübergang iSd. § 613a BGB. § 613a Abs. 1
BGB setzt den rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf
einen anderen Inhaber voraus. Erforderlich ist die Wahrung der Identität der betreffenden
wirtschaftlichen Einheit. Der Betrieb „Forsthaus P.“ ist nicht identitätswahrend auf die
Beklagte übergegangen.
(1) Ein Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setzt die Wahrung der Identität der
betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Eine solche besteht aus einer
organisatorischen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten
Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob
eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang
kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der
Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes,
der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie Gebäude oder bewegliche
Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige
Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad
der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und
die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit
kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer
Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung
stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs
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stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs
maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den
Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. In Branchen, in denen
es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch die
Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft
verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der
wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber
nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und
Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt für
diese Tätigkeit eingesetzt hatte (vgl. BAG 25. Juni 2009 - 8 AZR 258/08 - NZA 2009,
1412, zu B I 2 der Gründe). In betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein
Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen, wenn der
Betriebsübernehmer Betriebsmittel des Vorgängers übernimmt. Sächliche
Betriebsmittel sind im Rahmen einer Auftragsneuvergabe wesentlich, wenn bei
wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung
erforderlichen Funktionszusammenhanges ausmacht und wenn sie somit unverzichtbar
zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeiten sind (vgl. BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR
273/08 - AP Nr. 370 zu § 613a BGB = NZA 2009, 1267 = EzA § 17 KSchG Nr. 20, zu B I 2
c der Gründe). Zu betriebsmittelgeprägten Betrieben zählt zB. ein Hotelkomplex.
Prägend sind insoweit Betriebsmittel, wie Gebäude und Einrichtungsgegenstände, nicht
so sehr die Belegschaft. Für die Wahrung der Identität des Betriebes kommt es daher
grundsätzlich besonders darauf an, ob derartige materielle Betriebsmittel übergehen.
Die in nicht betriebsmittelgeprägten Betrieben für die Annahme eines
Betriebsüberganges bedeutsame Übernahme von Personal spielt nur eine
untergeordnete Rolle. Allerdings kann die Übernahme von Arbeitnehmern im Einzelfalle
auch hier für einen Betriebsübergang sprechen, wenn deren Fachkenntnisse für die
Fortführung des alten Betriebes durch den Erwerber von Bedeutung sind (vgl. BAG
21.08.2008 - 8 AZR 201/07 - AP Nr. 353 zu § 613a BGB = NZA 2009, 29 = EzA § 613a
BGB 2002 Nr. 95, zu B II 1 b der Gründe).
Wesentlich ist allerdings immer die Beibehaltung des Funktions- und
Zweckzusammenhangs zwischen den verschiedenen übertragenen Faktoren, die es
dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zur Verfolgung einer bestimmten wirtschaftlichen
Tätigkeit zu nutzen, und damit der Zusammenhang der Wechselbeziehung und
gegenseitigen Ergänzung, der die Produktionsfaktoren verknüpft und dazu führt, dass sie
bei der Ausübung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit ineinandergreifen (vgl.
EuGH 12. Februar 2009 - C-466/07 - [Klarenberg] Rn. 47 f., NZA 2009, 251, unter
Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts vom 6. November 2008, Rn. 42 bis
44) .
Nicht erforderlich ist nach dem Zweck des § 613a BGB, dass ein Rechtsgeschäft
unmittelbar zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber zustande kommt. Ein
rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang kann daher auch dann angenommen werden,
wenn er durch eine Reihe von verschiedenen Rechtsgeschäften veranlasst wird. Das ist
zum Beispiel dann der Fall, wenn ein mit Bezug auf den Betrieb oder Betriebsteil
abgeschlossener Pachtvertrag endet und ein neuer Pächter die wirtschaftliche Einheit
übernimmt (vgl. BAG 21. August 2008 - 8 AZR 201/07 – aaO., zu B II 1 a der Gründe).
Gegen einen identitätswahrenden Übergang spricht es, wenn Änderungen des
Betriebszwecks Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Belegschaft und
geänderte Anforderungen mit sich bringen (vgl. BAG 13. Juli 2006 - 8 AZR 331/05 - AP
Nr. 313 zu § 613a BGB = NZA 2006, 1357 = EzA-SD 2006, 14, zu II 2 der Gründe).
Gleiches gilt bei konzeptionellen Änderungen mit aufgrund der Verzahnung bedingten
personellen Auswirkungen, auch wenn sie äußerlich nicht unmittelbar erkennbar sind
(vgl. BAG 4. Mai 2006 - 8 AZR 299/05 - AP Nr. 304 zu § 613a BGB = NZA 2006, 1096 =
EzA § 613a BGB 2002 Nr. 51, zu II 3 b bb der Gründe, mit weiteren Beispielen zu
Änderungen des Betriebszwecks).
(2) Von diesen Grundsätzen ausgehend, hat das Arbeitsgericht zu Recht einen
Betriebsübergang auf die Beklagte iSd. § 613a BGB abgelehnt. Auch wenn der
Restaurant- und Hotelbetrieb äußerlich fortgeführt worden ist - folgt man den
Ausführungen der Beklagten, sogar mit vergleichbarer Beschäftigtenzahl - so haben sich
Funktions- und Zweckzusammenhang doch grundlegend geändert. Betriebszweck ist
nicht mehr die Gewinnerzielung unter Beschäftigung auch behinderter Menschen,
sondern vielmehr die Förderung und Betreuung - überwiegend schwer - behinderter
Menschen mit dem Ziel ihrer Integration. Hierzu beschäftigt die Beklagte nicht nur die
für den unmittelbaren Betrieb notwendigen Belegschaftsmitglieder, sondern darüber
hinaus eine Pädagogin und speziell für den Gaststätten- und Hotelkomplex der neu
hinzugewonnenen Einrichtung - eine Motopädin, um dem neuen Betriebszweck gerecht
zu werden. Gegen eine identitätswahrende Fortführung spricht der Umstand, dass der
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zu werden. Gegen eine identitätswahrende Fortführung spricht der Umstand, dass der
geänderte Betriebszweck zwangsläufig die Betriebsabläufe verändert. Das spiegelt sich
nicht nur in den behindertengerechten Einrichtungen wider, sondern gerade auch in
besonderen Anforderungen an die Rücksichtnahme auf die jeweiligen Behinderungen
und ihre Ausprägungsgrade im Rahmen der Betriebsabläufe. Ganz wesentlich ist im
Übrigen die Auswirkung des geänderten Betriebszwecks auf die Zusammensetzung der
Belegschaft. Sie besteht nun nach dem Konzept der Beklagten in erheblichem Umfang
aus den zu fördernden behinderten Menschen. Ohne sie ist die Umsetzung des neuen
Konzepts nicht denkbar. Der Umstand, dass auch nach dem geänderten Betriebszweck
anleitendes und ausbildendes Personal erforderlich ist, ändert an diesem Ergebnis
nichts. Es hat keine Auswirkungen auf die Identitätsänderung hinsichtlich des gesamten
Betriebs, zumal an das (an)leitende Personal nun auch andere Anforderungen zu stellen
sind. Angesichts dieser Änderungen ist die Übernahme der Betriebsmittel von
untergeordneter Bedeutung. Gleiches gilt nach dem zuvor Ausgeführten für die
Übernahme der zwei Köche und des Klägers.
Der Umstand, dass die Beklagte zunächst nur einzelne behinderte Menschen in dem
Betrieb beschäftigt hat, steht dem geänderten Betriebszweck nicht entgegen. Dieser ist
von vornherein – der Zielstellung des Unternehmens der Beklagten entsprechend –
geplant und gefördert worden. Das hat die der vorgetragenen Planung entsprechende
Umsetzung bestätigt.
b) Die Parteien haben in dem Arbeitsvertrag vom 27. März 2009 auch nicht eine
Anerkennung von Beschäftigungszeiten aus dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis
vereinbart.
2) Die Kündigung ist auch nicht nach § 85 SGB IX unwirksam. Die Anforderungen des §
90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX waren zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aus den
unter 1) genannten Gründen ebenfalls noch nicht erfüllt.
3) Angesichts der vereinbarten Probezeit hat die Beklagte auch die sich aus § 622 Abs. 3
BGB ergebende Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
IV. Die Kammer hat die Revision im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung der
entscheidungsrelevanten Rechtsfragen zugunsten des Klägers zugelassen.
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