Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 11.05.2007

LArbG Berlin-Brandenburg: richterliche kontrolle, versetzung, angemessene entschädigung, eugh, behandlung, feststellungsklage, umschulung, behörde, persönlichkeitsrecht, sanktion

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Gericht:
LArbG Berlin-Brandenburg
24. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 Sa 1684/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 AGG, § 7 Abs 1 AGG, § 10 S 1
AGG, § 15 Abs 1 AGG, § 15 Abs 2
AGG
Geldentschädigung wegen Altersdiskriminierung
Tenor
I. Auf die die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.05.2007 - 91 Ca
306/07- teilweise abgeändert:
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 1.000,- EUR (eintausend) nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. März 2007 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Die Kosten der I. Instanz haben die Klägerin zu 60% und das beklagte Land zu 40% zu tragen. Von
den Kosten der II. Instanz haben das beklagte Land 15% und die Klägerin 85% zu tragen.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch darüber, ob die Zuordnung der Klägerin zum
Personalüberhang wirksam war, und ob das beklagte Land wegen einer Altersdiskriminierung die
Klägerin zu entschädigen hat.
Die 1961 geborene Klägerin ist seit 1983 als Erzieherin in der landeseigenen Kita in der R. Straße
tätig. Nachdem die Kindertagesstätten den verschiedenen Eigenbetrieben des beklagten Landes
zugeordnet worden waren, gehörte die Klägerin zum „K. C. Eigenbetriebe von Berlin“. Dieser war
zuständig für die Kitas der Bezirke M. und F.-K.. Von den dort beschäftigten 829 Erziehern in den
Vergütungsgruppen VI b/V c waren am 1. Oktober 2006 263 Personen bis 39 Jahre alt (31,7 %) und
566 Personen 40 Jahre alt oder älter (68,3 %). Das Durchschnittsalter betrug 45 Jahre.
Mit dem „Gesetz zur Einrichtung eines Zentralen Personalüberhangmanagements (Stellenpool)
(Stellenpoolgesetz - StPG)“ vom 9. Dezember 2003 (GVBl. Berlin S. 589 -in Kraft getreten am 1.
Januar 2004) bestimmt das beklagte Land das Zentrale Personalüberhangmanagement (Stellenpool)
zu einer der Senatsverwaltung für Finanzen nachgeordneten Behörde (§ 1 Abs. 1 S. 1 StPG). Nach § 1
Abs. 1 S. 2 StPG werden dieser diejenigen Dienstkräfte unterstellt, deren Beschäftigung durch den
Wegfall von Aufgaben oder die Verlagerung von Aufgaben auf andere Dienstkräfte in ihrer
Dienstbehörde nicht mehr möglich ist. Die Versetzung zum Stellenpool erfolgt nach § 1 Abs. 2 S. 3
StPG. Die Auswahl der dem Personalüberhang zuzuordnenden Mitarbeiter bestimmt sich nach der
Verwaltungsvorschrift über die Zuordnung von Beschäftigen zum Personalüberhang (VV Auswahl)
vom 28.06.2005 (Dienstblatt des Senats von Berlin, Teil I, 5. 8. 2005, S. 57 ff.; Internet:
http://www.verwalt-
berlin.de/imperia/md/content/basteglitzzehlendorf/abteilungen/personalservice/vv_auswahl_2007.pdf).
Die Auswahl der Beschäftigten erfolgt gemäß § 6 stichtagsbezogen nach den Kriterien Lebensalter,
Beschäftigungszeiten, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung, wobei jedem dieser Kriterien
bestimmte Punkte zugeordnet werden. Ausnahmen lässt § 5 Abs. 2 zu:
„Eine Zuordnung zum Personalüberhang nach den in § 6 aufgeführten Auswahlkriterien findet
nicht statt, wenn die Weiterbeschäftigung der Beschäftigten insbesondere wegen ihrer Kenntnisse,
Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (einschließlich
der Ziele des § 3 Abs. 3 des Landesgleichstellungsgesetzes) im berechtigten betrieblichen Interesse
liegt.“
Durch Vermerk vom 26.10.2006 (Bl. 50 f. d. A.) hat die Geschäftsleitung des Eigenbetriebes K. C.
Kriterien für die Benennung von Erzieherinnen für den Personalüberhang festgelegt. Die Auswahl wird
bezogen auf jede einzelne Kindertagesstätte vorgenommen. Die Beschäftigten der
Vergütungsgruppe VII werden in Gänze dem Personalüberhang zugeordnet. Die Beschäftigten der
Vergütungsgruppen VI b/V c werden nur dann in die Auswahl einbezogen, wenn ihre Arbeitszeit
zwischen 100 % und 76 % beträgt und sie zum Stichtag am 01.10.2006 das 40. Lebensjahr vollendet
haben.
Durch Schreiben vom 17. November 2006 teilt das beklagte Land der Klägerin mit, dass sie zum 1.
Januar 2007 dem Personalüberhang zugeordnet werde. Mit weiterem Schreiben vom 27. Dezember
2006 erfolgt die Versetzung zum Stellenpool ebenfalls zum 1. Januar 2007. Seit diesem Zeitpunkt
wurde die Klägerin kurzfristig als Erzieherin in verschiedenen Kindertagesstätten und Schulen
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wurde die Klägerin kurzfristig als Erzieherin in verschiedenen Kindertagesstätten und Schulen
eingesetzt.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2007 (Kopie Bl. 68 f. d. A.) machte die Klägerin gegenüber dem
beklagten Land Schadensersatzansprüche gem. § 15 AGG geltend, weil bei der vorgenommenen
Auswahl lediglich die über 40-jährigen Erzieherinnen berücksichtigt wurden. Die hierauf gerichtete
Klageerweiterung ging am 23. März 2007 beim Arbeitsgericht Berlin ein.
Die Klägerin hat – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – beantragt,
1. festzustellen, dass sie in ihrer Funktion als Erzieherin des Eigenbetriebes K. C. des
Bezirksamtes M. von Berlin nicht dem so genannten Personalüberhang des Landes Berlin zugeordnet
ist;
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts gestelltes
Schmerzensgeld, welches jedoch einen Betrag von 4.000,-- € nicht unterschreiten sollte, nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2007 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat vorgetragen, im Eigenbetrieb liege eine ausgewogene Personalstruktur nicht vor. Daher sei
eine strukturelle Verjüngung notwendig.
Mit Urteil vom 11. 5. 2007 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage hinsichtlich der o.g. Anträge
abgewiesen. Die Zuordnung zum Personalüberhang könne nicht mit einer Feststellungsklage
angegriffen werden. Es fehle ein Feststellungsinteresse. Es handele sich ausschließlich um eine
behördeninterne Maßnahme. Schadensersatz könne die Klägerin nicht verlangen, weil die
unterschiedliche Behandlung wegen des Alters durch ein legitimes Ziel – Schaffung einer
ausgewogenen Altersstruktur – gerechtfertigt sei.
Gegen das ihr am 8. 8. 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. 8. 2007 Berufung eingelegt
und diese am 25. 9. 2007 begründet.
Sie trägt vor: Wegen der erforderlichen Personalratsbeteiligung sei die Zuordnung zum
Personalüberhang kein Internum, sondern habe Außenwirkung. Es sei geboten, die Rechtswidrigkeit
der Zuordnung feststellen zu lassen, damit das Land in einem Folgeverfahren aus einer fehlerhaften
Zuordnung keine Rechte herleiten könne. Die Altersdiskriminierung sei nicht gerechtfertigt, weil sich
das Land nicht darauf beschränkt habe, die Altersstruktur zu sichern, sondern diese verbessern
wollte. Die Diskriminierung selbst rechtfertige den Entschädigungsanspruch.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und
1. festzustellen, dass sie in ihrer Funktion als Erzieherin des Eigenbetriebes K. C. nicht dem so
genannten Personalüberhang des Landes Berlin zugeordnet ist;
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts gestelltes
Schmerzensgeld, welches jedoch einen Betrag von 4.000,-- € nicht unterschreiten sollte, nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2007 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es meint, die Zuordnung zum Stellenpool sei nach § 10 AGG gerechtfertigt. Bei der Sozialauswahl
liege auch keine Abweichung von der VV-Auswahl vor. Jedenfalls sei die Schwelle für einen
immateriellen Schaden erst dann überschritten, wenn der Beschäftigte herabgewürdigt werde. Dies
sei nicht der Fall.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist hinsichtlich der begehrten Entschädigungszahlung begründet.
1. Wegen unzulässiger Altersdiskriminierung war das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin
1.000,-- € nebst Zinsen zu zahlen (§§ 15 Abs. 2 S. 1, 7 Abs. 1 AGG).
a) Das beklagte Land hat gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, indem es
bei der Zuordnung zum Personalüberhang nur Beschäftigte berücksichtigte, die das 40. Lebensjahr
vollendet hatten, und indem es hierauf fußend die Klägerin tatsächlich am 1. Januar 2007 zum
Stellenpool versetzte.
aa) Die Differenzierung der Beschäftigten in nicht zu Versetzende und potentiell zu Versetzende
knüpft an einen Grund im Sinne von § 1 AGG an, nämlich an das Alter. Es handelt sich um eine
Maßnahme bei Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG), denn die
Zuordnung ist der erste Schritt auf dem Weg zur Versetzung von Beschäftigten in den Stellenpool.
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bb) Es liegt nicht nur eine mittelbare, sondern eine unmittelbare Benachteiligung vor. Eine
unmittelbare Diskriminierung ist dann gegeben, wenn eine Person wegen ihres Alters in einer
vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person (Art. 2 II lit.
a Richtlinie 2000/78/EG; § 3 Abs. 1 S. 1 AGG). Eine nur mittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn
dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines bestimmten
Alters gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können (Art. 2 II lit. b
Richtlinie 2000/78/EG; § 3 Abs. 2 AGG).
Das beklagte Land hat ausweislich der Ziff. 8.3. seines Vermerks vom 26. 10. 2006 (Bl. 50 f. d. A.) alle
Arbeitnehmerinnen bis zum 40. Lebensjahr von der Zuordnung zum Überhang ausgenommen. Damit
hat sich das beklagte Land auf eine allgemeine Vorgehensweise berufen, nach welcher eine
Versetzung für Mitarbeiter eines bestimmten Alters nicht in Frage kommt. Das Lebensalter der
Klägerin war ausschlaggebend für die Zuordnung der Klägerin zur Gruppe der versetzbaren
Arbeitnehmer.
cc) Die Klägerin hat wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine Person in
einer vergleichbaren Situation. Sie ist mit 48 erweiterten Sozialpunkten zu der Maßnahme
herangezogen worden, obwohl mindestens 7 Arbeitnehmerinnen mit 31 bis 42 erweiterten
Sozialpunkten allein deswegen nicht berücksichtigt wurden, weil sie jünger als 40 Jahre waren. Dies
ergibt sich aus der Anlage zum Vermerk vom 26.10.2006 (Bl. 53 d. A.).
b) Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist nicht gerechtfertigt.
aa) § 8 AGG scheidet als Rechtfertigungsgrund aus. Das beklagte Land behauptet nicht, dass
Erzieherinnen ab 40 Jahre nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden könnten. Für eine solche Annahme
gibt es auch keine Anhaltspunkte.
bb) Eine Rechtfertigung nach § 10 S. 2 AGG scheidet aus. Die Beispielsfälle in § 10 S. 2 Ziff. 1 - 6 AGG
sind nach dem Vorbringen des beklagten Landes nicht einschlägig.
cc) Nach der allgemeinen Regel des § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des
Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt
ist. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Das beklagte Land hat sich nicht auf ein legitimes
Ziel i.S. dieser Vorschrift berufen.
(1) Ziel des beklagten Landes war es, durch die Herausnahme der jüngeren Erzieherinnen aus der
Sozialauswahl die zu diesem Zeitpunkt nach Einschätzung des Landes „unausgewogene“
Personalstruktur – Überalterung des Personalbestandes durch Einstellungsverbot – zu verbessern
(Schriftsatz v. 13. 3. 2007 S. 7).
(2) Dieses Ziel ist angesichts der vom beklagten Land selbst aufgestellten Grundsätze zur
Sozialauswahl bei der Zuordnung zum Personalüberhang nicht legitim.
Auch wenn das beklagte Land ohne die Grundsätze des billigen Ermessens, § 106 GewO, § 315 BGB,
beachten zu müssen, berechtigt sein sollte, bei Vorliegen eines Personalüberhangs iSd. § 1 Abs. 1
Satz 2 StPG bestimmte Dienstkräfte unter mehreren vergleichbaren für die Zuordnung zum
Personalüberhang auszuwählen, so liegt doch im Streitfalle eine Eigenbindung des beklagten Landes
dahingehend vor, dass diese Auswahl nur in Übereinstimmung mit den Regelungen der VV-Auswahl
vom 28. Juni 2005 erfolgen darf. Eine Verwaltung kann sich in der Ausübung ihres Ermessens selbst
binden, vor allem durch entsprechende Verwaltungsvorschriften. Bindet sich ein öffentlicher
Arbeitgeber im Hinblick auf Beurteilungs- oder Ermessensspielräume selbst, so hat die richterliche
Kontrolle innerhalb dieser selbst aufgestellten Regeln zu erfolgen (BAG 17.12.1997 - 5 AZR 332/96 -
NZA 1998, 555, 557; 13.03.2007 - 9 AZR 417/06 - Rn. 40, Juris).
Letzteres ist hier geschehen. In § 6 der VV-Auswahl vom 28. Juni 2005 ist festgelegt, dass die
Sozialauswahl nach vier Auswahlkriterien und den ihnen zugeordneten Punkten zu erfolgen hat. Eine
Ausnahme ist in § 5 Abs. 2 VV-Auswahl nur insofern vorgesehen, als ein Abweichen „zur Sicherung
einer ausgewogenen Personalstruktur“ zugelassen wird. Das Land hat sich damit der Terminologie
des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bedient. Zu dieser Vorschrift hat das BAG entschieden, dass das Gesetz
nur die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur als betriebliches Interesse anerkenne und
dies bedeute, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG dem Arbeitgeber keine Handhabe dafür bietet, im Zuge
einer Massenkündigung die bisherige Personalstruktur des Betriebes zu verbessern (BAG 23. 11.
2000 - 2 AZR 533/99 - NZA 2001, 601). Da davon auszugehen ist, dass dem beklagten Land die
Vorschrift des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG und die Rechtsprechung dazu bekannt ist, kann die wörtliche
Verwendung dieser – auch vom Sachzusammenhang Sozialauswahl her passende – Formulierung nur
den Schluss zulassen, dass derselbe Inhalt gewollt war. Der Eigenbetrieb hat jedoch über die
Sicherung der Altersstruktur hinausgehend eine Veränderung in der Personalstruktur vornehmen
wollen. Dadurch, dass nur ältere Beschäftigte zum Stellenpool versetzt werden sollten, sollte der
prozentuale Anteil der jüngeren Beschäftigten ansteigen. Damit sind die Grenzen überschritten, die
die Verwaltung sich durch Eigenbindung im Wege der VV-Auswahl auferlegt hatte. Die Verjüngung der
Belegschaft kann daher kein rechtmäßiges Ziel im Sinne von § 10 Abs. 1 S. 1 AGG sein.
c) Aufgrund des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot kann die Klägerin wegen eines
Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§
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Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§
15 Abs. 1 und 2 AGG).
aa) Eine besondere Schwere der Diskriminierung wird nach Wortlaut und Systematik für den
Haftungstatbestand nicht vorausgesetzt (vgl. Bauer/Evers NZA 2006, 893, 896; Däubler/Bertzbach §
15 AGG Rn. 50; ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 7; a.A. Thüsing Arbeitsrechtlicher
Diskriminierungsschutz Rn. 519), ist aber ggf. bei der Bemessung des Entschädigungsumfangs zu
berücksichtigen. § 15 Abs. 2 AGG setzt in Verbindung mit Abs. 1 allein einen Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot voraus. Hierin liegt gem. § 7 Abs. 3 AGG die Pflichtverletzung, die bereits
nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht (§ 280 Abs. 1 BGB) einen Schadensersatzanspruch
begründen würde (s. ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 4). Durch § 15 Abs. 2 AGG ist sichergestellt, dass
jede Benachteiligung einer verschuldensunabhängigen „Sanktion“ ausgesetzt ist. Diese lässt sich als
„volle Haftung“ (diese verlangt EuGH 2. 8. 1993 EuGHE I 1993, 4367) beschreiben, auch wenn kein
materieller Schaden entstanden ist (ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 2).
bb) Das beklagte Land haftet verschuldensunabhängig.
Nach der Rechsprechung des EuGH sind Schadensersatzleistungen an die Opfer zwar nicht
erforderlich; wenn sich der nationale Gesetzgeber allerdings dafür entscheidet, solche
Ersatzansprüche vorzusehen, muss er die dazu von der Rechtsprechung formulierten und in den
Wortlaut der Richtlinie RL 2000/78/EG (Art. 17 S. 2) übernommenen Voraussetzungen beachten: Sie
müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (EuGH 10. 4. 1984 Rs. 14/83, Slg. 1984,
1891; 22. 4. 1997 Rs. C-180/95 NZA 1997, 645; 2. 8. 1993 Rs. 271/91, Slg. 1993, I-4367). Da sich § 15
AGG für eine zivilrechtliche Rechtsfolge entschieden hat, darf diese nicht von einem Verschulden des
Arbeitgebers abhängig gemacht werden (vgl. EuGH 8. 11. 1990 Rs. C-177/88 NZA 1991, 171; 22. 4.
1997 Rs. C-180/95 NZA 1997, 645). Insbesondere muss jeder Verstoß gegen das
Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen, um die volle Haftung des Urhebers
auszulösen (ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 1).
cc) Die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1000,- € ist eine für die Klägerin und das beklagte
Land angemessene Sanktion.
(1) Die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 16/1780 S. 38) verweist die Gerichte darauf, dass bei
Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und unter Beachtung der Anforderungen des
EuGH ein angemessenes Verhältnis zum erlittenen Schaden hergestellt werden muss. Berücksichtigt
werden kann die Schwere des Verstoßes, das Ausmaß des Verschuldens oder das Vorliegen eines
Wiederholungsfalles. Danach wiegt eine unmittelbare Benachteiligung regelmäßig schwerer als die
mittelbare, die verschuldete schwerer als die unverschuldete, ein Verhalten eines zuvor nicht
geschulten (§ 12) Mitarbeiters oder Vorgesetzten schwerer als das eines ungeschulten Beschäftigten,
ein Wiederholungsfall schwerer als eine Erstbegehung. Auch der vom EuGH geforderte
Präventionszweck des Schadensersatzes fließt in die Bemessung der Anspruchshöhe ein
(ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 8).
(2) Die Auswirkungen der Versetzung zum Stellenpool sind für die Klägerin erheblich. Ihr wurde die
langjährige Eingebundenheit in die Kita R. Straße (Bindungen zu Arbeitskolleginnen, Eltern und
Kindern) genommen. Ein Einsatz als Erzieherin erfolgte nur noch kurzfristig. Eine kontinuierliche Arbeit
und Planung in diesem Beruf war für sie nicht möglich. Gerade wegen der sinkenden Kinderzahlen
musste die Klägerin auch mittelfristig damit rechnen, außerhalb ihres angestammten Berufs - ggf.
nach einer Umschulung - dauerhaft beschäftigt zu werden. Schließlich war zu beachten, dass das
Land ihr mit der pauschalen Differenzierung nach dem Lebensalter Bereitschaft und Fähigkeit
abspricht, sich neuere pädagogische Erkenntnisse und Methoden anzueignen, und zugleich die
Qualität ihrer Arbeitsleistung ebenso pauschal abwertet. Damit ist das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Klägerin betroffen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht des
Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Zum Schutzbereich des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts gehört auch der sog. Ehrenschutz, der auf den Schutz gegen herabsetzende,
entwürdigende Verhaltensweisen und die Wahrung des sozialen Geltungsanspruchs gerichtet ist
(ErfK/Dieterich Art. 2 GG Rn. 48, 85).
(3) Das beklagte Land hat die Pflichtverletzung zu vertreten. Es hätte erkennen müssen, dass die
beabsichtigte Veränderung der Personalstruktur einen Verstoß gegen § 5 Abs. 2 VV-Auswahl
darstellt; die Auffassung, § 5 Abs. 2 VV-Auswahl gestatte eine derartige Verfahrensweise, war
vermeidbar rechtsirrtümlich. Da die Sozialauswahl nach eigener Entscheidung auf der Ebene der
jeweiligen Kindertagesstätte erfolgen sollte, hätte das beklagte Land auch prüfen müssen, ob dort
jeweils eine unausgewogene Personalstruktur vorliegt und ob dies nur dadurch ausgeglichen werden
kann, dass ausschließlich ältere Erzieherinnen zum Stellenpool versetzt werden. All diese Prüfungen
hat das beklagte Land fahrlässig unterlassen.
(4) Zugunsten des Landes hat die Kammer berücksichtigt, dass die Diskriminierung nur fahrlässig
erfolgte. Art und Schwere der Beeinträchtigung wiegen weniger schwer als bei einer Kündigung oder
einer nicht erfolgten Einstellung. Es ist schließlich davon auszugehen, dass die Entschädigungshöhe
hoch genug ist, um für die Zukunft eine hinreichend abschreckende Wirkung bei dem beklagten Land
zu entfalten.
(5) Diese Erwägungen rechtfertigen die Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung einer
Entschädigung in Höhe von 1.000,- €.
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d) Die Klägerin hat die Fristen der §§ 15 Abs. 4 AGG, 61 b Abs. 1 ArbGG eingehalten.
e) Die Verurteilung zur Zinszahlung ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB.
2. Der gegen die Zuordnung zum Personalüberhang gerichtete Feststellungsantrag der Klägerin ist
unzulässig.
a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das
Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Zwar können nach § 256
Abs. 1 ZPO nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht bloße Elemente
oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich jedoch nicht notwendig
auf das Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder
Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den
Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 566/04 - AP BGB § 611 Lehrer,
Dozenten Nr. 165; 25. Oktober 2001 - 6 AZR 718/00 - BAGE 99, 250, 252 f.; BGH 19. April 2000 - XII
ZR 332/97 - LM ZPO § 256 Nr. 207).
b) Mit ihrem Antrag zu 1) begehrt die Klägerin nicht die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, dh.
einer durch den konkreten Sachverhalt auf Grund einer Rechtsnorm gegebene Rechtsbeziehung einer
Person zu einer anderen oder zu einem Rechtsgut. Das zwischen den Parteien bestehende
Rechtsverhältnis, das Arbeitsverhältnis, ist nicht im Streit. Im Streit befindlich ist die Zuordnung der
Klägerin zum Personalüberhang. Hierbei handelt es sich nicht um ein Rechtsverhältnis, sondern um
ein bloßes Element eines solchen. Die Zuordnung zum Personalüberhang ist eine abstrakte
Rechtsfrage, die weder das Arbeitsverhältnis als solches noch hieraus folgende Ansprüche oder
Rechte der Klägerin betrifft. Es handelt sich insbesondere nicht um eine Maßnahme des
Direktionsrechts, da Arbeitsort und auszuübende Tätigkeit durch die Zuordnung zum
Personalüberhang (noch) nicht geändert wurden. Diese hat nur interne Bedeutung auf Seiten des
Arbeitgebers (BAG 27. 10. 2005 - 6 AZR 123/05 - NZA 2006, 621). Nach § 1 StPG wird der
Personalüberhang erfasst, der durch Wegfall oder Verlagerung von Aufgaben entsteht. Dem
Personalüberhang werden Beschäftigte zugeordnet (§ 1 Abs. 2 StPG). Die Personalüberhangkräfte
sind entsprechend ihrem bisherigen statusrechtlichen Amt oder ihrer arbeitsvertraglichen
Vereinbarung zu beschäftigen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe obliegen der Behörde die Vermittlung der
Personalüberhangkräfte auf freie Stellen, Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung sowie die
Organisation des zeitlich begrenzten Einsatzes von Personalüberhangkräften (§ 2 Abs. 1 StPG). Bis zu
einer Versetzung zum Stellenpool (§ 1 Abs. 2 S. 3 StPG) ändert sich für den betroffenen
Arbeitnehmer in seinem Arbeitsverhältnis zunächst nichts. Erst wenn er aus seinem Arbeitsgebiet
herausgelöst und vorübergehend an anderer Stelle eingesetzt wird, ist er Maßnahmen des
Direktionsrechts ausgesetzt, deren Rechtmäßigkeit er gerichtlich überprüfen lassen kann. Solange
der Arbeitnehmer von derartigen Maßnahmen nicht betroffen ist, entfaltet die Entscheidung des
Arbeitgebers, ihn dem Personalüberhang zuzuordnen, keine Rechtswirkungen für das
Arbeitsverhältnis.
c) Die seit dem 1. Januar 2004 erforderliche Mitwirkung des Personalrats nach § 99 c Abs. 2 S. 1
PersVG Berlin hat diese Rechtslage nicht geändert. Die Stellung des Arbeitnehmers im
Arbeitsverhältnis wird auch hierdurch nicht verändert. Auch sonst führt die Beteiligung des Betriebs-
oder Personalrates nicht dazu, dass schon in diesem Stadium eine Maßnahme durch den
Arbeitnehmer isoliert durch Feststellungsklage angegriffen werden könnte. So wird die
Ordnungsgemäßheit der Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG nur inzident im Rahmen
einer Kündigungsschutzklage überprüft. Da die Wirksamkeit der Zuordnung zum Personalüberhang
Voraussetzung für eine wirksame Versetzung zum Stellenpool ist, reicht es hier ebenfalls aus, nur die
den Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis berührende Maßnahme der Versetzung durch
Feststellungsklage gerichtlich überprüfen zu lassen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien entsprechend ihrem Anteil am Obsiegen und
Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).
III. Die Revision ist für beide Parteien gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die
entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben.
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