Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 16.05.2006

LArbG Berlin-Brandenburg: unwirksamkeit der kündigung, unternehmen, geschäftsführer, zusammenarbeit, betriebsübergang, buchhaltung, bahnhof, arbeitsgericht, betriebsmittel, betriebsstätte

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 15.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 Sa 2229/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Massenentlassungsanzeige - Vorliegen eines
Gemeinschaftsbetriebs - Schwellenwert
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
16.05.2006 - 8 Ca 1249/06 - wird auch insoweit zurückgewiesen, wie das Arbeitsgericht
die Klage gegen die Beklagte zu 1) abgewiesen hat.
II. Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens, soweit das
Bundesarbeitsgericht nicht hierüber entschieden hat, sind vom Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten inzwischen nur noch über die Unwirksamkeit einer
betriebsbedingten Kündigung, wobei diese vom Kläger ausschließlich mit einer
unterlassenen Massenentlassungsanzeige begründet wird.
Der Kläger war seit dem 15. Januar 1995 bei der Beklagten zu 1. (künftig: die Beklagte)
gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.250,-- € beschäftigt. Die Beklagte war mit
zuletzt 19 Arbeitnehmern im Wesentlichen mit Aufgaben des Facilitymanagement für die
Ch. auf dem Campus des R.-V.-Klinikums tätig.
Im Sommer 2005 kündigte die Ch. gegenüber der Beklagten an, dass diese künftig den
Dienstleistungsauftrag nicht mehr erhalten werde. Im Sommer 2005 wurde die M.
Service- und Betriebstechnik GmbH gegründet. Geschäftsführerin ist Frau G.. Dort
werden drei Monteure und Herr E. beschäftigt. Dieses Unternehmen ist im Wesentlichen
in der Wartung von Kälte- und Lüftungsanlagen in Museen tätig. Gleichfalls im Sommer
2005 wurde die M. Versorgungstechnik GmbH gegründet. Diese führt Arbeiten an
Heizungs- und Sanitäranlagen durch, nicht jedoch in Krankenhäusern. Die Beklagte und
die beiden M.-Unternehmen haben ihren Sitz im T.weg ….. a. Sie unterhalten dort
dieselben Büroräume und dasselbe Sekretariat. In allen drei Unternehmen sind
unterschiedliche Geschäftsführer tätig. Der Geschäftsführer der Beklagten unterhielt
während der aktiven Zeit ausschließlich ein Büro in der Ch.. Die Buchhaltung für alle drei
Unternehmen wurde von Frau G. durchgeführt.
Herr Z., ein Beschäftigter der Beklagten, war früher stundenweise für eines der M.-
Unternehmen im H. Bahnhof und zwei Tage auf der Museumsinsel tätig.
Am 19. Dezember 2005 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten, bei Kündigung
des Dienstleistungsauftrages durch die Ch. das Unternehmen stillzulegen. Am 29.
Dezember 2005 kündigte die Ch. den Dienstleistungsvertrag. Mit Schreiben vom 30.
Dezember 2005, das der Kläger am gleichen Tag erhielt, kündigte die Beklagte
gegenüber dem Kläger und allen übrigen Beschäftigten das Arbeitsverhältnis mit
Ausnahme der Arbeitnehmer, zu deren Kündigung die Zustimmung des
Integrationsamtes erforderlich war.
Außerhalb der Ch. war die Beklagte noch bei einer Versicherungsgesellschaft in der K.str.
tätig. Diesen Auftrag verlor die Beklagte zum 31. Dezember 2005. Ab 1. Januar 2006
führte eines der M.-Unternehmen den Auftrag weiter. Der Kläger und Herr Z. wurden
dort weiterhin eingesetzt.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger die Ansicht vertreten, es habe ein
Betriebsübergang auf die Beklagte stattgefunden. Daher fehle es an einer
Betriebsstilllegung. Die Kündigung sei auch deswegen unwirksam, weil eine vorherige
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Betriebsstilllegung. Die Kündigung sei auch deswegen unwirksam, weil eine vorherige
Massenentlassungsanzeige unterlassen worden war. Wegen der engen Verflechtung und
engen organisatorischen Zusammenarbeit der Beklagten mit den M.-Firmen seien diese
als ein Betrieb zu betrachten. Die Arbeitnehmer der M.-Unternehmen seien hinsichtlich
des Schwellenwertes mitzuzählen. Herr Z. habe früher schon einmal Monate für M. in
Potsdam gearbeitet.
Der Kläger hat beantragt,
3. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten
zu 1. vom 30. Dezember 2005 nicht beendet ist und ungekündigt fortbesteht;
4. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis seit dem 1. Januar 2006, hilfsweise
seit dem 1. April 2006 mit der Beklagten zu 2. fortbesteht.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Ein
Betriebsübergang liege nicht vor. Der Betrieb sei vielmehr stillgelegt worden. Eine
Massenentlassungsanzeige hätte nicht erfolgen müssen, da im Betrieb nicht mehr als
20 Arbeitnehmer beschäftigt worden seien. Es liege kein Gemeinschaftsbetrieb vor. Es
fehle ein einheitlicher Leitungsapparat. Hierfür reiche weder eine gemeinsame
Buchhaltung noch die teilweise organisatorische Zusammenarbeit hinsichtlich des
Auftrages in der K.straße aus.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger anfänglich hinsichtlich der unterlassenen
Massenentlassungsanzeige keinerlei weitere Einwendungen erhoben. Die hiesige
Kammer hat unter Hinweis auf einen festgestellten Betriebsübergang entschieden, dass
die Kündigung vom 30. Dezember 2005 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet
hat und dass ab dem 1. April 2006 das Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu 2. fortbesteht.
In der Entscheidung ist offen gelassen worden, ob andere Unwirksamkeitsgründe
vorlagen.
Das Bundesarbeitsgericht (NZA 2007, 1431) hat dieses Urteil aufhoben. Es hat das
klageabweisende Urteil der ersten Instanz bezüglich der Beklagten zu 2. bestätigt, da
kein Betriebsübergang vorgelegen hätte. Hinsichtlich der übrigen Unwirksamkeitsgründe
hat es den Rechtsstreit zurückverwiesen. Es sei u. a. zu prüfen, ob die Kündigung
mangels Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nicht unwirksam sei. Der
Schwellenwert könnte überschritten worden sein, wenn mehr als 20 Arbeitnehmer
beschäftigt wurden, sofern ein Gemeinschaftsbetrieb vorgelegen hätte.
Der Kläger stützt die Unwirksamkeit der Kündigung nunmehr nur noch auf die §§ 17, 18
KSchG. Es habe ein Gemeinschaftsbetrieb mit den zwei M.-Unternehmen vorgelegen.
Herr G. habe die Beklagte bei Verhandlungen mit der Ch. ausschließlich vertreten. Die
Unternehmensleitungen seien weitgehend identisch. Fast identisch seien auch die
Tätigkeitsfelder. Es sei von Anfang an geplant gewesen, die Beklagte stillzulegen und
evtl. Objekte auf die M. zu übertragen. Schon in der Vergangenheit seien Arbeitnehmer
von den verbundenen Unternehmen bei der Beklagten weiterbeschäftigt worden. Einer
der Geschäftsführer stünde im verwandtschaftlichen Verhältnis zu Herrn G.. Der Kläger
sei bis Februar 1995 bei M. beschäftigt gewesen.
Der Kläger beantragt nunmehr
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. April 2006 - 7 Ca 1236/06 -
abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung der Beklagten zu 1. vom 30. Dezember 2005 nicht beendet wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Die nicht erfolgte
Massenentlassungsanzeige führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.
Dezember 2005. Insofern war die Berufung zurückzuweisen.
Die Verpflichtung zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige setzt nach § 17 Abs. 1
KSchG voraus, dass in dem Betrieb in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt
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KSchG voraus, dass in dem Betrieb in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt
sind und die dort angegebenen Schwellenwerte überschritten werden. Da die Beklagte
zum Zeitpunkt der Kündigung nur 19 Arbeitnehmer beschäftigte, wäre dies nur möglich,
wenn sie einen Gemeinschaftsbetrieb zumindest mit einem der M.-Unternehmen
gebildet hätte. Dies ist nicht der Fall.
Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist auszugehen, wenn die in
einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen
einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt
eingesetzt werden und der Einsatz menschlicher Arbeitskraft von einem einheitlichen
Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen
zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben.
Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers
in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich
unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des
Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des
Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen
wahrgenommen werden (BAG NZA 2007, 1431, Rn. 30). Für die Frage, ob der Kern der
Arbeitgeberfunktion in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben
institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein
arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den
normalen Betriebsablauf ist (BAG vom 22.06.2005 - 7 ABR 57/04 - NZA 2005, 1248 zu II.
1. d. Gr.; BAG vom 24.01.1996 - 7 ABR 10/95 - NZA 1996, 1110 zu B. 3. b), bb). Eine
unternehmerische Zusammenarbeit reicht nicht aus. Dies gilt auch bzgl. eines
einheitlichen äußeren Erscheinungsbildes der Arbeitnehmer und eine gemeinsame
Lohnbuchhaltung (BAG vom 22.06.2005 a. a. O. zu B. II. c) d. Gr.).
Bei Anwendung dieser Kriterien kann ein Gemeinschaftsbetrieb der Beklagten weder mit
der M. Service- und Betriebstechnik GmbH, noch mit der M. Versorgungstechnik GmbH
festgestellt werden.
Ein einheitlicher Leitungsapparat kann nicht festgestellt werden. Jede der drei
Unternehmen wird durch andere Geschäftsführer vertreten. Soweit der Kläger auf die
Beteiligungsverhältnisse bei den einzelnen Unternehmen hinweist, sind diese rechtlich
nicht relevant. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob selbst wichtige wirtschaftliche
Entscheidungen von einzelnen Gesellschaftern vorgegeben oder geprägt werden.
Es kann auch nicht von einer konkludenten Führungsvereinbarung hinsichtlich des Kerns
der Arbeitgeberfunktion in sozialen und personellen Angelegenheiten ausgegangen
werden. Nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ist hierfür der Kläger
darlegungs- und beweisbelastet. Insofern wäre entscheidend, ob ein
arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch ist für
den normalen Betriebsablauf. Angesichts des klägerischen Vorbringens kann dies nicht
angenommen werden.
Bis zum Ausspruch der Kündigung, dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, ist ein
unternehmensübergreifender Personaleinsatz nur bei Herrn Z. unstreitig. Dieser
beschränkt sich jedoch auf einen stundenweisen Personaleinsatz im Hamburger Bahnhof
und zwei weitere Tage auf der Museumsinsel. Bei zuletzt noch 19 vorhandenen
Arbeitnehmern kann dies zumindest nicht als charakteristisch für den normalen
Betriebsablauf angesehen werden. Selbst wenn die Zeit ab dem 1. Januar 2007
hinzugenommen wird, so trägt der Kläger insofern nur vor, dass er und Herr Z. weiterhin
u. a. in der Keithstr. tätig gewesen seien, dieses Objekt nunmehr jedoch von einem der
M.-Unternehmen betraut worden sei. Der Einsatz dort erfolgte nach der
unwidersprochenen Darstellung der Beklagten nur stundenweise, während das
Haupteinsatzgebiet die Ch. für diese beiden Arbeitnehmer war. Auch insofern fehlt es an
einem charakteristischen Austausch der Arbeitnehmer untereinander, zumal die
Beklagte sich zu diesem Zeitpunkt schon in Abwicklung befand. Soweit Herr Z. in
früherer Zeit mehrere Monate in Potsdam für ein anderes M.-Unternehmen gearbeitet
hat, ist dies ebenfalls unerheblich, da der Kläger nicht behauptet, dass auch mit diesem
Unternehmen ein gemeinsamer Betrieb geführt worden sei.
Auch die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln ist vorliegend nur von
untergeordneter Bedeutung. Insofern sind unstreitig im T.weg gemeinsam Büroräume
genutzt worden. Ebenfalls ist jedoch unstreitig, dass der damalige Geschäftsführer der
Beklagten ein Büro in der Ch. unterhielt, von dem er hauptsächlich aus tätig war.
Ebenfalls ist nicht ausreichend, dass von Frau G. für alle drei Unternehmen gemeinsam
die Buchhaltung gemacht wurde.
Zusammengenommen reichen alle Indizien nicht dafür aus, um von einem
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Zusammengenommen reichen alle Indizien nicht dafür aus, um von einem
Gemeinschaftsbetrieb auszugehen.
Da der Kläger erfolglos Rechtsmittel eingelegt hat, hat er nach § 97 ZPO die Kosten des
Berufungs- und Revisionsverfahrens zu tragen, soweit noch nicht das
Bundesarbeitsgericht hierüber entschieden hat.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die entsprechenden Voraussetzungen nicht
vorlagen (§ 72 ArbGG). Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a
ArbGG) wird hingewiesen.
K., zugleich für den verhinderten Herrn B. H.
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