Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: vorläufige einstellung, sicherheitsleistung, auskunftserteilung, hinterlegung, zwangsvollstreckungsverfahren, vollstreckbarkeit, arbeitsgerichtsbarkeit, anfechtung, link

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 15.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 Sa 1630/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 1 S 2 ArbGG, § 62 Abs
1 S 3 ArbGG, § 719 Abs 1 ZPO, §
707 Abs 1 ZPO, § 712 ZPO
(Keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei
unterlassenem Antrag nach § 62 Abs 1 S 2 ArbGG)
Leitsatz
1. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren
Urteil des Arbeitsgerichts kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Schuldner es
versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren einen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2
ArbGG zu stellen, es sei denn, die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt wird, lagen
im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht noch nicht vor oder
konnten aus anderen Gründen nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht werden.
2. Insofern folgt die Kammer hier den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in ständiger
Rechtsprechung zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Revisionsverfahren
aufgestellt hat (Bundesgerichtshof vom 31.10.2000 – XII ZR 3/00 – NJW 2001, 375; vom
3.7.1991 – XII ZR 262/90 – NJW-RR 1991, 1216).
Gründe
I.
Das Arbeitsgericht verurteilte im Rahmen einer Widerklage den Kläger zur Herausgabe
von sieben Gegenständen und zur Erteilung von Auskünften über geschäftliche
Handelsbeziehungen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Beklagte betreibt die
Zwangsvollstreckung aus dem vorbezeichneten Urteil.
Der Kläger macht geltend, er habe schon im streitigen Verfahren ausgeführt, dass er
zumindest jetzt nicht mehr im Besitz dieser Gegenstände sei. Müsste er zwangsweise
die begehrten Auskünfte erteilen, könnte die Beklagte bei Abänderung des
erstinstanzlichen Urteils die erlangten Informationen nicht mehr "zurückerstatten". Er
müsste auch wesentliche Betriebsgeheimnisse offenbaren. Dies wäre eine Straftat nach
§ 85 Abs. 1 GmbHG. Er würde auch gegen die Satzung des Unternehmens, für das er
jetzt tätig ist, verstoßen. Die Zwangsvollstreckung diene nur dazu, dieses junge
Unternehmen zu schädigen und ihn möglichst weit unter Druck zu setzen. Auch fehle ein
vollstreckungsfähiger Inhalt des Titels bezüglich der Auskunftserteilung. Aus all diesen
Gründen müsse die Zwangsvollstreckung ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung eingestellt werden.
II.
1. Nach §§ 64 Abs. 7, 62 Absatz 1 Satz 3 ArbGG i. V. m. 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ist
für die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung das Gericht zuständig, bei dem
die Hauptsache anhängig ist (Germelmann u.a. 5. Aufl., § 62 ArbGG Rdnr. 32). Da die
Berufung schon eingelegt war, ist somit das Landesarbeitsgericht zuständig. Im
Gegensatz zur Auffassung der Beklagten steht dem nicht entgegen, dass das
Arbeitsgericht für die Festsetzung eines Zwangsgeldes im Hinblick auf die
Auskunftserteilung nach § 888 ZPO zuständig ist.
Die Entscheidung erfolgt gem. §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 1 Nr. 6, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG
durch den Vorsitzenden der Kammer allein.
2. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nach §§ 62 Absatz 1 Satz 3 i.
V. m. 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nur möglich, wenn der Beklagte glaubhaft macht, dass
die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Diese
Voraussetzung ist nicht erfüllt.
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Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren
Urteil des Arbeitsgerichts kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Schuldner es
versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren einen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz
2 ArbGG zu stellen, es sei denn, die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt wird,
lagen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht noch
nicht vor oder konnten aus anderen Gründen nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht
werden. Insofern folgt die Kammer hier den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in
ständiger Rechtsprechung zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im
Revisionsverfahren aufgestellt hat (Bundesgerichtshof vom 31.10.2000 – XII ZR 3/00 –
NJW 2001, 375; vom 3.7.1991 – XII ZR 262/90 – NJW-RR 1991, 1216).
In diesen Entscheidungen geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass die Einstellung
der Zwangsvollstreckung regelmäßig nicht in Betracht kommt, wenn der Schuldner es
versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen Schutzantrag gem. § 712 ZPO zu stellen.
Nach § 712 ZPO kann das Gericht des Erkenntnisverfahrens auf Antrag hin schon im
Urteil festlegen, dass die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers abgewendet werden kann,
soweit die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen
würde. Ist der Schuldner dazu nicht in der Lage, so ist das Urteil unter anderem nicht für
vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Bundesgerichtshof begründet sein Vorgehen
damit, dass § 719 ZPO als ein letztes Mittel des Vollstreckungsschuldners anzusehen ist
(BGH vom 25.8.1978 - X ZR 17/78 – NJW 1979, 1208). Über einen Antrag nach § 712
ZPO sei regelmäßig auf Grund mündlicher Verhandlung und jedenfalls nach Gewährung
rechtlichen Gehörs zu entscheiden, was im Rahmen des § 719 ZPO nicht zwingend sei.
Daher sei der Schuldner darauf zu verweisen, den für den Gläubiger weniger nachteiligen
Weg des § 712 ZPO zu beschreiten, es sei denn, dass dieser zum Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung in der Vorinstanz auch nicht zum Erfolg geführt hätte (BGH
a.a.O.).
§ 712 ZPO kommt bei arbeitsgerichtlichen Urteile jedoch nicht zur Anwendung, da bei
diesen eine Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt. Auch sind arbeitsgerichtliche
Urteile von vornherein vorläufig vollstreckbar (§ 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Im Übrigen ist
die Interessenlage in Urteilen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und denjenigen der
Arbeitsgerichtsbarkeit aber gleich. § 712 ZPO und § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gewähren
dem Schuldner jeweils die Möglichkeit, bei drohenden nicht zu ersetzenden Nachteilen
die Vollstreckbarkeit schon im Urteil zu begrenzen. Die Konsequenz der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs besteht darin, dass das Vorhandensein eines nicht zu
ersetzenden Nachteils möglichst schon im Erkenntnisverfahren und nicht erst im
Zwangsvollstreckungsverfahren geprüft wird. Dies ist sachgerecht und daher auch im
arbeitsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen. Insofern ist der Ansicht der Beklagten
zu folgen.
Soweit ersichtlich, wird in der arbeitsrechtlichen Judikatur auf die Rechtsprechung des
BGH nicht eingegangen (BAG vom 27.6.2000 – 9 AZN 525/00 – NZA 2000, 1072;
Sächsisches LAG vom 15.9.1999 – 2 Sa 799/99, Juris). Gleiches gilt wohl auch für die
Literatur. Dort wird jedoch die Ansicht vertreten, dass auch in dem Fall, dass
erstinstanzlich nicht ein Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gestellt wurde, die
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG möglich
ist (Germelmann u.a. 5. Aufl. § 62 ArbGG Rdnr. 20). Letzteres ist nach den obigen
Erwägungen jedoch nicht zutreffend.
Der Beklagte begründet seinen Antrag an keiner Stelle damit, dass die erforderlichen
Gründe zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorlagen oder
aus anderen Gründen nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht werden konnten. Allein
deswegen ist sein Antrag zurückzuweisen.
Nach § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet eine
Anfechtung des Beschlusses nicht statt. Insofern kann die Rechtsbeschwerde durch ein
Landesarbeitsgericht selbst dann nicht zugelassen werden, wenn es von anderen
obergerichtlichen Entscheidungen abweicht (BAG vom 5.11.2003 - 10 AZB 59/03 - NZA
2003, 1421; a. A. Germelmann u. a. 5. Aufl. § 62 ArbGG Rdnr. 37). Daher ist ein
Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
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