Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 23.06.2015

betriebsrat, insolvenz, konzern, arbeitsgericht

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 23.6.2015, 22 Sa 61/14
Nachteilsausgleich - Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für
Interessenausgleichsverhandlungen nach Insolvenzeröffnung
Leitsätze
Die Zuständigkeit eines Konzernbetriebsrats der Interessenausgleichsverhandlungen
endet auch dann spätestens mit der Insolvenzeröffnung, wenn eine geplante
Betriebsänderung die Betriebe verschiedener Unternehmen betrifft. Dies gilt auch bei
Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung.
BAG: 1 AZR 548/15
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg -
Kammern Offenburg - vom 21.11.2014, Az. 10 Ca 256/13 abgeändert, soweit es der
Klage stattgegeben hat. Die Klage gegen die Beklagte zu 1. wird insgesamt
abgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten um Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 Abs. 3 BetrVG
und Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
2 Die Klagpartei war bei der Beklagten zu 1 zuletzt zu einem durchschnittlichen
monatlichen Bruttogehalt von 4.500,00 EUR beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis
endete aufgrund Kündigung der Beklagten zu 1 vom 13.11.2013 zum Ablauf des
28.02.2014.
3 Die Beklagte zu 1 betrieb ein Unternehmen im Bereich von Call-Center-
Dienstleistungen und beschäftigte zuletzt ca. 150 Mitarbeiter. Sie ist Teil der w.
Gruppe und hundertprozentige Tochter der w. GmbH, diese wiederum der w.
Holding GmbH, beide mit Sitz in E.. Die Beklagten zu 2 bis 6 waren im
streiterheblichen Zeitraum die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
4 Neben der Beklagten zu 1 gibt es weitere Standort-(Tochter-)Gesellschaften. Bei
der Beklagten zu 1 war ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern gebildet. Außerdem
bestand und besteht ein Konzernbetriebsrat.
5 Einzige Auftraggeberin der Beklagten zu 1 war die w. GmbH in E.. Für diese
bearbeitete die Beklagte zu 1 zuletzt als Subunternehmerin Aufträge der Firmen P.,
S. und der T..
6 Die Beklagte zu 1 beantragte am 24.07.2013 beim Amtsgericht Karlsruhe -
Insolvenzgericht - die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen unter
Anordnung der Eigenverwaltung. Zeitgleich beantragten auch die
Muttergesellschaften und weitere Standortgesellschaften die Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens.
7 Mit Schreiben vorn 10.09.2013 teilte die w. GmbH (E.) der Belegschaft der
Beklagten zu 1 mit, man werde per 01.10.2013 planmäßig in die Insolvenz gehen
und Ende September 2013 einen Restrukturierungsplan vorlegen.
8 Unter dem 16.09.2013 wurden Belegschaft und Betriebsrat der Beklagten zu 1 in
Sch. darüber informiert, dass das dortige Callcenter zum 31.10.2013 geschlossen
werden solle, da eine kostendeckende Fortführung des Betriebs nicht möglich sei.
Der größte Teil des Auftragsvolumens werde an andere w. Standorte verlagert.
9 Ob bzw. wann und in welchem Umfang der örtliche Betriebsrat in diesem
Zusammenhang über die genauen Umstände der beabsichtigten
Betriebsstilllegung unterrichtet wurde, ist streitig. Eine Beteiligung des
vorhandenen Konzernbetriebsrats erfolgte nicht.
10 Nachdem Aufträge des Kunden „P." bereits im Juni 2013 an die
Standortgesellschaft in F. verlagert worden waren, kam es in der zweiten
Septemberhälfte 2013 zu Gesprächen der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 und
der w. GmbH mit den Kunden S. und T.. Die S. erklärte am 23.09.2013, sie habe
an einer Fortführung des Auftrags in Sch. kein Interesse. Darauf wurde eine
Ausproduktion des Call-Volumens bis zum 31.10.2013 vereinbart. Die T., die Call-
Volumen an verschiedenen Standorten der w. Gruppe wie auch bei der Beklagten
zu 1 in Sch. bearbeiten ließ, hatte bereits im Juli 2013 angekündigt, den mit der w.
GmbH (E.) bis zum 31.12.2013 befristeten Rahmendienstleistungsvertrag nicht zu
den bisherigen Konditionen fortzusetzen. Sie teilte am 24.09.2013 mit, sie werde
die Zusammenarbeit mit der w. Gruppe insgesamt nicht dauerhaft fortsetzen. Am
30.09.2013 gab sie bekannt, ab sofort kein Call-Volumen mehr nach Sch. zu leiten,
was auch so geschah.
11 Mit Beschluss vom 01.10.2013 eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht -
Karlsruhe das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 1 unter
Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung eines Sachwalters. Etwa
zeitgleich wurden auch Insolvenzverfahren über die Vermögen der w. GmbH in E.
sowie weiterer Tochtergesellschaften eröffnet.
12 Unter dem 02.10.2013 zeigte der Sachwalter der Beklagten zu 1 dem
Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit an.
13 Am gleichen Tag stellte die Eigenverwaltung zunächst 45 Mitarbeiter der Beklagten
zu 1 befristet widerruflich frei, nachdem sie den Betriebsrat zuvor vergeblich zum
Abschluss einer Vereinbarung über die unwiderrufliche Freistellung der Mitarbeiter
aufgefordert hatte. Anschließend wurden sukzessive auch die übrigen Mitarbeiter
widerruflich freigestellt.
14 In der Folgezeit kam es mehrfach zu Eigenkündigungen bzw.
Aufhebungsverträgen. Die entsprechenden Mitarbeiter erhielten sogleich
Arbeitslosengeld. Ab dem 01.11.2013 bewilligte die Arbeitsagentur auch den
übrigen freigestellten Mitarbeitern Arbeitslosengeld im Wege der
Gleichwohlgewährung.
15 Unter dem 14.10.2013 beantragte die Beklagte zu 1 beim Arbeitsgericht Freiburg -
Kammern Offenburg – (- 10 BV 2/13 -) gem. § 122 InsO die gerichtliche
Zustimmung zur Stilllegung des Betriebes ohne Durchführung des Verfahrens
nach § 112 Abs. 2 BetrVG. In einem zugleich eingeleiteten Beschlussverfahren (–
10 BV 3/13 -) beantragte sie die Besetzung einer Einigungsstelle zur Verhandlung
bzw. Aufstellung eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Am 13.11.2013
schlossen die Betriebspartner in diesem Verfahren einen Vergleich, infolgedessen
die Einigungsstelle am 17.12.2013 tagte. In dieser Sitzung stellte der Vorsitzende
das Scheitern des Versuchs eines Interessenausgleichs fest. Die Verhandlungen
über einen Sozialplan ruhen derzeit.
16 Die Beklagte zu 1 kündigte unter dem 02.01.2014 allen verbliebenen Mitarbeitern
und stellte diese unwiderruflich frei.
17 Den Antrag nach § 122 Ins0 in dem noch anhängigen Beschlussverfahren nahm
sie zurück.
18 Wann sie mit der Durchführung einer Betriebsstilllegung begonnen hat, ist streitig.
19 Mit E-Mail vom 07.11.2013 teilte der Projektleiter W., Mitarbeiter der w. GmbH (E.),
zum Betreff "Status Abbau Sch." mit, der offizielle Betrieb des Standortes sei „wie
angekündigt zum 31.10.2013 eingestellt", man habe keinen IT-Mitarbeiter mehr vor
Ort, am Vortag habe man mit dem Abbau der IT-Infrastruktur des Standortes
begonnen. Die gesamte Hardware inkl. Server sei systematisch heruntergefahren
und abgebaut sowie alle neuen/geleasten PCs und TFTs nebst Serversystem
seien zum weiteren Einsatz nach M. abtransportiert und ältere Geräte zur
Verwertung vorbereitet worden. Ob, welche und zu welchem Zeitpunkt sonstige
Gegenstände, wie Büromobiliar aus den Räumlichkeiten entfernt wurden, ist
streitig.
20 Mit Schreiben vom 19.11.2013 teilte die w. GmbH (E.) als Mieterin der
Räumlichkeiten, die der Beklagten zu 1 zur Nutzung überlassenen waren, ihrem
Vermieter, der Grundstücksverwaltungsgesellschaft Sch. GbR mit, sie „halte an der
am 27.09.2013 ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses zum
31.12.2013 fest", und kündige nochmals hilfsweise zum nächstmöglichen Termin
unter Berufung auf die dreimonatige Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 InsO.
21 Unter dem 03.03.2014 erfolgte eine erneute Anzeige der (drohenden)
Masseunzulänglichkeit seitens der Eigenverwaltung.
22 Mit ihrer am 04.12.2013 beim Arbeitsgericht Freiburg – Kammern Offenburg –
eingereichten Klage hat die Klagpartei gegen die Beklagte zu 1
Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 Abs. 3 BetrVG geltend gemacht, deren
Höhe sie ins Ermessen des Gerichts stelle. Sie hat vorgetragen, diese habe schon
vor dem Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat den Betrieb
stillgelegt, somit eine geplante Betriebsänderung bereits durchgeführt und sich
folglich nachteilsausgleichspflichtig gemacht, da sie infolge der Maßnahmen
entlassen worden sei.
23 Die Beklagte zu 1 habe bereits am 16.10.2013 mit dem Verkauf des gesamten
verwertbaren Inventars begonnen. Dafür spreche die Mail des Projektleiters W. der
w. GmbH (E.) vom 07.11.2013, aus der sich ergebe, dass der offizielle Betrieb
bereits in frühem Stadium eingestellt worden sei. Darüber hinaus seien die
widerruflichen Freistellungen faktisch als unwiderrufliche Freistellung der
Mitarbeiter anzusehen und die Betriebsänderung damit spätestens am 31.10.2013
durchgeführt worden, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Beklagte zu 1 nicht mehr in
der Lage gewesen, auch nur einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu
stellen. Dafür spreche im Übrigen auch die Kündigung des Mietverhältnisses über
die genutzten Räumlichkeiten.
24 Auch die Verlagerung von Aufträgen der Kunden P. bzw. S. an andere Standorte
müsse als Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung angesehen werden.
25 Für die Betriebsstilllegung sei der Konzernbetriebsrat zuständig gewesen, den die
Beklagte zu 1 überhaupt nicht beteiligt habe. Folglich könne sich diese auch nicht
darauf berufen, einen Interessenausgleich versucht zu haben. Die Zuständigkeit
des Konzernbetriebsrats ergebe sich daraus, dass der Betriebsstilllegung von
Anfang an ein Gesamtsanierungskonzept zugrunde gelegen habe. Das lasse sich
schon der Antragstellung im Rahmen des Insolvenzverfahrens entnehmen, nach
dem sich der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit am Sitz der w. GmbH in E.
befinde. Die Muttergesellschaft sei schließlich einzige Auftraggeberin der
Beklagten zu 1 gewesen. Die Verlagerung der Aufträge P. und S. indiziere
ebenfalls das Bestehen eines mehrere Unternehmen des Konzerns betreffenden
Konzepts. Auch der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes könne nur ein
Sanierungskonzept zur Erhaltung der Arbeitsplätze zugrunde gelegen haben,
denn die diesbezügliche Zustimmung der Arbeitsagentur könne nur bei Darlegung
einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den dauerhaften Erhalt eines
erheblichen Teils der Arbeitsplätze erteilt worden sein.
26 Selbst für den Fall der Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats habe die Beklagte
keinen Interessenausgleich versucht, weil sie diesem essentielle Unterlagen
vorenthalten und nicht alle erforderlichen Möglichkeiten ausgeschöpft habe.
27 Die Höhe der Abfindung stelle sie ins Ermessen des Gerichts, weise jedoch darauf
hin, dass im Hinblick auf das massiv fehlerhafte Verhalten der Arbeitgeberin und
das völlige Übergehen der Verhandlungsansprüche von Betriebsrat bzw.
Konzernbetriebsrat eine Bemessung mit mindestens zwei
Bruttomonatseinkommen pro Beschäftigungsjahr unabdingbar erscheine.
28 In diesem Zusammenhang sei ihr zugleich ein Schaden entstanden, für den die
Geschäftsführer und Beklagten zu 2 bis 6 auch persönlich einzustehen hätten.
Dies sei aus einer analogen Anwendung der §§ 61 bzw. 60 InsO herzuleiten. Die
Schadensersatzpflicht der Geschäftsführer ergebe sich daraus, dass sie an der
Begründung einer Masseverbindlichkeit mitgewirkt hätten, die aus der Masse nicht
erfüllt werden könne. Auch bestehe auf Seiten der Geschäftsführer die
insolvenzspezifische Pflicht, die Masse zu erhalten; die Belastung mit
Nachteilsausgleichsansprüchen bedinge zwangsläufig die Verletzung
insolvenzspezifischer Pflichten. Hilfsweise folge ein Anspruch auch aus § 280
BGB. Schließlich komme eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 119 Abs. 1
Nr. 2 BetrVG in Betracht, da die Arbeitgeberseite die Rechte des Betriebsrats -
auch durch Vorenthalten erforderlicher Unterlagen nach § 80 Abs. 2 BetrVG -
missachtet und es versäumt habe, diesen umfassend und rechtzeitig iSd.
Gesetzes zu unterrichten.
29 Die Beklagten haben vor dem Arbeitsgericht Klagabweisung beantragt und
vorgetragen, mit der Betriebsänderung sei nicht vor dem Versuch eines
Interessenausgleichs mit dem allein zuständigen örtlichen Betriebsrat begonnen
worden. Denn unumkehrbare Maßnahmen im Hinblick auf die Betriebseinstellung
seien nicht vor dem Ausspruch der Kündigungen im Januar 2014 veranlasst
worden.
30 Am 16.10.2013 sei nicht mit dem Verkauf des gesamten verwertbaren Inventars
begonnen worden. Der E-Mail des Mitarbeiters W. sei nur zu entnehmen, dass die
operative Produktion des Standorts Sch. zum 31.10.2013 bis auf Weiteres
eingestellt worden sei. Die im Rahmen der Insolvenz erforderlich gewordene
teilweise Herausgabe von PCs und anderen Betriebsmitteln sei im Hinblick auf
bestehende Ab- bzw. Aussonderungsrechte Dritter unvermeidlich gewesen.
Tatsächlich sei am 16.10.2013 und auch darüber hinaus die grundlegende IT-
Infrastruktur in Form verschiedener Server am Standort vorhanden gewesen. Man
sei daher bei - unerwarteter - neuer Auftragserteilung binnen weniger Tage
theoretisch in der Lage gewesen, fehlendes Material wieder zu beschaffen bzw.
die Produktion aufzunehmen.
31 Die Kündigung des Mietverhältnisses durch die w. GmbH (E.) könne der Beklagten
zu 1 nicht angelastet werden. Die Freistellung der Mitarbeiter sei ausdrücklich
widerruflich erfolgt, Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge jedenfalls nicht
durch sie veranlasst worden.
32 Ebenso wenig habe die Beklagte zu 1 Einfluss auf den Abzug der
Auftragsvolumina durch die jeweiligen Kunden bzw. die w. GmbH (E.) gehabt.
33 Die bereits im Juni 2013 erfolgte Verlagerung des Auftrags „P." stehe in keinem
Zusammenhang mit der Standortschließung. Die Aufträge der Firmen S. und T.
seien nicht kostendeckend, vielmehr verlustbringend und daher in der bisherigen
Form nicht aufrechtzuerhalten gewesen, was schließlich auch zu den –
vergeblichen - Verhandlungsversuchen mit diesen Kunden im September 2013
geführt habe.
34 Gerade weil der Beklagten zu 1 als Eigenverwaltung im Rahmen der Insolvenz die
Kernaufgabe zukomme, zugunsten der Gläubigergemeinschaft die
Insolvenzmasse zu erhalten oder ggf. zu mehren, aber bei Fortführung des
verlustbringenden Geschäftsbetriebs die weitere Schmälerung der finanziellen
Mittel gedroht habe, sei allein die Produktionseinstellung in Betracht gekommen.
35 Es habe kein unternehmensübergreifendes Sanierungskonzept existiert, weshalb
ein solches nicht der Arbeitsagentur oder dem Insolvenzgericht zugeleitet worden
sei. Die Betriebsstilllegung sei Konsequenz der Insolvenz gewesen.
36 Die Beklagten zu 2 bis 6 haben vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, eine analoge
Anwendung der §§ 60, 61 Ins0 sei nicht möglich und dies weiter ausgeführt.
Zudem fehle es an der Verletzung einer (bestehenden) insolvenzspezifischen
Pflicht bzw. an der pflichtwidrigen Begründung einer Masseverbindlichkeit. Zum
Schutz der Insolvenzmasse sei die Eigenverwaltung verpflichtet gewesen, den
Betrieb spätestens zum 31.10.2013 zu schließen, um das Entstehen weiterer
Verbindlichkeiten zu verhindern. Schließlich fehle es auch an einem zu
ersetzenden Schaden. Eine Haftung nach § 280 BGB scheitere u.a. schon an der
fehlenden vertraglichen Bindung der Geschäftsführer persönlich zu den einzelnen
Mitarbeitern der Beklagten zu 1. Auch für deliktische Ansprüche seien die
Voraussetzungen nicht gegeben.
37 Mit Urteil vom 21.11.2014 - 10 Ca 256/13 - hat das Arbeitsgericht Freiburg –
Kammern Offenburg – der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zu 1 zur
Zahlung einer Abfindung iHv. 9.750,00 EUR an die Klagpartei verurteilt, die Klage
aber im Übrigen abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Anspruch der Klagpartei folge
aus § 113 Abs. 3 BetrVG. Denn die Beklagte zu 1 habe es versäumt, vor
Durchführung einer Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit dem
tatsächlich zuständigen Konzernbetriebsrat zu versuchen. Ein ausreichender
Versuch liege nur vor, wenn der Arbeitgeber eine Einigung mit dem zuständigen
Verhandlungspartner versucht habe. Handle es sich um eine
betriebsübergreifende Maßnahme, die nicht innerhalb der einzelnen Betriebe
geregelt werden könne, sei die Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bzw. ggf. des
Konzernbetriebsrats erforderlich. Verhandlungen mit dem falschen Betriebsrat
reichten nicht. Hier sei nicht der örtliche Betriebsrat, sondern der
Konzernbetriebsrat als Verhandlungspartner für einen Interessenausgleich gem. §
58 Abs. 1 BetrVG zuständig gewesen. Denn bei der geplanten Betriebsänderung
habe es sich um eine betriebsübergreifende, den Konzern betreffende Regelung
gehandelt. Die geplante Umstrukturierung des Konzerns sei neben der Stilllegung
des Betriebs der Beklagten zu 1 ausweislich der Mitarbeitermitteilung vorn
16.09.2013 mit der Verlagerung (noch) bestehender Aufträge an andere Standorte
verbunden gewesen. Der Entschluss zur Stilllegung habe sich - das zeige diese
Mitteilung - auch schon hinreichend konkretisiert, und zwar bevor vergeblich
versucht worden sei, die Aufträge von S. und der T. zu halten. Eines förmlichen
Beschlusses der Betriebsstilllegung habe es nicht bedurft. Objektiv habe ein
zwingendes Erfordernis für eine unternehmensübergreifende, einheitliche
Regelung in Bezug auf den Interessenausgleich bestanden. Denn das „Ob” und
„Wie" der Betriebsänderung habe im Sachzusammenhang mit der wirtschaftlichen
Schieflage aller Unternehmen der w. gestanden, sodass ein sachgerechtes
Ergebnis nur durch eine koordinierte Regelung auf Konzernbetriebsratsebene zu
erreichen gewesen sei.
38 Die Beklagte zu 1 habe spätestens mit Ausspruch der betriebsbedingten
Kündigungen vom 02.01.2014 mit der Durchführung der Betriebsänderung
begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie mit dem zuständigen
Konzernbetriebsrat keinen Interessenausgleich versucht.
39 Die Klagpartei sei auch infolge der Betriebsänderung entlassen worden, sodass ihr
ein Nachteilsausgleichsanspruch zustehe. Bei der Festsetzung der konkreten
Höhe der Abfindung orientiere sich die Kammer an der „Faustformel“, was weiter
ausgeführt wird.
40 Die Klage gegen die Beklagten zu 2 bis 6 sei hingegen unbegründet, was
ebenfalls weiter ausführt wird.
41 Gegen dieses, der Klagpartei und den Beklagten zu 1 bis 6 jeweils am 26.11.2014
zugestellte Urteil wenden sich die Beklagte zu 1 mit ihrer am 22.12.2014 und die
Klagpartei mit ihrer am 23.12.2014 beim Landesarbeitsgericht eingereichten und
nach jeweiliger antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am
19.02.2015 (Beklagte zu 1) und am 25.02.2015 (Klagpartei) fristgerecht
ausgeführten Berufungen.
42 Die Beklagte zu 1 trägt vor, die Leistungsklage sei schon nach einer erstmalig
angezeigten Masseunzulänglichkeit generell die falsche Klageart. Es erscheine als
bloße Förmelei, noch eine Leistungsklage zuzulassen, obwohl bereits eine
Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt sei und von Beginn an feststehe, dass
höchstwahrscheinlich auch die Neumasseverbindlichkeiten nicht befriedigt werden
könnten, was sich schon aus der Höhe der begehrten Ansprüche ablesen lasse.
43 Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei sie spätestens mit Eröffnung des
Insolvenzverfahrens nicht mehr konzernzugehörig (Entkonzernierung) und
demnach der Konzernbetriebsrat nicht mehr für sie zuständig gewesen. Eventuelle
Zuständigkeiten des Konzernbetriebsrats seien zu diesem Zeitpunkt zurück auf
den Betriebsrat gefallen. Eine Insolvenz der abhängigen Gesellschaft beende die
einheitliche Leitung. Die Vermutung der Abhängigkeit und damit der Zugehörigkeit
zum Konzern sei damit widerlegt. Denn eine Beherrschung des insolventen
Unternehmens vertrage sich nicht mit der unabhängigen Stellung des
Insolvenzverwalters. Die Mutter als Anteilseignerin erhielte sonst eine
systemwidrige Einflussmöglichkeit. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
gehe auf den unabhängigen Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO), zu
dessen Aufgaben es nicht gehöre, Weisungen der Obergesellschaft
entgegenzunehmen. Aufsicht und Kontrolle des Insolvenzverwalters oblägen dem
Insolvenzgericht und den Gläubigern. Die Ausübung der einheitlichen Leitung
durch die Obergesellschaft werde im Fall der Insolvenz der Untergesellschaft
unmöglich, die faktische Konzernbindung damit aufgelöst. Die Besonderheit im
vorliegenden Fall, dass kein Insolvenzverwalter bestellt, sondern die
Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung gern. § 270 a lnsO angeordnet worden
sei, ändere an der Entkonzernierung ihres insolventen Unternehmens nichts. Auch
die Einführung des § 276 a Ins0 zum 1.03.2012 spreche für den Gleichlauf mit dem
Regelinsolvenzverfahren: § 276a Ins0 regele, dass bei einer juristischen Person in
Eigenverwaltung die Gesellschafterversammlung keinen Einfluss mehr auf die
Geschäftsführung des Schuldners habe. Selbst die Abberufung und Neubestellung
von Mitgliedern der Geschäftsleitung sei nur wirksam, wenn der Sachwalter
zustimme. Demnach sei spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am
01.10.2013 ihre Konzernabhängigkeit beendet worden.
44 Der Arbeitgeber beginne mit der Durchführung einer Betriebsänderung iSd. § 113
Abs. 3 BetrVG erst, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreife und damit
vollendete Tatsachen schaffe. Gemessen an den Vorgaben der Rechtsprechung
sei die Betriebsänderung weder durch die Einstellung des operativen Betriebs zum
31.10.2013, noch durch Verkauf einzelner Betriebsmittel ab 16.10.2013, oder
durch die widerrufliche Freistellung der Mitarbeiter ab 02.10.2013, oder durch
Kündigung der Mieträume durch die w. GmbH aber auch nicht durch die
Verlagerung des Auftrags „P." bereits im Juni 2013 oder durch Entzug der Aufträge
durch Kunden begonnen worden.
45 Sie habe den zuständigen örtlichen Betriebsrat rechtzeitig und umfassend
informiert und mit den Informationen zu Betriebsschließung und der Aufforderung
zur Aufnahme der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan
am 16./17.09.2013 ordnungsgemäß beteiligt und ihm insbesondere die
Anlagenkonvolute B1.5 - B1.13 zukommen lassen.
46 Zudem sei die Höhe des Nachteilsanspruchs zu beanstanden.
47
Die Beklagte zu 1 beantragt:
48 I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Kammern Offenburg - vom 21.11.2014,
Az 10 Ca 256/13 wird teilweise abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
49 II. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
50
Die Klagpartei beantragt, die Berufung die Berufung der Beklagten zu 1
zurückzuweisen.
51
Sie beantragt mit ihrer Berufung:
52
Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Kammern Offenburg – vom
21.11.2014 Az 10 Ca 256/13 wird abgeändert und
53 1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die klagende Partei für den Verlust des
Arbeitsplatzes eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00 EUR nicht unterschreiten sollte;
54 2. Fürsorglich zu Ziff. 1: Es wird festgestellt, dass der klagenden Partei gegen die
Insolvenzmasse ein Abfindungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes
zusteht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00
EUR nicht unterschreiten sollte;
55 3. Die Beklagten zu 2 bis 6 werden verurteilt, als Gesamtschuldner neben der
Beklagten zu 1 an die klagende Partei Schadenersatz zu zahlen, dessen Höhe in
das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00 EUR nicht
unterschreiten sollte;
56 4. Fürsorglich zu Ziff. 3: Die Beklagten zu 2 bis 6 werden verurteilt, als
Gesamtschuldner neben der Beklagten zu 1 an die klagende Partei
Schadenersatz in Höhe des Betrags zu zahlen, der dem nach Antrag Ziff. 1 zu
zahlenden oder nach Antrag Ziff. 2 festgestellten Betrag entspricht;
57 5. Die Beklagten zu 1 bis 6 werden als Gesamtschuldner verurteilt, Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus den in Ziff. 1 bis 4
ausgeurteilten Beträgen seit Rechtshängigkeit an die klagende Partei zu
bezahlen.
58
Die Beklagten zu 1 bis 6 beantragen, die Berufung der Klagpartei
zurückzuweisen.
59 Die Klagpartei trägt vor, zu Recht sei das Arbeitsgericht von der Zulässigkeit der
Leistungsklage ausgegangen. Dass diese schon nach einer erstmaligen Anzeige
der Masseunzulänglichkeit generell unzulässig sei, sei mit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung des BGH und BAG nicht zu vereinbaren. § 210 InsO, der sich
allein auf die Masseverbindlichkeiten beziehe, sei nicht ohne Weiteres auf die
Neumasseverbindlichkeiten zu erstrecken.
60 Zu Recht sei das Arbeitsgericht auch von der Zuständigkeit des
Konzernbetriebsrats ausgegangen. Dass eine Insolvenz der abhängigen
Gesellschaft in jedem Fall die einheitliche Leitung beende, sei nicht zwingend,
zumindest nicht für alle Konstellationen eines Insolvenzverfahrens. Tatsächlich sei
die konzernrechtliche Betrachtung im Eigenverwaltungsverfahren mit
Sachwalterbestellung differenziert zu sehen. Die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis über die Masse verbleibe weiterhin beim Schuldner bzw.
dessen Leitungsorganen. Gerade bei parallel laufenden
Eigenverwaltungsverfahren von Mutter- und verschiedenen Tochterunternehmen
seien Konstellationen möglich, die nicht zu einem vollständigen Kompetenz- und
Einflussverlust der Konzernmutter führten. Mit dem Wohlwollen der Beteiligten als
Grundlage lasse sich eine Situation herstellen, die einer einheitlichen
Leitungsmacht nahe komme. Da im Übrigen eine einheitliche Leitung kein
formelles Leitungsrecht erfordere, sondern eine informelle Einflussmöglichkeit
ausreichend sei, spreche auch § 276 a InsO nicht dafür, dass
Einflussmöglichkeiten auf Null reduziert seien. Auch wenn beispielsweise bei der
Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung der
Sachwalter zustimmen müsse, gehe die Initiative zu der entsprechenden
Maßnahme von der Eigenverwaltung aus. Ein Aufbrechen der Konzernstruktur sei
daher zumindest im Bereich der Eigenverwaltung nicht zwingend – auch nicht mit
sofortiger Wirkung. Dass der Betriebsänderung eindeutig Gruppen- bzw.
Konzernbezogenheit zukomme, ergebe sich u.a. aus dem - nur unvollständig -
vorgelegten Grobkonzept zur Sanierung der w. Gruppe. Dort werde ausgeführt,
dass die einheitliche Leitung der Insolvenzverfahren über die Gesellschaften der
Gruppe betriebswirtschaftlich wichtig erscheine, um den
Leistungserstellungsprozess innerhalb der Gruppe nicht zu gefährden. Demnach
ergebe sich die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats. Da die Beklagte zu 1
diesen aber in keiner Weise beteiligt habe, bestehe der
Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG.
61 Die Beklagte zu 1 habe bereits im Oktober 2013 mit der Durchführung der
Betriebsänderung begonnen. Tatsächlich seien unumkehrbare Maßnahmen
ergriffen worden, um die betriebliche Organisation aufzulösen. Die Arbeitsmittel
(Computer, Telefonanlage) seien ab Oktober 2013 bis Dezember 2013 komplett
abgebaut, abtransportiert und zu anderen Gesellschaften verbracht worden. Die
personell identische Leitung der Muttergesellschaft habe das Mietverhältnis
gekündigt. Aufträge seien auf andere Gesellschaften verlagert worden. Die
Mitarbeiter seien - wenn auch formell widerruflich – freigestellt worden, wobei sich
aus der Korrespondenz ergebe, dass die widerrufliche Freistellung eine
gewünschte unwiderrufliche Freistellung habe sein sollen und faktisch auch
gewesen sei. Bei keiner Fallkonstellation sei eine ordnungsgemäße Beteiligung
des Betriebsrats/Konzernbetriebsrats erfolgt.
62 Mit ihrer Berufung beanstande sie, dass das Arbeitsgericht die Abfindung zu gering
bemessen habe, was sie weiter ausführt. Zudem habe das Arbeitsgericht zu
Unrecht die Haftung der Beklagten zu 2 bis 6 verneint. §§ 60, 61 InsO seien analog
auf die Organe juristischer Personen anzuwenden, was sie ebenfalls weiter
ausführt. Sie habe gegen die Beklagten zu 2 bis 6 einen
Schadensersatzanspruch, weil diese als Geschäftsführer der Beklagten zu 1
schuldhaft ihre Pflicht verletzt hätten, für die Beklagte zu 1 einen
Interessensausgleich mit dem zuständigen Betriebsrat über die geplante
Betriebsänderung zu versuchen, wodurch sie in dargestellter Höhe geschädigt
worden sei. Zudem stehe ihr auch ein Anspruch auf Ersatz ihres Schadens in aus
§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 112, 113 BetrVG zu.
63 Die Beklagten zu 1 bis 6 treten diesem Vortrag entgegen.
64 Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und
eingereichten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
65
Die Berufungen der Klagpartei und der Beklagten zu 1 sind statthaft und
zulässig. Sie sind frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64
Abs. 2 b), 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO.
66
Die Berufung der Klagpartei ist auch nicht wegen fehlender Unterschrift des Pro-
zessbevollmächtigtem der Klagpartei unzulässig. Sowohl die Berufungsschrift als
auch die Berufungsbegründungsschrift schließen mit der erforderlichen
Unterschrift des Prozessbevollmächtigtem der Klagpartei ab. Die Unterschrift
erfüllen die von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren
Formerfordernisse an einer Unterschrift.
67
Eine Unterschrift setzt einen individuellen Schriftzug voraus, der sich - ohne
lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht
einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Unter diesen Voraussetzungen
kann selbst ein vereinfachter, von einem starken Abschleifungsprozess
gekennzeichneter Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein ( vgl. zuletzt
BAG 25.2.2015 - 5 AZR 849/13 - NZA 2015, 701).
68
Nach diesem Maßstab besteht kein Zweifel daran, dass die Unterschrift
ausreichende Merkmale einer Unterschrift erkennen lässt. Es handelt sich weder
um ein abkürzendes Handzeichen noch um eine Linienführung ohne individuelle
Merkmale. Die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung ist erkennbar.
69
Der Hinweis auf die fehlende Unterschrift auf den der Beklagten zu 1 zugestellten
Abschriften geht fehl. Erforderlich ist die Unterschrift unter der Urschrift. Für die
zuzustellen Schriftstücke gilt § 169 Abs. 2 ZPO. Richtig ist allein, dass der
Mangel der Unterschrift in dem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz
durch die gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes
behoben werden kann, wenn der Beglaubigungsvermerk von dem
Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (vgl. BGH 9. 12.
2010 - IX ZB 60/10).
B.
70
Die Berufung der Beklagten zu 1 ist begründet. Die Klage ist mit Ausnahme der
Zahlungsklage gegen die Beklagte zu 1 zulässig (I.), aber unbegründet. Ein
Nachteilsausgleichsanspruch der Klagpartei besteht nicht (II.). Die Berufung der
Klagpartei ist unbegründet (III.).
I.
71
1. Die Leistungsklage auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gegen die Beklagte
zu 1 ist mit der Anzeige der erneuten drohenden Masseunzulänglichkeit am
03.03. 2014 unzulässig geworden.
72
Bei dem von der Klagparteigeltend gemachten Anspruch auf einen
Nachteilsausgleich handelt es sich um eine Neumasseverbindlichkeit i.S. von §
209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt
werden kann. Die Klagpartei stützt den Anspruch auf Nachteilsausgleich auf
Handlungen der Beklagten zu 1 nach Insolvenzeröffnung und nach Anzeige der
Masseunzulänglichkeit, die am 02.10.2013 beim Amtsgericht Karlsruhe als
Insolvenzgericht eingegangen ist. Die Klagpartei macht geltend, dass auch nach
Insolvenzeröffnung und nach der Anzeige der Massenunzulänglichkeit die
Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat hätten geführt
werden müssen und unabhängig davon bereits vor den Verhandlungen in der
Einigungsstelle am 17.12. 2013 die Beklagte mit der Betriebsstilllegung
begonnen habe. Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich auf Maßnahmen
nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gestützt, handelt es sich um sind
Neumasseverbindlichkeiten i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (BAG 30. 5. 2006 - 1
AZR 25/05 - NZA 2006 1122).
73
Es kann dahingestellt bleiben, ob allein die Anzeige der weiteren
Masseunzulänglichkeit dazu führt, dass eine Leistungsklage auf eine
Neumassenverbindlichkeit unzulässig wird und die Klage auf einen
Feststellungsantrag umgestellt werden muss oder ob es der zu überprüfenden
Darlegung bedarf, dass die Neumassenverbindlichkeiten nicht befriedigt werden
können. Auf die unterschiedliche Interpretation der Entscheidungen des BGH
(z.B. BGH 3.4.2003 - IX ZR 101/02 - NZI 2003, 369) und BAG (z.B. BAG 31. 3.
2004 - 10 AZR 253/03 - NZA 2004, 1093) durch die Parteien kommt es nicht an.
74
Anerkannt ist, dass dann, wenn Neu-Massegläubiger versuchen, ihre
Masseansprüche gerichtlich geltend zu machen, der Insolvenzverwalter im
Prozess die erneute Masseunzulänglichkeit einwenden kann. Selbst wenn, wofür
einiges spricht, mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen ist, dass der
Insolvenzverwalter oder hier die Beklagte in Eigenverwaltung die weitere
Masseunzulänglichkeit substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen hat und es
nicht genügt, dass die (Neu-)Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt gegeben
wurde, ist die Leistungsklage zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung im
Berufungsverfahren unzulässig geworden. Unter Berücksichtigung der
Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 2 ZPO steht die drohende weitere
Masseunzulänglichkeit fest.
75
Bei der Beklagten handelt es sich nach der Konzernstruktur um ein Unternehmen
ohne wesentlichen Vermögenswerte.
76
Bereits unmittelbar nach Insolvenzeröffnung erfolgte die erste Anzeige der
Masseunzulänglichkeit. Das Sachverständigengutachten von Herrn G. vom
25.9.2013 als vorläufiger Sachwalter kam zum Ergebnis, dass zwar die Kosten
des Insolvenzverfahrens gewährleistet sind, dabei jedoch die Masseschulden
nach § 55 InsO außer Betracht bleiben. Bereits am 02.10.2013 erfolgte die erste,
nicht zu überprüfende Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Der Betrieb wurde
beschränkt auf den Kunden S. bis Ende Oktober 2013 fortgeführt. Soweit nicht
ausgeschieden, wurden die Arbeitnehmer teilweise mit Insolvenzeröffnung, die
restlichen Arbeitnehmer ab November 2013 von der Arbeitsleistung freigestellt.
Ein Vermögenszuwachs war in dieser Phase des Insolvenzverfahrens nicht mehr
zu erwarten. Im Februar 2014 war bei der Anzeige der weiteren
Masseunzulänglichkeit ein Massevermögen von 219.000 EUR angegeben. Wie
auch der Klagpartei bekannt, wurde im einen Verfahren auf Nachteilsausgleich
der Beklagten Prozesskostenhilfe nicht bewilligt. Die erstinstanzlichen
Anwaltsgebühren der Beklagten zu 1 für die Rechtstreitigkeiten nach dem
02.10.2013 sind, da nicht erstattungsfähig, zu berücksichtigen. Die Beklagte zu 1
beziffert die Anwaltskosten für die erstinstanzlichen arbeitsrechtlichen
Streitigkeiten sowie die ausgeurteilten vorläufig vollstreckbaren Beträge mit ca.
715.000,01 EUR. Aufgelistet hat die Beklagte zu 1 dies in einer Anlage zu dem
Beschwerdeverfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. In dem
Schreiben vom 09.01.2015 an das Amtsgericht Karlsruhe hat die Beklagten zu 1
auf diese Anlage Bezug genommen. Die weiteren in diesem Schreiben
erwähnten Neumasseverbindlichkeiten (Urteil des Amtsgerichts Freiburg mit
376.000 EUR, weitere vollstreckbare Zahlungstitel 275.000 EUR) sind hingegen
nicht näher dargelegt. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil auch ohne diese
Beträge bei der gebotenen Schätzung nach § 287 ZPO keine Zweifel daran
bestehen, dass die strittigen Ansprüche auf Nachteilsausgleich bei den in der
Arbeitsgerichtsgerichtsbarkeit anhängigen Verfahren aus der vorhandenen
Masse nicht bedient werden können. Hinzu kommt, dass in den
Berufungsverfahren, in denen den Klägern ein Nachteilsausgleich zugesprochen
wurde, ein Teil der Kläger eine deutliche Erhöhung der
Nachteilsausgleichsansprüche auf bis zum Vierfachen begehren (Faktor 2 statt
0,5 Monategehälter pro Beschäftigungsjahr unter Beachtung der Grenzen des §
10 KSchG). Nicht zu berücksichtigen ist im Rahmen der angezeigten
Masseunzulänglichkeit, ob diese Ansprüche tatsächlich bestehen.
Prüfungsmaßstab ist, ob bei erfolgreichen Klagen gegen die Beklagte zu 1 die
titulierten Ansprüche alle vollständig aus der Masse bedient werden können.
Dies ist nicht der Fall.
77
2. Der Hinweis der Klagpartei auf eine Präklusion des ergänzenden Vorbringens
im Berufungsverfahren nach den § 67 Abs. 2. 4 ArbGG geht fehl. Es fehlt bereits
an der erforderlichen Verzögerung des Rechtsstreits.
78
3. Soweit die Klagpartei unter Hinweis auf ein Gutachten der A. AG auf mögliche
Schadensersatzansprüche i.H.v. 406.000 EUR verweist, stehen diese
Ansprüche nicht fest. Gleiches gilt für mögliche Regress– und
Freistellungsansprüche gegen die Geschäftsführer. Insoweit ist auch darauf
hinzuweisen, dass der Anspruch auf Nachteilsausgleich nur die Kausalität
zwischen Kündigung und unterlassenem Interessenausgleich verlangt, ein
Verschulden des Arbeitgebers jedoch nicht erforderlich ist, während dies bei
Regress- und Freistellungsansprüchen erforderlich ist.
79
4. Der von der Klagpartei im Berufungsverfahren eingeführte Feststellungantrag
als Hilfsantrag zum Klagantrag zu 1 ist zulässig und bedarf nach § 264 Nr. 2 ZO
weder der Zustimmung der Beklagten zu 1 noch der Prüfung der
Sachdienlichkeit.
II.
80
Der Klagpartei steht gegen die Beklagte zu 1 kein Anspruch auf
Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu.
81
1. Nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom
Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer
eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie
einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge
der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche
Nachteile erleiden. Der Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG dient vornehmlich der
Sicherung des sich aus § 111 Satz 1 BetrVG ergebenden
Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats und schützt dabei mittelbar die
Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Er
entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung
begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat
versucht zu haben (BAG 16.08.2011 - 1 AZR 44/10 - Rn. 9 mwN). Nach § 111
Satz 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG ua. die
Stilllegung des ganzen Betriebs.
82
Die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an den Unternehmer und setzen
eine von ihm geplante Betriebsänderung voraus. Unternehmer ist der
Rechtsträger des Betriebs. Nichts anderes ist bei einer abhängigen
Konzerngesellschaft anzunehmen. Auch in einem Konzern behält das einzelne
Konzernunternehmen grundsätzlich seine rechtliche Selbständigkeit. Bei einer
das Unternehmen betreffenden Betriebsänderung ist dieses - und nicht das
herrschende oder ein anderes konzernangehöriges Unternehmen - zur
Beteiligung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG verpflichtet und damit ggf.
Schuldner des Nachteilsausgleichs iSd. § 113 BetrVG (vgl. BAG 15.01.1991 - 1
AZR 94/90 - zu I 2 der Gründe; vgl. auch Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 113 Rn.
10 und 81 mwN). Entsprechend bleibt eine generelle (gegenseitige)
„Zurechnung“ von Maßnahmen konzernzugehöriger Unternehmen außen vor
(BAG 14.04.2015 – 1 AZR 794/13 – Rn. 16).
83
Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er
unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine
Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des
Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für
unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der
Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen
Organisation ergreift (BAG 30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 17, BAGE 118, 222).
Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse
zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (BAG 23. 9. 2013 - 1 AZR 576/02 -
zu II 1 c der Gründe mwN, BAGE 107, 347).
84
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
85
a) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liegt kein Verstoß im Sinne des
§ 113 Abs. 3 BetrVG vor, weil die Beklagte zu 1 die Kündigung der
Arbeitsverhältnisse im Januar 2014 aussprach, ohne mit dem
Konzernbetriebsrat Interessenausgleichsverhandlungen geführt zu haben. Denn
dieser war spätestens nach der Insolvenzeröffnung nicht (mehr) zuständig.
86
aa) Bei der Beklagten zu 1 hat es sich zumindest bis zur Insolvenzeröffnung um
ein beherrschtes Unternehmen in einem mehrstufig gegliederten Unternehmen
gehandelt. Die w. Holding GmbH hat an der Konzernspitze unter anderem die w.
GmbH beherrscht, die ihrerseits 100 % der Anteile an der Beklagte zu 1 hält.
87
bb) Nach § 54 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 2 BetrVG kann in einem sog.
Unterordnungskonzern durch Beschlüsse der Gesamtbetriebsräte bzw.
Betriebsräte ein Konzernbetriebsrat errichtet werden. Voraussetzung ist nicht,
dass der Konzern unter das Aktiengesetz fällt. Die Definitionsnormen der §§ 15ff
AktG, auf die § 54 BetrVG verweist, sind rechtsformneutral, so dass es nicht
darauf ankommt, wie das herrschende und die abhängigen Unternehmen
geführt werden (BAG 13. 10. 2004 – 7 ABR 56/03 – AP BetrVG 1972 § 54
BetrVG 1972 Nr. 9). Auf der Ebene der w. Holding GmbH konnte daher ein
Konzernbetriebsrat gebildet werden.
88
In einem mehrstufigen gegliederten Unordnungskonzern können, wenn
einzelne Tochterunternehmen ihrerseits untergeordnete Unternehmen
beherrschen, weitere Konzernverhältnisse bestehen. Nach Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts kann daher dann, wenn ein beherrschendes
Tochterunternehmen im Bereich der nach dem Betriebsverfassungsgesetz
beteiligungspflichtigen Angelegenheiten Leitungsbefugnisse bestehen, ohne an
Weisungen der Konzernspitze gebunden zu sein, auch beim beherrschenden
Tochterunternehmen ein Konzernbetriebsrat gebildet werden. Voraussetzung ist
eine so genannte Teilkonzernspitze (BAG 21.10.1980 - 6 ABR 41/78 - BB 1981,
1461; 16.5.2007 - 7 ABR 63/06 - AP § 96a ArbGG 1979 Nr. 3). Ob diese
Voraussetzungen bei der w. GmbH vorlagen, steht nicht fest. Erst im Rahmen
der Berufungsverhandlung hat sich herausgestellt, dass zwischen den Parteien
unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, wo der Konzernbetriebsrat
gebildet wurde. Die Beteiligte zu 1 hat angegeben, dass der Konzernbetriebsrat
auf der Ebene der w. Holding GmbH gebildet wurde, der
Prozessbevollmächtigte der Klagpartei hingegen hat erklärt, er gehe davon aus,
dass der Konzernbetriebsrat auf der Ebene der w. GmbH gebildet sei. Da das
Arbeitsgericht die besonderen Voraussetzungen des Konzernbetriebsrates
beim Konzern im Konzern nicht geprüft hat, ist davon auszugehen, dass dieses
bei der Entscheidung davon ausgegangen ist, dass der Konzernbetriebsrat auf
der Ebene der w. Holding GmbH gebildet wurde und, da nicht alle Tochter- oder
Enkelunternehmen im Insolvenzverfahren waren oder sind, weiterhin gebildet
ist.
89
cc) Einer weiteren Aufklärung dieser Frage bedurfte es zur Entscheidung nicht,
da spätestens mit der Insolvenzeröffnung in Eigenverwaltung eine mögliche
Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats geendet hat und eine Nachwirkung der
Zuständigkeit ausscheidet.
90
Voraussetzung einer originären Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates nach §
58 Abs. 1 BetrVG ist, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die entweder
den Konzern oder zumindest mehrere Konzernunternehmen betrifft und die
nicht durch einzelne Gesamtbetriebsräte oder Betriebsräte geregelt werden
kann.
91
Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass auch im Rahmen des
Mitbestimmungsrechtes bei Betriebsänderungen nach den §§ 111 BetrVG die
Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats nicht generell ausscheidet. Die
Zuständigkeit kommt in Betracht, wenn die geplante Betriebsänderung Betriebe
verschiedener Unternehmen betrifft und eine konzerneinheitliche Lösung
zwingend geboten ist (Vgl. zur Möglichkeit der Zuständigkeit des KBR BAG
11.12.2001 - 1 AZR 193/10 - AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 22; Richardi/Annuß
BetrVG 14. Aufl. § 58 Rndr. 39; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 27 Rndr. 15)
92
dd) Voraussetzung der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ist dabei jedoch
zwingend, dass die Leitungsmacht der Konzernmutter besteht.
93
Für die Errichtung und das Bestehen eines Konzernbetriebsrats bedarf es der
Existenz eines Unterordnungskonzerns. Besteht der Unterordnungskonzern
nicht mehr, entfallen auch die Voraussetzungen für die Errichtung eines
Konzernbetriebsrats für diesen Konzern (BAG 23.08.2006 - 7 ABR 51/05 - AP
BetrVG 1972 § 54 Nr. 12). Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Zuständigkeit
des Konzernbetriebsrats für die Unternehmen endet, die aus dem
Konzernverbund ausscheiden
94
ee) Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats hat spätestens mit der
Insolvenzeröffnung geendet. Die Interessenausgleichsverhandlungen waren
zumindest ab diesem Zeitpunkt mit dem bei der Beklagte zu 1 gebildeten
Betriebsrat zu führen.
95
Spätestens mit der Insolvenzeröffnung der Beklagten zu 1 hat die für einen
Konzern erforderliche einheitliche Leitung geendet. Dies gilt auch bei
Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung. Bis zur (klarstellenden) Einfügung
von § 276a InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung
von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl I. 2582) war umstritten, ob bei einer
Insolvenz in Eigenverwaltung die Aufsichts – und Kontrollbefugnisse der
Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung, des Aufsichtsrats und
vergleichbarer Organe fortexistieren. (vgl. z.B. Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777;
Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406, Bilgery, ZInsO 2014, 1694).
96
Mit § 276a ZPO hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die
Überwachungsorgane bei der Eigenverwaltung keine weitergehenden
Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben als in der
Fremdverwaltung (BT-Drucksache 17/5712, 63). Auch die Eigenverwaltung
dient der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Die Eigenverwaltung hat die
Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten. Die Überwachung
der Geschäftsführung erfolgt durch Sachwalter, Gläubigerausschuss und
Gläubigerversammlung. Eine zuvor bestehende Leitungsbefugnis im Konzern
durch die Obergesellschaft endet. § 276a InsO mag rechtspolitischer Kritik
ausgesetzt sein (vgl. Hierzu MK-InsO/Klöhn 3. Aufl. 2014 § 276a InsO, Rn. 11
mwN) und eine Konzernsanierung erschweren. Solange die geplante
Neuregelung für Konzerninsolvenzen nicht in Kraft getreten ist (vgl. hierzu
Gottwald Insolvenz-Rechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 Rdnr. 29 ff.), steht § 276a
InsO einer unternehmensübergreifenden Leitung im Falle der Insolvenz auch
bei Eigenverwaltung entgegen. Die organisatorische Eingliederung endet, da
die Gesellschafterorgane keinen Einfluss auf die Geschäftsführung mehr haben.
Der Grundsatz "eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz" gilt auch bei einer
Insolvenz im Konzern mit Eigenverwaltung.
97
Das Insolvenzrecht enthält bislang keine Regelungen, die im Fall einer
Konzerninsolvenz ein einheitliches Insolvenzverfahren für mehrere
Konzerngesellschaften ermöglichen. Sowohl hinsichtlich der Feststellung des
Insolvenzgrunds als auch in Bezug auf die Abwicklung des Insolvenzverfahrens
bleiben verbundene Unternehmen daher insolvenzrechtlich selbstständig. Auch
die Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind
trotz konzernmäßigen Verbundes getrennt abzuwickeln, so dass es keine
Konzerninsolvenz gibt (vgl. so ausdrücklich BFH 14.4.1014 - V B 14/14 - NZA
2014, 421 Rn. 25 mwN).
98
ff) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Geschäftsführung zumindest
teilweise identisch ist und im Zusammenhang mit der Antragstellung auf
Insolvenzeröffnung als weitere Geschäftsführer die Beklagten zu 5 und zu 6
bestellt wurden. Im ergänzenden Antrag an das Insolvenzgericht vom
24.07.2013 wurde die Bestellung damit begründet, dass beide einschlägige
Expertisen und Erfahrungen als Insolvenzverwalter und Eigenverwaltung
hätten. Im Übrigen wurde auf ein Grobkonzept zur Sanierung der gesamten
Unternehmensgruppe und das Schutzschirmverfahren der w. Holding GmbH
verwiesen. Die Personenidentität und das erwähnte "Grobkonzept zur
Sanierung der gesamten Unternehmensgruppe" ändert am Ende der
Leitungsmacht der Konzernmutter jedoch nichts. Dies ist Ausfluss der in der
Sanierungspraxis bei Konzerninsolvenzen akzeptierten
"Verfahrenskoordination", in denen die wesentlichen Verfahrensfunktionen in
den getrennt bleibenden Verfahren jeweils von derselben Person erfüllt werden
und für Interessenkonflikte ein Sondersachwalter eingesetzt wird (vgl. hierzu
Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357). Der Klagpartei ist zuzugeben,
dass bei den Geschäftsführern nicht erkennbar ist, für wen und in wessen
Interessen die Verhandlungen tatsächlich geführt werden und ob die Interessen
der Gläubiger der w. Holding GmbH, der w. GmbH oder der Beklagten zu 1
wahrgenommen werden. Richtig dürfte auch sein, dass die Geschäftsführer als
Handelnde für die Beklagte zu 1 eigentlich keinen Handlungsspielraum hatten.
Die Kundenkontakte und die Kundenverträge bestanden mit der w. GmbH. Auf
dieser Ebene mussten daher mit den Kunden die Verhandlungen darüber
geführt worden ob und zu welchen Bedingungen und bei welchen rechtlich
selbständigen untergeordneten Unternehmen Aufträge fortgeführt werden mit
dem Ziel einer Sanierung in der Insolvenz. Dies kann jedoch nichts daran
ändern, dass insolvenzrechtlich der Konzern und die Leitungsmacht der
beherrschenden Gesellschaften aufgelöst war und damit die Verhandlungen
über den Interessenausgleich mit dem Betriebsrat der Beklagten zu 1 zu führen
waren.
99
gg) Auch wenn man davon ausgeht, dass vor der Insolvenzeröffnung der
Konzernbetriebsrat zuständig war und die Pflicht zur
Interessenausgleichsverhandlungen bereits vor Insolvenzeröffnung bestand,
hat die Zuständigkeit mit Insolvenzeröffnung geendet. Eine entsprechende
Anwendung der §§ 21a und b BetrVG scheidet aus. Es besteht keine
Schutzlücke, da die Zuständigkeit auf den örtlichen Betriebsrat übergeht und
Konzernbetriebsrat mit Konzernmutter sich nicht über die insolvenzrechtlich
bedingte Auflösung der Leistungsmacht des Konzern hinwegsetzen können.
100 hh) Mit dem örtlich zuständigen Betriebsrat führte die Beklagte zu 1 jedoch
Interessenausgleichsverhandlungen, bis diese vor der hierfür gebildeten
Einigungsstelle am 17.12.2013 vom Einigungsstellenvorsitzenden als
gescheitert erklärt wurden. Da die Einigungsstelle lediglich die Aufgabe des
„Versuchs“ eines Interessenausgleichs hat, reicht die Feststellung des
„Scheiterns“ der Verhandlungen durch ihren Vorsitzenden aus, jedenfalls ab
diesem Zeitpunkt den ausreichenden Versuch des Interessenausgleichs der
Beklagten zu 1) festzustellen (vgl. BAG 14.04.2015 aaO. Rn. 31; vgl. auch GK-
BetrVG/Oetker, 10. Aufl. 2014, § 113 Rn. 54).
101 b) Vor diesem am 17.12.2013 durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle als
gescheitert festgestellten Versuch eines Interessenausgleichs hatte die
Beklagte zu 1 jedoch noch nicht mit der Betriebsstilllegung iSd. § 113 Abs. 3
BetrVG begonnen, weil sie noch keine unumkehrbaren Maßnahmen der
Betriebsänderung ergriffen hatte. Vielmehr dienten die bis dort von ihr
getroffenen Maßnahmen lediglich der Vorbereitung von Kündigungen zur
Betriebsstilllegung. Sie zwangen nicht zu deren Ausspruch.
102 aa) Die Erstellung des Grobkonzepts zur Sanierung vom 24.07.2013 schuf
keine unumkehrbaren Maßnahmen im obigen Sinn, wie sich allein schon aus
dem Begriff ergibt.
103 bb) Die – ausdrücklich - widerrufliche Freistellung der Mitarbeiter ab 02.10.2013
ist nicht anders zu betrachten. In der bloßen Nichtbeschäftigung von
Arbeitnehmern liegt keine Auflösung der Betriebsorganisation. Eine Freistellung
der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine
Durchführung der Betriebsstilllegung dar. Dies gilt jedenfalls, wenn die
Freistellung – wie hier - widerruflich ist (BAG 14.04.2015 aaO. Rn 27;
30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 21, BAGE 118, 222). Eine unwiderrufliche
Freistellung sämtlicher - oder auch nur eines Großteils der - Arbeitnehmer vor
dem Ausspruch der Kündigungen liegt hier ersichtlich nicht vor. Es ergibt sich
kein Anhaltspunkt, dass die Beklagte zu 1, nachdem sie sich mit ihrem
Betriebsrat nicht einigen konnte, dennoch endgültig auf die Arbeitsleistung
verzichtet hat. Dies steht in Widerspruch zu der Formulierung als „widerruflich“.
Dass ursprünglich mit Betriebsrat eine unwiderrufliche Freistellung erfolgen
sollte, spielt diesbezüglich keine Rolle (vgl. BAG 14.04.2015 aaO).
104 cc) Die Kündigung der Mieträume kann der Beklagten zu 1 nicht zugerechnet
werden, da diese nicht Vertragspartner der Vermieterin war.
105 dd) Über die Verlagerung der Aufträge hatte nicht die Beklagte zu 1, sondern
deren Mutter, die w. GmbH (E.) zu entscheiden. Damit kann auch dieses
Kriterium keine Berücksichtigung finden.
106 ee) Die Einstellung des operativen Betriebs zum 31.10.2013 schuf hier ebenfalls
keine unumkehrbare Maßnahme. Denn die Einstellung einer Geschäftstätigkeit
kann grundsätzlich rückgängig gemacht werden. Zwar kann dies anders sein,
wenn ein Arbeitgeber durch die Veräußerung von Betriebsmitteln bereits mit der
Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt (vgl. BAG 30.05.2006 - 1 AZR
25/05 - Rn. 20, BAGE 118, 222).
107 Hier wurden zwar die Arbeitsmittel der Beklagten zu 1 bestehend aus
Computern, Telefonanlage, Server(n), Headsets, Schreibtischen und Stühlen
vor der Einigungsstellensitzung am 17.12.2013 zumindest großteils abgebaut,
daraus ergibt sich jedoch aufgrund der Eigenart der Tätigkeit der Beklagten zu 1
nicht, dass diese Arbeitsmittel für den Fortbestand des Betriebs sowie die
Möglichkeit der Weiterverfolgung des Betriebszwecks unerlässlich waren (vgl.
BAG 14.04.2015 aaO. Rn. 26).
108 Unerlässlich für ein Call-Center sind letztlich die für den jeweiligen Auftrag
geschulten Mitarbeiter und die vorhandenen Daten. Der Rest, bestehend aus
Datenträgern, Headsets, Telefonanlage und Einrichtungsgegenständen wie
Tische und Stühle kann jederzeit und auch in kürzester Zeit beschafft und (ggf.
nach Freischaltung) genutzt werden.
109 Hinzu kommt, dass überhaupt nicht ersichtlich ist, ob diese Arbeitsmittel im
Eigentum der Beklagten zu 1 standen oder ihr nur zur Nutzung überlassen
worden waren.
110 ff) Damit zeigt sich, dass hier die einzige unumkehrbare Maßnahme letztlich nur
der Ausspruch der Kündigungen der Mitarbeiter war, der jedoch erst im Januar
2014 und damit nach dem Versuch des Interessenausgleichs (17.12.2013)
erfolgte.
111 Folglich steht fest, dass die Klagpartei keinen Nachteilsausgleichsanspruch
gegen die Beklagte zu 1 hat.
III.
112 Mangels Anspruch auf Nachteilausgleich musste die Berufung der Klagpartei
scheitern.
113 Dies gilt auch, soweit sie Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 2
bis 6 geltend macht. Dabei kann sogar die wichtige und zu klärende Rechtsfrage
dahingestellt bleiben, ob §§ 61, 61 InsO analog anzuwenden sind. Denn es fehlt
bereits an einem Pflichtverstoß. Schließlich war vor Beginn der Betriebsänderung
der Interessenausgleich mit dem zuständigen örtlichen Betriebsrat versucht
worden.
114 Demgemäß war auf die Berufung der Beklagten zu 1 die erstinstanzliche
Entscheidung abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die
Berufung der Klagpartei war dagegen zurückzuweisen.
C.
115 Die Klagpartei hat gemäß § 91 ZPO die Kosten erster und zweiter Instanz zu
tragen.
116 Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil es um eine Angelegenheit
grundsätzlicher Bedeutung geht (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).