Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 25.01.2013

eingriff, arbeitsgericht, unabhängiger sachverständiger, proportionalität

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2013, 17 Sa 85/11
Eingriff in das betriebliche Altersversorgungssystem - Verhältnismäßigkeit -
Darlegungslast
Leitsätze
Die Beurteilung, ob sachlich-proportionale Gründe für einen Eingriff in
dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge vorliegen, erfordert nicht lediglich eine
Willkürkontrolle. Dem Arbeitgeber obliegt die Darlegung aller Umstände, die
nachvollziehbar belegen, dass ein überschießender Eingriff in das betriebliche
Altersversorgungssystem nicht erfolgt ist.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
06.10.2011 - 17 Ca 2548/11 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der Ruhegeldansprüche des Klägers.
2 Der im März 1960 geborene Kläger ist seit 01.03.1987 bei der Beklagten bzw.
deren Rechtsvorgängerinnen, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis begann bei der N.
S. Aktiengesellschaft. Mit Beschluss der Hauptversammlung vom März 2002
gliederte sie das operative Geschäft in fünf Tochtergesellschaften aus. Die
operativen Tochtergesellschaften wurden durch Verschmelzungsverträge auf die
jeweiligen Parallelgesellschaften des E.-Konzerns übertragen. Das
Arbeitsverhältnis des Klägers ging auf diese Weise im Jahr 2002 auf die N.
Kraftwerke AG & Co KG über. Im Jahr 2003 ging das Arbeitsverhältnis auf die
Beklagte über.
3 Bei der Beklagten handelt es sich um eine 100 %-ige Tochter der E. E. B.
-
W. AG.
4 Die bei der N. S. Aktiengesellschaft geschlossene Betriebsvereinbarung über die
Versorgungsordnung der N. S. AG vom 12.12.1997 über vor dem 01.01.1997 bei
der N. Elektrizitätsversorgungs-Aktiengesellschaft (N.) eingetretene
Betriebsangehörige (künftig BV 1997) regelte u. a.:
5
㤠1 Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs
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1. Der Versorgungsanspruch entsteht, wenn der unter den jeweils für die N.
geltenden Manteltarifvertrag fallende Betriebsangehörige nach Vollendung des 20.
Lebensjahres eine 10jährige ununterbrochene Dienstzeit bei den N. erreicht hat. In
diesem Fall gibt das Unternehmen dem betreffenden Betriebsangehörigen
spätestens nach Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem die zehnjährige
Dienstzeit erfüllt ist, eine entsprechende schriftliche Mitteilung.(…)
7
§ 3 Alters- und Invaliditätsversorgung
8
1. Der versorgungsberechtigte Betriebsangehörige erhält ein Ruhegeld, wenn er in
den Ruhestand tritt.
9
2. Der Eintritt in den Ruhestand erfolgt:
10 a) auf Wunsch der N. oder des Betriebsangehörigen, wenn der
Betriebsangehörige
11 - das 65. Lebensjahr vollendet hat (feste Altersgrenze) oder
- vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente der gesetzlichen
Rentenversicherung in voller Höhe in Anspruch nimmt(…).
12 § 4 Höhe und Berechnung des Ruhegeldes
13 1. a) Das Ruhegeld beträgt nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 1
monatlich 15 % des letzten ruhegeldberechtigten Einkommens. Es steigert sich
für jedes weitere Dienstjahr um 1 %, höchstens jedoch auf insgesamt 40 %.
14 b) Der in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer vorzeitigen
Inanspruchnahme der Altersrente maßgebende Zugangsfaktor wird für das N.-
Ruhegeld übernommen; dies gilt nicht für Betriebsangehörige, die am 01.01.1992
bereits einen Versorgungsanspruch im Sinne des § 1 haben.
15 c) Die Gesamtversorgung (Sozialversicherungsrenten, Versorgungsleitungen aus
früheren Tätigkeiten und N.-Ruhegeld) darf 75 % des letzten ruhegeldberechtigten
Einkommen nicht übersteigen. (…)“.
16 Mit Schreiben vom 26.03.1997 wurde dem Kläger die Unverfallbarkeit der
Betriebsrentenansprüche bescheinigt.
17 In § 3 des auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommenden Sammel-
Tarifvertrages vom 21.07.2003 zur Personalüberleitung/Verschmelzung
verpflichtete sich die E. E. B.-W. AG im Innenverhältnis gegenüber der Beklagten
und gegenüber der N. Kraftwerke AG & Co KG, diese von der Inanspruchnahme
aus diesen gemäß § 613a BGB übergegangenen Verpflichtungen aus der Zusage
der betrieblichen Altersversorgung freizustellen.
18 Die E. E. B.-W. AG erstellte im Jahr 2003 unter dem Namen „TOP FIT“ ein
„Ergebnisverbesserungs- und Sparprogramm“. Insoweit wird auf die von der
Beklagten vorgelegte Präsentation als Ergebnis der Beratungen des TOP FIT-
Teams mit Beratern von M., Blatt 47- 55 der Berufungsakte verwiesen.
19 Im Jahr 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Betriebsrentenanspruch
ergebe sich ab 1. Januar 2005 aus der Betriebsvereinbarung zur Neuregelung der
betrieblichen Altersversorgung vom 26. November 2004 (künftig BV 2004).
20 In der BV 2004 ist geregelt:
21 „9. Gesamtbetriebsvereinbarung vom 12.12.1997 über die Versorgungsordnung
der N. S. AG für vor dem 01.01.1997 bei der N. Elektrizitätsversorgungs-
Aktiengesellschaft (N.) eingetretene Betriebsangehörige:
22 9.1 Die Wirkungen der Kündigung vom 23.09.2003/19.05.2004 (dort Buchstabe C)
werden einvernehmlich zum 31.12.2004 nicht eintreten.
23 9.2 Statt dessen werden die Anwartschaften der nach der oben genannten
Betriebsvereinbarung berechtigten Mitarbeiter für die Zukunft wie folgt von der
Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung abgekoppelt:
24 9.2.1 Für jeden nach der oben genannten Betriebsvereinbarung berechtigten
Mitarbeiter erfolgt eine Berechnung der im Alter 65 erreichbaren
Gesamtversorgung nach Maßgabe der Regelungen der oben genannten
Betriebsvereinbarung und auf Basis des individuellen ruhegeldberechtigten
Einkommens (im Sinne des § 4 der oben genannten Betriebsvereinbarung) des
Mitarbeiters zum Zeitpunkt 31.12.2004.
25 Die anzurechnende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird auf
Basis einer individuellen Rentenauskunft mit Stand 31.12.2004 im Rahmen dieser
Berechnung auf Alters 65 hochgerechnet und sodann angerechnet bzw. die
Gesamtversorgung limitiert. Für sonstige gemäß der RO in die Anrechnung bzw.
Limitierung einzubeziehende Renten ist die garantierte Leistung zu
berücksichtigen. Bei Leistungen aus befreienden Lebensversicherungen
entspricht dies der Garantieleistung zuzüglich der bis zum 31.12.2004
angefallenen Gewinnanteile.
26 Das auf diese Weise erreichbare Ruhegeld wird als Prozentsatz des individuellen
ruhegeldberechtigten Einkommens des Mitarbeiters zum 31.12.2004
(„festgeschriebener Versorgungsprozentsatz“) ausgewiesen und jedem
betroffenen Mitarbeiter im zweiten Halbjahr 2005 schriftlich mitgeteilt, sofern eine
Rentenauskunft auf Basis eines geklärten Rentenkontos bzw. Nachweise über die
Höhe der sonstigen anzurechnenden Renten vorliegen.
27 9.2.2. Bei Eintritt eines Versorgungsfalles stellt der festgeschriebene
Versorgungsprozentsatz die Berechnungsgrundlage für das Ruhegeld bzw. die
Hinterbliebenenleistung dar: Der festgeschriebene Versorgungsprozentsatz wird
bei Eintritt eines Versorgungsfalles mit dem individuellen ruhegeldberechtigten
Einkommen des betroffenen Mitarbeiters im Zeitpunkt des Versorgungsfalles
multipliziert.
28 Der auf diese Weise berechnete Betrag stellt das Ruhegeld bei Inanspruchnahme
ab Alter 65 sowie das Ruhegeld bei Erwerbsminderung dar. (…)
29 Eine zusätzliche Nettolimitierung im Sinne von § 4 der oben genannten
Betriebsvereinbarung erfolgt bei keinem der oben genannten Versorgungsfälle.
(…).“
30 Mit Schreiben vom 06.11.2006 teilte die Beklagte dem Kläger auf Grundlage der
BV 2004 seinen zu erwartenden Betriebsrentenanspruch mit. Hinsichtlich des
Inhalts der vorgenommenen Neuberechnung wird auf Blatt 9 (RS)-11(RS) der
erstinstanzlichen Akte verwiesen.
31 Der Kläger hat vorgetragen,
32 er habe einen individualrechtlichen Anspruch auf eine Betriebsrente nach
Maßgabe der BV 1997. Durch die BV 2004 liege ein Eingriff in die erdiente
Dynamik vor. Solche Eingriffe seien nur aus triftigem Grund möglich. Triftige
Gründe seien nicht gegeben. Es fehle an einer bei unverändertem Fortbestand der
BV 1997 die Entwicklung der Beklagten beeinträchtigenden und bedrohenden
Substanzaufzehrung. Das Einsparprogramm „TOP FIT“, in welches die Beklagte
ab 2003 eingebunden worden sei, diene zwar der Ergebnisoptimierung durch
Kostensenkungen. Um ein Sanierungsprogramm im Sinne eines triftigen Grundes
oder ein konzerneinheitliches unternehmerisches Konzept zur Kostensenkung
handle es sich jedoch nicht. Es fehle sogar an sachlich-proportionalen Gründen für
einen Eingriff in eine noch nicht erdiente Zuwachsrate, da im Jahr 2003 keine
verschlechternde Ertragskraft des E.-Konzerns vorgelegen habe.
33 Der Kläger hat beantragt:
34
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der klägerischen
Partei ein Ruhegeld nach der Betriebsvereinbarung über die
Versorgungsordnung der N. S. AG vom 12.12.1997 über vor dem 01.01.1997
bei der N. Elektrizitätsversorgungs-Aktiengesellschaft (N.) eingetretene
Betriebsangehörige zu zahlen.
35 Die Beklagte hat beantragt
36
die Klage abzuweisen.
37 Die Beklagte hat geltend gemacht, die Anpassung der betrieblichen Regelungen
zur Altersversorgung zu Recht vorgenommen zu haben. Es handle sich um eine
zulässige Abkoppelung der betrieblichen Altersversorgung von der Entwicklung
der gesetzlichen Sozialversicherung unter Aufrechterhaltung des individuell
erdienten Besitzstandes und Gewährleistung der in der Altersversorgung
angelegten Dynamik. Der dynamische Mindestbesitzstand werde nicht angetastet,
da von dem zu 75 % erreichbaren Gesamtversorgungsprozentsatz bei der
Berechnung ausgegangen worden sei. Auch nach der BV 1997 habe die
Begrenzung des maximal erreichbaren Ruhegeldanspruchs 75 % der letzten
Vergütung betragen, der Faktor „Endgehalt“ sei unverändert geblieben. Die
Beklagte erkenne an, dass dem Kläger im Versorgungsfall jedenfalls der
dynamische Mindestbesitzstand gemäß der tatsächlichen Entwicklung seiner
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit zwischen
Neuordnungsstichtag und Versorgungsfall zustehe. Daraus folge, dass die BV
2004 lediglich in die noch nicht erdiente Zuwachsrate in Form der
dienstzeitabhängigen Steigerungsrate eingreife. Der Eingriff in die noch nicht
erdiente Zuwachsrate sei aus sachlich-proportionalen Gründen gerechtfertigt. Im
Rahmen des Programmes „TOP FIT“ seien konzernweit Einsparungen zur
Aufstockung der Eigenkapitalquote des Konzerns beabsichtigt gewesen. Das Ziel
der Wiederauffüllung der Eigenkapitalquote auf ein wirtschaftlich gesundes Maß
stelle auch einen sachlichen Grund für den Eingriff in die betriebliche
Altersversorgung dar. Angesichts des bestehenden Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrages zwischen der Beklagten und der sie beherrschenden
E. E. B.-W Aktiengesellschaft vom 14./17./24.08.1970 sei es unschädlich, dass auf
die wirtschaftliche Lage der Konzernmutter abgestellt worden sei. Dies sei auch
deshalb gerechtfertigt, da die Beklagte an einem Cashpoolverfahren beteiligt sei
und daher ohne entsprechende Befugnisse durch die Konzernmutter nicht über
eigene finanzielle Mittel disponieren könne. Die sachlich-proportionalen Gründe
ergäben sich auch aus dem Rückgang des Niveaus der gesetzlichen
Rentenversicherung und dem Umstand der Mitwirkung des Betriebsrats an der
Neuordnung der betrieblichen Altersversorgung.
38 Mit Urteil vom 06.10.2011 gab das Arbeitsgericht der Klage statt. Die BV 2004
habe die BV 1997 nicht wirksam abgelöst, da der dadurch erfolgte Eingriff nicht
den Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz entspreche. Es
liege ein Eingriff in die noch nicht erdienten Zuwachsraten in Form der
dienstzeitabhängigen Steigerungsraten vor. Durch die BV 2004 werde zwar eine
Abkoppelung von der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung
vorgenommen, dies stelle jedoch keinen Eingriff in den Faktor „Endgehalt“ dar. Es
handle sich lediglich um einen Eingriff in die dienstzeitabhängige Steigerungsrate.
Die nach der BV 2004 vorgenommene Berechnung bewirke, dass der bis zum
31.12.2004 erdiente Teilwert erhalten bleibe und durch die daraus resultierende
Bestimmung des individuellen Versorgungsprozentsatzes unmittelbar in die Höhe
des späteren Ruhegeldes einfließe. Damit liege kein Eingriff in die
gehaltsabhängige Steigerungskomponente vor, sondern in die
dienstzeitabhängige. Der Eingriff in die dienstzeitabhängige Steigerungsrate sei
jedoch nicht durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt. Ein Absinken des
Rentenniveaus vermindere zwar die Anrechnungsfälle und wirke sich als
Verteuerung der betrieblichen Altersversorgung aus, daraus folge jedoch nicht
ohne weiteres, dass dies durch Leistungskürzungen ausgeglichen werden dürfe.
Es fehle vorliegend an einer konkreten Darstellung der Angemessenheit von
Regelungsanlass und erfolgter Neuregelung. Der konkrete Anlass und die daraus
resultierende Maßnahme müssten in einem angemessenen Verhältnis zueinander
stehen. Dies habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Dem Vortrag lasse
sich nicht entnehmen, weshalb der Einsparbedarf gerade in der von ihr
angegebenen Größenordnung in dem „TOP FIT“ Programm festgelegt worden sei,
wie sich der „ersparte“ Betrag errechne und weshalb eine Kürzung im Bereich der
Betriebsrenten von 10 Mio EUR im Verhältnis zu den tatsächlich erforderlichen
Einsparungen stehe. Auch die Auswirkung auf die Entwicklung der
Eigenkapitalquote sei nicht klar dargelegt worden. Damit überwiege das
Bestandschutzinteresse des Klägers gegenüber dem Interesse der Beklagten an
einem Wechsel von der BV 1997 hin zur BV 2004.
39 Gegen dieses Urteil, welches der Beklagten am 19.10.2011 zugestellt wurde, legte
diese am 18.11.2011 Berufung ein und begründete diese nach entsprechender
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit am 18.01.2012 eingegangenem
Schriftsatz.
40 Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass der Eingriff in die Anwartschaften
betrieblicher Altersversorgung lediglich sachlich-proportionaler Gründe bedürfe, da
er nur auf der dritten Besitzstandsstufe erfolgt sei. Die E. E.-B.-W. AG habe unter
dem Datum vom 15.01.2013 auch bestätigt, dass es im Rahmen der Neuregelung
der Anwartschaften betrieblicher Altersversorgung durch die Betriebsvereinbarung
vom 26.11.2004 bezogen auf die Änderungsregelungen zu den
Gesamtversorgungssystemen - und damit auch bezogen auf die im vorliegenden
Verfahren in Streit stehende Neuordnungsregelung - von Anfang an die
gemeinsame Vorstellung der Betriebsparteien gewesen sei, dass in jedem Fall der
zeitratierliche dynamische Besitzstand gewährleistet werde (hinsichtlich des Inhalts
der Regelung wird auf Blatt 152 der Berufungsakte verwiesen). Dies sei gegenüber
dem Kläger auch bereits mit Schriftsatz vom 24.08.2011 (Blatt 42 der
erstinstanzlichen Akte) anerkannt worden. Das Arbeitsgericht verkenne jedoch
Anforderungen und Tragweite der Prüfung des Vorliegens sachlich-proportionaler
Gründe. Nach der Rechtsprechung des BAG handle es sich lediglich um eine
Übermaßkontrolle in dem Sinne, dass eine Willkür bei den Eingriffen in die
Versorgungsanwartschaften ausgeschlossen werden solle. Sachlich-proportionale
Gründe lägen demnach vor, wenn willkürfreie, nachvollziehbare und
anerkennenswerte Gründe, die auf einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung
des Unternehmens oder einer Fehlentwicklung des betrieblichen
Versorgungswerkes beruhen können, vorlägen. Die Kürzung dürfe nicht
unverhältnismäßig sein. Das Arbeitsgericht hätte auch die Wertung, ob die
Neuordnung die Grenzen der Proportionalität überschreitet, auf der Basis der von
der Beklagten genannten Tatsachen selber vornehmen können. So habe die
Beklagte dargelegt, dass die Reduktion der betrieblichen Altersversorgung
lediglich 1 % des insgesamt durch das TOP FIT-Programm beabsichtigten
Einsparvolumens ausmache und welche wirtschaftlichen Effekte aus den
Einsparungen für das Wiederauffüllen des verbrauchten Eigenkapitals resultierten.
Das Arbeitsgericht übersehe auch, dass die Beklagte einen eigenen
Beurteilungsspielraum habe. Eine rechnerisch genaue Darlegung könne nicht
gefordert werden. Dies stelle vielmehr einen unzulässigen Eingriff in die
unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Beklagten dar.
41 Die Eingriffe der Neuordnung von 2004 erfüllten die Anforderungen an die
Proportionalität. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage des E.-Konzerns
im Jahr 2003 seien die im Rahmen des TOP FIT-Programms angestoßenen
Kostensenkungs- und Einsparmaßnahmen für das Überleben des E.-Konzerns
zwingend notwendig gewesen. Der E.-Konzern habe im ersten Halbjahr 2003
einen Nettoverlust in Höhe von 945,5 Mio EUR, Ende 2003 in Höhe von 1.192,9
Mio EUR erwirtschaftet. Die Eigenkapitalquote sei zwischen 2002 und 2003 von
9,9 % auf 6,1 % gesunken, nachdem sie bereits zuvor seit 1998 (15,6 %)
kontinuierlich gesunken sei. Die Beklagte sei von dieser wirtschaftlichen Schieflage
erfasst, da sie in das Cashpoolverfahren des Konzerns eingebunden und
organschaftlich mit der Muttergesellschaft verbunden sei. Die wirtschaftliche
Herleitung des für die Gesundung notwendigen Einsparvolumens sei über einen
Vergleich des ROCE bei der E. mit dem ROCE bei den Wettbewerbern
durchgeführt worden. Insgesamt seien Kosteneinsparungen in Höhe von 1
Milliarde EUR p.a., davon 350 Mio EUR im Personalbereich sämtlicher
Konzerngesellschaften geplant worden. Die Höhe der Einsparungen im
Personalbereich sei als wirtschaftlich und unternehmerisch sinnvoll und
gleichzeitig rechtlich möglich erachtet worden. Die 300 Mio EUR, welche von den
350 Mio EUR p.a. auf die „A- und B-Gesellschaften des E.-Konzerns“ entfielen,
seien auf verschiedene Einsparkomponenten im Personalbereich aufgegliedert
worden: Durch Personalabbau sollten 150 Mio EUR p.a., durch
Arbeitszeitflexibilisierung 40 Mio EUR p.a. und durch Einsparungen bei den
betrieblichen Sozialleistungen sowie den Tarifabschlüssen 110 Mio EUR p.a.
erzielt werden. Der Pool für die betriebliche Altersversorgung und die
Erfolgsbeteiligung habe bei 25 Mio EUR gelegen. Nach den Verhandlungen mit
dem Betriebsrat sei insgesamt aus dem Bereich der Altersversorgung ein Volumen
von 10 Mio EUR p.a. generiert worden, nachdem zuvor 17,3 Mio EUR p. a. geplant
gewesen seien. Die Neuordnung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung
stelle auch das Ergebnis intensiver Verhandlungen mit dem Betriebsrat dar. Das
Ergebnis der Verhandlungen ergebe sich aus der Anlage B 15 (Blatt 67 - 92 der
Berufungsakte). Das Einsparvolumen bezogen auf die Altersversorgung betrage
damit nur 1 % des gesamten Sparpaketes. Diese Sparmaßnahmen hätten auch
das beabsichtigte Ergebnis der Eigenkapitalauffüllung erreicht. Dieses sei
sukzessive von 2004 in Höhe von 10 % auf 21,1 % im Jahr 2007 gestiegen.
42 Die Beklagte beantragt
43
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 06.10.2011 - AZ 17 Ca 2548/11 -
aufzuheben und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
44 Der Kläger beantragt,
45
die Berufung zurückzuweisen.
46 Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit hierin ausgeführt wird, dass
sachlich-proportionale Gründe nicht vorlägen. Das Arbeitsgericht habe jedoch den
Umfang des Eingriffs durch die ablösende Betriebsvereinbarung 2004 nicht
zutreffend erfasst. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass in
den Faktor „Endgehalt“ nicht eingegriffen werde. Die im Schriftsatz der Beklagten
vom 24. August 2011 abgegebene Erklärung bezüglich des Mindestbesitzstandes
erfülle nicht die Anforderungen einer Garantieerklärung. Dies gelte auch für die im
Berufungsverfahren vorgelegte Erklärung der E. E. B.-W. AG vom 15.01.2013,
welche sich nicht einmal an die Arbeitnehmer direkt wende. Triftige Gründe für den
Eingriff in die bereits erdiente Dynamik lägen ebenso wenig vor wie sachlich-
proportionale Gründe auf der dritten Stufe des Eingriffs. Die Beklagte lege nicht
dar, dass im Jahr 2004 die Kosten des bisherigen Versorgungswerkes nicht mehr
aus den Unternehmenserträgen und etwaigen Wertzuwächsen des
Unternehmensvermögens der Beklagten hätten erwirtschaftet werden können und
eine Substanzaufzehrung eintreten werde. Bestritten werde, dass eine verdichtete
Konzernbeziehung vorliege. Das Arbeitsgericht sei zwar vom Bestehen eines
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ausgegangen, habe aber nicht
festgestellt, dass dieser Vertrag die E. E. B.-W. AG betreffe und die Einflussnahme
sich nachteilig auf die beklagte Partei in den Jahren 2003 und 2004 auswirke. Bei
dem Programm TOP FIT handle es sich auch nicht um ein Sanierungsprogramm,
vielmehr sollte das wirtschaftliche Ergebnis durch Kostensenkungen und
Einsparungen optimiert werden. Die Beklagte beziehe sich lediglich auf die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten des E.-Konzerns, nicht auf diejenigen der
Beklagten, was mangels Bestehens einer verdichteten Konzernbeziehung
unzureichend sei. Selbst bei Annahme einer verdichteten Konzernbeziehung sei
aus o.g. Gründen nicht davon auszugehen, dass eine ungünstige wirtschaftliche
Lage in den Jahren 2003 - 2004 bestanden habe. Eine Verschlechterung der
Ertragskraft des E.-Konzerns im Jahre 2003 habe nicht vorgelegen. Die
Umsatzerlöse seien in den Jahren 2000 bis 2007 kontinuierlich gestiegen. Das
geminderte Eigenkapital in den Jahren 2002 und 2003 sei auf eine bilanzielle
Neubewertung der damaligen Beteiligungen des E.-Konzerns zurückzuführen. Bis
2002 sei das Eigenkapital kontinuierlich gestiegen. Bestritten werde, dass im Jahr
2003 eine konkrete Gefahr der Überschuldung und Insolvenz gegeben gewesen
sei. Der E.-Konzern habe für das Geschäftsjahr 2004 einen Bilanzgewinn von
173,8 Mio EUR ausgewiesen und eine Dividende von 162,4 Mio EUR an die
Aktionäre ausgeschüttet. Zeitgleich mit der Ablösung der Versorgungsordnung sei
ein mit 7,5 Mio EUR dotiertes Sponsoring des V. S. erfolgt. Auch dies spreche
gegen ein unternehmerisches Konzept zur gesamten einheitlichen
Kostensenkung. Bestritten werde auch, dass M. Feststellungen getroffen habe,
welche einen dringenden Sanierungsbedarf des E.-Konzerns im Jahr 2004
begründeten. M. sei nur unterstützend, nicht gestaltend tätig geworden. Das
Eigenkapital der E. B.-W. AG sei nicht durch die Maßnahmen des TOP FIT-
Programmes „so zügig aufgefüllt“ worden, vielmehr sei die Bilanz 2003 von
Einmalbelastungen gekennzeichnet. Gegen das Vorliegen sachlich-proportionaler
Gründe spreche auch, dass der Regelungszweck und die Mittel der Kürzung in
keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stünden. Bestritten werde, dass das
durch die Änderung der betrieblichen Altersversorgung erzielte Einsparvolumen
1% des gesamten Einsparvolumens betragen habe. Die Beklagte habe nicht
vorgetragen, bei welchen Positionen es zu welchen konkreten Einsparungen
gekommen sei.
47 Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird gemäß den §§ 64 Abs. 6
ArbGG, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
48 Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 lit. b ArbGG statthafte Berufung wurde form- und
fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 7 ArbGG, 519,
520 ZPO) und ist auch im Übrigen zulässig.
II.
49 Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat
zutreffend entschieden, dass die BV 2004 die BV 1997 nicht wirksam abgelöst hat.
Der durch die BV 2004 erfolgte Eingriff in die betriebliche Altersversorgung des
Klägers entspricht nicht den Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit und
Vertrauensschutz.
50 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können
Betriebspartner eine Angelegenheit, die sie durch eine Betriebsvereinbarung
geregelt haben, mit Wirkung für die Zukunft in einer neuen Betriebsvereinbarung
regeln. Diese tritt dann an die Stelle der bisherigen und löst diese ab (BAG vom 10.
August 1994 - 10 ABR 61/93 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 86; vom 5. Oktober 2000
- 1 AZR 48/00 - AP BetrVG 1972 Tarifvorbehalt § 77 Nr. 17). Dies gilt grundsätzlich
auch dann, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Ein
Eingriff in die auf der Grundlage der früheren Betriebsvereinbarung bereits
begründeten Ansprüche ist - soweit in Besitzstände betroffener Arbeitnehmer
eingegriffen wird - jedoch nur gemessen an den Grundsätzen der
Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes gerechtfertigt, (BAG vom 10.
August 1994 - 10 ABR 61/93 - aaO; vom 23. Oktober 1990 - 3 AZR 260/89 - AP
BetrAVG Ablösung § 1 Nr. 13; vom 5. Oktober 2000 - 1 AZR 48/00 - aaO).
51 2. Auch im Bereich der Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung ist eine an sich
rechtlich mögliche verschlechternde Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch
eine andere nur insoweit wirksam, wie sie nicht unter Verstoß gegen die
Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit in geschützte
Besitzstände der durch die Altregelung begünstigten Arbeitnehmer eingreift. Das
BAG hat hierfür in ständiger Rechtsprechung ein dreistufiges Prüfungsschema
entwickelt, welches von dem Grundsatz getragen ist, dass es eines um so
gewichtigeren Rechtfertigungsgrundes bedarf, je stärker in geschützte
Besitzstände eingegriffen wird. Bereits erdiente und nach den Grundsätzen des §
2 BetrAVG errechnete Teilbeträge können hiernach nur aus zwingendem Grund
(Erste Stufe), Zuwächse, die sich aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben und
bereits zeitanteilig erdient sind, nur aus triftigem Grund (Zweite Stufe),
Zuwachsraten schließlich, die noch nicht erdient sind, können aus sachlich-
proportionalen Gründen (Dritte Stufe) entzogen werden (BAG vom 18. September
2001 - 3 AZR 728/00 - AP BetrAVG Ablösung § 1 Nr. 31 mwN; vom 19. April 2005 -
3 AZR 468/04 - AP BetrAVG § 1 Nr. 9).
52 Unstreitig ist vorliegend ein Eingriff auf der ersten Stufe nicht erfolgt, da in bereits
erdiente Teilbeträge durch die BV 2004 nicht eingegriffen wird. Dahingestellt
bleiben kann weiter, ob bereits ein Eingriff auf der zweiten Stufe erfolgte bzw. ob
ein gegebenenfalls zunächst möglicherweise vorliegender Eingriff auf dieser Stufe
durch das „Anerkenntnis“ der Beklagten im Schriftsatz vom 24.08.2011 (Blatt 42
der erstinstanzlichen Akte) bzw. durch die „Bestätigung“ der E. E. B.-W. AG vom
15.01.2013 (Blatt 156 der Berufungsakte)nicht zum Tragen kommt. Da jedenfalls
ein Eingriff auf der dritten Stufe vorliegt (a), ohne dass die Voraussetzung des
Vorliegens sachlich-proportionaler Gründe gegeben wäre (b), entspricht bereits
aus diesem Grund der durch die BV 2004 erfolgte Eingriff in die betriebliche
Altersversorgung nicht den Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit und
Vertrauensschutz, so dass offen bleiben kann, ob der Eingriff auch aus anderen
Gründen unwirksam ist.
53 a) Die Neuregelung der BV 2004 nimmt jedenfalls im Vergleich zur
vorangehenden BV 1997 einen Eingriff in noch nicht erdiente Zuwachsraten in
Form der dienstzeitabhängigen Steigerungsbeträge vor.
54 Aufgrund der Regelung unter A. 9.2 der BV 2004 werden die Anwartschaften der
nach der BV 1997 berechtigten Mitarbeiter mit Wirkung für die Zukunft von der
Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung abgekoppelt, indem zunächst
für jeden berechtigten Mitarbeiter individuell eine Berechnung der im Alter von 65
Jahren erreichbaren Gesamtversorgung nach der BV 1997 sowie auf Basis des
individuellen ruhegeldfähigen Einkommens zum Ablösungszeitpunkt erfolgt,
zusätzlich mittels einer personenbezogenen Rentenauskunft zum 31.12.2004 die
anzurechnende Sozialversicherungsrente auf das 65. Lebensjahr hochgerechnet,
die danach zu erwartende Rente in die Rentenberechnung nach der BV 1997
eingestellt und die erreichbare Betriebsrente bei 75 % der Gesamtversorgung
limitiert wird. Das auf diese Weise zum 65. Lebensjahr des Arbeitnehmers zu
erreichende Ruhegeld wird als Prozentsatz seines ruhegeldfähigen Einkommens
zum 31.12.2004 ermittelt und als festgeschriebener Versorgungssatz
ausgewiesen. Dieser Versorgungssatz wird bei Eintritt des Versorgungsfalles mit
dem individuellen ruhegeldberechtigten Einkommen des betroffenen
Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Versorgungsfalles multipliziert. Da somit aufgrund
der BV 2004 für die Zeit nach dem 31.12.2004 Dienstzeiten nicht mehr wie nach
der BV 1997 berücksichtigt werden sollen, erfolgt insoweit ein Eingriff in die auf der
Grundlage der BV 1997 in Aussicht gestellten Zuwachsraten.
55 b) Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass dieser Eingriff in die
dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge nicht durch sachlich-proportionale
Gründe gerechtfertigt ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsklägers hat das
Arbeitsgericht die Anforderungen an das Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe
nicht überspannt.
56 aa) Betrachtet man die Rechtsprechung des BAG hierzu ist festzustellen, dass
das BAG in älteren Entscheidungen allein auf das Vorliegen sachlicher Gründe für
den Eingriff abstellt. So spricht das BAG in der Entscheidung vom 17. April 1985
(3 AZR 72/83, AP BetrAVG Unterstützungskassen § 1 Nr. 4), es seien „geringere
Anforderungen“ an den „sachlichen“ Grund zu stellen, wenn in rein
dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge eingegriffen werden soll. In dieser
Entscheidung heißt es weiter (Rn 47): „Da solche Rentenzuwächse noch nicht
erdient sind und Steigerungen von künftiger Betriebstreue abhängen, müssen für
einen ausdrücklich vorbehaltenen Eingriff schon Gründe ausreichen, die nicht
willkürlich sind und nachvollziehbar erkennen lassen, welche Umstände und
Erwägungen zur Änderung der Versorgungszusage Anlass geben. Doch müssen
auch solche Kürzungen einer Billigkeitsprüfung standhalten“. Das BAG geht in
dieser Entscheidung nicht davon aus, dass sachlich-proportionale Gründe
vorliegen müssen. U.A. mit Entscheidung vom 26. August 1997 (3 AZR 235/96 -
AP BetrAVG Ablösung § 1 Nr. 27) formuliert das BAG, dass „sachliche,
proportionale Gründe“ vorliegen müssten. Hier heißt es weiter: „Die maßgeblichen
Gründe müssen willkürfrei, nachvollziehbar und anerkennenswert sein“. Weitere
Anforderungen an das Vorliegen sachlicher, proportionaler Gründe werden nicht
genannt. Mit Urteil vom 18.09.2001 (3 AZR 728/00 - AP BetrAVG Ablösung § 1 Nr.
31) führt das BAG aus, dass sachlich-proportionale Gründe bereits dann
vorlägen, wenn ein unabhängiger Sachverständiger Feststellungen getroffen hat,
die einen dringenden Sanierungsbedarf begründen. In diesen Entscheidung führt
das BAG aus: „Es geht im Rahmen des sachlich-proportionalen Grundes darum,
die Willkürfreiheit des Eingriffs in noch nicht erdiente Zuwächse zu belegen. Dafür
wird regelmäßig der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht
ausreichen. Diese sind im einzelnen darzulegen. Anderweitige
Sanierungsmöglichkeiten müssen zumindest erwogen und ihre Unterlassung
plausibel erläutert werden. Maßnahmen, die auf den ersten Blick dem
Sanierungszweck offen zuwiderlaufen, müssen erklärt und plausibel sein“. Im
weiteren Verlauf der Entscheidung stellt das BAG auch auf die prozentuale
Verteilung der Gesamtkosten im Vergleich zu den Personalkosten ab. Auch in der
Entscheidung vom 19. April 2005 (3 AZR 468/04 - AP BetrVG 1972
Betriebsvereinbarung § 1 Nr. 9) geht das BAG vom Erfordernis des Vorliegens
„sachlich-proportionaler“ Gründe aus. Das BAG führt in dieser Entscheidung aus:
„Solche Gründe dürfen nicht willkürlich sein. Sie müssen nachvollziehbar
erkennen lassen, welche Umstände und Erwägungen zur Änderung der
Versorgungszusage Anlass gegeben haben. Das Vertrauen der Arbeitnehmer in
den Fortbestand der bisherigen Regelung darf nicht über Gebühr beeinträchtigt
werden. Die sachlichen Gründe sind deshalb gegenüber den schützenswerten
Interessen des Arbeitnehmers abzuwägen (…). Es ist jedenfalls ausreichend,
wenn die Eingriffe in das Versorgungssystem - wie hier - sich in einen
Zusammenhang anderer Maßnahmen zur Kosteneinsparung einfügen. Nicht
erforderlich ist, dass diese Maßnahmen ausgeschöpft sein müssen, bevor eine
ablösende Betriebsvereinbarung Eingriffe in künftige Zuwächse vornehmen darf.
Es geht allein darum, die Willkürfreiheit des Eingriffs in noch nicht erdiente
Zuwächse zu belegen. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, dass der
Arbeitgeber einen Sanierungsplan vorlegt“. In einer Entscheidung aus dem Jahr
2006 (24. Januar 2006 - 3 AZR 483/04 - AP BetrAVG Ablösung § 1 AP Nr. 50)
führt das BAG aus: „Eine angestrebte Vereinheitlichung der betrieblichen
Altersversorgung im Konzern liefert jedenfalls nicht stets und ohne weiteres den
erforderlichen sachlich-proportionalen Eingriffsgrund. Zumindest hat der
Arbeitgeber im Einzelnen darzulegen, woraus sich sein
Vereinheitlichungsinteresse im Einzelfall ergibt und wie gewichtig es ist (…) Die
inhaltliche Ausgestaltung muss mit den Änderungsgründen im Einklang stehen
(…) Jedenfalls wenn - wie hier - die Versorgungsaufwendungen sowohl
unternehmens- als auch konzernbezogen abgesenkt werden sollen, muss der
Arbeitgeber als Versorgungsschuldner vortragen, wegen welcher konkreter
wirtschaftlicher Schwierigkeiten seine finanzielle Entlastung interessengerecht war
und weshalb der Eingriff in die künftigen Zuwächse nicht außer Verhältnis zum
Anlass steht“.
57 bb) Verfolgt man die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
zu den Maßstäben, welche an den Begriff der Sachlichkeit bzw. den Begriff
„Sachlich-proportional“ geknüpft werden, so kann eine Abwendung von der reinen
Willkürkontrolle hin zu einer Überprüfung des Verhältnisses zwischen dem
Vorliegen sachlicher Gründe und der konkreten Maßnahme bezogen auf die
Schwere des Eingriffs und die Notwendigkeit dieses konkreten Eingriffs
festgestellt werden. Dem schließt sich die erkennende Kammer an und kommt
deshalb zu dem Ergebnis, dass die Darlegung sachlicher Gründe ohne konkrete
Angaben, inwieweit eine Proportionalität zwischen diesen und dem konkreten
Eingriff besteht, nicht ausreichend ist, um das Vorliegen „Sachlich-Proportionaler
Gründe“ darzulegen. Vielmehr ist der Arbeitgeber gefordert, alle Umstände
darzulegen, die belegen, dass ein überschießender Eingriff in das betriebliche
Altersversorgungssystem nicht erfolgt ist. Für das überprüfende Gericht muss
nachvollziehbar sein, inwieweit der konkrete Anlass es rechtfertigt, die konkret
vorgenommenen Maßnahmen durchzuführen und inwieweit die einzelnen
Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Fehlt es an
diesen Darlegungen ist es dem Gericht nicht möglich festzustellen, ob ein
überzogener oder ein angemessener Eingriff vorliegt und inwieweit der Eingriff
den Anforderungen an eine Proportionalität und damit an eine Verhältnismäßigkeit
noch entspricht. Es handelt sich hierbei nicht (mehr) ausschließlich um eine reine
Willkürkontrolle. Dies hat das Arbeitsgericht ebenso zutreffend erkannt, wie es
festgestellt hat, an welchen Schnittstellen ausreichende Tatsachen von Seiten der
Beklagten nicht vorgetragen und auch im Rahmen der Berufung von ihr nicht
ergänzt wurden.
58 (1) Aus dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten wird auch im Rahmen des
Vortrages in zweiter Instanz für die Kammer nicht nachvollziehbar, woraus sich
der Gesamteinsparbedarf in Höhe von 1 Milliarde EUR p.a. ergibt. Aus den
Darlegungen der Beklagten ergibt sich jeweils nur, dass es Ziel des TOP FIT-
Programmes gewesen sei, nachhaltig 1 Milliarde EUR p.a. im E.-Konzern
gegenüber der Ergebnisvorschau 2003 einzusparen. Woraus sich die Höhe
dieses Betrages ergibt, bleibt im Unklaren. Dies konnte die Kammer auch nicht
den beigefügten Anlagen entnehmen, ungeachtet dessen, dass Anlagen lediglich
zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrages dienen, diesen aber nicht
ersetzen (BAG 19. September 2012 - 5 AZR 627/11 - DB 2013, 65). Vorliegend
erfolgt weder eine schriftsätzliche Erläuterung dazu, wie der Betrag in Höhe von 1
Milliarde EUR zustande kam noch kann aus den Anlagen (hier insbesondere
Anlagen 8 und 9 zum Berufungsschriftsatz = Blatt 57 und 59 der Berufungsakte)
eine nach-vollziehbare Begründung entnommen werden. Auch der Hinweis auf
den Vergleich der ROCE-Zahlen lässt die Höhe des erforderlichen
Einsparvolumens nicht erkennen. Dies gilt unter anderem auch deshalb, weil
unklar bleibt, ob der bei den jeweiligen Unternehmen ermittelte ROCE
vergleichbar ist. Die Beklagte führt aus, wie im E.-Konzern der ROCE definiert
wird: „ROCE = Adjusted EBIT inclusive Beteiligungsergebnis/Capital Employed“
(Blatt 33 der Berufungsakte), um zeitgleich darzulegen, dass bis 2004 der ROCE
die Beteiligungsergebnisse des Konzerns nicht beinhaltete. Wie der ROCE bei
den zum Vergleich herangezogenen Unternehmen definiert wird, bleibt im
Unklaren. Dem Berufungsgericht ist es deshalb nicht möglich, aufgrund der
Angaben der Beklagten eine eigene Wertung vorzunehmen.
59 Die Beklagte kann sich auch zur Begründung des zugrundegelegten Betrages in
Höhe von 1 Milliarde EUR nicht wirksam darauf berufen, dass der Betrag durch
die Mitwirkung der Unternehmensberatung M. an der Erstellung des Top Fit
Programmes als vorgegeben anzunehmen war. Die vorliegende Konstellation ist
nicht vergleichbar mit derjenigen, welche dem Urteil des BAG vom 18.09.2001 (3
AZR 728/00 - AP BetrAVG Ablösung § 1 Nr. 31) zugrunde liegt. Es geht hier nicht
um die Feststellung durch einen unabhängigen Sachverständigen bezüglich des
Vorliegens eines dringenden Sanierungsbedarfs, sondern um die Frage, wie und
durch wen der dem „Sanierungsbedarf“ folgende Einsparbetrag in Höhe von 1
Milliarde EUR ermittelt wurde. Die Beklagte legte insoweit nicht dar, dass die
Höhe dieses Betrages durch einen unabhängigen Sachverständigen als
erforderlich festgelegt wurde.
60 (2) Ebenso wenig ist für das Gericht nachvollziehbar, weshalb auf die angestrebte
Einsparung/Ergebnisverbesserung von insgesamt 1 Milliarde EUR genau ein
Betrag in Höhe von 350 Mio EUR auf den Personalbereich entfällt. Auch diese
Zahl wird von der Beklagten als Ergebnis der Besprechungen mit M. genannt,
ohne dass ersichtlich wird, wie diese Zahl ermittelt wurde. Es wird weder ein
Verhältnis der Kostenfaktoren in diesen Bereichen genannt noch wird
ansatzweise dargelegt, woraus sich der Topf, in welchen die übrigen 650 Mio
fallen, zusammensetzt. Soweit die Beklagte im Personalbereich einerseits von
350 Mio EUR Einsparpotential ausgeht, andererseits eine Aufteilung auf
verschiedene Gesellschaften des Konzerns vornimmt, indem sie ausführt (Blatt
35 der Berufungsakte), dass von den 350 Mio EUR p.a. 300 Mio EUR p.a. auf die
„A- und B-Gesellschaften des Konzerns“ entfielen und nur dieser Betrag in Höhe
von 300 Mio EUR näher unterteilt wird in Einsparungen im Bereich
Personalabbau, Arbeitszeitflexibilisierung, betriebliche Sozialleistungen und
Tarifabschlüsse, ist auch diese Trennung auf unterschiedliche Gesellschaften
nicht nachvollziehbar.
61 (3) Es entzieht sich auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch das Gericht,
inwieweit die Höhe des gemeinsamen Topfes „Erfolgsbeteiligung und
Altersversorgung“, welcher mit 25 Mio EUR veranschlagt wurde, angemessen ist,
insbesondere auch im Verhältnis zu dem Einsparvolumen aus dem
Personalbereich, und inwieweit eine Angemessenheit innerhalb des Topfes
bezüglich der letztendlich vorgenommenen Verteilung bejaht werden kann.
Soweit die E. E. B.-W. AG zusammen mit dem Betriebsrat auf ein Einsparvolumen
im Bereich der betrieblichen Altersversorgung von 10 Mio EUR gelangt, konnte
die Kammer aufgrund der erfolgten Darlegungen nicht nachvollziehen, inwieweit
mit der Änderung aufgrund der neuen BV 2004 Einsparungen in Höhe von 10 Mio
EUR p.a. tatsächlich erbracht werden können und welcher rechnerische Ansatz
dem zugrundeliegt.
62 (4) Die Beteiligung des Betriebsrates und nach intensiven Verhandlungen das
Einverständnis des Betriebsrates mit der Einsparsumme in Höhe von 10 Mio EUR
aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung führt ebenfalls nicht dazu,
dass nähere Darlegungen hierzu bezogen auf die Frage der Proportionalität
entbehrlich wären. Dies kann auch nicht aus der Entscheidung des BAG vom
18.09.2001 (3 AZR 728/00 - AP BetrAVG Ablösung § 1 Nr. 31 Rn 48) gefolgert
werden. Zwar kann die Beteiligung und Zustimmung des Betriebsrates ein Indiz
für das Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe sein, die Beteiligung des
Betriebsrats enthebt die darlegungspflichtige Beklagte jedoch nicht davon, die
Grundlagen für die Verteilung der Einsparmaßnahmen und deren Proportionalität
darzulegen. Allein durch das Einverständnis des Betriebsrats mit einer
bestimmten Verteilung von Kostenersparnissen erübrigt sich eine Benennung der
Faktoren der Verteilung der Sparmaßnahmen nicht, da es ansonsten weder für
die betroffene Partei noch für das Gericht nachprüfbar wäre, ob tatsächlich eine
Verhältnismäßigkeit der sachlichen Gründe zu der durchgeführten konkreten
Maßnahme im jeweiligen Einzelfall zu bejahen ist. Diese Überprüfung kann nicht
ausschließlich dem Betriebsrat übertragen werden.
63 Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass eine bis ins Kleinste
darzulegende und auch rechnerisch herzuleitende Begründung für die
Proportionalität von Eingriff und Eingriffsgrund nicht gefordert werden kann.
Andererseits kann es aus Sicht der Kammer auch nicht ausreichend sein, wenn
die Beklagte nicht nachvollziehbare Zahlen in den Raum stellt, ohne deren
Verhältnis zueinander und deren Ermittlung wenigstens im Ansatz darzulegen.
Fehlt es an diesen Darlegungen, kann eine Verhältnismäßigkeit des Eingriffs nicht
festgestellt werden. In Ermangelung einer solchen überwiegt vorliegend der
Vertrauensschutz des Klägers dem Bedürfnis der Beklagten an einer einheitlichen
Änderung der betrieblichen Altersversorgung im Konzern, so dass eine wirksame
Ablösung der BV 1997 durch die BV 2004 nicht erfolgt ist.
III.
64 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
65 2. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.