Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 19.08.2016

arbeitsgericht, bezirksverwaltung, rechtsstaatlichkeit, lebenslauf

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 19.8.2016, 1 Ta 6/16
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Konkurrentenklage - rechtsmissbräuchliche
Bewerbung
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern
Ludwigsburg - vom 28.07.2016 - 26 Ga 6/16 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Der Beteiligte zu 1 (Verfügungskläger/Beschwerdeführer, im Folgenden nur: Kläger) wendet sich mit seiner
sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung der begehrten Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
2 Die Beteiligte zu 2 (Verfügungsbeklagte/Beschwerdegegnerin, im Folgenden nur: Beklagte) schrieb am
09./10. April 2016 in verschiedenen Medien die Stelle eines/einer Sachbearbeiters/in Planung für die
Bezirksverwaltung L. aus (Anlage Ag 1). Die Beklagte ist eine Berufsgenossenschaft mit rund 2.300
Arbeitnehmern. In der Stellenanzeige gab die Beklagte an, dass ein Bachelor-Abschluss (Hochschule), die
Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst oder ein vergleichbarer Abschluss erwartet werde. Die Stelle
war nach der Entgeltgruppe 9b BG-AT bzw. A9/A10 dotiert. Die Stellenbesetzung sollte zum
nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgen.
3 Mit handschriftlichem Schreiben vom 19. April 2016 bewarb sich der Kläger um die Stelle (Anlage Ag 3). Das
Bewerbungsschreiben trägt folgenden Briefkopf:
4
„A.M.H.
W..
B.
Berufsgenosse – Buerschchenbüro
Stabsstelle Gesundheitsinspektion,
Rechtsstaatlichkeit und Seelenheil“
5 Im Bewerbungsschreiben führte der Kläger an, dass er einem Schwerbehinderten gleichgestellt sei. Der
Bewerbung war ein ebenfalls handschriftlicher tabellarischer Lebenslauf beigefügt. Hieraus ergab sich, dass
der Kläger zwischen 1996 und 2000 eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellter mit dem
Abschluss „gut“ und eine Fortbildung für den nichttechnischen gehobenen Dienst mit dem Abschluss
„ausreichend“ absolviert hatte. Zwischen 2000 und 2014 war der Kläger sodann nach den Angaben in dem
Lebenslauf bei verschiedenen Trägern der Unfallversicherung als Sachbearbeiter tätig. Auf der Seite 2 unten
findet sich sodann folgende Angabe:
6
„2014-2016 Berufsgenosse - Buerschchenbüro Stabstelle Gesundheitsinspektion, Rechtsstaatlichkeit und
Seelenheil - Ehrenamt in o.g. Sachgebieten, mit insgesamt ca. 110 Gerichtsverfahren, vor Sozial-,
Landessozial- und Bundessozialgerichten, Verfassungs-, Landesverfassungs- und Bundesverfassungsgericht,
Arbeits-, Landesarbeitsgerichts- und Bundesarbeitsgericht, Amts-, Landesgericht und Bundesgerichtshof,
Betreuungsgericht etc. sowie beim Europäischen Gerichtshof, etliche andere Verfahren, welche die
Sozialversicherung betreffen, z.B. beim Petitionsausschuss des Bundestages, Ombutsmann für Kranken-
und Pflegeangelegenheiten des Bundestages, Gesundheitsministerium, Bundesministerium für Arbeit und
Soziales, Bundesversicherungsamt, Petitionsausschuss des Landes NRW etc. etc.“.
7 Auf die ausgeschriebene Stelle bewarben sich 51 weitere Bewerber/innen. Unter Berücksichtigung des
Anforderungsprofils und der Schwerbehinderungen lud die Beklagte neun Bewerber/innen zu einem
Vorstellungsgespräch am 31. Mai 2016 ein, darunter den Kläger mit Schreiben vom 9. Mai 2016 auf den 31.
Mai 2016, 13:00 Uhr (Anlage Ag 4). Mit Schreiben vom 22. Mai 2016 (Anlage Ag 5) teilte der Kläger mit,
dass er aufgrund einer Rehabilitationsmaßnahme, die in dem Zeitraum vom 17. Mai bis zum 21. bzw. 28.
Juni 2016 stattfinde, nicht an dem Vorstellungsgespräch teilnehmen könne. Unterlagen über diese
Maßnahme legte der Kläger nicht bei. Er teilte mit, dass eine Anreise vom Klinikzentrum B.S. nach L. nicht
möglich sei, um den Rehabilitationserfolg nicht zu gefährden. In seiner späteren Klage vom 13. Juni 2016
teilte der Kläger mit, er habe am 24. Mai 2016 eine mündliche Verhandlung beim Arbeitsgericht S.
wahrgenommen.
8 Am 31. Mai 2016 führte die Beklagte die Vorstellungsgespräche mit den noch verbliebenen sieben
Bewerbern/innen durch. Sie nahm aufgrund eines Auswahlvermerks vom selben Tag (Ag 6) die Auswahl vor
und entschied sich für Frau N.H.. Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 (Anlage Ag 7) teilte die Beklagte dem
Kläger mit, dass das Auswahlverfahren beendet sei und ein weiterer Termin nach der
Rehabilitationsmaßnahme nicht mehr möglich sei. Am 2. Juni 2016 schloss die Beklagte mit Frau H. einen
unbefristeten Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin Planung in der Bezirksverwaltung L. ab.
9 Nachdem der Kläger das vorliegende Verfahren eingeleitet hatte, stellte die Beklagte fest, dass er sich bei ihr
auf weitere Stellen beworben hatte: am 25. April 2016 auf eine Stelle als Sachbearbeiter - Überwachendes
Fallmanagement in der Bezirksverwaltung Ma., mit Schreiben vom selben Tag auf die Stelle eines
Sachbearbeiters - Überwachendes Fallmanagement bei der Bezirksverwaltung M., am 24. Juni 2016 auf eine
Stelle eines Sachbearbeiters - Überwachendes Fallmanagement in der Bezirksverwaltung B.G. und am 25.
Juni 2016 um einen Studienplatz für ein Bachelor-Studium bei der Beklagten. Er legte hierbei ausschließlich
den oben beschriebenen tabellarischen Lebenslauf bei und machte hierbei teilweise Angaben zu seiner
Schwerbehinderung, teilweise aber auch nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen Ag 8 bis11
verwiesen.
10 Mit seiner am 13. Juni 2016 eingegangenen Klage machte der Kläger im „Hauptverfahren“ die Feststellung
der Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung geltend. Außerdem beantragte er „per einstweiliger
Verfügung“ die Stelle als Sachbearbeiter Planung nicht zu besetzen, bis das Hauptverfahren entschieden ist.
Das Arbeitsgericht erfasste die Klage im Hauptsacheverfahren unter dem Aktenzeichen 26 Ca 797/16 und
den Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren unter dem Aktenzeichen 26 Ga 6/16. Für beide Anträge
beantragte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zur Begründung seiner Anträge trug er vor,
gemäß § 82 SGB IX seien Schwerbehinderte, welche grundsätzlich geeignet erschienen, die
ausgeschriebene Stelle zu besetzen, zwingend zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Seine
grundsätzliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle sei durch die Einladung zum Vorstellungsgespräch
dokumentiert. Da für die Beklagte das Bewerbungsverfahren bereits am 1. Juni 2016 beendet gewesen sei,
sei davon auszugehen, dass der vermeintlich beste Bewerber bereits ausgewählt worden sei.
11 Der Kläger kündigte in den beiden Verfahren die Anträge an:
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1. Es wird die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung, bzw. die
Offenlegung des Auswahlverfahrens, bezüglich des Bewerbungsverfahrens zur
ausgeschriebenem öffentlichen Amt „Sachbearbeiter Planung“, der VGB, L. beantragt.
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2. Es wird beantragt, die Stelle, per einstweiliger Verfügung, als „Sachbearbeiter
Planung“, bei der VBG L., nicht zu besetzen, bis das Hauptverfahren entschieden ist.
14 Die Beklagte beantragte,
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die Klage bzw. den Antrag zurückzuweisen.
16 Sie trug vor, es bestehe der Verdacht, dass der Kläger in Wirklichkeit überhaupt nicht an der Beschäftigung
bei einer ihrer Bezirksverwaltungen interessiert sei, sondern lediglich das Ziel verfolge, einen Zuverdienst
zu seinem Lebensunterhalt durch die gerichtliche Geltendmachung verschiedener Ansprüche zu generieren.
Sie habe erfahren, dass der Kläger seit geraumer Zeit zahlreiche Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes -
vorzugsweise Berufsgenossenschaften - verklage.
17 Der Anspruch des Bewerbers nach Art. 33 Abs. 2 GG setze voraus, dass er sich auf eine noch nicht besetzte
Stelle berufe. Im vorliegenden Fall habe sie entschieden, die Stelle der Sachbearbeiterin Planung in der
Bezirksverwaltung L. einer Bewerberin zu übertragen, die sie im Bewerbungsverfahren als die
bestqualifizierteste ausgewählt habe. Mit der Stellenbesetzung sei das Auswahlverfahren abgeschlossen.
Außerdem sei der Kläger zu Recht nach seiner Absage des Vorstellungsgesprächs vom Bewerbungsverfahren
ausgeschlossen worden. Es fehle bereits an einem ausreichenden Nachweis der behaupteten Gleichstellung.
Außerdem fehle es an einem ausreichenden Nachweis der Qualifikation. Der Kläger habe keinerlei
Nachweise hinsichtlich seiner Eignung und Befähigung vorgelegt. Ihr sei ein weiteres Zuwarten nicht
zumutbar gewesen. Die ausgeschriebene Stelle habe aus dienstlichen Gründen zeitnah besetzt werden
müssen.
18 Im Hauptsacheverfahren bestimmte das Arbeitsgericht Termin zur Güteverhandlung auf Mittwoch, 13. Juli
2016, und im einstweiligen Verfügungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf
Freitag, 15. Juli 2016. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2016 rügte der Kläger die ordnungsgemäße
Bevollmächtigung des Beklagtenvertreters. Dieser legte daraufhin mit Schriftsatz vom 14. Juli 2016 eine
Prozessvollmacht vor. Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 rügte der Kläger die Prozessbevollmächtigung und
beantragte für den Kammertermin am 13. Juli 2016 und für den Gütetermin am 15. Juli 2016 den Erlass
eines Versäumnisurteils.
19 Zu beiden Terminen erschien der Kläger nicht. Hierauf wies das Arbeitsgericht mit Versäumnisurteil vom 13.
Juli 2016 die Klage im Hauptsacheverfahren und mit Versäumnisurteil vom 15. Juli 2016 den Antrag im
einstweiligen Verfügungsverfahren ab. Mit Schriftsätzen vom 21. und 25. Juli 2016 legte der Kläger gegen
beide Versäumnisurteile Einspruch ein. Er rügte erneut die Vollmacht der Beklagten. Er führte hierzu aus,
die Vollmacht weise kein Aktenzeichen auf und sei auch nicht auf ein bestimmtes Gericht bezogen. Sie gelte
für ein Verfahren V../H., das nicht existiere, sondern nur ein Verfahren H. ./. V.. Sie sei von A. Hö.,
Vorsitzender der Geschäftsführung gezeichnet; Gerichtsvertreter der Beklagten sei aber deren
Vorstandsvorsitzender. Die Vollmacht laute auf die Rechtsanwälte R., H.; den Prozess habe jedoch ein J. M.
geführt. Somit sei der Prozess von einem Nichtprozessbevollmächtigten geführt worden; die Schriftsätze der
Beklagten seien aus der Gerichtsakte zu entfernen. Die Beklagte habe nicht auf die Klage erwidert und sei
nicht zum Kammertermin erschienen.
20 Zur Begründung seines Nichterscheinens in der Güteverhandlung vom 13. Juli im Hauptsacheverfahren und
in der Kammerverhandlung am 15. Juli 2016 im einstweiligen Verfügungsverfahren führte der Kläger an, am
13. Juli 2016 habe er wegen Zugverspätungen den Gütetermin nicht wahrnehmen können. Für den Termin
am 15. Juli 2016 habe er den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt, weshalb er nicht zum Termin
erschienen sei.
21 Mit Beschlüssen vom 27. und 28. Juli 2016 wies das Arbeitsgericht in beiden Verfahren die vom Kläger
beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, die
Beklagte habe zwar durch den Abschluss des Arbeitsvertrags mit Frau H. bereits am 2. Juni 2016 ein den
Bewerbungsverfahrensanspruch missachtendes Verfahren durchgeführt, so dass der Anspruch des Klägers
mit der Stellenbesetzung nicht hinfällig geworden sei. Die Beklagte habe aber kein rechtswidriges
Auswahlverfahren durchgeführt. Sie habe den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch am 31. Mai 2016
eingeladen. Auf dessen Bitte um Verlegung des Termins sei sie nicht verpflichtet gewesen, einen
alternativen Termin anzubieten. Der Kläger sei aufgrund der Rehabilitationsmaßnahme nicht unfähig
gewesen, einen Vorstellungstermin wahrzunehmen. Außerdem sei es der Beklagten nicht zuzumuten
gewesen, das Ende einer mehrwöchigen Maßnahme abzuwarten.
22 Gegen den ihm am 2. August 2016 zugestellten Beschluss legte der Kläger mit Schriftsatz vom 3. August
2016 sofortige Beschwerde ein. Er trägt vor, die Beschlüsse seien jeweils erst nach der Ansetzung des
Kammertermins am 13. Juli 2016 sowie des Gütetermins am 15. Juli 2016 (Anmerkung des Vorsitzenden:
Die Daten sind vertauscht) mit Versäumnisurteilen beschlossen worden. Dies stelle einen schwerwiegenden
Verfahrensfehler dar, welcher ihm die Chance genommen habe, ggf. einen Prozessbevollmächtigten zu
beauftragen oder aber ggf. die Klage zurückzuziehen. Die Prozessbevollmächtigung der Beklagten werde
gerügt, wobei der Kläger seine früheren Ausführungen hierzu wiederholt.
23 Mit Beschlüssen vom 15. August 2016 half das Arbeitsgericht den sofortigen Beschwerden im
Hauptsacheverfahren und einstweiligen Verfügungsverfahren nicht ab und legte die Sache dem
Landesarbeitsgericht vor.
II.
24 Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 28. Juli 2016 ist gemäß §
127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde
ist aber unbegründet, weil das Arbeitsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
zutreffend mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen hat.
25 1. Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn
die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 13.03.1990 - 2 BvR
94/88 u. a. - NJW 1991, 413; BVerfG, 07.04.2000 - 1 BvR 81/00 - NJW 2000, 1937; BVerfG, 03.06.2003 - 1
BvR 13055/02 - NJW - RR 2003, 1216; BVerfG 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - NJW 2007, 1060; BVerfG
04.05.2015 - 1 BvR 2096/13 - NJW 2015, 2173) gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung
der Situation von bemittelten und unbemittelten Parteien bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist
zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen,
dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und
nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu
verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das
Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst
bieten, sondern zugänglich machen. Hieraus folgt, dass die Fachgerichte die Anforderungen an die
Erfolgsaussicht nicht überspannen dürfen.
26 2. Nach diesen Grundsätzen hat die Klage bzw. der Antrag des Klägers keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg.
27 a) Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, die das
Bundesverfassungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesarbeitsgericht zum
Bewerbungsverfahrensanspruch des unterlegenen Stellenbewerbers (Konkurrentenklage) entwickelt haben
(zuletzt BVerfG 4. Februar 2016 - 2 BvR 2223/15 - Rn. 69 ff.; BVerfG 25. November 2015 - 2 BvR 1461/15
Rn. 14 ff.; BVerwG 4. November 2010 - 2 C 16/09 - Rn. 21 ff.; BAG 12. April 2016 - 9 AZR 673/14 - Rn. 28
ff.). Hiernach setzt der Anspruch des Bewerbers nach Art. 33 Abs. 2 GG auf Übertragung einer Stelle dem
Grundsatz nach voraus, dass diese Stelle noch nicht besetzt ist. Für eine Unterlassung der Stellenbesetzung
und für eine Neubescheidung ist kein Raum, wenn die begehrte Stelle dem erfolgreichen Konkurrenten
rechtswirksam auf Dauer übertragen ist. Das Bewerbungsverfahren darf aber nicht so ausgestaltet sein,
dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar macht. Wenn der öffentliche Arbeitgeber
den effektiven Rechtsschutz des Bewerbers vereitelt, ist es ihm verwehrt, dem übergangenen Bewerber die
anderweitige Stellenbesetzung entgegenzuhalten.
28 Hieraus folgt, dass der öffentliche Arbeitgeber den unterlegenen Bewerber vor der endgültigen Besetzung
der Stelle rechtzeitig zu informieren hat. Er muss darüber hinaus einen ausreichenden Zeitraum abwarten,
um dem unterlegenen Bewerber die Möglichkeit zu geben, sich durch Einsichtnahme in die schriftliche
Dokumentation über die Auswahlerwägungen eine Meinung über die Erfolgsaussicht einer
Konkurrentenklage zu bilden und sodann ggf. gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. In der
Praxis der Verwaltungsgerichte hat sich insoweit eine Wartezeit von zwei Wochen ab Zugang der
Mitteilung über die Ablehnung der Bewerbung als angemessen herausgebildet (BVerwG 4. November 2010
aaO Rn. 34; BAG 24. März 2009 - 9 AZR 277/08 - Rn 88. ff.).
29 Gegen diese Verfahrensgrundsätze hat die Beklagte verstoßen, weil sie den Kläger nach Führung der
Auswahlgespräche am 31. Mai 2016 mit Schreiben vom 1. Juni 2016 darüber informiert hat, das
Bewerbungsverfahren sei abgeschlossen. Zudem hat sie die Stelle bereits am 2. Juni 2016 mit der
erfolgreichen Bewerberin N.H. besetzt.
30 b) Die Klage bzw. der Antrag haben dennoch keine Erfolgsaussicht, weil dem Kläger unter dem
Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs kein Bewerbungsverfahrensanspruch zusteht. Der Kläger ist kein
Bewerber im Rechtssinne.
31 aa) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz setzt die Verwirkung der dort vorgesehenen Sanktionen voraus, dass der Status
als „Bewerber“ vorliegt. Dieser ist davon abhängig, dass der Bewerber sich mit dem Ziel einer Einstellung
beworben hat. Strebt der „Bewerber“ nur formal den Bewerberstatus an, so ist er kein Bewerber im
Rechtssinne. Es geht ihm allein darum, eine Entschädigungszahlung geltend zu machen (BAG 18. Juni 2015
- 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 24). Im konkreten Fall sah das Bundesarbeitsgericht den Kläger nicht als Bewerber
im Rechtssinne an, weil er sich gerade auf solche Stellenausschreibungen beworben hatte, deren
Formulierung einen Anschein von Diskriminierung enthielt und sein Anforderungsprofil der
ausgeschriebenen Stelle vollkommen zuwiderlief.
32 Mit Urteil vom 28. Juli 2016 (C-523/15) ist der Europäische Gerichtshof der Rechtsauffassung des
Bundesarbeitsgerichts gefolgt. Der Gerichtshof hat ausgeführt, eine Person, die eine Stellenbewerbung
unter den vom Bundesarbeitsgericht beschriebenen Umständen einreiche, könne sich nicht auf den durch
die Richtlinien zur Verwirklichung der Gleichbehandlung gewährten Schutz berufen. Eine andere Auslegung
wäre unvereinbar mit dem von diesen Richtlinien verfolgten Ziel, den Betroffenen einen wirksamen Schutz
gegen Diskriminierungen beim Zugang zur Beschäftigung zu gewährleisten. Die Feststellung eines
missbräuchlichen Verhaltens verlange das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven
Tatbestandsmerkmals. Aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände müsse sich ergeben, dass
trotz formaler Einhaltung der vorgegebenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht werde.
Außerdem müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher Zweck der
fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils sei. Das Missbrauchsverbot greife
nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben könnten als nur die Erlangung eines
Vorteils.
33 Diese zum Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG entwickelten Rechtsgrundsätze können ohne
weiteres auf den Bewerbungsverfahrensanspruch des unterlegenen Bewerbers übertragen werden. Art. 33
Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem
öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Jeder Bewerber um ein solches Amt hat
einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen zurückweist, die durch den
Leistungsgrundsatz gedeckt sind. Aus der Zielsetzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs folgt, dass sich
ein „Bewerber“, der die Stelle, um die er sich formal bewirbt, gar nicht erhalten will, nicht auf diesen
Anspruch berufen kann. Ein solcher Bewerber strebt den Bewerberstatus allein formal an, um auf diese
Weise sachfremde Zwecke zu verfolgen.
34 bb) Im Streitfall sprechen zahlreiche Indizien dafür, dass es dem Kläger mit seiner Bewerbung ausschließlich
darauf ankam, die Beklagte zu schädigen:
35 (1) Die Bewerbung des Klägers war im Hinblick auf die ausgeschriebene Stelle absolut unüblich. Die
Beklagte hatte eine Stelle im „mittleren“ Sachbearbeiterbereich (EG 9b bzw. A 9/A 10) ausgeschrieben. Bei
einer solchen Stelle erwartet der Arbeitgeber eine perfekt gestaltete Bewerbung, der aussagekräftige
Nachweise beigefügt sind. Nur auf diese Weise kann sich der öffentliche Arbeitgeber einen Eindruck von der
Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des Bewerbers verschaffen. Der Kläger bewarb sich mit einem
handschriftlichen Schreiben vom 19. April 2016 um die Stelle. Hierbei verwandte er einen in jeder Hinsicht
ungewöhnlichen Briefkopf
„Berufsgenosse-Buerschchenbüro, Stabstelle Gesundheitsinspektion,
Rechtsstaatlichkeit und Seelenheil“. Er fügte einen ebenso handschriftlichen tabellarischen Lebenslauf ein,
der auf der Seite 2 unten und Seite 3 ebenfalls ungewöhnliche Angaben über seine Aktivitäten seit dem
Jahr 2014 enthält (
„2014-2016 Berufsgenosse - Buerschchenbüro Stabstelle Gesundheitsinspektion,
Rechtsstaatlichkeit und Seelenheil - Ehrenamt in o.g. Sachgebieten, mit insgesamt ca. 110
Gerichtsverfahren, ...“). Ein unbefangener Leser musste aus den Angaben schließen, dass es sich bei dem
Kläger um einen offenbar gescheiterten Sachbearbeiter einer Berufsgenossenschaft handelt, der seit 2014
in eigener Sache zahllose Prozesse geführt hat.
36 (2) Ebenso ungewöhnlich war das weitere Verhalten des Klägers während des Bewerbungsverfahrens. Auf
die Einladung der Beklagten zum Vorstellungsgespräch teilte er mit, dass er um Verlegung des
Vorstellungsgesprächs bitte, weil er sich in einer Rehabilitationsmaßnahme befinde. Nachweise über die
Maßnahme waren nicht beigefügt. Ebenso wenig führte der Kläger aus, weshalb eine zweistündige Anreise
zum Gerichtsort von B.S. nach L. den Rehabilitationserfolg gefährde. Bei diesem Schreiben musste sich für
den unbefangenen Leser der Eindruck verdichten, die Bewerbung diene sachfremden Zwecken, indem der
Kläger den Ablauf des Bewerbungsverfahrens verzögern wolle.
37 (3) In diesen Zusammenhang passt ebenso, dass der Kläger nach dem unbestrittenen Vorbringen der
Beklagten sich am 25. April 2016 und 24. Juni 2016 um andere Sachbearbeiterstellen in derselben Form
bewarb sowie am 25. Juni 2016 um einen Studienplatz im Rahmen eines Bachelorstudiums. Hierbei machte
er unterschiedliche Angaben zu seiner Schwerbehinderung. Zudem war die Form des Anschreibens (Anlage
Ag 11) sehr bemerkenswert („
Liebe Verwaltungsgenossen, ...“).
38 (4) Auch während des gerichtlichen Verfahrens setzte sich das ungewöhnliche Verhalten des Klägers fort.
Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2016 rügte er die Bevollmächtigung der Beklagten mit der Begründung, dass
es einen Fall V../.H. nicht gebe; Rechtsanwalt M. vertrete ihn nicht. An dieser Rüge hielt er auch im
weiteren Verlauf des Verfahrens fest. Die im Einzelnen hierzu vorgetragenen Gesichtspunkte sind rechtlich
abwegig.
39 (5) Schließlich ist bemerkenswert, dass der Kläger versuchte, die von ihm nicht verwendete Fahrkarte, die
ihm das Arbeitsgericht aufgrund seiner Mittellosigkeit zur Fahrt zum Termin am 15. Juli 2016 übersandt
hatte, „zu Geld zu machen“. Er übersandte die Fahrkarte an den Dienstleister des Landes, das Reisebüro
R., und bat um die Überweisung der Fahrtkosten von 199,50 Euro auf sein Konto. Die Erklärungen, die der
Kläger hierzu mit Schriftsatz vom 11. August 2016 hierzu abgeben hat, liegen neben der Sache. Wenn der
Kläger die Fahrkarte nicht verwendet hatte, musste er sie an das Arbeitsgericht bzw. das Reisebüro R.
zurückgeben, ohne hierfür einen Kostenersatz zu erhalten. Wäre der zuständigen Mitarbeiterin des
Reisebüros der Täuschungsversuch des Klägers nicht aufgefallen, so hätte sich der Kläger einen
rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft.
40 cc) Aus allen diesen Umständen schließt die Kammer, dass es dem Kläger bei seiner Bewerbung in
objektiver und subjektiver Hinsicht nicht darum ging, die Stelle tatsächlich zu erhalten. Ein ernsthafter
Bewerber hätte durch aussagekräftige Unterlagen alles daran gesetzt, um seine Bewerbung erfolgreich zu
machen. Der Kläger hat hingegen seine Bewerbung auffällig minderwertig gestaltet, möglicherweise um die
öffentlichen Arbeitgeber dazu zu verleiten, im Bewerbungsverfahren rechtliche "Fehler" zu begehen. Der
Kläger bezweckt vielleicht nicht, wie die Beklagte vermutet, Entschädigungszahlungen zu generieren, weil
er sonst eine Klage nach § 15 Abs. 2 AGG erhoben hätte. Es geht ihm aber darum, die beklagten
öffentlichen Arbeitgeber dadurch zu schädigen, indem sie Aufwand und Kosten für eine Rechtsverteidigung
aufbringen müssen, für die sie vom Kläger wegen § 12a ArbGG keinen Ersatz erlangen können. Schließlich
schreckt er auch nicht davor zurück, die Justiz zu schädigen. Ein solches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich
und nicht mehr vom Zweck des Bewerbungsverfahrensanspruchs gedeckt.
III.
41 Die Entscheidung konnte gemäß § 128 Abs. 4, § 53 Abs. 1 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch
Beschluss des Vorsitzenden ergehen. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Voraussetzungen für
die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.