Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 24.01.2002
LArbG Baden-Württemberg: betriebsrat, strafbare handlung, arbeitsgericht, bindungswirkung, entlassung, bedrängnis, kündigung, versetzung, untersuchungsgrundsatz, bestimmtheit
LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 24.1.2002, 4 TaBV 1/01
Beteiligung des Arbeitnehmers im Verfahren nach § 104 BetrVG
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats (Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2000 -- 19 BV 76/00 --
wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist der Antrag des Betriebsrats an den Arbeitgeber nach § 104
BetrVG, den Beteiligten zu 3 zu entlassen, hilfsweise, ihm die Personalführungsfunktion zu entziehen.
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Auslöser für den Streit zwischen den Beteiligten ist die Auffassung des Betriebsrats, der Beteiligte zu 3 habe
am 10. April 2000 absichtlich dem Arbeitnehmer ... mit einem Silikonspray ins Gesicht gesprüht und dabei bei
diesem eine Hornhautverätzung verursacht. Dieser Sprühangriff des Beteiligten zu 3 habe dazu geführt, dass
von einer großen Zahl der Beschäftigten dessen Entfernung aus dem Betrieb gefordert wurde. Bei dem Vorfall
am 10. April 2000 habe es sich nicht um den einzigen tätlichen Angriff des Beteiligten zu 3 auf einen
Mitarbeiter gehandelt. So habe dieser am 19. April 1999 den Arbeitnehmer ... nach einer Diskussion mit
beiden Händen am Hals gepackt, ihn einige Meter weit geschleift und gewürgt.
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Da auch noch weitere Vorfälle in früheren Jahren sich mit dem Beteiligten zu 3 ereignet hätten, sei nach
Auffassung des Betriebsrats deshalb die Entfernung des Beteiligten zu 3 aus dem Betrieb, jedenfalls aber der
Entzug seiner Personalführungsfunktion geboten, da dieser den Betriebsfrieden durch sein Verhalten
erheblich gestört habe.
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Der Betriebsrat hat beantragt:
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1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, den Arbeitnehmer ... zu entlassen.
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2. Hilfsweise zu 1.: Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, dem Arbeitnehmer ... die Personalführungsfunktion zu entziehen.
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3. Kommt die Arbeitgeberin ihrer Verpflichtung nach Antrag zu 1 bzw. Antrag zu 2 nach rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung nicht
nach, wird ihr für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von DM 500,00 angedroht.
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Antragsgegner und Beteiligter zu 3 haben beantragt:
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Die Anträge werden zurückgewiesen.
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Sie sind dem Vortrag des Betriebsrats entgegengetreten, weil er den Sachverhalt unzutreffend dargestellt habe. Der Beteiligte zu 3 habe
nicht beabsichtigt, dem Arbeitnehmer ... das Mittel Berolid ins Gesicht zu sprühen. Mit diesem habe er sich in der Folgezeit auch geeinigt und
ihm auf dessen Forderung hin einen Betrag von 1.500,00 DM als Schmerzensgeld bezahlt. Unzutreffend sei auch, dass der Arbeitnehmer ...
am Hals gepackt, geschleift und gewürgt worden sei. Schließlich sei auch eine Störung des Betriebsfriedens nicht eingetreten, da ein
Verlangen eines Teils der Belegschaft auf Entfernung des Beteiligten zu 3 nicht vorläge.
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Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, da eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens nach dem Vortrag des Betriebsrats
lediglich Folge des Vorfalls vom 10. April 2000 gewesen sei, nicht aber desjenigen vom 19. April 1999. Nur die wiederholte ernstliche
Störung des Betriebsfriedens könne jedoch die in § 104 BetrVG genannten Maßnahmen rechtfertigen.
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Mit der Beschwerde wendet sich der Betriebsrat gegen diesen Beschluss und verfolgt seine im ersten Rechtszug zurückgewiesenen Anträge
im vollen Umfang weiter. Er rügt in erster Linie die Auslegung des Gesetzes hinsichtlich des Begriffs einer betrieblichen Störung durch das
Arbeitsgericht und bezieht sich auf weitere Vorfälle, die überwiegend schon mehrere Jahre zurückliegen, um darzulegen, dass der Beteiligte
zu 3 häufig Anlass zu erheblichen betrieblichen Störungen gegeben habe. Die weiteren Beteiligten treten auch diesem Vorbringen entgegen
und bitten um die Zurückweisung der Beschwerden.
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Wegen des Vorbringens der Beteiligten in seinen Einzelheiten wird auf die im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze sowie auf die
Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Herrn ..., Herrn ... und Herrn ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf das Sitzungsprotokoll vom 20. September 2001 und vom 10. Januar 2002 verwiesen.
II.
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Die insgesamt zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag des Betriebsrats
zurückgewiesen. Es liegen keine Gründe vor, die den Antrag, den Beteiligten zu 3 zu entlassen, rechtfertigen könnten.
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1. Der Beteiligte zu 3 ist am Verfahren im Sinne des § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt. Zwar ist nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts im Beschlussverfahren nur die Person oder die Stelle zu beteiligen, die in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen
Stellung durch die zu erwartende Entscheidung unmittelbar betroffen oder berührt ist (vgl. etwa BAG, Beschluss vom 13. März 1984 -- 1 ABR
49/82 -- AP § 83 ArbGG Nr. 9). Etwas anderes gilt nur, wenn im Gesetz, wie etwa in § 103 BetrVG, eine besondere Regelung vorgesehen ist.
Dies ist im Verfahren nach § 104 BetrVG nicht geschehen. In seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung ist aber der Arbeitnehmer,
dessen Entlassung oder Versetzung vom Betriebsrat begehrt wird, nicht betroffen. In der Literatur ist streitig, ob im Verfahren nach § 104
BetrVG der betroffene Arbeitnehmer die Stellung eines Beteiligten im Sinne des § 83 Abs. 3 ArbGG innehat (vgl. die Zusammenstellung bei
GK-Kraft, BetrVG § 104 Anm. 12). Eine Begründung im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu
den Voraussetzungen der Beteiligtenfähigkeit wird nicht weiter gegeben, soweit diese im Verfahren nach § 104 BetrVG bejaht wird. Wird die
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht auch für den vorliegenden Fall für einschlägig gehalten, wäre der Arbeitnehmer nicht zu
beteiligen.
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Nach diesseitiger Auffassung liegt in § 104 BetrVG eine Parallele zu § 103 BetrVG vor, die es gebietet, die dortigen Verfahrensgrundsätze
auch auf das vorliegende Verfahren zu übertragen, auch wenn der Gesetzgeber in § 104 BetrVG zur Frage der Beteiligung des betroffenen
Arbeitnehmers geschwiegen hat und darüber hinaus die systematische Stellung dafür sprechen könnte, dass der Gesetzgeber gerade nicht
von der Beteiligtenfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers ausgeht; denn schließlich handelt es sich bei dem zu entlassenden Arbeitnehmer
in § 103 BetrVG um ein Betriebsratsmitglied, so dass er im Falle der dort bezeichneten Personalmaßnahmen auch in seiner
betriebsverfassungsrechtlichen Stellung betroffen ist. Sie führt ja auch zum Verlust dieses Amtes. Von daher hätte es aber der besonderen
Erwähnung des Arbeitnehmers nicht notwendigerweise bedurft. Hintergrund für die gesetzliche Anordnung seiner Beteiligung ist aber, dass
das Verfahren nach § 103 BetrVG präjudiziell für einen nachfolgenden individualrechtlichen Streit über die Berechtigung der Maßnahme des
Arbeitgeber ist. Deshalb muss dem betroffenen Arbeitnehmer bereits im Beschlussverfahren die Möglichkeit eröffnet werden, alle Rechte
eines Beteiligten im Verfahren wahrzunehmen, um eine ihm nachteilige Entscheidung zu vermeiden. Er kann deshalb nicht lediglich Objekt
des Verfahrens sein, sondern muss, soll seine individualrechtliche Stellung nicht unzumutbar verkürzt werden, alle Rechte eines
Verfahrenssubjekts zugebilligt bekommen. Nur dann lässt sich rechtfertigen, dass das Beschlussverfahren mit seinen weitergehenden
Möglichkeiten der Sachaufklärung für den etwa nachfolgenden Individualrechtsstreit präjudiziell ist.
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Dasselbe gilt auch für das Verfahren nach § 104 BetrVG: Dieses Verfahren hat nur dann einen Sinn, wenn der Betriebsrat die Maßnahme
auch effektiv und nicht nur durch ein formales Rechtsgeschäft, zu dem er den Arbeitgeber durch Zwangsgeld zwingen kann, durchsetzen
kann, soweit er sie zu Recht verlangt. Sollte keine Bindungswirkung für das nachfolgende individualrechtliche Verfahren zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen, hätten diese es in der Hand, durch ein dementsprechendes prozesstaktisches Verhalten das etwa
berechtigte Verlangen des Betriebsrats zu unterlaufen. Dies ist auch im Falle einer Bindungswirkung nicht ganz ausgeschlossen, aber
erschwert, weil jedenfalls die Umstände, die zu dem zu Gunsten des Betriebsrats ergangenen Beschluss geführt haben, der personellen
Maßnahme nicht mehr entgegengehalten werden können. Besteht aber eine Bindungswirkung, kann der betroffene Arbeitnehmer in seinen
prozessualen Möglichkeiten, sich gegen die Vorwürfe des Betriebsrats zur Wehr zusetzen, nicht dadurch eingeschränkt werden, dass er
nicht alle prozessualen Möglichkeiten bereits im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit voll ausschöpfen kann. Die
Beteiligung des Arbeitnehmers ist nach diesseitiger Auffassung somit bereits nach den Grundprinzipien eines effektiven Rechtsschutzes
geboten. Hier ist eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass nur derjenige im Beschlussverfahren zu beteiligen ist, der in seiner
betriebsverfassungsrechtlichen Stellung betroffen ist.
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2. Die vom Betriebsrat verlangte Maßnahme ist aber in der Sache nicht gerechtfertigt, so dass sein Antrag vom Arbeitsgericht zu Recht
zurückgewiesen worden ist. Die von § 104 BetrVG erforderten Umstände sind vorliegend nicht erfüllt.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob das Merkmal einer Störung des Betriebsfriedens vorliegend auch hinsichtlich des Vorfalls vom 19. April
1999 gegeben ist. Hinsichtlich des Vorfalls vom 10. April 2000 wäre dies möglicherweise bereits deshalb der Fall, weil sich nach bestrittener
Darlegung des Betriebsrats 20 Arbeitnehmer über das Verhalten des Beteiligten zu 3 beschwert haben sollen. Dabei kann dem Betriebsrat
insoweit zugegeben werden, dass eine solche Störung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht erst dann vorliegt, wenn
eine größere Anzahl von Arbeitnehmern von dem beanstandeten Verhalten des Arbeitnehmers betroffen ist. Der Betriebsfrieden als ein die
Gemeinschaft aller Betriebsangehörigen umschließender Zustand ist immer dann gestört, wenn das störende Ereignis einen kollektiven
Bezug aufweist (vgl. BAG, Urteil vom 18. November 1980 -- 1 ABR 87/78 -- AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 3), mögen unmittelbar
hiervon auch nur wenige Arbeitnehmer betroffen sein. Um eine Störung des Betriebsfriedens anzunehmen, ist es nicht erforderlich, dass die
gesamte oder die Mehrheit der Belegschaft oder ganze Betriebsabteilungen über einen Vorgang im Betrieb in Unruhe geraten, in Empörung
ausbrechen oder ihren Unmut in spontanen Kundgebungen äußern (vgl. BAG, Urteil vom 09. Dezember 1982 -- 2 AZR 620/80 -- AP § 626
BGB Nr. 73). Ob also der Betriebsfrieden nur dann ernstlich gestört ist, wenn eine erhebliche Beunruhigung einer beachtlichen Anzahl von
Arbeitnehmern eingetreten ist (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 15. Oktober 1993. -- 13 TaBV 36/93 -- NZA 1994, 431; LAG Hamm, Urteil vom
11. November 1994 -- 10 (19) Sa 100/94 -- BB 1995, 678), könnte nach der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts fraglich sein,
ist hier aber nicht zu entscheiden. Denn es steht nach Durchführung der Beweisaufnahme bezüglich des Vorfalls vom 10. April 2000
keineswegs fest, dass der Beteiligte zu 3, wie der Betriebsrat meint, mit erheblicher krimineller Energie unter grober Verletzung der
Menschenwürde eine strafbare Handlung im Sinne des § 104 BetrVG begangen hätte. Ein Verstoß gegen Grundsätze der Gleichbehandlung
im Sinne des § 75 BetrVG liegt ersichtlich nicht vor. Ist dies aber nicht der Fall, kann dahingestellt bleiben, was sich im Einzelnen am 19. April
1999 ereignet hat, weil es dann nämlich am Merkmal der wiederholten Störung des Betriebsfriedens durch eine, wie es der Betriebsrat
darstellt, ungeregelte Lösung eines Konflikts fehlt.
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Die Tatsache, dass der Betriebsrat im Beschwerderechtszug weitere tätliche Auseinandersetzungen und Beleidigungen aus den Jahren
1989 bis 1997 zur Ergänzung seines Vortrags anführt, kann hieran nichts ändern, weil der vorliegende Antrag ersichtlich nicht mit Vorfällen
begründet wird, deren letzter maßgeblicher sich bereits im April des Jahres 1999 abgespielt hat. Es fehlt in diesem Fall an jedem inneren
Zusammenhang zu der vom Betriebsrat angestrebten Maßnahme. Eine Kündigung, die zum Zeitpunkt der Antragstellung, wenn von diesem
auszugehen ist, ausgesprochen werden soll, kann nicht mehr mit einem Sachverhalt begründet werden, der schon länger als ein Jahr
zurückliegt, wenn kein neuer relevanter Sachverhalt hinzugekommen ist. Es fehlt dann auch im Bereich des § 104 BetrVG an einer
ursächlichen Beziehung zwischen Kündigung und Kündigungsanlass. Der Betriebsrat hat vorliegend auch diesen Sachverhalt noch nicht als
Anlass genommen, vom Arbeitgeber die fraglichen personellen Maßnahmen zu verlangen. Maßgeblich ist für die Frage, ob das Verlangen
des Betriebsrats zu Recht besteht, der Sachverhalt, den der Betriebsrat für seine Entscheidung als relevant erachtet hat. Es kommt nicht
darauf an, ob objektiv hinreichender Anlass dafür besteht, dass die fragliche Maßnahme ergriffen wird, sondern ob der vom Betriebsrat für
maßgeblich erachtete Sachverhalt gegeben ist. Er hat insoweit das Initiativrecht, das die Frage betrifft, wie der Sachverhalt beschaffen sein
muss, der den Betriebsrat zu seinem Antrag veranlasst hat. Dieser Umstand unterliegt nicht dem Untersuchungsgrundsatz des
Beschlussverfahrens, der nur die Frage betrifft, ob der maßgebliche Sachverhalt tatsächlich vorliegt. Vielmehr hat der Betriebsrat in diesem
Verfahren die Verfügungsherrschaft darüber, ob und aus welchem Grund er ein Verfahren einleiten möchte. Der Untersuchungsgrundsatz
hat hier also, die Schlüssigkeit des vom Betriebsrat vorgebrachten Begehrens vorausgesetzt, Bedeutung für die Frage, ob der vom
Betriebsrat für maßgeblich erachtete Sachverhalt besteht, nicht hingegen für die Frage, ob ein Sachverhalt besteht, der sein Verlangen
rechtfertigen kann. Wenn also insbesondere der Sachverhalt, den der Betriebsrat zum Anlass für sein Verlangen genommen hat, nicht
besteht, oder wenn Umstände vorliegen, die die vom Betriebsrat vorgenommene Bewertung nicht rechtfertigen können, fehlt es an dem
Sachverhalt, auf den der Betriebsrat seinen Antrag gestützt hat und mit dem er die von ihm verlangten Maßnahmen rechtfertigen möchte.
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Nach der Beweisaufnahme besteht kein Anlass zur Annahme, der Beteiligte zu 3 habe ein kriminelles Verhalten an den Tag gelegt. Weder
von der Verletzungsfolge noch von der Art der Ausführung her kann angenommen werden, der Beteiligte zu 3 habe sich sadistisch oder
brutal verhalten und so eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens herbeigeführt. Aus der Aussage des Zeugen Herrn ... ergibt sich, dass
die gesundheitliche Folge sich im Wesentlichen in einer Irritation oder Reizung der Augen erschöpfte. Nichts anderes ergibt sich auch aus
dem vom Betriebsrat vorgelegten Sicherheitsdatenblatt. Dass das verwendete Mittel als Ursache für schwerwiegende Schäden für das
Augenlicht anzusehen gewesen wäre, wurde von keinem der am Geschehen beteiligten Arbeitnehmer angenommen. Auch der Zeuge
erklärte, dass er den Spray stets ohne besondere Schutzmaßnahmen verwendete. Die Kopfschmerzen in der Folge sind nicht mit
Bestimmtheit auf die Augenreizung zurückzuführen. Weder der Zeuge noch der Arzt konnten die Ursache eindeutig zuordnen. Bei ihnen
handelte es sich auch nur um eine kurzfristige Erscheinung.
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Was den Handlungsablauf selbst betrifft, behauptet nicht einmal der Geschädigte bei der Beweisaufnahme, dass der Beteiligte zu 3 mit einer
niedrigen Gesinnung zu Werke gegangen sei. Vielmehr lässt es auch seine Aussage offen, ob der Beteiligte zu 3 überhaupt die Absicht
hatte, ihm ins Gesicht und insbesondere in die Augen zu sprühen. Andererseits kommt seiner Aussage zum Ausdruck, dass er keinerlei
Problembewusstsein entfaltet hat, dass er mit seiner Tätigkeit zu einer unzumutbaren Belästigung eines Arbeitskollegen beigetragen hat.
Insbesondere konnte er nicht ausschließen, dass er mehrfach von dem belästigten Kollegen wie auch vom Beteiligten zu 3 aufgefordert
wurde, mit dem Einsprühen der Gummidichtung aufzuhören. Dass der Zeuge Herr ... eine besonders leise Stimme hätte, wie Herr ... bei
seiner Vernehmung ausführte, hat sich bei der Vernehmung Herrn ... nicht gezeigt. Hinzu kommt, dass beide sehr nahe beieinander
gestanden sind und es deshalb auch keiner großen Lautstärke bedurfte. Der Zeuge Herr ..., der einen größeren Abstand zum Geschehen
hatte, hat in diesem Zusammenhang bestätigt, dass Herr ... mehrfach aufgefordert wurde, mit dem Sprühen aufzuhören. Unabhängig davon,
dass auch Herr ... davon sprach, Herrn ... mehrfach zur Beendigung des Sprühens aufgefordert zu haben, geht also auch schon aus den
Aussagen der Zeugen Herrn ... selbst wie auch Herrn ... hervor, dass Herr ... trotz entsprechender Aufforderungen weitergesprüht und den
Zeugen Herrn ... durch den Sprühnebel beeinträchtigt hat.
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Die Aussagen dieser beider Zeugen, was den äußeren Geschehensablauf anbelangt, stimmen im Wesentlichen überein. Aus der Aussage
Herrn ... ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, aus der Aussage Herrn ... die Tatsache, dass der Beteiligte zu 3 seinem Mitarbeiter, dem Zeugen
Herr ... beispringen wollte und sich über die Rücksichtslosigkeit des Vorgehens, das Herr ... an den Tag legte, empörte. Ungeachtet dessen,
ob dieser die mehrmalige Aufforderung gehört hat oder nicht, entstand jedenfalls objektiv der Eindruck, er kümmere sich nicht um die
entsprechenden Hinweise und ihm seien die Belange Herrn ... gleichgültig. Das Verhalten des Beteiligten zu 3 stellt sich mithin als
Nothilfeexzess dar. Für die Zuverlässigkeit der diesbezüglichen Aussage des Zeugen Herrn ... spricht insoweit, dass er als Betroffener keine
Veranlassung hatte, das Verhalten des Beteiligten zu 3 zu beschönigen. Gleichwohl hat er nicht die Behauptung des Betriebsrats bestätigt,
dass der Beteiligte zu 3 ihm, dem Zeugen, gezielt ins Gesicht oder gar in die Augen gesprüht hätte. Er hat auch eingeräumt, dass er
möglicherweise mehrfach dazu aufgefordert worden ist, mit dem Sprühen aufzuhören. Zuverlässig erscheint auch die Aussage Herrn ... der
ersichtlich bemüht war, nur das zu schildern, was er wahrgenommen hat und keine Schlussfolgerungen vorzutragen. Da sich die
Schilderungen beider Zeugen nahtlos ineinander fügen, spricht sehr viel dafür, dass sich der Vorfall in der beschriebenen Weise zugetragen
hat.
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Dem steht auch nicht die Aussage des Zeugen Herrn ... entgegen. Zwar mag er den Vorfall, soweit es die Reaktion des Beteiligten zu 3
betrifft, etwas milder dargestellt haben als er sich tatsächlich zugetragen hat. Denn immerhin hat auch der Zeuge Herr ... die Worte des
Beteiligten zu 3 gehört: "So ist es, wenn man angesprüht wird." Es scheint auch physikalisch nicht sehr wahrscheinlich, dass aus der
Sprühdose noch weiter, sozusagen spontan, ein Sprühnebel in Richtung auf den Zeugen Herrn ... entweicht, wenn nicht der Beteiligte zu 3
den Sprühmechanismus tatsächlich noch weiter betätigt hat. Aber ansonsten passen auch seine Angaben zu den Aussagen der beiden
anderen Zeugen, zumal er sich bemüht hat, die örtlichen Verhältnisse für alle Verfahrensbeteiligten deutlich zu machen. Dass diese
Angaben falsch gewesen wären, hat insoweit auch nicht der Betriebsrat behauptet.
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Bei Auswertung der Zeugenaussagen ergibt sich deshalb, dass es sich um ein spontanes Augenblicksversagen des Beteiligten zu 3
gehandelt hat, das nicht aus gehässigen oder aggressiven Motiven gespeist war. Vielmehr hat sich in ihm eine große Empörung über die
Rücksichtslosigkeit des Zeugen Herrn ... angestaut, die eruptiv zu Tage trat, als aus seiner Sicht der Zeuge Herr ... trotz mehrfacher
Aufforderung nicht davon Abstand nahm, den Zeugen Herrn ... in Bedrängnis zu bringen, der, weil er die fragliche Scheibe halten musste
und nicht loslassen konnte, dem rücksichtslosen Verhalten Herrn ... wehrlos ausgeliefert war. Sonach war die Motivationslage, wenn der
Beteiligte zu 3 seinem Mitarbeiter in dessen Bedrängnis beistand, eher ehrenhaft, auch wenn die von ihm ergriffene Maßnahme verfehlt war,
wenn er nach dem biblischen Prinzip des "Auge um Auge, Zahn um Zahn" Herrn ... eben das zufügte, was dieser Herrn ... angetan hat. Aus
einem solchen Augenblicksversagen, das dem Bemühen entstammte, einem in Bedrängnis geratenen Mitarbeiter zur Seite zu springen,
kann nicht ein derart weitreichender Schluss gezogen werden, wie dies der Betriebsrat getan hat. Nicht einmal, dass er dem Zeugen ...
absichtlich in die Augen oder ins Gesicht gesprüht hat, hat sich in der Beweisaufnahme als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ergeben, da auch der Betroffene eine derartige Behauptung nicht mit Bestimmtheit aufstellen konnte und der unbeteiligte Zeuge Herr ... nur
eine Äußerung des Beteiligten zu 3 des Inhalts berichtet, dass Herr ... erkennen könne, wie es sei, wenn man angesprüht wird.
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Das Verhalten der Beteiligten zu 3 muss auch noch unter dem Aspekt gewürdigt werden, dass er dem von ihm beeinträchtigten Zeugen
Herrn ... das von diesem geforderte Schmerzensgeld bezahlt hat. Auch daraus ergibt sich, dass der Beteiligte zu 3 nicht uneinsichtig ein
aggressives Verhalten an den Tag gelegt hat und dies auch noch zu rechtfertigen sucht, sondern dass er dem Geschädigten Abbitte geleistet
hat. Auch dies ist ein Friedenszeichen, mit dem er sich von seinem Gewaltausbruch distanziert hat. Dies wäre in dem Fall, dass überhaupt
eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens anzunehmen wäre, zu Gunsten des Beteiligten zu 3 zu würdigen. Ob außerdem die lange
Betriebszugehörigkeit des Beteiligten zu 3 einer Kündigung entgegengestanden hätte -- er hat schließlich sein gesamtes Berufsleben bei
der Beteiligten zu 2 zugebracht -- muss bei diesem Beweisergebnis nicht mehr entscheidend in Erwägung gezogen werden. Jedenfalls ist
der fragliche Vorfall weit davon entfernt, als allerdings gesetzwidriges Verhalten eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens darzustellen,
wenn der Beteiligte zu 3 in verfehlter Weise die Rechte eines seiner Mitarbeiter zu schützen versucht, ohne dass er dies zum Anlass oder
Vorwand nahm, eine aggressive oder gar sadistische Neigung auszuleben. Dafür spricht nach der Beweisaufnahme nichts.
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Auch der weiter vom Betriebsrat ins Feld geführte Sachverhalt, nämlich der Vorwurf, der Beteiligte zu 3 habe in dem Büroraum, in dem er mit
einigen weiteren Arbeitnehmern tätig ist, ein Fenster zugeschraubt und damit im Katastrophenfall Fluchtmöglichkeiten blockiert, kann den
Hauptantrag nicht rechtfertigen. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, inwieweit ein Gesetzesverstoß vorliegen soll. Jedenfalls ist nicht
ersichtlich, dass überhaupt eine erhebliche Pflichtverletzung vorliegt, wenn es in dem Büroraum noch weitere zwei Fenster gibt, die ohne
weiteres zu öffnen sind. Dies ist nach dem Vortrag der Beteiligten unstreitig, nachdem der Betriebsrat zunächst behauptet hatte, der
Beteiligte zu 3 habe alle drei Fenster zugeschraubt. Eine nennenswerte Beeinträchtigung der Sicherheit ist angesichts der örtlichen
Verhältnisse (zwei zu öffnende Fenster, zwei Türen, durch die der Büroraum verlassen werden kann) nicht anzunehmen. Insoweit fehlt es
aber ersichtlich auch am Vorliegen einer Störung des Betriebsfriedens, da sich lediglich nach Darstellung des Betriebsrats, die allerdings
von den weiteren Beteiligten in Abrede gestellt wird, nur einer von insgesamt vier dort beschäftigten Arbeitnehmern beschwert haben soll.
Insofern fehlt es weiterhin auch an einer kollektiven Dimension, die nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Merkmal des Tatbestands
einer Störung des Betriebsfriedens ist. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit durch solch ein Verhalten, seine Rechtswidrigkeit, für die allerdings
nichts spricht, unterstellt, die betriebliche Verbundenheit der Arbeitnehmer untereinander und im Verhältnis zum Arbeitgeber beeinträchtigen
soll, zumal die fragliche Beeinträchtigung, soweit überhaupt eine vorlag, unschwer und ohne Folgen wieder beseitigt werden kann. Auf die
Frage, ob Umstände vorlagen, die die Maßnahme des Beteiligten zu 3 wegen Belastungen durch Abgase von Fahrzeugen, die vor den
Fenstern mit laufenden Motoren zu stehen pflegen, sogar geboten haben könnten, kommt es nicht mehr an.
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Nach allem ist der Hauptantrag unbegründet, so dass der Hilfsantrag zur Entscheidung angefallen ist. Dieser ist aber nicht statthaft, weil §
104 BetrVG neben der Entlassung nur die Versetzung des Arbeitnehmers, nicht hingegen eine bestimmte Maßnahme, zum Gegenstand
eines möglichen Antrags des Betriebsrats macht. Auf den entsprechenden Hinweis der Beteiligten zu 2 hat sich der Betriebsrat nicht
eingelassen. Dafür, dass der Betriebsrat eine ganz konkrete Maßnahme beantragen und im Verfahren nach § 104 BetrVG durchsetzen
können soll, gibt es aus der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge keinen Anhaltspunkt. Bei diesem Ergebnis ist nicht mehr zu erörtern, dass
das Verhalten des Beteiligten zu 3 im Verhältnis zum Zeugen ... nichts mit seiner Vorgesetztentätigkeit zu tun hatte und dass im Übrigen die
Umstände, die eine Entlassung nicht rechtfertigen konnten, auch dem Versetzungsverlangen des Betriebsrats entgegenstehen.
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Deshalb hat das Arbeitsgericht den Antrag zu Recht zurückgewiesen, so dass auch die Beschwerde des Betriebsrats keinen Erfolg hat.
31
Pfitzer
32
Kübler
33
Löhle