Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 03.04.2002

LArbG Baden-Württemberg: pauschalsteuer, rechtshängigkeit, innenverhältnis, vergütung, arbeitsgericht, akte, wahlrecht, arbeitsentgelt, ermessen, auflage

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 3.4.2002, 17 Sa 61/01
Übernahme der Pauschalsteuer gem. § 40a EStG durch den Arbeitgeber
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart am 12.06.2001 - 17 16 Ca 9878/00 - wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um der Höhe nach unstreitige Restlohnansprüche des Klägers für Dezember 1999 bis Dezember 2000 in Höhe der seitens
der Beklagten abgeführten Lohn- und Kirchensteuer.
2
Der 1966 geborene Kläger ist seit 15.11.1994 neben einer anderweitigen Hauptbeschäftigung ganz überwiegend als geringfügiger Beschäftigter
angestellt. Gemäß Ziff. 4 des Arbeitsvertrages vom 03.09.1994 (ABl. 48 ff. der erstinstanzlichen Akte) erhält der Arbeitnehmer ein monatliches
"Bruttogehalt". Gemäß Ziff. 13 dieses Vertrags richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für das
Gaststätten- und Hotelgewerbe Baden-Württemberg. Vertragsänderungen bedürfen der Schriftform. Mündliche Vereinbarungen über die
Aufhebung der Schriftform sind nichtig.
3
Von Beginn des Arbeitsverhältnisses an führte die Arbeitgeberin wie auch bei den übrigen geringfügig Beschäftigten Pauschalsteuer gemäß § 40
a) EStG an das Finanzamt ab, ohne diese vom Lohn des Klägers einzubehalten. Lediglich in den Monaten, in denen der Verdienst des Klägers
die Geringfügigkeitsgrenze überstieg (im Einzelnen ABl. 45 der Berufungsakte), behielt die Arbeitgeberin Lohnsteuer nach Klasse VI vom
Bruttolohn des Klägers ein.
4
Durch Gesetz vom 24.03.1999 (BGBl. I,388) wurden auch geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Die
Arbeitgeberin nahm dieses Gesetz zum Anlass, die Besteuerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse neu zu regeln. In Absprache mit
dem Betriebsrat, dessen Vorsitzender der Kläger seinerzeit war, übernahm die Arbeitgeberin für eine Übergangszeit noch bis zum 31.08.1999
die Pauschalsteuer gemäß § 40 a) EStG. Eine Vereinbarung über die Verlängerung dieser Regelung scheiterte. Ab 01.09.1999 wurde den
geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern deshalb Lohnsteuer und Kirchensteuer nach Klasse VI vom Lohn einbehalten.
5
Durch Beschluss vom 29.11.1999 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und angeordnet, dass Verfügungen der
Schuldnerin (Arbeitgeberin) nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, vgl. ABl. 53 f. der
erstinstanzlichen Akte). Am 29.02.2000 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet (ABl. 12 f. der
erstinstanzlichen Akte). Die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Forderungen hat der Kläger inzwischen gemäß § 174
Insolvenzordnung zur Tabelle angemeldet. Sie wurden vom Insolvenzverwalter bestritten.
6
Der Kläger ist der Auffassung, die Arbeitgeberin sei auch nach dem 01.09.1999 nicht berechtigt, Steuern vom Lohn einzubehalten. Die
Übernahme der Pauschalsteuer im Innenverhältnis sei von Anfang an Vertragsinhalt gewesen, welcher durch die jahrelange vorbehaltslose
Praxis bestätigt worden sei. Eine Vertragsänderung im Sinne der Ziff. 13 des Arbeitsvertrages liege deshalb nicht vor. Da das Gesetz vom
24.03.1999 die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nicht angetastet habe, sei auch die Geschäftsgrundlage nicht entfallen. Die
Sozialversicherungspflicht treffe beide Parteien gleichermaßen.
7
Mit beim Arbeitsgericht Stuttgart am 31.03.2000 eingegangener Klage hat der Kläger deshalb zunächst restliche Vergütung für Dezember 1999
bis Februar 2000 in Höhe von DM 459,15 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit gefordert. Mit Klagerweiterung vom 23.04.2001 wurden für
März, November und Dezember 2000 weitere DM 260,36 netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gemäß
§ 1 Diskontüberleitungsgesetz seit Rechtshängigkeit eingeklagt.
8
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Lohnsteuer im Zweifel vom Arbeitnehmer zu
tragen sei. Eine ausdrückliche Übernahme der Pauschalsteuer durch den Arbeitgeber sei nicht vereinbart worden. Einer stillschweigenden
Übernahme stehe die qualifizierte Schriftformklausel gemäß Ziff. 13 des Arbeitsvertrages entgegen. Da die Übernahme der Pauschalsteuer im
Ermessen des Arbeitgebers stehe, könne er in jedem Veranlagungszeitraum neu darüber befinden, weshalb eine betriebliche Übung nicht habe
entstehen können. Schließlich habe der Kläger den am 19.04.1999 erklärten Vorbehalt der Arbeitgeberin widerspruchslos hingenommen.
9
Gegen das am 08.08.2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 10.09.2001 (Montag) eingelegten und nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist am 12.11.2001 rechtzeitig ausgeführten Berufung.
10 Er beantragt zuletzt
11 unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.06.2001, Az.: 16 Ca 9878/00 wird
12 (1) festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger
13 1. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Dezember 1999 in Höhe von DM 153,26 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu
bezahlen,
14 2. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Januar 2000 in Höhe von DM 151,28 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu
bezahlen,
15 3. restliche Vergütung für den Abrechnungszeitraum Februar 2000 in Höhe von DM 154,61 sowie 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu
bezahlen
16 (2) der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere DM 260,36 netto sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
gemäß § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
17 Die Beklagte beantragt
18 die Zurückweisung der Berufung.
19 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten
Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
20 Die gemäß § 64 Abs. 2 a) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im
Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers war deshalb auf seine Kosten zurückzuweisen.
I.
21 Soweit der Kläger die Feststellung der Forderung gemäß § 179 Abs. 1 InsO betreibt, ist die Klage bereits unzulässig. Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2
InsO sind auch Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis Masseverbindlichkeiten, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von
ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es insoweit auf den
Übergang der Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht an. Einer allgemeinen
Feststellungsklage fehlt es deshalb am Feststellungsinteresse, weil der Insolvenzverwalter auf die Leistung direkt in Anspruch genommen
werden kann.
II.
22 Soweit der Kläger für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit einklagt, ist die Klage unbegründet.
23 1. Dem Kläger steht der der Höhe nach unstreitige restliche Entgeltanspruch über DM 260,36 für die Monate März, November und Dezember
2000 nicht zu. Dieser ist dadurch erfüllt, dass der Beklagte die auf den Bruttolohnanspruch des Klägers entfallenen Steuern nach
Lohnsteuerklasse VI an das Finanzamt abgeführt hat. Der Anspruch ist deshalb gemäß § 362 Abs. 2 BGB erloschen.
24
a) Der Kläger behält zwar seinen Erfüllungsanspruch, soweit der Arbeitgeber zuviel Steuern einbehält (Preis, Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 2 Auflage 2001, § 611 Rdnr. 708). Die Parteien streiten im vorliegenden Fall jedoch nicht um die Höhe der einbehaltenen
Steuer, sondern um die Frage, wer diese im Innenverhältnis zu tragen hat.
25
b) Unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt nach den allgemeinen Vorschriften oder pauschal gemäß § 40 a) EStG versteuert wird, ist
grundsätzlich der Arbeitnehmer der Steuerschuldner (BAG, Urteil vom 05.08.1987, 5 AZR 22/86, AP Nr. 2 zu § 40 a) EStG, NZA 1988, 157).
Wer im Innenverhältnis die Steuern zu tragen hat, ist im Arbeitsvertrag zu regeln bzw. durch Auslegung des Arbeitsvertrages zu ermitteln
(Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Auflage 2000, § 71 V c, Rdnr. 110). Im vorliegenden Fall ist dies der Kläger.
26
(1) Der Arbeitsvertrag vom 03.09.1994 enthält diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung dahingehend, dass der Arbeitgeber die
Steuern trägt. Die Arbeitgeberin hat allerdings, soweit dies zulässig war, von Anfang an die auf das Arbeitsentgelt zu entrichtende
Pauschalsteuer gemäß § 40 a) EStG abgeführt, ohne sie vom Lohn des Klägers einzubehalten. Daraus ist jedoch im vorliegenden Fall
keine Verpflichtung auch für die Zukunft entstanden.
27
(2) Die Kammer geht zwar grundsätzlich davon aus, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Übernahme der Pauschalsteuer im
Innenverhältnis auch durch betriebliche Übung begründet werden kann (LAG Köln, Urteil vom 25.01.2001, 10 Sa 1040/00,). Der
Anwendungsbereich der betrieblichen Übung ist weitgesteckt. Selbst wenn dem Arbeitgeber gemäß § 40 a) Abs. 2 EStG ein Wahlrecht
im Bezug auf die Besteuerung des Arbeitseinkommens zusteht, kann er sein Ermessen insoweit binden. Auch der Umstand, dass der
Arbeitnehmer seinerseits jederzeit die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften verlangen kann (BAG, Urteil vom 05.08.1987,
aaO.; Urteil vom 22.06.1978, 3 AZR 156/77, AP Nr. 1 zu § 40 a) EStG, DB 1978, 2081), widerspricht dem nicht. Zwar bindet eine
betriebliche
28
Übung grundsätzlich beide Vertragspartner. Ein solches Wahlrecht des Arbeitnehmers führt jedoch zu keiner weitergehenden
Verpflichtung des Arbeitgebers und steht deshalb einer betrieblichen Übung bezüglich der Übernahme der Pauschalsteuer durch
den Arbeitgeber nicht entgegen.
29
(3) Im vorliegenden Fall ist ein Vertrauen des Arbeitnehmers jedoch von vorneherein dadurch ausgeschlossen gewesen, dass die
Parteien im Arbeitsverhältnis ausdrücklich eine "Bruttolohn" - Vereinbarung getroffen haben. Dadurch ist der Arbeitgeber nicht nur
grundsätzlich berechtigt, Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten. Die Vereinbarung bewirkt hier vergleichbar
einem Vorbehalt in Bezug auf die Freiwilligkeit einer Leistung, dass der Arbeitgeber für jeden Bezugszeitraum neu entscheiden
kann, ob er dem Arbeitnehmer die Leistung weiter zukommen lassen will. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass eine
betriebliche Übung grundsätzlich nur dann entstehen kann, wenn der Vertrag nichts bzw. nichts Gegenteiliges regelt. Ein
zusätzlicher Vorbehalt war darüber hinaus hier deshalb nicht erforderlich.
30
(4) Ob die Schriftformklausel gemäß Ziff. 13 des Arbeitsvertrages dem Entstehen einer betrieblichen Übung hier entgegensteht,
konnte deshalb ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob durch widerspruchslose Hinnahme des Vorbehalts vom 19.04.1999 eine
abändernde betriebliche Übung entstanden ist. Gegen Letzteres spricht allerdings der Umstand, dass der Kläger in seiner
Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzender mit der Arbeitgeberin über den Fortbestand der bisherigen Regelung in Verhandlung stand
und insoweit ein Vertrauen der Arbeitgeberin nicht entstehen konnte. Auf die Frage, ob durch das Gesetz vom 24.03.1999 die
Geschäftsgrundlage für die Übernahme der Pauschallohnsteuer durch die Arbeitgeberin entfiel, bedurfte vorliegend keine
Entscheidung.
31
c) Ob die Arbeitgeberin den Kläger in Innenverhältnis nur mit der Pauschalsteuer gemäß § 40 a) EStG oder wie hier mit der Lohnsteuer
nach Klasse VI belasten durfte, bedurfte ebenfalls keine Entscheidung. Der Kläger hat insoweit nicht dargelegt, dass ihm der Abzug nach
Lohnsteuerklasse VI - ggf. unter Berücksichtigung des Lohnsteuerjahresausgleichs - höher belastet, als die Pauschalsteuer gemäß § 40 a)
EStG.
32 2. Eventuelle Schadensersatzansprüche des Klägers, die aus der möglicherweise falschen Besteuerung des Einkommens resultieren könnten,
sind nicht Streitgegenstand.
III.
33 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
34 Dr. Auweter,..... Streppel,..... Waning-Kölling,.....