Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 10.11.2003
LArbG Baden-Württemberg: wirtschaftliche identität, sozialplan, arbeitsgericht, feststellungsklage, begriff, vergütung, betriebsrat, bezahlung, beendigung, rechtsberatung
LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 10.11.2003, 3 Ta 153/03
Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Werts bei hilfsweise eingeklagtem Anspruch nach § 113 Abs 1 und 3 BetrVG
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2003 - 1 Ca 12795/02 - wird
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Gebührenstreitwert auf 71.100,00 EUR festgesetzt wird.
Gründe
1
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Festsetzung des Gebührenstreitwerts im Wertfestsetzungsbeschluss des
Arbeitsgerichts nach § 25 Abs. 2 GKG. Das Ausgangsverfahren hat durch Prozessvergleich geendet.
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Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine Kündigungsschutzklage gegen eine betriebsbedingte Kündigung, eine weitere
Feststellungsklage, die auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungstermin hinaus gerichtet war, und für den Fall der
Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung (gemeint war wohl der Fall der Abweisung der Feststellungsklagen) ein Hilfsantrag auf Bezahlung
einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG. Damit strebte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zu einer Abfindung in Höhe des
Höchstsatzes, also in Höhe von 15 Monatsverdiensten (71.100,00 EUR) an. Im angefochtenen Beschluss hat das Arbeitsgericht den Wert für die
Klageanträge auf insgesamt 64.540,00 EUR festgesetzt. Dieser Betrag setzt sich aus der Höhe der Vergütung für ein Kalendervierteljahr für den
Feststellungsantrag und der Differenz zwischen dem mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Abfindungsbetrag abzüglich des Betrags, den der
Kläger nach einem nach Klageerhebung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarten Sozialplan zu beanspruchen hat, zusammen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Er will die Festsetzung des
Gebührenwerts nur in Höhe der Vergütung für ein Kalendervierteljahr erreichen, weil nach § 12 Abs. 7 Satz, letzter Satzteil ArbGG der Wert einer
Abfindung nicht hinzuzurechnen sei. Die weiteren Beteiligten haben sich in diesem Verfahren nicht geäußert.
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II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Eine Herabsetzung des Gebührenstreitwerts kommt nicht in Betracht. Allerdings ist der
Gebührenstreitwert nach § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG neu festzusetzen.
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Beide Feststellungsanträge sind jeweils in Höhe des Einkommens des Beschwerdeführers für ein Kalendervierteljahr (14.220,00 EUR) zu
bewerten.
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Der Abfindungsanspruch (Hilfsantrag) ist in Höhe von 71.100,00 EUR zu bewerten, weil der Anspruch aus dem Sozialplan jedenfalls deshalb,
weil dieser erst nach Klageerhebung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart worden ist, nicht von dieser Klageforderung abgesetzt
werden darf. Maßgeblich sind nämlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 15 GKG). Zu diesem Zeitpunkt bestand ein
Abfindungsanspruch des Beteiligten zu 1 aus dem Sozialplan noch nicht. OB darüber hinaus auch die Frage der Schlüssigkeit der Klage, die
streitwertrechtlich ohne Belang ist, für das Arbeitsgericht maßgeblich war, wenn es den Sozialplananspruch mindernd berücksichtigte, kann hier
dahingestellt bleiben. Die Klage wurde jedenfalls nicht teilweise zurückgenommen.
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Diese Werte sind aber nicht zu addieren.
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Zu Unrecht ist allerdings der Beschwerdeführer der Auffassung, § 12 Abs. 7 Satz 1, letzter Satzteil ArbGG sei auf Fälle wie den vorliegenden
anwendbar. Diese Vorschrift ist ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nach nur auf Abfindungen anzuwenden, die im Rahmen des
Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung festgesetzt werden. Soweit eine Abfindung nach § 113 BetrVG eingeklagt wird, ist die Wirksamkeit
einer Kündigung gerade Voraussetzung. Gegenstand ist also nicht mehr ein Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines
Arbeitsverhältnisses oder über eine Kündigung. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass die als Ausnahmeregelung generell nicht
analogiefähige Bestimmung des § 12 Abs. 7 Satz 1, letzter Satzteil ArbGG nicht eingreift. Soweit § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BetrVG auf
§ 10 KSchG Bezug nimmt, handelt es sich nur um eine Rechtsfolgenverweisung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen
Anspruchs haben mit einem Streit im Sinne des § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG nichts zu tun.
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Dies kann aber nicht dazu führen, dass der Wert des Hilfsantrags mit dem der Hauptanträge kumuliert wird. Der Streitwert ist nach § 19 Abs. 1
Satz 2 und 3 GKG zu bestimmen. Danach findet grundsätzlich eine Zusammenrechnung von Haupt- und Hilfsanspruch statt, soweit auch über
den Hilfsanspruch eine Entscheidung ergeht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 GKG) oder nach Abs. 4 der Rechtsstreit - wie hier - durch Vergleich erledigt wird.
Dies ist nach § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG nur dann anders, wenn der Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der
Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Haupt- und Hilfsansprüche haben hier jedoch denselben Gegenstand, weil sie auf demselben
Anspruchsgrund beruhen. Entscheidend für die Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG ist, ob die Ansprüche einander ausschließen und damit
notwendigerweise die Zuerkennung des einen Anspruchs mit der Aberkennung des anderen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27.
Februar 2003 - III ZR 115/02 - NJW-RR 2003, 713 m.w.Nw.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des Gegenstands in § 19 Abs. 1 Satz 3
GKG nicht mit dem Begriff des Streitgegenstandes identisch ist. Die vorliegende Klage betraf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis noch - mangels
wirksamer Kündigung - bestand, oder ob es geendet hat mit der Folge, dass wirtschaftlich an die Stelle der aus dem Arbeitsverhältnis folgenden
Vergütungsansprüche der Abfindungsanspruch als Kompensation für die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlittenen Nachteile -
dies sind im Wesentlichen die entgangenen Vergütungsansprüche - tritt. Beide Ansprüche mit sich überschneidender Zielsetzung schließen sich
gegenseitig aus, sodass von einer Identität des Gegenstandes im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG auszugehen ist.
10 Nicht zu addieren ist auch der Wert des Klageantrags zu 1 und des im letzten Verhandlungstermin zurückgenommenen Klageantrags zu 2
(allgemeine Feststellungsklage), weil insoweit ungeachtet der Frage, ob auch hier § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG anzuwenden wäre, jedenfalls
wirtschaftliche Identität beider Anträge besteht.
11 Nach allem ist die Beschwerde in vollem Umfang zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass der Gebührenstreitwert in Höhe des
Abfindungsanspruchs festzusetzen ist.
12 Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 25 Abs. 4 GKG).
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