Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 02.11.2007

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LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 2.11.2007, 2 Ta 7/07
Formelle Rechtskraft - einseitiger Rechtsmittelverzicht
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Zwangsvollstreckungsverfahren in der Hauptsache erledigt ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.06.2006 wurde u.a. die (zweite) Kündigung der Beklagten vom 24.06.2004 für unwirksam erklärt
und die Beklagte verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer bis zu einer rechtskräftigen
Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag weiterzubeschäftigen. Die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde
mit Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 01.02.2007 (Az.: 21 Sa 73/06), welches den Parteien am 04.06.2007 zugestellt
wurde, zurückgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen. Mit Schreiben vom 05.03.2007 verzichtete die Beklagte gegenüber dem Kläger
und gegenüber dem Berufungsgericht auf die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht. Ebenfalls mit Schreiben
vom 05.03.2007 nahm die Beklagte die Berufung gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart zurück, in welchem die von ihr gegen den
erwähnten Weiterbeschäftigungstitel angestrengte Vollstreckungsgegenklage abgewiesen worden war. Zwischen den Parteien sind vor den
Gerichten für Arbeitssachen noch weitere Kündigungsschutzverfahren anhängig (3. und 4. Kündigung der Beklagten). Eine tatsächliche
Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten erfolgte seit der Weiterbeschäftigungsverurteilung vom 13.06.2006 trotz Aufforderung
des Klägers nicht. Dem Kläger wurde auf seinen Antrag hin am 27.07.2006 eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom 13.06.2006 erteilt.
Das Urteil wurde der Beklagten am 28.06.2006 von Amts wegen zugestellt; am 05.08.2006 erfolgte eine weitere Zustellung von Anwalt zu Anwalt
gemäß § 195 ZPO.
2
Am 10.08.2006 beantragte der Kläger den Weiterbeschäftigungstitel durch Festsetzung eines Zwangsgeldes zu vollstrecken. Mit Beschluss vom
04.10.2006 wurde gegen die Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000,00 EUR festgesetzt. Die gegen diesen Beschluss von der Beklagten
eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückgewiesen. Nachdem die Beklagte das festgesetzte
Zwangsgeld bezahlte ohne den Kläger in der Folgezeit weiterzubeschäftigen, beantragte dieser am 06.11.2006 erneut gemäß § 888 ZPO ein
Zwangsgeld festzusetzen. Diesen Antrag nahm der Kläger am 01.12.2006 wieder zurück. Schließlich stellte der Kläger am 02.02.2007 einen
weiteren Antrag gemäß § 888 ZPO auf Festsetzung eines in das Ermessen des Gerichtes gestellten Zwangsgeldes, das jedoch einen Betrag von
20.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, ersatzweise Anordnung von Zwangshaft gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten.
3
Mit Beschluss vom 28.03.2007 setzte das Arbeitsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR fest, ersatzweise für je 2.000,00 EUR einen
Tag Zwangshaft gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Der angefochtene Beschluss begründet die Festsetzung des
Zwangsmittels damit, dass es im Zeitpunkt der Entscheidung (noch) am Eintritt der formellen Rechtskraft des Urteils fehle. Insoweit wird auf die
Gründe des angefochtenen Beschlusses unter II. verwiesen.
4
Gegen diesen der Beklagten am 03.04.2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 10.04.2007 eingelegte und begründete sofortige
Beschwerde der Beklagten. In der sofortigen Beschwerde verweist die Beklagte zunächst darauf, dass sie am 04.04.2007 zur Abwendung der
angedrohten weiteren Zwangsmittel und unter dem Vorbehalt der Rückforderung das festgesetzte Zwangsgeld an die Landesoberkasse Stuttgart
überwiesen habe. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihre Rechtsansicht, dass das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg vom 01.02.2007 mit der Erklärung des Verzichts auf den Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde am 05.03.2007 rechtskräftig
geworden sei. Nach Rechtskraft dieses Urteils komme eine Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungstitels deshalb nicht mehr in Betracht.
Der Antrag des Klägers auf Festsetzung eines Zwangsgeldes hätte deshalb nach dem 05.03.2007 zurückgewiesen werden müssen.
5
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.08.2007 das vorliegende Zwangsvollstreckungsverfahren für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten
die Kosten aufzuerlegen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass keine Erledigung des Zwangsvollstreckungsverfahrens eingetreten sei. Wegen des
weiteren Vorbringens der Beklagten in der Beschwerdeinstanz wird auf deren Schriftsätze vom 10.04.2007 und 29.08.2007 verwiesen.
II.
6
Der Antrag des Klägers auf Festsetzung von Zwangsmitteln wegen Weiterbeschäftigung vom 02.02.2007 hat sich nach Ablauf der Frist für die
Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 01.02.2007 am 04.07.2007 erledigt. Der Antrag
des Klägers gemäß § 888 ZPO ist jedoch vor Eintritt des Erledigungsereignisses zulässig und begründet gewesen.
7
Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers wird nach allgemeiner Auffassung als nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung
behandelt. Das Gericht entscheidet auf Grund des neuen Feststellungsantrages, ob die ursprünglich zulässige und begründete Klage tatsächlich
infolge eines nachträglichen Ereignisses erledigt ist.
8
Das vorliegende Zwangsvollstreckungsverfahren hat sich nach Ablauf der 1-Monats-Frist des § 72 a Abs. 2 ArbGG für die Einlegung einer
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 01.02.2007 am 04.07.2007 erledigt. Seit diesem Zeitpunkt besteht
kein Anspruch mehr auf Weiterbeschäftigung aus dem Titel vom 13.06.2006. Der Antrag des Klägers auf Festsetzung von Zwangsmitteln gemäß
§ 888 ZPO vom 02.02.2007 ist jedoch bis zum 04.07.2007 zulässig und begründet gewesen, so dass der Beschluss des Arbeitsgerichts vom
28.03.2007 zu Recht ergangen ist.
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Gemäß Ziffer 3 des Urteils vom 13.06.2006 ist die Beklagte verpflichtet gewesen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den
Kündigungsschutzantrag weiterzubeschäftigen. Diese Entscheidung hat das Arbeitsgericht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch während eines Beendigungsrechtsstreits gestützt (BAG GS Beschluss vom 27.01.1985 - GS
1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB). Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der
Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den
Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen
Beschäftigung nicht entgegenstehen. Dabei nimmt § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und die Rechtsprechung des Großen Senates zum allgemeinen
Beschäftigungsanspruch während eines Beendigungsrechtsstreits den Begriff der formellen Rechtskraft im Sinne des § 705 ZPO auf. Formelle
Rechtskraft im Sinne dieser Vorschrift bedeutet, dass eine Entscheidung unangreifbar ist. Formelle Rechtskraft bei einem Urteil des
Landesarbeitsgerichts, das die Revision nicht zulässt, tritt im Regelfall frühestens mit Ablauf der für die Nichtzulassungsbeschwerde
vorgesehenen Notfrist von einem Monat (§ 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG) bzw. mit Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das
Bundesarbeitsgericht (§ 72 a Abs. 5 Satz 6 ArbGG) ein. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte auf die Einlegung einer
Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 05.03.2007 verzichtet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass diese Tatsache nichts
am Eintritt der formellen Rechtskraft geändert hat. Denn auch der Kläger hätte eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen können.
10 Eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wäre zwar mangels Beschwer unzulässig aber nicht unstatthaft gewesen. Ist ein Rechtsmittel oder
Rechtsbehelf zwar unzulässig jedoch statthaft, wird das Urteil frühestens mit Ablauf der Frist für deren Einlegung rechtskräftig. Dies ergibt sich
daraus, dass über die Frage der Zulässigkeit das Rechtsmittelgericht entscheidet, das mit dem statthaften Rechtsmittel oder Rechtsbehelf
angerufen werden kann. Bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes (bzw. bis zum Ablauf der Rechtsmittel-/Rechtsbehelfsfrist) bleibt also die
Frage der Endgültigkeit der Entscheidung der Vorinstanz in der Schwebe und lässt keinen Raum für den Eintritt der Rechtskraft. Selbst bei
offensichtlich unanfechtbaren Entscheidungen im Einzelfall gilt, wie auch die anderenfalls nicht verständliche Regelung des § 713 ZPO zeigt,
nichts anderes. Erst ein beiderseitiger wirksamer Rechtsmittel-/Rechtsbehelfverzicht führt mit Wirksamwerden der letzten Erklärung zum Eintritt
der formellen Rechtskraft (einhellige Meinung in der zivilprozessualen Literatur: MK-Krüger, ZPO, 2. Auflage, § 705 Rdnr. 5; Zöller-Stöber, ZPO,
26. Auflage, § 705 Rdnr. 9; Stein-Jonas-Münzberg, ZPO, 22. Auflage, § 705 Rdnrn. 8 ff.; Musielak-Lackmann, ZPO, 5. Auflage, § 705 Rdnrn. 4 f.;
HK-Saenger, ZPO, § 705 Rdnr. 7; Rosenberg-Schwab-Gottwald, ZPO, 16. Auflage, § 149 Rdnr. 7, jeweils m. w. N.).
11 Das alleinige Abstellen auf den Eintritt der formellen Rechtskraft dient der Rechtssicherheit, da die Frage, ob ein Rechtsbehelf oder Rechtsmittel
(mangels Beschwer) unzulässig ist, mitunter schwer zu beantworten sein kann. Auch in einer vergleichbaren Problematik hat das
Bundesarbeitsgericht deshalb zu Recht den Eintritt der formellen Rechtskraft eines Beschlusses gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG verlangt (BAG
09.07.1998 - 2 AZR 142/98 - AP Nr. 36 zu § 103 BetrVG 1972). Ein Arbeitgeber kann einem Betriebsratsmitglied nämlich erst dann wirksam eine
außerordentliche Kündigung aussprechen, wenn der Beschluss über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung (§ 103 Abs. 2
BetrVG) rechtskräftig bzw. unanfechtbar ist (§ 15 Abs. 1 KSchG). In diesem Urteil vom 09.07.1998 hat das Bundesarbeitsgericht seine frühere
Rechtsprechung (Urteil vom 25.01.1979 - 2 AZR 983/77 - AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972) aufgegeben, in der der Eintritt der formellen
Rechtskraft mit der offensichtlichen Unzulässigkeit eines an sich gegebenen Rechtsmittels gleichgestellt worden war. Die Aufgabe der
seitherigen Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 09.07.1998 auch damit begründet, dass es zu einer
erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde, wenn der Arbeitgeber die Aussichten eines gegnerischen Rechtsmittels zu prüfen hätte.
12 Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze steht deshalb fest, dass das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 01.02.2007 erst mit Ablauf der
Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde am 04.07.2007 rechtskräftig geworden ist. Der Antrag des Klägers gemäß § 888 ZPO ist
deshalb bis zu diesem Zeitpunkt zulässig und begründet gewesen, so dass der angefochtene Zwangsmittelbeschluss vom 28.03.2007 zu Recht
ergangen ist. Ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bezahlten Zwangsgeldes in Höhe von
20.000,00 EUR besteht nicht.
13 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.
14 Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.