Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 30.08.2000

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LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 30.8.2000, 13 Sa 13/00
Nichtausnutzen von Höchstlenkzeiten - Ersatz für Privattelefonate
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 08.12.1999 -- Az.: 8 Ca 503/99 -- wird zurückgewiesen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Die Kosten der Berufung und der erweiterten Klage hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um restlichen Nettolohn und Telefonkostenansprüche des Klägers und Schadensersatzansprüche und Aufwendungsersatz
der Beklagten.
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Der Kläger war in der Zeit vom 26.04.-05.07.1999 bei dem beklagten Speditionsunternehmen als Kraftfahrer beschäftigt. Für die Zeit vom 01.06.-
05.07.1999 hat der Kläger einen unstreitigen Lohnanspruch in Höhe von DM 4.598,05 netto sowie eine Spesenforderung in Höhe von DM 60,00,
auf welche Beträge die Beklagte bislang nur DM 1.185,16 gezahlt hat.
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Hintergrund der Zahlungsverweigerung der Beklagten und Gegenstand der Widerklage ist das Verhalten des Klägers anläßlich einer Fahrt nach
Spanien.
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Der Kläger hatte am 28.06.1999 um 12:00 Uhr in V entladen. Er meldete sich deshalb bei der Beklagten als "leer". Er hatte an diesem Tage eine
Lenkzeit von 6,5 Stunden. Am anderen Morgen um 7:00 Uhr fuhr er weiter nach Aschaffenburg, wo er bei der Fa. C eine Ladung aufnahm, die
laut dem ihm übergebenen Frachtbrief am 01.07. um 11:00 Uhr in A in Spanien abgeliefert werden sollte. Um 15:14 Uhr trat der Kläger seine
Fahrt in A nach Spanien an. Er fuhr bei einer Stunde Pause bis nachts 2:00 Uhr, pausierte wieder, setzte die Fahrt um 11:00 Uhr bis 15:30 Uhr
fort, pausierte eine Stunde und fuhr von 16:30 Uhr bis 21:00 Uhr. Am 01.07. fuhr er um 6:15 Uhr weiter und erreichte den Ladeort A um 13:25 Uhr,
nachdem er noch einmal 35 Minuten Pause gemacht hatte. Nach Entladung um 16:35 Uhr fuhr der Kläger nach C in Spanien zu einem Truck
Stop und machte dort 2 Stunden Pause. Um 17:00 Uhr meldete er sich bei der Beklagten. In diesem Telefonat wurde ihm eine Rückladung,
allerdings ohne nähere Einzelheiten, angekündigt. Um 19:00 Uhr oder 19:30 Uhr erfuhr der Kläger, daß er in Richtung L fahren solle, um sich am
Morgen des 02.07. zu melden. Das tat der Kläger um 9:00 Uhr. Der Geschäftsführer der Beklagten gab ihm den Auftrag, nach A in Südfrankreich
zu fahren, um dort einen Frachtauftrag für die Fa. L zu übernehmen. Unter Hinweis auf die dadurch veranlaßte Überschreitung der zulässigen
Lenkzeiten lehnte der Kläger ab. Die Beklagte sah im Verhalten des Klägers eine Arbeitsverweigerung, die zur Folge hatte, daß der geltend
gemachte Vermögensschaden entstanden ist.
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Der Kläger behauptet, er sei erst um 19:30 Uhr über die Notwendigkeit, Richtung Frankreich zu fahren, informiert worden. Erst am 02.07., 9:00
Uhr, sei ihm mitgeteilt worden, er habe um 13:00 Uhr in A zu sein. Dies sei bei Einhaltung der vorgeschriebenen Lenkzeiten auch für den Fall,
daß die Beklagte 18:00 Uhr gesagt habe, nicht möglich. Seine verzögerte Ankunft in A sei ohne sein Verschulden erfolgt.
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Der Kläger stellt den Antrag,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 3.349,97 netto zu zahlen.
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Die Beklagte anerkannte die Klageforderung der Höhe nach und beantragte ihrerseits widerklagend,
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den Kläger zu verurteilen, an sie DM 2.606,71 netto zzgl. 4% Zinsen seit Zustellung der Widerklage zu bezahlen.
10 Der Kläger hat Abweisung der Widerklage beantragt.
11 Mit Urteil vom 08.12.1999 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß entsprochen, die Widerklage aber abgewiesen, der Beklagten die
Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf DM 5.956,68 festgesetzt.
12 In den Entscheidungsgründen, auf die verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht einen Schadensersatzanspruch verneint, da die Beklagte nicht
dargelegt habe, daß der Kläger es zu vertreten gehabt habe, daß der Auftrag der Fa. L am 02.07.1999 nicht hatte ausgeführt werden können.
Nach Überzeugung des Arbeitsgerichts war der Kläger nicht in der Lage, A am 02.07. fristgemäß zu erreichen, wenn er die vorgeschriebenen
Lenk- und Ruhezeiten eingehalten hätte.
13 Gegen dieses der Beklagten am 17.01.2000 zugestellte Urteil wurde am 17.02.2000 Berufung eingelegt. Nachdem die Begründungsfrist auf
Antrag vom 10.03.2000 bis 17.04.2000 verlängert worden war, ging die Begründungsschrift am 17.04.2000 ein. Die Beklagte macht in ihrer
Berufung geltend, es sei nicht richtig, daß der Kläger bei Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten A nicht habe erreichen können, sofern er sich an
die Weisungen der Beklagten unter Berücksichtigung der Wochenlenkzeiten und Ruhezeiten gehalten hätte. Nach den einschlägigen EG-
Regelungen habe der Kläger eine Tageslenkzeit von 9 Stunden und zwei Mal wöchentlich 10 Stunden fahren dürfen. Nach einer Lenkzeit von
viereinhalb Stunden sei eine 45minütige Pause vorgeschrieben. Die Tagesruhezeit betrage 11 Stunden mit der Möglichkeit einer Verkürzung auf
drei Mal wöchentlich 9 Stunden oder 12 Stunden bei einer Aufteilung in 2 oder 3 Abschnitte, wovon eine mindestens 8 Stunden betrage. Die
wöchentliche Ruhezeit betrage 45 Stunden, einschließlich einer Tagesruhezeit, wobei eine Verkürzung auf 36 Stunden am Standort und 24
Stunden unterwegs zulässig sei. Berücksichtige man dies, so sei eine Ankunft in A in Spanien am 01.07. bereits um 11:00 Uhr möglich gewesen.
Da der Kläger im Anschluß daran nach C zu einem Truck Stop gefahren sei, habe er für diesen Tag nur noch 2 Stunden 25 Minuten Lenkzeit zur
Verfügung gehabt. Als der Kläger sich am 02.07. gegen 9:00 Uhr gemeldet habe, habe er angegeben, sich zwischen L und B zu befinden. Er
habe sich geweigert, die Ladeadresse bezüglich des Frachtauftrages der Fa. L entgegenzunehmen. Der Hinweis, daß dies Arbeitsverweigerung
mit entsprechenden Konsequenzen sei, habe nicht gefruchtet; vielmehr habe der Kläger auf seine gesetzlichen Lenkzeiten verwiesen und die
Übernahme des Frachtauftrags verweigert. Der Kläger sei gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht nicht um 11:00 Uhr in A angekommen, weil er
seine gesetzlich zulässigen Lenkzeiterhöhungen von jeweils 10 Stunden pro Tag nicht ausgeschöpft habe. Vielmehr sei er am 29.06. lediglich 9
Stunden und am 30.06. lediglich 8 Stunden 50 Minuten gefahren, wobei er auch noch eine Stunde Pause gemacht habe, obwohl lediglich 45 min
gesetzlich vorgeschrieben seien. Diese Zeit habe dem Kläger zur pünktlichen Ankunft in A gefehlt. Die Beklagte habe mit dem pünktlichen
Ankommen des Klägers gerechnet und in dessen Kenntnis auch die Disposition durch Einholung des Auftrags der Fa. L. aufgebaut. Dem Kläger
sei auch vorzuwerfen, daß er nach der Entladung in C nochmals 2 Stunden Pause gemacht habe, in der er nicht erreichbar gewesen sei, weil er
seinen LKW verlassen habe. Bei einem ordnungsgemäßen Verhalten des Klägers habe dieser in der verbleibenden viereinhalbstündigen
Lenkzeit am 01.07. noch die Fahrt Richtung A beginnen und am darauffolgenden Tag fortsetzen können. Er hätte dann in der Nacht vom 01. auf
den 02.07. seine große Pause von 10 Stunden nehmen können. Die weisungswidrige Überschreitung der Entladezeit in A am 01.07.1999 um
11:00 Uhr sei als grob fahrlässiger Verstoß gegen die arbeitsvertraglich geschuldeten Verpflichtungen gegenüber der Beklagten zu werten.
14 Nachdem auf das Verhalten des Klägers der Auftrag der Fa. L in Höhe von DM 2.400,00 entgangen sei, schulde er den entsprechenden
Bruttobetrag, was einen Gesamtbetrag von DM 3.784,00 entspreche. Darüber hinaus seien unnötige Leerkilometer angefallen, so daß insgesamt
DM 3.201,60 Schaden entstanden sei.
15 Darüber hinaus bestehe noch eine Gegenforderung aufgrund privater Telefongebühren in Höhe von DM 140,81. Der Kläger habe DM 140,81
privat vertelefoniert, wovon ein von ihm bereits anerkannter und bei seiner Klageforderung berücksichtigter Betrag von DM 22,52 in Abzug zu
bringen sei, so daß noch DM 118,29 offenstünden.
16 Die Beklagte beantragt:
17 1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim -- Kammern Heidelberg -- vom 08.12.99 wird abgeändert. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte
DM 3.219,89 ab Klagezustellung zu bezahlen.
18 2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsmittels.
19 Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung. Er meint, seine Ankunftszeit in A spiele schon deshalb keine Rolle, weil die Beklagte ihm erst
um 19:30 Uhr mitgeteilt habe, wohin er des weiteren zu fahren hätte. Erst um diese Zeit sei er von der Beklagten informiert worden.
20 Die von der Beklagten behaupteten Privattelefonate hätten nicht stattgefunden. Vielmehr seien diese dienstlich veranlaßt gewesen.
21 Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
22 Die Berufung ist an sich statthaft und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1 ArbGG, 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 2
und 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
II.
23 Die Berufung ist indessen ebensowenig begründet wie die erweiterte Klage. Der Beklagten steht weder ein Schadensersatzanspruch noch ein
Ersatz für Privattelefonate zu.
24 1. Zum Schadensersatz generell kann der Kläger nur verpflichtet sein, wenn er den die Parteien verbindenden Arbeitsvertrag schuldhaft verletzt
hat. Schon hieran fehlt es. Die Beklagte wirft dem Kläger im wesentlichen vor, daß er die gesetzliche zulässigen Lenkhöchstzeiten nicht voll
ausgeschöpft habe, sondern am 29.06. lediglich 9 statt 10 und am 30.06. lediglich 8 Stunden und 50 Minuten statt 10 gefahren sei.
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Die Kammer kann darin ein arbeitsvertragswidriges Verhalten nicht erkennen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag, in dem eine solche
Verpflichtung des Klägers nachzulesen wäre, oder die Behauptung, man habe dies dem Kläger mündlich als vertragliche Verpflichtung
aufgegeben, fehlt. Hätte die Beklagte recht, dann müßte jeder ihrer Kraftfahrer in einer Woche zunächst einmal die ausnahmsweise
zulässigen 10 Stunden Lenkzeit ausnutzen, ungeachtet der Frage, ob dies tatsächlich nötig ist. Denn es wäre auch denkbar, daß das
Ausnutzen der ausnahmsweise auf 10 Stunden ausgedehnten Lenkzeit an einem anderen, späteren Wochentag erheblich wichtiger ist. Dem
Kläger kann deshalb nicht mit Recht der Vorwurf gemacht werden, daß er nicht zur vorgesehenen Zeit um 11:00 Uhr in A angekommen und
sein Fahrzeug entladen worden ist. Nur eine ex-post-Betrachtung zeigt, daß das sofortige Ausschöpfen der in der Woche erlaubten
Höchstlenkzeiten nötig war, um den Transport pünktlich zu beenden. Die Beklagte hat nicht dargetan, warum der Kläger bereits am ersten
Tage seines Transportes hätte erkennen können, daß er seine Lenkzeit nicht bereits nach 9 Stunden einstellen darf, sondern eine weitere
Stunde fahren mußte, um den Transport wie vorgesehen in A zu beenden.
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Hinzu kommt die Erwägung, daß die normative Zulassung einer täglichen Höchstlenkzeit nicht gleichzeitig eine vertragliche Verpflichtung zu
deren Ausschöpfung begründen kann. Vielmehr ist der einzelne Kraftfahrer gehalten, seine individuelle Höchstlenkzeit seiner persönlichen
Befindlichkeit anzupassen. Dies bedeutet, daß er die Teilnahme am Straßenverkehr wegen der damit verbundenen Gefahren ggf. früher
einstellen muss, wenn er aufgrund einer Selbsteinschätzung seiner Fahrtauglichkeit die Fortsetzung der Fahrt nicht verantworten zu können
glaubt. Zwar hat solches der Kläger für sich nicht in Anspruch genommen. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß eine Beendigung der
Fahrt nach 9 Stunden natürlicherweise mit geprägt ist von der Vorstellung, nun eine Pause zu brauchen. Dezidierte Vorstellungen über die
Fahrtauglichkeit und Gefährdungen des Straßenverkehrs bei Fortsetzung der Lenktätigkeit müssen nicht vorliegen.
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Im übrigen ist es dem Kläger zuzugestehen, daß seine Verspätung für den eingetretenen Schaden ist nicht zwingend ursächlich ist. Zunächst
einmal ist festzuhalten, daß die Nichtausnutzung der Höchstlenkzeiten am 30.06. und 01.07. es ermöglichte, diese an den beiden folgenden
Tagen auszuschöpfen.
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Die Beklagte wirft dem Kläger weiter vor, die Verzögerung sei dadurch eingetreten, daß der Kläger in C eine Pause von 2 Stunden gemacht
habe, in welcher er nicht erreichbar gewesen sei, weil er den LKW verlassen habe. Die Kammer kann nicht erkennen, warum das
zweistündige Verlassen eines LKW und die Einnahme einer Mahlzeit im Truck Stop eine Verletzung des Arbeitsvertrages war. Selbst wenn
die Beklagte mit ihren Kraftfahrern die Vereinbarung getroffen hätte, daß diese den LKW nicht verlassen durften, um erreichbar zu sein, wäre
dies unverbindlich. Es muß jedem Kraftfahrer die Möglichkeit eröffnet sein, sich nicht nur durch die Unterbrechung der Fahrt selbst, sondern
auch durch die Einnahme einer Mahlzeit in einer Gaststätte oder durch einen Spaziergang zu erholen.
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Wenn die Beklagte ihr Dispositionsverhalten auf Extremanforderungen gegenüber ihren Kraftfahrern aufbaut, hat sie das Risiko daraus
resultierender Schäden selbst zu tragen.
30 2. Die weitere Gegenforderung der Beklagten aufgrund privater Telefongebühren in Höhe von DM 140,81 ist von der Beklagten nicht
nachgewiesen worden. Zwar hat die Beklagte behauptet, daß die in erster Instanz vorgelegten Einzelverbindungsnachweise bezüglich der
unterstrichenen Telefonate private gewesen seien, hierüber aber jeden Beweisantritt vermissen lassen. Der Kläger hat Privattelefonate
eingeräumt und bei seiner Klageforderung berücksichtigt. Die weiteren sind dezidiert bestritten worden. Der Kläger hat eingewandt, daß er einen
Teil der Telefonate mit Kollegen geführt hat. Auch der Geschäftsführer der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß es
vorkommt, daß die bei ihm beschäftigten Kraftfahrer gelegentlich untereinander dienstlich telefonieren, etwa um sich gegenseitig Tips zu geben.
Ein weiterer Teil der Gespräche betrifft ankommende, bei denen man überhaupt nicht feststellen kann, wer warum angerufen hat. Schließlich läßt
sich nicht einmal feststellen, inwieweit etwa Anrufe mit nahen Familienangehörigen ausschließlich privaten Charakter haben. Bei einem
Fernfahrer darf angenommen werden, daß Mitteilungen seinerseits an die Familie darüber, wo er sich befinde und wann er ggf. nach Hause
zurückkomme, dienstlich veranlaßt sind. Die Beklagte hat zudem erkennen lassen, daß sie dem Kläger die Telefonate auch nicht in Rechnung
gestellt hätte, wäre sie nicht aus anderen Gründen, die mit seinem Verhalten in Zusammenhang stehen, unzufrieden gewesen. Hierin liegt eine
im Arbeitsrecht unzulässige sachwidrige Differenzierung, die als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unzulässig ist.
31 3. Demnach erweist sich das arbeitsgerichtliche Urteil als richtig. Auch weitergehende Ansprüche der Beklagten bestehen nicht. Dies führt dazu,
daß die Beklagte die Kosten ihrer erfolglosen Berufung und die Kosten des Rechtsstreits insgesamt zu tragen hat.