Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.02.2004

LArbG Baden-Württemberg: kündigung, chemische industrie, arbeitsgericht, inbetriebnahme, produktion, bedürfnis, einbau, gerät, zahl, pauschal

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 20.2.2004, 16 Sa 95/03
Betriebsbedingte Kündigung
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom
25.09.2003 – 1 Ca 291/03 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
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Der 51-jährige, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit Februar 1986 bei der Dämmstoffe zur Wärme- und
Schallisolierung herstellenden Beklagten zu einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 2.800,– EUR gemäß Entgeltgruppe E2 des
Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie beschäftigt.
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Mit der am 24.06.2003 beim Arbeitsgericht Mannheim eingegangenen Klage wandte sich der Kläger gegen die vom 03.06.2003 datierende
Kündigung zum 31.12.2003. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.09.2003, der Beklagten am 22.10.2002 zugestellt, der Klage stattgegeben.
Die Beklagte habe versäumt hinreichend substantiiert und nachvollziehbar darzulegen, wie sich die von ihr behauptete Schließung der
Weiterverarbeitungslinie 3 und weitere technische Verbesserungen und deren innerbetriebliche Umsetzung auf das Bedürfnis zur
Weiterbeschäftigung des Klägers ausgewirkt hätten.
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Mit der am 10.11.2003 eingelegten und am 18.12.2003 begründeten Berufung greift die Beklagte die Entscheidung des Arbeitsgerichts als
rechtsfehlerhaft an. Die rückläufige Entwicklung im deutschen Absatzmarkt, sinkende Preise und steigende Kosten hätten seit 2001 in
wachsendem Umfang zu negativen Ergebnissen geführt. Der Betrieb L. der Beklagten sei daher gezwungen gewesen die Wettbewerbsfähigkeit
zu verbessern. Dies habe eine schrittweise Produktverlagerung und letztlich Schließung der Weiterverarbeitungslinie 3 zum Jahresende 2003,
eine Modernisierung der Weiterverarbeitungslinie 1, sowie die Verlagerung von am Standort L. nicht zu marktgerechten Kosten zu fertigenden
Produkten nach T. zur Folge gehabt.
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Die zum Jahresende 2003 stillzulegende Weiterverarbeitungslinie sei der wesentliche Arbeitsplatz der zwölf in der Vergütungsgruppe E2
beschäftigten Arbeiter gewesen. Eine Beschäftigung an der Weiterverarbeitungslinie 1 sei nicht mehr erforderlich, da dort schon im Juni 2001
durch Inbetriebnahme einer automatischen Ballenpresse der Personalbedarf auf ein Zehntel habe vermindert werden können. Im Mai 2003 sei
durch die Inbetriebnahme einer "Vlieskaschierung" an der Linie 1 zur beidseitigen Beschichtung die Produktion so automatisiert worden, dass
das Vorhalten von Produktionsarbeitern für Handabnahme und Verpackung der Produkte (Entgeltgruppe E2) überflüssig geworden sei. Weitere
Produkte, die wegen des hohen Personalkostenanteils aufgrund Handabnahme, manuellem Stapeln etc. in T. wesentlich günstiger herzustellen
gewesen seien, sollten bis spätestens Jahresende 2003 dorthin verlagert werden. Alle diese Maßnahmen führten zu einer Reduzierung der
Personalsollstärke in der Weiterverarbeitung von zuvor 78 auf 48 Mitarbeiter. Vier Schichten zu je 12 Arbeitnehmern mit der Qualifikation in
mindestens der Entgeltgruppe E4 führten dazu, dass für Mitarbeiter der Entgeltgruppe E2 keine Beschäftigung mehr vorhanden gewesen sei.
Lediglich im Zuge nicht kündbarer Altersteilzeitverträge seien Restarbeiten noch vorübergehend vorhanden. Die vom Kläger als Arbeitsplatz
reklamierte Sillatherm-Anlage sei nur sporadisch, in den Sommermonaten an bis zu fünf Tagen pro Woche, gelaufen. Ein kontinuierlich zu
besetzender Arbeitsplatz für den Kläger sei daher nicht vorhanden gewesen. Im Jahresschnitt sei der Kläger nur zu einem Drittel seiner
Arbeitszeit dort beschäftigt gewesen.
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Demgemäß beantragt die Beklagte:
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 25.09.2003 – 1 Ca 291/03 – wird abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
10 Das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Der Vortrag der Beklagten lasse keinen Schluss auf mangelnde
Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers zu. Die behaupteten Produktionsänderungen seien nicht nachvollziehbar dargelegt und ließen keinen
Schluss auf die vorgesehene Personalreduzierung zu. Trotz technischer Veränderungen an der Linie 1 müssten stets Mitarbeiter für die
Handabnahme anwesend sein. Deren Arbeit könne von den Maschinenbedienern auch nicht übernommen werden. Insgesamt lasse auch der
Vortrag in der Berufungsbegründung keinen Schluss auf die Notwendigkeit der Personalreduzierung zu. Desweiteren beschäftige die Beklagte,
die den Kläger aus taktischen Gründen seit Mitte November nur zu Reinigungsarbeiten einsetze, seit dieser Zeit regelmäßig zwischen fünf und
sieben Betriebsfremde für bisher von den Arbeitnehmern der Beklagten wahrzunehmende Verpackungsarbeiten.
11 Die Beklagte erwidert hierzu, dass es sich bei den "betriebsfremden" Arbeitskräften um solche eines auf Werkvertragsbasis tätigen
Unternehmens handele, was auch in dem von der Beklagten geplanten Projekt vorgesehen sei. Hierzu gehörten die Nachverpackung von
Produkten wie Überziehen mit Folien, Umlegen von Paletten mit Gummibändern oder Unterlegen von Styroporriegeln. Dabei handele es sich um
einfachste Tätigkeiten, die an maximal zwei Tagen pro Woche und auch nur bei hohem Produktionsaufkommen abgerufen würden. Eine
Beschäftigung des Klägers an der Sillatherm-L-Anlage habe höchstens zu einem Drittel der Arbeitszeit stattgefunden. Im Übrigen bestehe für den
Kläger nach wie vor keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr.
12 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die in der Berufung gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
13 Die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 25.09.2003 ist statthaft, denn die
Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 03.06.2003 aus betriebsbedingten Gründen erklärten
ordentlichen Kündigung zum 31.12.2003 (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Lit. c ArbGG). Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig
und ordnungsgemäß ausgeführt worden, sodass es gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 i. V. mit §§ 519, 520 ZPO zulässig ist.
II.
14 Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet, da sie auch mit dem Berufungsvortrag und den ergänzenden Schriftsätzen unter
Berücksichtigung der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung nicht einen Sachvortrag geliefert hat, der den gemäß § 1 Abs. 2 KSchG zu
stellenden Anforderungen für die Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen genügt.
15 1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG können sich u. a. aus innerbetrieblichen Gründen
ergeben. Eine Kündigung ist dann gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme
ergeben. Eine Kündigung ist dann gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme
entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von
den Gerichten für Arbeitssachen ist voll nachzuprüfen, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre
Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Der Arbeitgeber muss im Falle innerbetrieblicher Gründe
darlegen, welche organisatorischen oder technischen Maßnahmen er angeordnet hat, und wie sich die von ihm behaupteten Umstände
unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auswirken (vgl. BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2
AZR 522/98 = DB 1999, 1910 ff). Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzprozess ferner konkrete Angaben dazu machen, wie sich die
Verringerung bzw. Veränderung der Produktion auf die Arbeitsmenge auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter
Arbeitskräfteüberhang entsteht (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 141/99 = DB 1999, 1909 f). Zu dem Entscheidungsspielraum des
Arbeitgebers gehört dabei die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe erledigt werden soll. Der
Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (die Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete
Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen. Zwar muss nicht ein
bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein, Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber
behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidung sich auf eine nach sachlichen
Merkmalen genauer bestimmte Stelle bezieht. Der allgemeine Beschluss Personalkosten zu senken erfüllt diese Anforderungen nicht (vgl. BAG,
Urteil vom 22.05.2003 – 2 AZR 326/02 = ZTR 2003, 521 f).
16 2. Diesen zu stellenden Anforderungen genügt der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt unter Berücksichtigung der Einwendungen des
Klägers nicht. Die Beklagte hat die Kündigung des Klägers mit ihrer unternehmerischen Entscheidung vom April 2002 und damit begründet, dass
die Fertigungslinie 3 mit Ablauf des Jahres 2003 in Wegfall gerät und die Fertigungslinie 1 durch technische Verbesserungen einen geringen
Personalbedarf ab diesem Zeitpunkt haben wird. Desweiteren ist dem von der Beklagten vorgelegten Standortkonzept zu entnehmen, dass im
Zuge dieser Maßnahmen die Arbeitsplätze von 30 Mitarbeitern entfallen werden. Ein konkreter Bezug zwischen der getroffenen
Fertigungskürzung, teilweisen Einstellungen von Arbeitsabläufen und dem Abbau von 30 Arbeitsplätzen ist in dem Standortkonzept nicht
enthalten. Der Vortrag der Beklagten geht dahin, dass neben der zum Jahresende 2003 aus wirtschaftlichen Gründen geplanten Einstellung der
Fertigungslinie 3 durch die Modernisierung der Fertigungslinie 1 durch den Einbau einer Vlieskaschierung, die weniger manuelle Arbeiten
erforderlich macht, und die Verlagerung weiterer Produkte, die wegen des hohen Personalkostenanteils aufgrund Handabnahme, manuellem
Stapeln, etc. am Standort in T. wesentlich günstiger herzustellen sind, bis spätestens 31.12.2003 dorthin verlagert werden. Aus diesen
dargelegten Maßnahmen, so die Beklagte, resultierte eine Verminderung der Personalstärke in der Weiterverarbeitung von zuvor 78 auf 48
Mitarbeiter.
17 3. Dieser Vortrag ist aus verschiedenen Gründen nicht geeignet, die Kündigung des Klägers zu begründen.
18 a) Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Schließung der Fertigungslinie 3 zum Jahresende 2003 gerade nicht erfolgt ist. Die
Beklagte räumt insoweit eine zumindest mehr als zweimonatige Verzögerung ein. Der Kläger hat desweiteren vorgetragen, dass für eine
Beschäftigung an der Fertigungslinie 1 nach wie vor Bedarf besteht. Dem ist die Beklagte nur dadurch begegnet, dass an Fertigungslinie 1
Mitarbeiter in der Entgeltgruppe E2 nicht mehr notwendig seien. Schon dieser zwischen den Parteien unstreitige Sachverhalt rechtfertigt den
Schluss auf einen Wegfall der Beschäftigung des Klägers, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, nicht. Entgegen dieser
Folgerung räumt sie zumindest für Störfälle, deren Dauer und Häufigkeit zwischen den Parteien streitig sind, die Notwendigkeit von hilfsweisen
Tätigkeiten einfacher Art ein.
19 b) Der Vortrag der Beklagten lässt keinen Schluss darauf zu, ob der Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers durch die Verlagerung von
Produktionseinheiten bedingt ist oder alleine durch den Willen zur Personalkürzung. Die Beklagte trägt nichts dazu vor, wieviele Arbeitnehmer an
der Fertigungslinie 3 in welchem Umfange und wieviele an der Fertigungslinie 1 in welchem Umfange und zu welchen Zeiten beschäftigt worden
sind, und wie sich diese Verhältnisse durch die Verlagerung der Fertigungslinie 3 verändert haben. Nach Auffassung des Gerichts wäre
erforderlich gewesen, dass die Beklagte die bisherige Beschäftigung in Relation setzt zu dem künftigen Arbeitsvolumen und auch in Relation zu
den notwendigen Arbeitnehmerstunden, um damit das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festzustellen. Diese Möglichkeit lässt der
Vortrag der Beklagten nicht zu. Allein die Folgerung der Beklagten, die geplanten Maßnahmen machten die Beschäftigung von 30
Arbeitnehmern, u. a. der 12 in Entgeltgruppe E 2 tätigen überflüssig, ersetzt nicht die exakte Darlegung der maßnahmebedingten
Veränderungen.
20 c) Die Beklagte wird mit diesen Anforderungen auch nicht überfordert, sondern es wird von ihr nur ein Vortrag erwartet, der den Schluss auf die
organisatorische Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der unternehmerischen Entscheidung zulässt und die weitere Überprüfung ermöglicht, ob
von einem Mißbrauch des Kündigungsrechts auszugehen ist. Dabei ist auch zu überprüfen, ob durch die vom Arbeitgeber geplante Maßnahme
von einer Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals ausgegangen werden kann. Desweiteren soll vermieden
werden, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl
Beschäftigungsbedarf und -möglichkeit fortbesteht (vgl. BAG vom 22.05.2003 aaO). In diese Richtung lässt sich der Vortrag des Klägers deuten,
der einen in bestimmtem Umfang eingeräumten Einsatz von Fremdarbeitern vorträgt, die mit Aufgaben beschäftigt werden, die von der Wertigkeit
her auch der Kläger hätte ausführen können. Zwar ist insoweit der Beklagten einzuräumen, dass auch der Einsatz von Fremdarbeitern die Folge
einer unternehmerischen Entscheidung sein kann. Im vorliegenden Falle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die Kündigung des
Klägers ausschließlich mit mangelnder Einsatzmöglichkeit für die von ihm geschuldeten einfachsten Arbeiten begründet hat. In diesem
Zusammenhang begegnet der Einsatz von Fremdarbeitern, der nicht etwa konkret auf eine exakt beschriebene Arbeitsaufgabe begrenzt ist,
erheblichen Bedenken.
21 4. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte zu dem Verhältnis der bisher notwendigen zu künftig erforderlichen Aufgaben und
Tätigkeiten der Mitarbeiter pauschal vorgetragen hat, dass durch die Verlagerung der Fertigungslinie 3 die Beschäftigungsmöglichkeit von 12
Arbeitnehmern der Entgeltgruppe E2 entfällt. Ihr Vortrag lässt daher nicht zwingend den Schluss zu, dass der Wegfall der
Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers allein durch die von ihr geplante Maßnahme bedingt wäre.
III.
22 1. Die Beklagte ist im vorliegenden Berufungsverfahren unterlegen und hat daher gemäß § 97 ZPO deren Kosten zu tragen.
23 2. Die Zulassung der Revision war aus Rechtsgründen nicht veranlasst; die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Wegen der
Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG hingewiesen.
J.
K.
S.