Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 15.02.2005

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LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 15.2.2005, 2 Sa 10/05
Konkurrenz eines nachwirkenden Firmentarifvertrages mit einem Verbandstarifvertrag nach Verschmelzung zweier Unternehmen durch
Aufnahme
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.07.2004 - Az.: 15 Ca 1145/04 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Anerkennungstarifvertrag vom 01.12.1998 zwischen den Parteien keine Wirksamkeit entfaltet.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit bestimmter Tarifverträge.
2
Die Klägerin, die ursprünglich Firma D. D. und M. GmbH hieß und am 29.08.2003 umfirmierte, wurde aufgrund des Verschmelzungsvertrages
vom 29.08.2003 als übernehmender Rechtsträger mit der Firma D. P. GmbH (übertragender Rechtsträger) im Wege der Aufnahme verschmolzen
(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Diese Verschmelzung wurde am 30.10.2003 in das Handelsregister eingetragen. Die Klägerin befasst sich mit dem
Vertrieb von Druckerzeugnissen aller Art, der Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Druckerzeugnissen und der Herstellung
von Druckerzeugnissen aller Art sowie die Beratung in Marketing-Fragen, die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Unternehmen sowie die
Übernahme der Geschäftsführung für solche Unternehmen (vgl. Eintrag im Handelsregister). Die Klägerin ist Mitglied des Verbandes für
Dienstleistung, Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg e.V. (VDGA). Für sie gelten - und galten auch bereits vor der Verschmelzung - die
Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Baden-Württemberg kraft Verbandsmitgliedschaft, so z.B. der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/-
innen des Groß- und Außenhandels in Baden-Württemberg vom 11.06.1997. Der fachliche Geltungsbereich dieses Manteltarifvertrages ist in § 1
wie folgt geregelt:
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Für alle Betriebe oder Betriebsteile des Groß- und Außenhandels sowie deren Hilfs- und Nebenbetriebe, desgleichen für alle selbständigen
Groß- und Außenhandelsbetriebe von gemischten Unternehmen. Er gilt insbesondere auch für die Groß- und Außenhandelsunternehmen,
die im Rahmen ihres Handelsgeschäftes Nebenleistungen erbringen, wie z.B. Brenn-, Säge-, Rohr-, Schneid-, Fräs-, Spalt-, Stahlbiege- und
Flechtarbeiten, Montagen, Instandhaltung und Instandsetzung, Holz- und Holzschutzarbeiten, Vermietungen von Maschinen, auch
Baumaschinen mit Bedienungspersonal. (Nicht erfasst werden also Betriebe oder selbständige Betriebsabteilungen, für die zum Zeitpunkt
des Abschlusses dieses Tarifvertrages die Gültigkeit der Rahmen- oder Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes unstreitig feststeht).
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Vertragspartner dieses Manteltarifvertrages waren u.a. die Gründungsgewerkschaften der beklagten Gewerkschaft H. und D..
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Die beklagte Gewerkschaft ist am 01.07.2001 durch Verschmelzung der Gewerkschaften I. M., Ö., H., D. und D. entstanden. Die Satzung der
beklagten Gewerkschaft enthält u.a. folgende Bestimmung:
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§ 95. Fortgeltung von Tarifverträgen.
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1. Die von den Gründungsgewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge gelten nach Wirksamwerden der Verschmelzung unverändert
fort. V. tritt als Tarifvertragspartei an die Stelle derjenigen Gründungsgewerkschaft, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Die
Tarifbindung im persönlichen und fachlichen Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrages bleibt so lange unverändert, bis der
bisherige Tarifvertrag durch einen nachfolgenden Tarifvertrag abgelöst wird.
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2. Ein neu eintretendes v.-Mitglied hat sich im Falle einer Tarifkonkurrenz zu entscheiden, welcher Tarifvertrag anwendbar sein soll, und
dies dem Arbeitgeber mitzuteilen.
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Die D. P. GmbH, bei der mehr Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als bei der D. D. und M. GmbH beschäftigt waren und die sich mit der
Herstellung von Druckerzeugnissen aller Art befasste, schloss am 01.12.1998 mit einer der Gründungsgewerkschaften der beklagten
Gewerkschaft, nämlich mit der I. M., D. und P., P. und K., einen Anerkennungstarifvertrag (Bl. 23 u. 24 der erstinstanzlichen Akte) in dem u.a.
geregelt ist, dass die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Anerkennungstarifvertrages geltenden Tarifverträge für ArbeitnehmerInnen,
Angestellte und Auszubildende zwischen der I. M. und dem Bundesverband D. e.V. bzw. dem Landesverband D. Baden-Württemberg e.V.
Bestandteil des Anerkennungstarifvertrages sein sollten. Mit Schreiben vom 27.08.2003 kündigte die D. P. GmbH den Anerkennungstarifvertrag
fristgemäß zum 30.11.2003. Ob die Unternehmen der Klägerin, der D. P. GmbH und der E.-D. Beteiligungs GmbH in R. einen
Gemeinschaftsbetrieb unterhalten haben, ist zwischen den Parteien streitig.
10 Die Klägerin ist der Auffassung, dass mit der Verschmelzung am 30.10.2003 nunmehr für alle bei ihr Beschäftigten die Tarifverträge für die
Arbeitnehmer des Groß- und Außenhandels in Baden-Württemberg gälten und der Anerkennungstarifvertrag untergegangen sei und keine
Wirkung - auch keine Nachwirkung - mehr entfalte.
11 Die Klägerin hat in der ersten Instanz beantragt,
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es wird festgestellt, dass der Anerkennungstarifvertrag vom 01.12.1998 wie auch die darin in Bezug genommenen Tarifverträge für das
Druckgewerbe im Unternehmen der Klägerin keine Anwendung finden, auch nicht kraft Nachwirkung.
13 Die beklagte Gewerkschaft hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
15 Die beklagte Gewerkschaft ist der Auffassung, dass der Anerkennungstarifvertrag wie auch die darin in Bezug genommenen Tarifverträge für das
Druckgewerbe im Unternehmen der Klägerin kraft Nachwirkung Anwendung fänden.
16 Das Arbeitsgericht hat im am 29.07.2004 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Urteil insbesondere an, dass mit
der Verschmelzung das Vermögen der D. P. GmbH auf die Klägerin übergegangen sei. Hierzu gehörten auch die vertraglichen Verpflichtungen
aus dem Firmen-Anerkennungstarifvertrag vom 01.12.1998. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 24.06.1998 - 4 AZR
208/97) sei davon auszugehen, dass der Firmentarifvertrag eine Verbindlichkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG sei. Der Firmentarifvertrag
gelte kollektivrechtlich fort. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB habe nur die Funktion eines Auffangtatbestandes. Die durch die Verschmelzung
möglicherweise eingetretene Tarifpluralität bei der Klägerin sei entgegen der Auffassung des BAG (z.B. Urteil vom 20.03.1991 - 4 AZR 455/90)
hinzunehmen. Diese Rechtsprechung des BAG stoße auf verfassungsrechtliche Bedenken, da die Arbeitnehmer, die Mitglied der IG Medien
gewesen seien, auf den Status von Nichtorganisierten zurückfielen, wenn der Firmentarifvertrag durch die Bestimmungen der Tarifverträge des
Groß- und Außenhandels verdrängt würde. § 3 Abs. 1 TVG könne nicht aus Praktikabilitätsgründen beseitigt werden. Der nachwirkende
Firmentarifvertrag bleibe vom Geltungsbereich her jedoch auf die Arbeitnehmer der ehemaligen D. P. GmbH beschränkt. Wegen der weiteren
Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
17 Gegen dieses der Klägerin am 04.01.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.01.2005 eingelegte und innerhalb der verlängerten
Begründungsfrist ausgeführte Berufung der Klägerin. Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin insbesondere vor, dass der für das
Unternehmen der ehemaligen D. P. GmbH gültige Anerkennungstarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch den für die Klägerin kraft
Verbandszugehörigkeit gültigen Verbandstarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen im Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg verdrängt
worden sei. Die Bestimmungen des § 613a Abs. 1 Sätze 2-4 BGB fänden gemäß § 324 UmwG Anwendung. Dagegen sei die Regelung des § 20
UmwG nicht eindeutig. Ein Tarifvertrag sei keine Verbindlichkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Eine Transformation der zum Zeitpunkt
der Umwandlung bestehenden Tarifverträge finde gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB dann nicht statt, wenn beim Rechtsnachfolger Rechte und
Pflichten durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages geregelt würden. Auch die Entscheidung des BAG vom 24.06.1998 - 4 AZR 208/97 -
stehe der Rechtsauffassung der Klägerin nicht entgegen. Im Gegensatz zu dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt handele es sich im
vorliegenden Fall um eine Verschmelzung im Wege der Aufnahme auf einen übernehmenden Rechtsträger, bei dem Tarifverträge kraft
Verbandszugehörigkeit Anwendung fänden. Selbst wenn man beim vorliegenden Sachverhalt nach der Verschmelzung zunächst von der
Geltung des Firmen-Anerkennungstarifvertrages ausgehe und deshalb das Eintreten von Tarifpluralität unterstelle, gelte nach dem vom
Bundesarbeitsgericht zur Recht vertretenen Grundsatz der Tarifeinheit in einem Unternehmen nur ein Tarifvertrag. Welcher Tarifvertrag zur
Anwendung komme, hänge vom Unternehmenszweck und der Verbandszugehörigkeit des Arbeitgebers ab. Dies seien vorliegend die
Tarifverträge des Groß- und Außenhandels. Die Klägerin führt weiter an, dass im vorliegenden Fall beiderseitige kongruente Tarifgebundenheit
eingetreten sei und verweist insoweit auf das Urteil des BAG vom 11.05.2005 - 4 AZR 315/04. Die Gewerkschaften, die im vorliegenden Fall
einerseits den Firmen-Anerkennungstarifvertrag und andererseits die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels abgeschlossen hätten, seien
Gründungsgewerkschaften der beklagten Gewerkschaft. Mit der Verschmelzung der Gründungsgewerkschaften auf die beklagte Gewerkschaft
am 01.07.2001 seien deshalb alle in diesen Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer der Klägerin Mitglieder der beklagten Gewerkschaft
geworden. Schließlich führt die Klägerin an, dass es in R. keinen Gemeinschaftsbetrieb der D. P. GmbH und der Klägerin gegeben haben.
Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen
Schriftsätze vom 16.03.2005 und 28.10.2005 verwiesen.
18 Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass der Anerkennungstarifvertrag vom 01.12.1998 sowie auch die darin in
Bezug genommenen Tarifverträge für das Druckgewerbe zwischen den Parteien keine Wirkung und auch keine Nachwirkung mehr
besitzen.
20 Die beklagte Gewerkschaft beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
22 Die beklagte Gewerkschaft verteidigt das angefochtene Urteil und trägt insbesondere vor, dass der Firmentarifvertrag auf die Klägerin
übergegangen sei, da ein Firmentarifvertrag zu den Verbindlichkeiten im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG zähle. § 613a BGB finde im
vorliegenden Fall schon deshalb keine Anwendung, weil kein Betriebsübergang vorgelegen habe. Der Grundsatz der Tarifeinheit sei überholt. §
95 Nr. 1 Satz 3 der Satzung der beklagten Gewerkschaft sehe für die übergegangenen Tarifverträge der Gründungsgewerkschaften Tarifpluralität
vor. Bei Heranziehung dieser Rechtsgrundsätze ergebe sich, dass der Firmen-Anerkennungstarifvertrag auf die Klägerin übergegangen sei und
sich seit dem 01.12.2003 in Nachwirkung befinde. Die Tarifverträge für die Arbeitnehmer des Groß- und Außenhandels fänden gemäß § 95 Abs.
1 Nr. 3 der Satzung auf Mitglieder der ehemaligen I. M. keine Anwendung. Wegen des weiteren Vorbringens der beklagten Gewerkschaft im
zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 09.05.2005 und 14.02.2006 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
23 Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken
an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.
II.
24 In der Sache hat die Berufung der Klägerin Erfolg. Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Der mit der D. P. GmbH abgeschlossene
Firmen-Anerkennungstarifvertrag vom 01.12.1998 entfaltet im Verhältnis der Parteien keine Wirksamkeit.
25 1. Die negative Feststellungsklage ist zulässig. Es besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Zwar beinhaltet nur der
schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages Rechte, die ein feststellbares Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO begründen können. Der
normative Teil des Tarifvertrages, um den es im vorliegenden Rechtsstreit geht, begründet dagegen keine durchsetzbaren Rechte und Pflichten
der Tarifvertragsparteien, da diese nicht Adressaten der tariflichen Rechtsnormen sind. In Abweichung hiervon eröffnet § 9 TVG i.V.m. § 2 Abs. 1
Nr. 1 ArbGG den Tarifvertragsparteien die abstrakte Feststellungsklage u.a. über das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrages
(Löwisch/Rieble TVG, 2. Aufl., § 9 Rnr. 1 f). Ein Feststellungsinteresse ist auch dann noch zu bejahen, wenn der Tarifvertrag gekündigt worden ist
und lediglich nachwirkt (BAG, 23.03.1957 - 1 AZR 64/56 - AP Nr. 18 zu Art. 3 GG; vgl. auch Däubler-Reinecke TVG, § 9 Rnrn. 22 ff.; Wiedemann-
Oetker TVG, 6. Aufl., § 9 Rnrn. 17 ff.).
26 Das Rechtsverhältnis muss grundsätzlich ein gegenwärtiges sein. Ein vergangenes Rechtsverhältnis kann nur Gegenstand einer
Feststellungsklage sein, wenn sich aus ihm nach dem Klagevortrag noch Rechtsfolgen für Zukunft und Gegenwart ergeben (Zöller-Greger ZPO,
25. Aufl., § 256 Rnr. 3c m.w.N.).
27 Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die Frage, ob der zwischen der D. P. GmbH und der I. M. am 01.12.1998 abgeschlossene
Anerkennungstarifvertrag zwischen den Parteien, die beide Rechtsnachfolger der Vertragsschließenden vom 01.12.1998 geworden sind,
Wirksamkeit entfaltet und auf die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Klägerin anzuwenden ist. Es
geht um das Bestehen oder Nichtbestehen des seit dem 01.12.2003 nachwirkenden Firmentarifvertrages. Für die Vergangenheit, insbesondere
für den Zeitraum 01.11. bis 30.11.2003, in dem der Anerkennungstarifvertrag uneingeschränkte Gültigkeit besessen hat, ist ein
Feststellungsinteresse nicht gegeben. Die Klägerin hat in der Berufungsverhandlung auf Nachfrage der Kammer kein Feststellungsinteresse für
die Vergangenheit als gegeben erachtet. Das ergibt sich auch daraus, dass die Klägerin und fast alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens eine Übergangslösung gefunden haben (vgl.
Einverständniserklärungen von Dezember 2005).
28 1. Die Klage ist auch begründet.
29
2.1 Entgegen der Ansicht der Klägerin ist sie aufgrund der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge als
übernehmende Rechtsträgerin in den mit der D. P. GmbH (übertragende Rechtsträgerin) abgeschlossenen Firmentarifvertrag eingetreten
und damit Tarifvertragspartei geworden.
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Im Urteil vom 24.06.1998 (4 AZR 208/97, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass jedenfalls bei der
Verschmelzung im Wege der Neugründung ein Firmentarifvertrag wegen der vom Gesetz angeordneten Gesamtrechtsnachfolge
uneingeschränkt auf den neu gegründeten Rechtsträger übergeht. Der Firmentarifvertrag wirkt dann kollektivrechtlich weiter. Auch der
Firmentarifvertrag sei eine Verbindlichkeit, die zum Vermögen des übertragenden Rechtsträgers zu zählen ist. Da der Firmentarifvertrag
kollektivrechtlich fortgelte, fänden § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB wie auch die darauf aufbauenden Regelungen der Sätze 3 und 4 daneben
keine Anwendung. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB habe insgesamt eine andere Rechtswirkung als die kollektive Weitergeltung des Tarifvertrages
und sei demgegenüber als nachrangige Regelung anzusehen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsauffassung bislang lediglich für
den Fall der Verschmelzung im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG) vertreten.
31
Für die erkennende Kammer, die sich dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anschließt, besteht kein sachlicher Grund, den hier
vorliegenden Fall der Verschmelzung durch Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) anders zu behandeln. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG
gilt für beide Arten der Verschmelzung im Sinne des § 2 UmwG. Die Geltung des Firmentarifvertrages beschränkt sich aber auf diejenigen
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die zuvor ein Arbeitsverhältnis mit dem übertragenden Rechtsträger hatten. Der Geltungsbereich
dehnt sich nicht auf die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des übernehmenden Rechtsträgers aus (Däubler-Lorenz TVG, § 3 Rnr. 180;
Wiedemann-Oetker TVG a.a.O. § 3 Rnr. 154; Sieg/Maschmann, Umstrukturierung aus arbeitsrechtlicher Sicht 2005, Rnr. 195; Lutter-Joost,
Umwandlungsgesetz 3. Aufl., § 324 Rnr. 34; a.A. Gaul NZA 1995, 717, 722 m.w.N.).
32
Im vorliegenden Verfahren kann die Lösung der sehr umstrittenen Frage, was passiert, wenn der übernehmende Rechtsträger - wie
vorliegend - ebenfalls an einen Tarifvertrag gebunden ist (hier: Verbandstarifvertrag), dahinstehen (vgl. Däubler-Lorenz, a.a.O., Rnr. 181:
Gemäß dem Grundsatz der Tarifspezialität verdrängt der Firmentarifvertrag des aufgenommenen Rechtsträgers den Verbandstarifvertrag des
übernehmenden Rechtsträgers; Lutter-Joos a.a.O., § 324 Rnr. 34: Fall der Tarifpluralität; Sieg-Maschmann a.a.O., Rnr. 197: Es endet die
kollektivrechtliche Fortgeltung des Firmentarifvertrages und es kommt zur Überführung in den Arbeitsvertrag nach § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB). Die Lösung dieser Rechtsfrage wäre nur für den Zeitraum 01.11. bis 30.11.2003, als der Firmentarifvertrag noch uneingeschränkt
gültig gewesen ist, relevant.
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2.2 Der nach dem 30.11.2003 nur noch kraft Nachwirkung geltende Firmentarifvertrag ist bei der Klägerin durch die uneingeschränkt
gültigen Verbandstarifverträge des Groß- und Außenhandels verdrängt worden.
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Es liegt keine echte Tarifkonkurrenz vor, wenn einer der in Betracht kommenden Tarifverträge nur noch nachwirkt. Der nur noch
nachwirkende Tarifvertrag wird durch einen uneingeschränkt gültigen Tarifvertrag verdrängt. Das ergibt sich daraus, dass die Nachwirkung
der Sache nach nur eine Auffangregelung darstellt, die durch jede andere Abmachung - auch einen anderen Tarifvertrag - ersetzt wird
(Däubler-Zwanziger TVG a.a.O., § 4 Rnr. 938; Wiedemann, Anmerkung zum Urteil des BAG vom 04.12.1974 - 5 AZR 75/74 - AP Nr. 2 zu § 3
TVG; a.A. Däubler-Bepler TVG a.a.O., § 4 Rnr. 860).
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2.3 Der fachliche Geltungsbereich der Tarifverträge des Groß- und Außenhandels für das Land Baden-Württemberg (z.B. Manteltarifvertrag
vom 11.06.1997) erfasst auch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die vor der Verschmelzung in der D. P. GmbH beschäftigt gewesen
sind. Der fachliche Geltungsbereich der Tarifverträge des Groß- und Außenhandels für das Land Baden-Württemberg ist weitgehend und
umfasst auch Groß- und Außenhandelsunternehmen, die im Rahmen ihres Handelsgeschäftes Nebenleistungen erbringen. Als
Nebenleistungen im Sinne dieser Tarifverträge werden etliche mechanische Arbeiten aufgezählt. Allerdings ist die Herstellung von
Druckerzeugnissen nicht aufgeführt. Die weitgehenden und umfassenden Tätigkeitsbeispiele des Tarifvertrages lassen jedoch erkennen,
dass die Tarifvertragsparteien den fachlichen Geltungsbereich umfassend regeln wollten. Der Unternehmenszweck der Klägerin, der im
Handelsregister u.a. mit der Herstellung von Druckerzeugnissen aller Art umschrieben ist, erfasst deshalb auch die Druckerei der
(ehemaligen) D. P. GmbH.
36
2.4 Auf die beklagte Gewerkschaft sind die u.a. mit den Gewerkschaften H. und D. abgeschlossenen Tarifverträge für die Arbeitnehmer/innen
des Groß- und Außenhandels in Baden-Württemberg übergegangen.
37
Nach der Verschmelzung der Gewerkschaften I. M., Ö., H., D. und D. am 01.07.2001 auf die V. D. v. sind die mit den verschmolzenen
Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge auf die beklagte Gewerkschaft übergegangen. Dem steht nicht § 95 der Satzung der
beklagten Gewerkschaft entgegen (vgl. BAG, 11.05.2005 - 4 AZR 315/04 - NZA 2005, 1362). Die Mitglieder der IG Medien (hauptsächlich in
der D. P. GmbH organisierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen) sind am 01.07.2001 Mitglieder der beklagten Gewerkschaft geworden.
III.
38 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO, wonach die unterlegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen
hat.
39 Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
40 Hensinger,….. Gentsch,….. Wollnik,…..