Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 05.04.2006

LArbG Baden-Württemberg: betriebsrat, ordentliche kündigung, konkursverfahren, unwirksamkeit der kündigung, inkraftsetzung, produktion, kündigungsfrist, hilfskraft, arbeitsgericht, akte

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 5.4.2006, 17 Sa 29/05
Anwendbarkeit der kurzen Insolvenzkündigungsfrist des §113 S 2 InsO auf Konkursverfahren, die vor dem 1.10.1996 eröffnet wurden, wenn
der Konkursverwalter die Kündigung nach diesem Zeitpunkt erklärt hat
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.02.2005 - Az.: 14 Ca 14588/03 abgeändert und die
Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 15.12.2003 mit
Ablauf des 31.03.2004, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin geendet hat.
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Der am 07.10.1955 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Gemeinschuldnerin seit 26.11.1986 als
Maschinenführer (Hilfskraft) beschäftigt. Die Bruttomonatsvergütung belief sich zuletzt auf EUR 1.982,30. Die Gemeinschuldnerin beschäftigte
regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat bestand. Auf das Arbeitsverhältnis fand der
Manteltarifvertrag für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung Baden-Württemberg vom 28.03.1992 Anwendung.
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Die Gemeinschuldnerin produzierte an ihrem (früheren) Standort in B. hochwertige Wohnmöbel, und zwar die Wohnraumprogramme Viana,
Zenos, X-Mart und Modem sowie das Schlafraumprogramm Arte. Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin war bereits am 20.05.1992 das
Konkursverfahren eröffnet worden; der Beklagte wurde zum Konkursverwalter bestellt. Anfang Dezember 2003 beschäftigte die
Gemeinschuldnerin 61 Arbeitnehmer, davon 43 Arbeitnehmer in der Produktion. Die Produktion bestand aus fünf Abteilungen, nämlich den
Abteilungen Furnierraum, Maschinenfertigung, Sonderfertigung, Oberfläche sowie Montage und Verpackung. Der Kläger war in der Abteilung
Oberfläche als Hilfskraft, hierbei insbesondere an der Oberflächenstraße eingesetzt.
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Aufgrund einer rückläufigen Auftragssituation entschloss sich der Beklagte Anfang November 2003 die Produktion mit Ausnahme der profitablen
Bettenfertigung beginnend ab 01.01.2004 bis spätestens 31.07.2004 einzustellen. Die Auslaufproduktion sollte bis möglichst 31.03.2004
durchgeführt werden. Der Beklagte beschloss des weiteren, bis 31.07.2004 bis zu 43 Arbeitnehmern zu kündigen, hiervon noch im Dezember
2003 bis zu 37 Arbeitnehmern zum nächst möglichen Kündigungstermin. Zur Auflaufproduktion sollten nur noch neun und zur Bettenfertigung nur
noch fünf Arbeitnehmer im Produktionsbereich verbleiben.
5
Am 27.11.2003 unterrichtete der Beklagte, vertreten durch Herrn K. P. und seinen späteren Prozessbevollmächtigten, den Betriebsrat über die
beabsichtigten Maßnahmen. Über die Besprechung wurde ein Sitzungsprotokoll angefertigt (Anlage B 1, ABl. 33 d. erstinstanzl. Akte). Am
01.12.2003 fand eine weitere Besprechung mit dem Betriebsrat statt, anlässlich derer die Betriebsratsanhörung eingeleitet wurde. Dem
Betriebsrat wurde eine Personalliste übergeben, die die Sozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer enthielt (Anlage B 2, ABl. 35f. d. erstinstanzl. Akte).
Des weiteren nahm der Beklagte mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan auf. Beide Vereinbarungen
wurden, obwohl nach Darstellung des Beklagten am 09.12.2003 zum Abschluss gebracht, erst am 18.12.2003 unterzeichnet (Anlage B 3, ABl.
37ff. d. erstinstanzl. Akte). Die geplante Massenentlassung wurde dem Arbeitsamt G. mit Schreiben vom 17.12.2003 angezeigt. Die
Bundesanstalt für Arbeit geht von einem rechtswirksamen Eingang der Anzeige am 29.12.2004 aus (ABl. 104ff., 112 d. erstinstanzl. Akte).
6
Im Dezember 2003 kündigte der Beklagte sodann die Arbeitsverhältnisse mit mindestens 30 Arbeitnehmern. Die Kündigungen der
Arbeitsverhältnisse mit den zwei schwerbehinderten Arbeitnehmer erfolgte nach Zustimmung des Integrationsamtes. Das Arbeitsverhältnis mit
dem Kläger kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 15.12.2003 zum 31.03.2004, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin. Das
Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 18.12.2003 zu. Nicht gekündigt wurden u.a. die Arbeitsverhältnisse mit den Schreinern M. S.
(zugleich Meister), H., M., S. und H., die für die Bettenfertigung vorgesehen waren, sowie die Schreiner I., B., V. (zugleich Meister) und R.
(zugleich Leiter der Produkt-Entwicklung), die für die Auslaufproduktion benötigt wurden.
7
Ab 01.01.2004 begann der Beklagte mit der Auslaufproduktion. Der Umsatz fiel von TEUR 191,34 im Januar 2004 auf TEUR 50,04 im Mai 2004
(zum Vergleich: September 2003 TEUR 553,4). Die Maschinen wurden größtenteils verkauft. Im Bereich Produktion, Entwicklung, Kundendienst
und Versand fiel der Personalstand auf 33 Mitarbeiter bis 31.01.2004, 11 Mitarbeiter bis 31.03.2004 und 9 Mitarbeiter bis 30.06.2004 (Die
Zahlenangaben stammen aus dem Parallelverfahren 4 Sa 18/05). Bereits am 02.02.2004 hatte der Beklagte im Staatsanzeiger für Baden-
Württemberg eine Anzeige der Masseunzulänglichkeit veröffentlichen lassen (Anlage B 4, ABl. 43 d. erstinstanzl. Akte).
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Mit seiner am 30.12.2003 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 15.12.2003 gewandt. Er hat vorgetragen, die
Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er sei mit den Schreinern I. und B. vergleichbar, weil er mit allen Maschinenarbeiten vertraut sei. Darüber
hinaus habe am 01.12.2003 keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung stattgefunden. Es sei am 01.12.2003 zunächst zu einem Disput
zwischen dem Beklagtenvertreter und dem Gewerkschaftssekretär R. über die Frage gekommen, ob die Betriebsratsanhörung vor Aufnahme von
Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan eingeleitet werden könne. Sodann sei dem Betriebsrat lediglich mitgeteilt
worden, dass die Fortführung der Bettenfertigung und die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer beabsichtigt sei. Nicht erörtert worden
sei, wie die Sozialauswahl vorgenommen wurde. Im Übrigen sei das Arbeitsverhältnis entsprechend der tarifvertraglichen Kündigungsfristen
frühestens zum 30.06.2004 aufgelöst worden, weil die Kündigungsfrist des § 113 InsO im vorliegenden Konkursverfahren keine Anwendung
finde, der Beklagte aber jedenfalls durch Abschluss des Anerkennungstarifvertrages vom 19.02.1998 die längeren Kündigungsfristen vereinbart
habe.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.12.2003 nicht
aufgelöst worden ist.
11 Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13 Der Beklagte hat erwidert, der Kläger sei als einfache Hilfskraft mit den über den 31.03.2004 hinaus beschäftigten Arbeitnehmern nicht
vergleichbar. Der Betriebsrat sei über die beabsichtigte Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet worden. Im Anschluss an das Wortgefecht
zwischen Herrn R. und dem Beklagtenvertreter sei dem Betriebsrat mitgeteilt worden, dass der Kläger mit den nicht gekündigten Arbeitnehmern
nicht vergleichbar sei. Vorsorglich seien dem Betriebsrat auch die Kriterien der Sozialauswahl mitgeteilt worden. Im Übrigen finde auf das
vorliegende Arbeitsverhältnis die Regelung des § 113 InsO Anwendung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 15.10.2004,
25.11.2004 und 18.01.2005 Bezug genommen.
14 Mit Urteil vom 23.02.2005 hat das Arbeitsgericht nach Beweisaufnahme über die Durchführung der Betriebsratsanhörung der Klage
stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung vom 15.12.2003 sei wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung
rechtsunwirksam. Die Vernehmung der Zeugin P. und R. habe nicht zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass dem Betriebsrat eine
hinreichende Information über den Kündigungssachverhalt betreffend den Kläger erteilt worden sei. Insbesondere sei die Sozialauswahl nicht
hinreichend erörtert worden. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 23.02.2005 Bezug
genommen.
15 Gegen das ihm am 04.03.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 04.04.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis 01.06.2005 mit am 01.06.2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet. Er trägt unter Bezug auf den
Schriftsatz vom 15.10.2004 vor, dass nur die im Produktionsbereich nicht gekündigten Arbeitnehmer, nicht aber der Kläger, dem
Anforderungsprofil bei der Auslaufproduktion und der verbleibenden Bettenproduktion entsprächen. Entgegen der Auffassung des
Arbeitsgerichts sei ein Fehler bei der Betriebsratsanhörung nicht erkennbar. Mit der übergebenen Personalliste sei der Betriebsrat über alle
Sozialdaten der zu kündigenden Arbeitnehmer unterrichtet worden. Er sei ferner über den Kündigungsgrund - Einstellung aller Möbelprogramme
mit Ausnahme der noch profitablen Bettensonderfertigung - und das sich daraus ergebende Anforderungsprofil für die Arbeitnehmer informiert
worden. Dem Betriebsrat sei weiter mitgeteilt worden, dass alle zu kündigenden Arbeitnehmer mit den neun bzw. fünf für die Auslaufproduktion
bzw. die Bettensonderfertigung benötigten Arbeitnehmern nicht vergleichbar seien. Unter Berücksichtigung dieses Vorbringens habe es einer
Beweisaufnahme zur Betriebsratsanhörung nicht bedurft. Selbst wenn man aber von der Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme ausgehe, sei der
Beweis einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung erbracht worden.
16 Der Beklagte beantragt,
17
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.02.2005, Az.: 14 Ca 14588/03 abzuändern und nach den Schlussanträgen des
Beklagten in der ersten Instanz zu erkennen.
18 Der Kläger beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
20 Er trägt vor, die Beweisaufnahme habe nicht die notwendige Überzeugung erbracht, dass die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß
vorgenommen worden sei. Dem Betriebsrat sei nicht ins einzelne gehend mitgeteilt worden, welche Tätigkeiten im Produktionsbereich künftig
anfielen. Insbesondere habe die Beweisaufnahme nicht erbracht, dass der Beklagte bei jedem einzelnen zu kündigenden Arbeitnehmer
mitgeteilt habe, aus welchen Gründen dieser entweder nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen oder zwar vergleichbar, aber weniger
schutzwürdig sei. Unabhängig davon sei die Kündigung auch wegen einer fehlenden ordnungsgemäßen Anzeige nach § 17 KSchG unwirksam.
21 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
22 Die Berufung des Beklagten ist gem. § 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG statthaft. Sie ist auch gem. § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der
gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
II.
23 Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom
15.12.2003 mit Ablauf des 31.03.2004 geendet. Die Kündigung des Beklagten scheitert weder an § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG noch ist sie aus
anderen Gründen rechtsunwirksam.
24 1. Die Kündigung des Beklagten ist nicht nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG sozialwidrig.
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a) Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine ordentliche Kündigung u.a. dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche
Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Hierzu hat der Beklagte
unbestritten vorgetragen, er habe sich Anfang November 2003 entschlossen, die Produktion aller Möbelprogramme - mit Ausnahme der
noch profitablen Bettensonderfertigung - einzustellen. Zur Umsetzung dieses Beschlusses sei beabsichtigt, ab Januar 2004 keine
Aufträge für die Möbelprogramme mehr anzunehmen und die Produktion in B. D. beginnend ab dem 01.01.2004 bis spätestens zum
31.07.2004 einzustellen. Die Auslaufproduktion solle bis möglichst zum 31.03.2004 durchgeführt und die neue Abteilung
Bettensonderfertigung aufgebaut werden.
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Der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren ebenfalls unbestritten vorgetragen, die für die Serienfertigung erforderlichen Maschinen
seien bis Ende März 2004 größtenteils verkauft worden. Die Produktion sei sodann in eine handwerklich ausgerichtete Herstellung von
Betten umgestellt worden. Die Produktionsweise sei dadurch geprägt, dass jede Tätigkeit von jedem einzelnen der verbliebenen
Produktionsmitarbeiter verrichtet werden müsse. Unter diesen Umständen genügten nur noch ausgebildete Schreiner dem
Anforderungsprofil. Hieraus folge, dass nur noch die fünf zur Weiterbeschäftigung vorgesehenen Schreiner bzw. Meister (S. , H. , M. , S.
und H. ), nicht aber der Kläger für die allein noch aufrechterhaltene Bettensonderfertigung eingesetzt werden könne. Aber auch im
Rahmen der Auslaufproduktion könne der Kläger nicht beschäftigt werden, weil er - anders als die vier weiteren für die
Auslaufproduktion vorgesehen Arbeitnehmer (B., R., I. und V. ) - nicht variabel auf verschiedenen Produktionsarbeitsplätzen einsetzbar
sei.
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Der Kläger hat sich gegen dieses Vorbringen nicht gewandt. Der Vortrag des Beklagten, das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des
Klägers sei am 31.03.2004, spätestens aber am 31.05.2004 entfallen, ist somit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unstreitig anzusehen.
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b) Die Kündigung des Beklagten ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG wegen nicht ordnungsgemäß durchgeführter Sozialauswahl
unwirksam. Der Kläger war ungeachtet dessen, dass er nicht näher ausgeführt hat, welche vergleichbaren Arbeitnehmer er für weniger
schutzwürdig hält, mit den über den 31.03.2004 im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmern nicht vergleichbar.
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(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl
einzubeziehenden Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also nach der ausgeübten Tätigkeit (vgl.
zuletzt BAG, 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 - und BAG, 23.11.2004 - 2 AZR 38/04 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60 und 70
mit zahlreichen Nachweisen). Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer
aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer
kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen.
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(2) Nach diesen Grundsätzen war der Kläger mit den über den 31.03.2004 hinaus verbleibenden Arbeitnehmern nicht vergleichbar.
Es ist unstreitig, dass der Kläger als angelernte Hilfskraft seit 17 Jahren überwiegend an der
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Oberflächenstraße beschäftigt war. In der Personalliste (Anlage B 2) wird der Kläger auch ausdrücklich als „Hilfskraft“ geführt. Es ist
auch nichts darüber ersichtlich, dass der Kläger - wie andere Arbeitnehmer - in anderen Abteilungen häufig im Wege der Aushilfe
eingesetzt war. Wegen seines seit Jahren auf eine bestimmte Tätigkeit eingeschränkten Arbeitsgebietes kann somit nicht davon
gesprochen werden, der Kläger sei mit einem als Schreiner tätigen Arbeitnehmer vergleichbar, bzw. könne sich in einer
angemessenen Einarbeitungszeit die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse aneignen. Infolgedessen kam es im vorliegenden
Fall auf soziale Auswahlgesichtspunkte nicht an.
32 2. Die Kammer kann sich nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts anschließen, im Streitfall scheitere die Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG an einer nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung.
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a) Der Beklagte hat in einer Besprechung am 01.12.2003 die Betriebsratsanhörung förmlich eingeleitet, nachdem am 27.11.2003 bereits
ein erstes Gespräch zwischen dem Betriebsrat einerseits und dem Beklagtenvertreter und Herrn P. andererseits stattgefunden hatte.
Dieser Zeitpunkt ist auch im Interessenausgleich vom 18.12.2003 unter Ziff. 3 dokumentiert. Über den Zeitpunkt der Einleitung des
Anhörungsverfahrens hatte allein der Arbeitgeber zu entscheiden. Mit der unstreitig erfolgten Übergabe der Personalliste (Anlage B 2)
erfolgte die erforderliche umfassende Information über die Sozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer sowie über die Kündigungsart und
Kündigungsfrist.
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b) Das Arbeitsgericht hat zur Betriebsratsanhörung ausgeführt, es habe nach der Vernehmung der Zeugen P. und R. nicht die
erforderliche
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Überzeugung gewinnen können, dass die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Hierbei bezogen sich die
Zweifel des Arbeitsgerichts nicht auf eine ausreichende Information über die betrieblichen Erfordernisse für die zahlreichen
Kündigungen, sondern darauf, ob dem Betriebsrat bezüglich jedes einzelnen zu kündigenden Arbeitnehmers dessen Vergleichbarkeit
und die sozialen Auswahlgesichtspunkte erörtert worden seien. Angesichts der von der Kammer festgestellten Widersprüche in den
Zeugenaussagen konnte sich das Arbeitsgericht keine Überzeugung bilden, dass der Betriebsrat gerade zur Vergleichbarkeit des
Klägers angehört worden sei.
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c) Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass der Beklagte den Betriebsrat über die betrieblichen Erfordernisse für die
zahlreichen Kündigungen hinreichend unterrichtet hat. Insoweit begann die Unterrichtung des Betriebsrat nicht erst am 01.12.2003,
sondern bereits am 27.11.2003. Über die Besprechung zwischen dem Zeugen P. , dem Beklagtenvertreter und dem Betriebsrat wurde
ein Protokoll angefertigt, in dem die unternehmerische Entscheidung des Beklagten zur Einstellung der verschiedenen
Möbelprogramme - bis auf die Bettensonderfertigung - und der Beginn der Auslaufproduktion festgehalten ist. Die Zahl der von einer
Kündigung betroffenen und die Zahl der zur Weiterbeschäftigung vorgesehenen Arbeitnehmer konnte der Betriebsrat der am
01.12.2003 übergebenen Personalliste (Anlage B 2) entnehmen. Die konkreten Angaben zu Beginn und Ende der Auslaufproduktion
ergaben sich aus dem am 09.12.2003 verhandelten und am 18.12.2003 unterzeichneten Interessenausgleich.
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d) Die Parteien streiten auch nur über die Frage, ob dem Betriebsrat die Vergleichbarkeit und sozialen Auswahlgesichtspunkte gerade
hinsichtlich der Person des Klägers mitgeteilt wurden. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat
grundsätzlich unaufgefordert die Gründe mitzuteilen hat, die zu der von ihm getroffenen sozialen Auswahl geführt haben (grundlegend
BAG, 29.03.1984 - 2 AZR 429/83 (A) - AP BetrVG § 102 Nr. 31; KR-Etzel, 6. Aufl. § 102 BetrVG, Rz. 62 f; APS-Koch, 2. Aufl. § 102 BetrVG
Rz. 111). Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Mitteilung der Auswahlkriterien dann nicht
erforderlich, wenn diese für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers überhaupt nicht ausschlaggebend waren (BAG, 24.02.2000 - 8
AZR 167/99 - AP KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 47; BAG, 27.09.2001 - 2 AZR 236/00 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 5; BAG,
13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - AP BetrVG § 102 Nr. 140). Maßgebend ist hierbei allein, ob aus der subjektiven Sicht des Arbeitgebers eine
Sozialauswahl mangels Vergleichbarkeit nicht geboten war.
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Im Streitfall war für den Betriebsrat ersichtlich, dass der Arbeitgeber der Auffassung war, der Kläger erfülle das Anforderungsprofil
weder für die Auslaufproduktion noch für die Bettensonderfertigung, soziale Auswahlgesichtspunkte daher für den
Kündigungsentschluss keine Bedeutung hatten. Die gegenteilige Auffassung des Arbeitsgerichts beruht möglicherweise darauf,
dass es angesichts der Vielzahl der anhängigen Kündigungsschutzklagen nicht hinreichend danach differenziert hat, welche
Funktion der jeweilige Arbeitnehmer im Betrieb innehatte. Hierauf kommt es aber für den Umfang der Mitteilungspflicht gegenüber
dem Betriebsrat an. Wie oben ausgeführt, war dem Betriebsrat mitgeteilt worden, dass für die Auslaufproduktion und für die spätere
Bettensonderfertigung nur noch eine kleine Anzahl von Arbeitnehmer im Produktionsbereich benötigt würden. Name, Abteilung und
Funktion dieser Arbeitnehmer ergaben sich aus der vorgelegten Personalliste (Anlage B 2). Aus den Funktionsbezeichnungen der
zur Weiterbeschäftigung vorgesehenen Arbeitnehmer (Facharbeiter und Meister) konnte unschwer abgeleitet werden, dass der
Beklagte diejenigen Arbeitnehmer für die handwerklich geprägte Bettensonderfertigung ausgewählt hatte, die hierfür angesichts
ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse die besten fachlichen Voraussetzungen mitbrachten.
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Zu diesem Personenkreis zählte der Kläger, der in der Personalliste als „Hilfskraft“ vermerkt war, ersichtlich nicht. Denn mit dieser
Bezeichnung wird herkömmlich zum Ausdruck gebracht, dass der betreffende Arbeitnehmer eine einfache Tätigkeit ausübt, für die
es regelmäßig keiner Ausbildung als Facharbeiter bedarf. Deshalb bedurfte es keiner weiteren Erläuterungen zur Vergleichbarkeit
des Klägers gegenüber dem Betriebsrat. Dass der Beklagte sich darauf berufen hat, man habe dem Betriebsrat dennoch die
Sozialdaten und die vorsorglich vorgenommene Sozialauswahl nach den Kriterien Betriebszugehörigkeit, Alter,
Unterhaltsverpflichtungen, Familienstand mitgeteilt, lässt die Wirksamkeit der Kündigung nicht an § 102 BetrVG scheitern, weil der
Arbeitgeber hierauf zur Begründung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung weder abstellen will noch muss. Die fehlende
Mitteilung hilfsweiser Erwägungen, auf die es für die Wirksamkeit der Kündigungen nicht ankommt, macht die Kündigung nicht nach
§ 102 BetrVG unwirksam.
40 3. Die Kündigung ist auch nicht aufgrund einer verspäteten Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG rechtsunwirksam.
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a) Der Beklagte war verpflichtet, gemäß § 17 Abs. 1 Ziff. 1 KSchG der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten.
Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer betrug nach dem Vortrag des Beklagten in der Regel 61 Arbeitnehmer. Der Beklagte entließ
aufgrund eines einheitlichen Entschlusses bis Ende Februar 2004 bis zu 43 Arbeitnehmer. Die Anzeige erfolgte mit Schreiben vom
17.12.2003. Ein rechtswirksamer Eingang wird von der Bundesanstalt für Arbeit für den 29.12.2003 bestätigt.
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b) Der Kläger hat sich erstmalig mit Schriftsatz vom 07.02.2005 darauf berufen, der Beklagte habe die Massenentlassung entgegen der
neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht vor Ausspruch der Kündigung bei der Agentur für Arbeit angezeigt.
Selbst wenn man aber mit dem Europäischen Gerichtshof (Urteil vom 27.01.2005 - C 188/03 - NZA 2005, 213) annimmt, die Art. 2 bis 4
der Richtlinie 98/59/EG vom 20.07.1998 über Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen seien
richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt,
führt dies im vorliegenden Fall nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom
23.03.2006 (2 AZR 343/05, www.Bundesarbeitsgericht.de, Pressemitteilung Nr. 18/06) durfte der Beklagte auf die ständige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, die eine
Anzeige vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen ließen. Einem kündigenden Arbeitgeber können nicht
rückwirkend Handlungspflichten auferlegt werden, mit denen er nicht zu rechnen brauchte und die er nachträglich nicht mehr erfüllen
kann. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
43 4. Ist die Kündigung des Beklagten somit weder sozialwidrig noch aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam, so hat das Arbeitsverhältnis der
Parteien mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO am 31.03.2004 geendet. Die Kammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass
im Streitfall nicht die längere Kündigungsfrist zu beachten war, die aufgrund des Anerkennungstarifvertrags vom 19.02.1998 iVm § 4 Ziff. 1 b des
Manteltarifvertrags für die Mitglieder der Gewerkschaft Holz und Kunststoff in den Betrieben der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie in
Baden-Württemberg (MTV) einzuhalten waren. Danach hätte im Streitfall eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende gegolten.
Die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, deren Auffassung sich die vorliegende Kammer anschließt, hat im Urteil vom
10.03.2006 (4 Sa 22/05) dazu ausgeführt:
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a) Die Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO findet im Streitfall Anwendung, obwohl das hiesige Konkursverfahren bereits am 20.05.1992
eröffnet wurde und die Insolvenzordnung erst am 01.01.1999 in Kraft trat. Denn § 113 InsO wurde durch das Arbeitsrechtliche Gesetz zur
Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 25.09.1996 - Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz - (BGBl. I S. 1476,
1478) vorzeitig in Kraft gesetzt. Die Vorschrift gilt auch für diejenigen Konkursverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttreten dieses
Gesetzes (01.10.1996) bereits eröffnet waren, sofern die Kündigung nach diesem Zeitpunkt erfolgte. Sie gilt des weiteren auch für eine
Kündigung, die im Rahmen eines fortdauernden Konkursverfahrens nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 01.01.1999 erfolgte.
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(1) Die Regelung des § 113 InsO wurde durch die Insolvenzordnung vom 05.10.1994 (BGBl. I S. 2866) geschaffen. Die Einführung
einer Höchstkündigungsfrist von drei Monaten wurde hierbei erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen. Dies sollte
nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 19.04.1994 (Bundestags-Drucksache 12/7302 S.
169; ferner Kübler/Prütting, InsO, § 113 Rz. 5 ff.) einen Ausgleich zwischen den sozialen Belangen der Arbeitnehmer des
insolventen Unternehmens und den Interessen der Insolvenzgläubiger an der Erhaltung der Masse als Grundlage ihrer
Befriedigung schaffen. Grundsätzlich hätte die neue Regelung nach den Art. 103, 104 EGInsO nur für Insolvenzverfahren gegolten,
die nach dem 01.01.1999 beantragt worden waren. Durch Art. 6 des Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996
wurde allerdings angeordnet, dass die §§ 113 und 120 bis 122 sowie 125 bis 128 InsO im Geltungsbereich der Konkursordnung bis
zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass jeweils das Wort „Insolvenzverwalter“ durch das
Wort „Konkursverwalter“ etc. ersetzt wird. Die teilweise geäußerten Bedenken gegen diese vorzeitige Inkraftsetzung der
arbeitsrechtlichen Vorschriften der Insolvenzordnung haben weder das Bundesarbeitsgericht noch das Bundesverfassungsgericht
für gerechtfertigt erachtet ( BAG, 16.06.1999 - 4 AZR 191/98 - AP InsO § 113 Nr. 3; BVerfG, 21.05.1999 - 1 BvL 22/98 - AP InsO §
113 Nr. 4).
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(2) Soweit ersichtlich noch nicht ausdrücklich entschieden hat das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob die
Kündigungsfristenregelung des § 113 InsO auch auf diejenigen Fallgestaltungen Anwendung findet, in denen das
Konkursverfahren vor dem Inkrafttreten des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes am 01.10.1996 beantragt bzw.
eröffnet wurde, die streitige Kündigung aber erst nach diesem Zeitpunkt ausgesprochen wurde. In seinen Urteilen vom 16.06.1999
(4 AZR 68/98 - zitiert nach Juris) und vom 19.01.2000 (4 AZR 70/99 - AP InsO § 113 Nr. 5) ist das Bundesarbeitsgericht hiervon aber
stillschweigend ausgegangen. Diese Rechtsauffassung ist auch zutreffend. Denn entgegen einer im Schrifttum (Lakies RdA 1997,
145) vertretenen Auffassung hat der Gesetzgeber bei der vorzeitigen Inkraftsetzung der arbeitsrechtlichen Vorschriften der
Insolvenzordnung kein Stichtagsprinzip analog Art. 103, 104 EGInsO eingeführt, wonach sich die vorzeitige Inkraftsetzung auf die
nach dem 01.10.1996 beantragten Konkursverfahren beschränken würde (so auch Erfurter Kommentar-Müller-Glöge, 6. Aufl. § 113
Rz. 8; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 22 KO Anm. 14).
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Dass sich die vorzeitige Inkraftsetzung auch auf die vor dem 01.10.1996 beantragten Konkursverfahren erstreckt, ergibt sich
sowohl aus dem Wortlaut des Gesetzes als auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Die vorzeitige Inkraftsetzung wurde erst
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes beschlossen. In der
Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Bundestags-Drucksache 13/5107 S.
31, dort noch zu Art. 5) heißt es hierzu, angesichts der wirtschaftlichen Eckdaten, insbesondere vor dem Hintergrund der
beständigen Zunahme von Insolvenzen, sei im Interesse der Erleichterungen von Betriebsveräußerungen, ... , eine
Übergangsregelung vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung geboten. Dies diene der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Auf eine
Stichtagsregelung hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang verzichtet. Der Normzweck, also die beabsichtigte
Erleichterung von Betriebsveräußerungen, trifft sowohl auf die am 01.10.1996 bereits anhängigen als auch auf die danach
noch zu eröffnenden Konkursverfahren zu. Daher gibt es keine Anhaltspunkte dafür, der Gesetzgeber habe die vorzeitige
Inkraftsetzung auf nach dem 01.10.1996 beantragte Konkursverfahren beschränken wollen.
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(3) Die vorzeitig in Kraft gesetzte Regelung des § 113 InsO ist auch nicht mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 01.01.1999 für
die noch anhängigen Konkursverfahren wieder außer Kraft getreten. Die gegenteilige Auffassung des Klägers (Schriftsatz vom
11.11.2004) teilt die Kammer nicht. Zwar heißt es in Art. 6 des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes in der Tat, dass
sich die vorzeitige Inkraftsetzung auf die Zeit „bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung“ erstrecke. Daraus kann aber nicht das
geradezu unsinnige Ergebnis folgen, dass für die nach dem 01.01.1999 noch anhängigen Konkursverfahren die Regelung des §
113 InsO keine Anwendung mehr finde. Vielmehr ist die Formulierung „bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung“ so zu verstehen,
dass § 113 InsO für die am 01.01.1999 anhängigen Konkursverfahren aufgrund der vorzeitigen Inkraftsetzung durch das
Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz und für die nach dem 01.01.1999 beantragten Insolvenzverfahren unmittelbar
aufgrund der Insolvenzordnung gelten soll. Dieses Verständnis entspricht - soweit ersichtlich - der allgemeinen Auffassung (Kittner-
Däubler, KSchR, 6. Aufl. Vorbemerkung InsO Rz. 12; Frankfurter Kommentar/InsO-Eisenbeis, 2. Aufl., vor §§ 113 ff. Rz. 2;
Uhlenbruck-Berscheid, InsO, 12. Aufl. § 113 Rz. 3).
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b) Die Kündigungsfristenregelung des § 113 InsO ist auch nicht durch den Anerkennungstarifvertrag vom 19.02.1998 abbedungen
worden.
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(1) § 113 InsO zählt zu denjenigen Regelungen der Insolvenzordnung, die nach § 119 InsO grundsätzlich unabdingbar sind.
Hiernach sind Vereinbarungen, durch die die Anwendung u.a. des § 113 InsO im voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird,
unwirksam. Die Vorschrift knüpft an die herrschende Meinung zum Konkursrecht an (Münchener Kommentar/InsO-Huber, § 119 Rz.
3). Daher macht es keinen Unterschied, dass das vorliegende Verfahren noch dem Konkursrecht unterfiel. Unter „im voraus“
geschlossenen Vereinbarungen sind nur solche zu verstehen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen wurden
(Münchener Kommentar-Huber, § 119 Rz. 13; Braun, InsO, 2. Aufl. § 119 Rz. 4 ). Hieraus folgt, dass der nach Eröffnung des
Konkursverfahrens abgeschlossene Anerkennungstarifvertrag nicht bereits deswegen unwirksam ist, soweit er zugunsten der
Arbeitnehmer von § 113 InsO abweichende längere Kündigungsfristen regelt.
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(2) Die Kammer folgt jedoch dem Arbeitsgericht darin, dass aus dem Abschluss des Anerkennungstarifvertrags vom 19.02.1998
nicht gefolgert werden kann, die Insolvenzkündigungsfristen des § 113 InsO seien von den Tarifparteien abbedungen worden.
Hierbei kann dahingestellt bleiben, welche tarifliche Rechtslage im Anschluss an den Verbandsaustritt des Beklagten im Herbst
1992 bestand (Nachbindung nach § 3 Abs. 3 oder Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG). Denn der Anerkennungstarifvertrag vom
19.02.1998 enthält keine Bestimmung, dass die tariflichen Kündigungsfristen entgegen § 113 InsO den - kürzeren -
Insolvenzkündigungsfristen vorgehen sollen. Entgegen der Auffassung des Klägers kann ein Vorrang der tariflichen
Kündigungsfristen auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte sich nach Konkurseröffnung zum Abschluss des
Anerkennungstarifvertrags bereit erklärte. Denn der Anerkennungstarifvertrag galt unbefristet, sollte somit auch für den Zeitraum
nach Aufhebung des Konkursverfahrens auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Es machte also durchaus Sinn, den
Manteltarifvertrag vom 28.03.1992 hinsichtlich der Kündigungsfristen ohne Aufnahme einer Sonderregelung zu übernehmen.
52
c) Der Anwendbarkeit des § 113 InsO steht schließlich nicht entgegen, dass der Beklagte in einem Konkursverfahren, das im Zeitpunkt
der Kündigung mehr als 11 Jahre angedauert hatte, die kurzen Insolvenzkündigungsfristen herangezogen hat. Einzuräumen ist in
diesem Zusammenhang, dass der Normzweck des § 113 InsO auf den vorliegenden Fall nur eingeschränkt zutrifft. Die Vorschrift soll
dem Insolvenzverwalter zur Erhaltung der möglichst zahlreicher Arbeitsplätze, insbesondere durch eine Betriebsveräußerung, eine
rasche Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu ermöglichen. Jedenfalls im Regelfall wird der Insolvenzverwalter die Entscheidung, in
welchem Umfang der Betrieb fortgeführt, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einer relativ kurzen Zeitspanne treffen. § 113
InsO sieht aber nicht vor, dass der Insolvenzverwalter von der Kündigungsfristenregelung des § 113 InsO nur während eines
bestimmten Zeitraums Gebrauch machen darf. Grenzen für die Heranziehung der kurzen Insolvenzkündigungsfristen können sich daher
nur aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ergeben. Hierfür hat jedoch der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger
keine Anhaltspunkte vorgetragen.
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(Zitat Ende)
III.
54 Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen. Die Kammer hat im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 113 S. 2
InsO gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG die Revision zugelassen.
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gez. Auweter gez. Hübner gez. Mendrock