Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 09.02.2006

LArbG Baden-Württemberg: vergütung, arbeitsgericht, stundenlohn, besitzstandswahrung, gewerkschaft, tarifvertrag, vergleich, anpassung, lohnerhöhung, anspruchsvoraussetzung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 9.2.2006, 19 Sa 54/05
Tarifauslegung - Einmalzahlung
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 20.07.2005 – Az.: 5 Ca 201/05 – wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf eine tarifliche Einmalzahlung hat, bzw. ob diese zu 75 % auf seine bisherige
Vergütung angerechnet werden kann.
2
Der Kläger, der langjähriges Mitglied der Gewerkschaft v. ist, arbeitet seit 1986 bei der Beklagten als Kraftfahrer. Die Beklagte ist ein
Entsorgungsunternehmen der U., deren Muttergesellschaft die U. ist. Die Beklagte ist seit 01.01.2005 Mitglied des Bundesverbandes der
Deutschen Energiewirtschaft e.V. (BDE). Bis 2004 galten bei der Beklagten die von der U. mit der Gewerkschaft v. abgeschlossenen
Haustarifverträge, zuletzt der Manteltarifvertrag vom 15.04.2002 (ABl. 39-50 d. Vorakte), gekündigt zum 31.12.2004 und für die gewerblichen
Mitarbeiter der Vergütungstarifvertrag Nr. 2 vom 15.01.2003 (ABl. 51-56 d. Vorakte), gekündigt zum 30.04.2004. Aufgrund des zum 30.04.2004
gekündigten Entgelttarifvertrages war der Kläger in Vergütungsgruppe 7 mit einem Stundenlohn von
EUR 12,93 eingruppiert. Nach dem mit der
Gewerkschaft v.
Kläger in Vergütungsgruppe 6 bei einem Stundenlohn von
EUR 12,36 einzugruppieren. Die Eingruppierung wurde mit Wirkung zum
01.01.2005 vorgenommen.
3
Mit Rücksicht auf dieses unterschiedliche Vergütungsniveau zwischen dem bis 2004 geltenden Haustarifvertrag und dem BETV(BDE) schlossen
die U. und v. mit Wirkung vom 01.05.2004 einen Tarifvertrag zur Besitzstandswahrung (TV-BSW) ab (vgl. ABl. 76-79 d. Vorakte), wonach die
ursprünglichen Tabellenvergütungen und Tabellenlöhne der Haustarifverträge maßgeblich bleiben, so lange sie die Löhne und Vergütungen
des BETV(BDE) übersteigen (§ 2 Abs. 1). Unter § 2 Abs. 2 dieses Tarifvertrages heißt es "künftige tarifliche Erhöhungen von Löhnen und
Vergütungen des BETV(BDE) können auf der Basis der einzelnen Arbeitsstunde zu 75 % so lange angerechnet werden, bis die jeweils
geltenden Löhne und Vergütungen des BETV(BDE) erreicht sind.
4
Mit Wirkung zum 01.09.2004 wurde von BDE und v. ein neuer Entgelttarifvertrag, der ab 01.01.2005 eine prozentuale Erhöhung der Monats- und
Stundenvergütung vorsah, abgeschlossen. Für die Zeit von September bis Dezember 2004 wurde als Ausgleich für die "Nullmonate" eine
Pauschalzahlung von
EUR 200,00 brutto, auszahlbar im Februar 2005
Abs. 2 TV-BSW 25 % der Pauschalzahlung, also
EUR 50,00 an den Kläger ausgezahlt.
5
Der Kläger ist der Auffassung, er habe Anspruch auf die volle Einmalzahlung von EUR 200,00. Er sei erst zum 01.01.2005 in Vergütungsgruppe
des BETV eingruppiert worden. Für die Zeit von September bis Dezember 2004 habe daher keine Tariflohndifferenz bestanden.
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Der Kläger hat beantragt:
7
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
EUR 150,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Europäischen Zentralbank seit dem 01.03.2005 zu bezahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, der BETV(BDE) neu finde für die Zeit vor dem 01.01.2005 mangels Verbandszugehörigkeit der Beklagten keine
Anwendung. Auch stelle die Pauschalzahlung eine Vergütungserhöhung dar, die auf die Monate September bis Dezember 2004
herunterzurechnen sei. Für diesen Zeitraum falle somit in der für den Kläger einschlägigen Vergütungsgruppe 6 ein Stundenlohn von
EUR 12,65
an. Die
förmlichen Feststellung der zutreffenden Vergütungsgruppe nach dem BETV bedürfe es für den Vergleich der Vergütungshöhen nicht.
10 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Offen gelassen wurde, ob der BETV(BDE) bereits für den Zeitraum von September bis Dezember
2004 anzuwenden war. Der geltend gemachte Anspruch des Klägers bestehe ohnedies nicht. Die formale Feststellung der zutreffenden
Vergütungsgruppe sei für einen Vergleich zwischen bisheriger Vergütung und der Vergütung nach dem BETV(BDE) nicht erforderlich. Es stehe
fest, dass die Tätigkeit des Klägers in Vergütungsgruppe 6 anzusiedeln sei. Zur näheren Sachdarstellung wird das Urteil vom 20.07.2005 in
Bezug genommen. Der Kläger hat gegen das am 25.07.2005 zugestellte Urteil am 08.08.2005 Berufung eingelegt und diese innerhalb der
verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 25.10.2005 ausgeführt.
11 Der Kläger verfolgt seine Klage weiter. Er meint, mit dem Begriff Löhne und Vergütungen in § 2 Abs. 2 TV-BSW seien die Entgelttabellen in
beiden Tarifverträgen gemeint. Da Einmalzahlungen nicht in die Tabellen eingerechnet würden und die Höhe der geltenden Vergütungen und
Löhne nicht bestimmten, finde eine Anrechnung nicht statt. Pauschalzahlungen seien von § 2 Abs. 2 TV-BSW nicht erfasst.
12 Die Beklagte wiederholt, dass der BETV(BDE) im Jahr 2004 noch keine Anwendung finde. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 TV-BSW sollten
außerdem gerade alle "tariflichen Erhöhungen von Löhnen und Vergütungen", also auch Pauschalzahlungen angerechnet werden.
13 Wegen des Parteivortrages im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden Rechtszügen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
14 Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine pauschale Zahlung von weiteren
EUR 150,00 für die
Monate September bis Dezember 2004.
15 1. Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass dahinstehen kann, ob der BETV(BDE) neu und damit die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 vor dem
01.01.2005 überhaupt auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet. Die Problematik insoweit hat das Arbeitsgericht unter I.1. der
Entscheidungsgründe aufgezeigt, weiterer Ausführungen dazu bedarf es nicht.
16 2. Auch wenn § 5 Abs. 1 Satz 1 BETV(BDE) neu auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet und dem Kläger somit an sich ein
Anspruch auf die Pauschalzahlung für die Monate September bis Dezember 2004 in Höhe von insgesamt
EUR 200,00 brutto
dennoch nur den von der Beklagten gezahlten Betrag von
EUR 50,00
von
EUR 200,00
Arbeitsgerichts unter I.2. der Entscheidungsgründe Bezug genommen werden.
17 3. Zusammenfassend ist auszuführen:
18 a) findet der BETV(BDE) aufgrund der Regelungen in der Präambel und in § 1 Abs. 2 des TV-BSW bereits vor dem 01.01.2005 Anwendung, so
gilt auch die Regelung des § 2 Abs. 2 dieses Tarifvertrages. Danach können 75 % der tariflichen Erhöhungen von Löhnen und Vergütungen des
BETV(BDE) so lange angerechnet werden, bis die jeweils geltenden (und gegenüber dem Haustarif geringer bemessenen) Löhne des
BETV(BDE) erreicht sind.
19 b) Gegen eine solche tarifliche Anrechnungsregelung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Besitzstandswahrung in § 2 Abs. 1 TV-BSW,
wonach die bisherigen Tabellenlöhne, soweit sie die Löhne und Vergütungen des BETV(BDE) übersteigen, weiter gezahlt werden, bestehen
keine Zulässigkeitsbedenken.
20 c) Bei der Pauschalzahlung nach § 5 Abs. 1 BETV(BDE) handelt es sich um eine tarifliche Erhöhung von Löhnen im Sinne des § 2 Abs. 2 TV-
BSW. Dem steht nicht entgegen, dass die Pauschalzahlung für die Monate September bis Dezember 2004 nicht in die Tabellen eingerechnet
und im Wesentlichen für eine zurückliegende Zeit gezahlt wurde. § 2 Abs. 2 TV-BSW läßt eine solche Einschränkung weder im Wortlaut, noch
nach Sinn und Zweck erkennen.
21 Was unter künftigen tariflichen Erhöhungen von Löhnen und Vergütungen zu verstehen ist, ist in dem Tarifvertrag nicht definiert. Abzustellen ist
deshalb auf das allgemeine Sprachverständnis. Danach ist unter einer tariflichen Erhöhung von Löhnen die Erhöhung des dem Arbeitnehmer als
Arbeitsvergütung für eine bestimmte Zeitspanne tariflich geschuldeten Entgeltbetrages zu verstehen. Dazu gehört zweifelsfrei die lineare
Erhöhung des Stundenentgelts um einen bestimmten Prozentsatz. Aber auch in einer Einmalzahlung kann eine solche tarifliche Erhöhung der
Löhne gesehen werden und zwar – entgegen der Auffassung des Klägers – auch dann, wenn diese nicht zu einer tabellenwirksamen Erhöhung
des Tariflohnes führt (BAG 19.05.2004 – 5 AZR 354/03 – EZA § 4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 43).
22 Die Voraussetzung einer Tariflohnerhöhung ist bei sogenannten Einmalzahlungen gegeben, wenn eine pauschalierte, auf einzelne
Abrechnungszeiträume bezogene Erhöhung des Tarifentgeltes – häufig für zum Teil bereits abgerechnete Kalendermonate – vorliegt. Der
tarifvertragliche Anspruch auf solche Zahlungen wird ebenso wie der Anspruch auf sonstige Tarifentgelterhöhungen mit der Zahlung eines
übertariflichen Lohnes, bzw. – wie hier – mit der Zahlung eines mit Rücksicht auf eine Besitzstandswahrung (§ 2 Abs. 1 TV-BSW) höheren
Stundenlohnes (nach Haustarifvertrag) erfüllt, so lange der Effektivlohn höher liegt (vgl. zur Anrechnung auf eine übertarifliche Zulage BAG
25.06.2002 – 3 AZR 167/01 – AP Nr. 36 zu § 4 TVG übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; BAG 16.04.2002 – 1 AZR 363/01 – AP Nr. 38 zu
§ 4 TVG übertarifliche Lohn- und Tariflohnerhöhung).
23 Sinn und Zweck des § 2 TV-BSW gebieten keine andere Auslegung. Eine Anrechnung nicht tabellenwirksamer Lohnerhöhungen steht dem Ziel,
das höhere Vergütungsniveau zwar zunächst zu sichern, aber auch eine allmähliche, durch geringere Lohnerhöhungen erzielte Anpassung an
das Lohnniveau des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages zu ermöglichen, nicht entgegen.
24 Bei der Pauschalzahlung für September bis Dezember 2004 nach § 5 BETV(BDE) handelt es sich um eine solche nachträgliche pauschalierte
Lohnerhöhung. Dies ergibt sich daraus, dass sie ausdrücklich als Ausgleich für die Monate September bis Dezember 2004, für die eine
prozentuale Stundenlohnerhöhung nicht vorgesehen ist, gezahlt wurde, ihre Höhe vom regelmäßigen Arbeitszeitvolumen abhängt (§ 5 Abs. 2
betr. Teilzeitarbeitskräfte) und Anspruchsvoraussetzung für sie der Bezug von Entgeltleistungen, bzw. Entgeltfortzahlungsleistungen in dem
Referenzzeitraum ist (§ 5 Abs. 3).
25 d) Vom Arbeitsgericht näher dargelegt und unstreitig, erhielt der Kläger nach Haustarif (Vergr. 7)
EUR 12,93 brutto pro Stunde während die
Tariferhöhung durch die
(BDE) zu einem Stundenlohnanspruch von EUR 12,65, bzw.
EUR 12,66 brutto geführt
entsprach daher der Regelung in § 2 Abs. 2 TV-BSW.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
27 Die Revision wird gem. § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zugelassen.