Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 24.06.2005

LArbG Baden-Württemberg: stadt, wirtschaftliche tätigkeit, kündigung, einheit, unternehmen, verfügung, arbeitsgericht, betriebsübergang, betriebsführung, öffentlich

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 24.6.2005, 7 Sa 10/05
Betriebsübergang
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 12.11.2004, 3 Ca 460/03, wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten vom
22.10.2003.
2
Der am 04.10.1948 geborene, verheiratete Kläger ist seit 01.11.1979 bei dem Beklagten ununterbrochen als K. gegen eine
Bruttomonatsvergütung von zuletzt durchschnittlich EUR 3.800,00 beschäftigt. Der Beklagte ist ein A., bestehend aus den Gemeinden E., H. und
H., und als solcher als Zweckverband eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. §§ 1 bis 3 des Gesetzes über kommunale
Zusammenarbeit [fortan GKZ] vom 16.09.1974, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2004 - GBl. S. 884). Der den beklagten
Zweckverband vertretende Verbandsvorsitzende (§ 16 Abs. 1 GKZ) ist zugleich Bürgermeister der Stadt H.. Der Beklagte betreibt eine K. „U. E.“ in
H.-M., dem Arbeitsort des Klägers. Neben dem Kläger beschäftigt der Beklagte lediglich eine weitere Arbeitnehmerin im Umfang von 20
Wochenstunden. Die Stadt H. betreibt zwei K. in H.-K. und H.-G., in welchen neben dem K., Herrn B., zwei weitere Arbeitnehmer in Vollzeit sowie
ein Arbeitnehmer im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sind.
3
Auf der Grundlage der §§ 25 Abs. 1, 29 GKZ schlossen der Beklagte und die Stadt H. einen Betriebsführungsvertrag (fortan: BFV) vom
26.02.2003 rückwirkend zum 01.08.2002. Nach § 1 Nr. 1 BFV beauftragte der Beklagte die Stadt H. mit der Betriebsführung auch der S. „U. E.
H./M.“. Zur Realisierung der Betriebsführung überließ der Beklagte die entsprechenden technischen Betriebseinrichtungen einschließlich der
dazu gehörenden Nebeneinrichtungen (§ 4 Nr. 1 BFV). Des weiteren stellte der Beklagte der Stadt zur Aufgabenerfüllung die vorhandenen
Betriebsfahrzeuge zur Verfügung (§ 4 Nr. 4 BFV). Der Betriebsführungsvertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen (§ 7). Wegen der
weiteren Einzelheiten des Betriebsführungsvertrages wird auf Blatt 26 bis 30 der Akte des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
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Unter dem 19.07.2002 erließ der Bürgermeister der Stadt H. und Verbandsvorsitzende des Beklagten mit Wirkung ab 01.08.2002 eine
„Gemeinsame Dienstanweisung (fortan: DA) der Stadt H. und des A. „U. E.“ für die Mitarbeiter auf den K. H.-K. und H.-G. (Stadt H.) sowie H.-M. (A.
„U. E.“). Nach Nr. 1 DA gilt diese für die Beschäftigten der A.e der Stadt H. und des A. „U. E.“. Nach deren Nr. 2 arbeitet der für die Betriebsführung
der K. verantwortliche Bedienstete (K.) - der so genannte Verantwortliche - nach den Weisungen der Betriebsleitung der Stadt H., die ihm
übergeordnet ist. Das Betriebspersonal hat die Anweisungen des Verantwortlichen zu befolgen. Der Verantwortliche ist für die Arbeitseinteilung
auf den K. zuständig. Nach Nr. 9 DA sind Urlaubstermine mit dem Verantwortlichen frühzeitig abzustimmen. An ihn ist auch die unverzügliche
Mitteilung bei Fernbleiben von der Arbeit zu richten (Nr. 9 DA).
5
Bei der Stadt H. ist ein Personalrat gebildet; beim Beklagten besteht keine Personalvertretung.
6
Nach § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 10.10.1979 findet mit Ausnahme u. a. des § 53 Abs. 3 (sog. Unkündbarkeit) der
Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils geltenden Fassung für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände
Anwendung. Mit Schreiben vom 22.10.2003, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis
außerordentlich, hilfsweise ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen. Eine Beteiligung des bei der Stadt H. gebildeten Personalrats erfolgte
vor Ausspruch der Kündigung des Beklagten nicht.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Vorbringens der Parteien sowie ihrer streitigen Behauptungen einschließlich ihrer
Rechtsansichten wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 12.11.2004 ergänzend Bezug genommen.
8
Mit vorgenanntem Urteil gab das Arbeitsgericht der fristgemäß eingereichten Kündigungsschutzklage im Wesentlichen mit der Begründung statt,
der Beklagte habe sich mit der Stadt H. zur Bildung einer einheitlichen Verwaltung analog dem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen
verbunden mit der Folge, dass der bei der Stadt H. bestehende Personalrat vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung anzuhören
gewesen wäre, was unstreitig nicht geschehen sei. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des
Arbeitsgerichts unter I. verwiesen.
9
Gegen das dem Beklagten am 18.11.2004 zugestellte Urteil legte dieser mit beim Berufungsgericht am 15.12.2004 eingegangenem Schriftsatz
Berufung ein und führte diese innerhalb der mit Verfügung vom 30.12.2004 bis zum 18.02.2005 verlängerten Begründungsfrist mit beim
Landesarbeitsgericht am 14.02.2005 eingegangenem Schriftsatz aus.
10 Der Beklagte wendet sich gegen die vom Arbeitsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegte Rechtsfigur der einheitlichen Verwaltung analog
dem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen und beantragt,
11
unter Abänderung des am 12.11.2004 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Reutlingen - Az: 3 Ca 460/03 -, die Klage abzuweisen.
12 Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bittet um
13
Zurückweisung der Berufung.
14 Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung und der Berufungsbeantwortung wird auf die Schriftsätze der Parteien (Beklagte vom
11.02.2005, Kläger vom 15.03.2005) ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
15 Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat
im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben. Für den Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung fehlte dem Beklagten die
Kündigungsberechtigung. Der Betrieb der S. „U. E. H./M.“ ist vor Ausspruch der Kündigung auf die Stadt H. gemäß § 613 a Abs. 1 BGB
übergegangen.
16 1. Die zulässige Klage ist begründet, weil im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung am 23.10.2003 der Beklagte infolge
des Betriebsübergangs nicht mehr Arbeitgeber und damit auch nicht mehr berechtigt war, dem Kläger gegenüber eine Kündigung
auszusprechen.
17
a) Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden
Arbeitsverhältnisses ein, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf ihn übergeht. Der durch die Richtlinien Nr. 77/187 des
Rates vom 14.02.1977 in der konsolidierten Fassung der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben
oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (vgl. ABl. L 82 vom 22.03.2001, S. 16 f.) geprägte Begriffsinhalt des Betriebsübergangs setzt die
Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus (vgl. Kapitel I, Art. 1 b der Richtlinie 2001/23/EG). Der Begriff Einheit
bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit
mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden
Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung die Art des betreffenden Unternehmens oder
Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im
Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der
Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser
Tätigkeit. Eine Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie
ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den ihr zur Verfügung stehenden
Betriebsmitteln (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an EuGH vom 11.03.1997 - Rs. C - 13/95 – EuGHE I
1997, 1259 - Ayse Süzen; Urteil vom 22.01.1998 - 8 AZR 775/96 - AP Nr. 174 zu § 613 a BGB, zu B I 1 der Gründe). Entsprechend Kapital I,
Art. 1 c der Richtlinie 2001/23/EG gilt die Richtlinie auch für öffentliche Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig
davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Im Lichte der vorgenannten Richtlinie führt auch das Bundesarbeitsgericht in ständiger
Rechtsprechung aus, dass es für den Zweck des § 613 a BGB nicht darauf ankomme, ob die in Rede stehenden Aufgaben in
privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder hoheitlicher Form erfüllt werden (z. B. BAG, Urteil vom 27.04.2000 - 8 AZR 260/99 - nicht amtlich
veröffentlicht, zu II 1 b der Gründe mit zahlreichen Nachweisen).
18
b) Hieran gemessen ist ohne weiteres von einem Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB auszugehen. Mit sogenanntem
Betriebsführungsvertrag vom 26.02.2003 gingen durch Rechtsgeschäft mit Wirkung zum 01.08.2002 die technischen Einrichtungen zur A.g
und R. als organisierte Gesamtheit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung auf die Stadt H. unstreitig 1 : 1 einschließlich der zur
Aufgabenerfüllung vorhandenen Betriebsfahrzeuge und einschließlich des in der technischen Einrichtung beschäftigten Klägers über. Der
Übergang des Klägers vorliegend als Element der Tatbestandsseite ergibt sich aus der den Vorgang insbesondere in personalrechtlicher
Hinsicht begleitenden gemeinsamen Dienstanweisung vom 19.07.2002. Anhaltspunkte, die gegen einen Betriebsübergang sprechen, liegen
nicht vor. Dass die arbeitsrechtliche Dimension des auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vollzogenen
Betriebsführungsvertrages den Parteien nicht bewusst war, ist für die Anwendung des Europarechts geprägten Tatbestands des
Betriebsübergangs im Hinblick auf seinen Arbeitnehmerschutzzweck unerheblich.
19
c) Der Vorsitzende hat die Parteien zu Beginn der Berufungsverhandlung auf den das Berufungsurteil tragenden Gesichtspunkt des
Betriebsübergangs hingewiesen, § 139 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Dazu war die Kammer veranlasst, weil erstinstanzlich eine Befassung mit den
Rechtsgrundsätzen des Betriebsübergangs nicht erfolgte. Nach § 139 Abs. 5 ZPO zu verfahren, war vorliegend nicht angezeigt.
20 2. Da die streitgegenständliche Kündigung bereits mangels Kündigungsberechtigung des Beklagten unwirksam ist, bedurfte es keiner
Auseinandersetzung mit den Kündigungsgründen.
II.
21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
22 Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den vom Bundesarbeitsgericht im Lichte der Erkenntnisse des
Europäischen Gerichtshofs aufgestellten Rechtsgrundsätzen.
23 gez. Pfeiffer,….. gez. Bentele,….. gez. Haupt,…..