Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 13.12.2002

LArbG Baden-Württemberg: arbeitsgericht, mitbestimmungsrecht, betriebsrat, gestaltung, einverständnis, bestandteil, zustandekommen, form, anweisung, drogenkonsum

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 13.12.2002, 16 TaBV 4/02
Blut- und Urinproben vor der Einstellung
Tenor
1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mannheim vom 08.05.2002 -- 9 BV 7/01 -- wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I. In einem Rechtsstreit über die von der Antragsgegnerin, ein auch in Mannheim einen Betrieb unterhaltendes Automobilunternehmen, gegen
den Willen des Antragstellers, des Betriebsrats des Werkes Mannheim, geübte Praxis, zur Einstellung vorgesehenen Personen durch den
werksärztlichen Dienst bei der Eignungsuntersuchung Blut- und Urinproben zu entnehmen und diese auf Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum
zu überprüfen, hat das Arbeitsgericht Mannheim mit Beschluss vom 08.05.2002 der Antragsgegnerin bei Meidung eines Zwangsgeldes
untersagt, derartige Untersuchungen vorzunehmen, solange der Antragsteller nicht zugestimmt oder die fehlende Zustimmung durch eine
Einigungsstelle ersetzt ist.
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Gegen den am 24.05.2002 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 17.06.2002 Beschwerde eingelegt und diese nach
entsprechender Verlängerung am 20.08.2002 ausgeführt. Die Betriebsvereinbarung über personelle Auswahlrichtlinien regele in Abschnitt 2.6.
die Eignung und dabei in Ziffer 3 (2.6.3.) die betriebsärztliche Untersuchung, in Ziffer 4 (2.6.4.) die Frage, wie der Betriebsrat bei formalisierten
Prüfungen zur Beurteilung der fachlichen und/oder persönlichen Eignung zu beteiligen sei. Die betriebsärztliche Untersuchung sei keine
formalisierte Prüfung gemäß Ziffer 4 und daher mitbestimmungsfrei änderbar. Im Gegensatz zu den Anforderungen nach Ziffer 4 würden die in
Ziffer 3 gestellten nicht vom Personalbereich, sondern vom Betriebsarzt durchgeführt. Ferner enthalte Ziffer 3 anders als Ziffer 4 keinen mit dem
Betriebsrat zu regelnden Änderungsvorbehalt. Aus der Durchführungspflicht des Arbeitgebers folge die inhaltliche Festlegung der
Untersuchungen durch die Antragsgegnerin und den Werksarzt.
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Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe die Beweisaufnahme die Zustimmung des Betriebsrates mit der Vorgehensweise der
Antragsgegnerin ergeben. Der Anspruch des Antragstellers sei ferner unbegründet, da die Handhabung der Antragsgegnerin eine
mitbestimmungsfreie Gestaltung von Anforderungsprofilen enthalte. Ein Unterlassungsanspruch folge auch nicht aus dem allgemeinen
Überwachungsrecht des Betriebsrats, desweiteren habe sie kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates verletzt, sodass ein allgemeiner
Unterlassungsanspruch nicht bestehe. Die Antragsgegnerin beantragt:
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1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Mannheim vom 8. Mai 2002 -- 9 BV 7/01 -- wird abgeändert.
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2. Der Antrag wird zurückgewiesen.
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Die Antragstellerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Die Regelungen des Abschnitts 2.6. der Betriebsvereinbarung über
Auswahlrichtlinien seien einheitlich auszulegen. Die Anordnung von Suchtmitteltests unterfielen daher der Regelung des § 2.6.4.. Eine Einigung
über diese Frage sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt; das Arbeitsgericht habe die erhobenen Beweise zutreffend gewertet. Das Mitbestimmungsrecht
des Antragstellers folge aus den Befugnissen bei der Gestaltung von Auswahlrichtlinien. Die Anweisung genereller Testung aller Bewerber sei
Teil eines formalisierten Verfahrens bei der Bewerberauswahl ohne Bezug auf konkrete Arbeitsplatzanforderungen und daher
mitbestimmungspflichtig. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin verletzte auch das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung materieller
Beurteilungsmerkmale. Die Antragsgegnerin sammle auf diese Weise Informationen über Bewerber, obwohl kein generelles Interesse an deren
Lebensgewohnheiten anzuerkennen sei.
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Der Antragsteller hat in der mündlichen Anhörung vor der Kammer den in Ziffer 2 enthaltenen Zwangsgeldantrag zurückgenommen.
II.
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Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und damit
insgesamt zulässig. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
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Das Arbeitsgericht hat den vorliegenden Rechtsstreit, soweit im Beschwerdeverfahren noch zu entscheiden ist, zutreffend entschieden. Das
Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin gibt Veranlassung zu den nachfolgenden ergänzenden Bemerkungen.
10 1. Die einzelnen Ziffern des Abschnitts 2.6. (Eignung) sind entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin trotz ziffernmäßiger Untergliederung
als einheitliche Regelung betreffend die festzustellende Eignung in fachlicher und persönlicher Hinsicht zu werten. Nach den in Ziffern 1 -- 3
festgelegten Anforderungen an die Eignung ist in Ziffer 4 die Frage geregelt, wie bei Änderungen der Anforderungen die Beteiligungsrechte des
Antragstellers zu wahren sind. Der von der Antragsgegnerin angenommene Gegensatz von betriebsärztlicher Untersuchung einerseits und
formalisierten Prüfungen zur Beurteilung fachlich und/oder persönlicher Eignung andererseits erscheint willkürlich und ist weder vom Wortlaut
noch von Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung in Abschnitt 2.6. gedeckt. Beabsichtigte Änderungen der verabredeten Eignungsfeststellung
durch die Einführung formalisierter Prüfungen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Betriebsärztliche Untersuchungen sind, wie das
Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, Maßnahmen zur Klärung der persönlichen Eignung nach einem generellen Zuschnitt, die als
formalisierte Prüfungen zu werten sind. Die weite Fassung von Ziffer 2.6.4. der Betriebsvereinbarung umfasst in ihrem Regelungsgehalt die
Anwendung geänderter Grundsätze der in Ziffern 2.6.1. bis 2.6.3. angesprochenen Eignungskriterien. Diese einvernehmliche Änderung der
maßgeblichen Kriterien kann dem Vortrag der Beteiligten und der Beweisaufnahme nicht entnommen werden.
11 2. Das Vorgehen der Antragsgegnerin ist nicht mit Zustimmung des Antragstellers erfolgt. Die Beweisaufnahme hat ein Einverständnis des
Antragstellers mit der Durchführung der Blutuntersuchungen zum Zwecke der Alkohol- und Drogentests nicht ergeben. Die Aussage des Zeugen
... erfolgte im Wesentlichen anhand von Merkzetteln ohne konkrete eigene Erinnerung über das Zustandekommen der Notizen. Dies ist im
Hinblick auf den Zeitablauf nachvollziehbar und verständlich. Aber schon aus der Aussage von ... ist zu schließen, dass ein einvernehmliches
Vorgehen von Antragsteller und Antragsgegnerin in der Frage der Blut- und Urinproben zum Zwecke von Alkohol- und Drogentests nicht
vorgelegen hat. Die von dem Zeugen geschilderten Gespräche mit dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden ... sind eindeutig. Aus den späteren
Gesprächen zwischen den Zeugen ... und ... kann ebenfalls kein einvernehmliches Vorgehen hergeleitet werden.
12 3. Der Antragsgegnerin kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie eine mitbestimmungsfreie Regelungsbefugnis reklamiert, da es sich nicht um
Auswahlrichtlinien sondern die Festlegung mitbestimmungsfreier Anforderungsprofile handele. Diese dienen dazu, für bestimmte Arbeitsplätze
auszuweisen, welchen Anforderungen fachlicher, persönlicher oder sonstiger Art ein Bewerber genügen muss, um eine bestimmte konkret
umschriebene Aufgabe zu erfüllen. Damit handelt es sich um einen Teil der Personalbedarfsplanung, der der Arbeitgeber gemäß § 92 BetrVG zu
genügen hat (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 31.05.1983 -- 1 ABR 6/80 = DB 1983, 2311ff). Um derartige arbeitsplatzbezogene
Qualifikationsmerkmale geht es im vorliegenden Fall nicht. Die Antragsgegnerin reklamiert generelle, für alle Bewerbungen maßgebliche
Eignungskriterien als mitbestimmungsfrei. Diese Merkmale sind Bestandteil persönlicher Voraussetzungen, die jeder Arbeitnehmer erfüllen muss
und die nicht mit den Anforderungen identisch sind, die die Antragsgegnerin für eine bestimmte Stelle ihrer Ansicht nach notwendig festlegt (vgl.
BAG aaO unter II. 4. der Gründe). Es handelt sich daher um einen der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden Teil einer
Auswahlrichtlinie im Sinne von § 95 BetrVG.
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Die Antragsgegnerin hat, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet, sodass
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen war.