Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 21.06.2005

LArbG Baden-Württemberg: befristung, konzern, arbeitsgericht, verfügung, gestaltung, geschäftstätigkeit, rechtsmissbrauch, werkzeug, aufgabenbereich, fusion

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 21.6.2005, 14 Sa 30/05
Befristung - Rechtsmissbrauch
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom
17.02.2005 – 4 Ca 488/04 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2004.
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Die Beklagte ist eine 100%ige Tochtergesellschaft des Energiekonzerns E AG (E B AG). Geschäftsgegenstand der Beklagten ist die Akquisition,
Vermarktung und Durchführung von anlagentechnischen und kaufmännischen Dienstleistungen. Ein Tätigkeitsschwerpunkt ist der Verleih
eigener Arbeitnehmer an Dritte. Die Beklagte verfügt über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, welche ihr im
November 1999 vom Landesarbeitsamt B erteilt wurde.
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Mit Anschreiben vom 29.04.2002 (vgl. VorAbl . 13) erhielt der Kläger von der Beklagten das vom 12.04.2002 datierende Angebot zum Abschluss
eines befristeten Arbeitsvertrages nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, demzufolge für den Zeitraum vom 01.
September 2002 bis 31.08.2004 der Kläger im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses als Kundenbetreuer beschäftigt werden sollte (vgl.
im Einzelnen Ziffer 1 und 2 des schriftlichen Angebotes vom 12.04.2002, VorAbl . 14 ff). Der entsprechende Vertrag wurde von beiden Parteien
im April 2002 unterzeichnet.
4
Vorausgegangen war ein befristeter Arbeitsvertrag nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz zwischen der E E mbH und dem Kläger,
abgeschlossen für den Zeitraum vom 01.09.2000 bis einschließlich 31.08.2002 (vgl. den Vertrag gemäß Angebot vom 17.07.2000, VorAbl . 9 ff).
Mit Wirkung ab dem 01.01.2001 wurde dieser Arbeitsvertrag auf die E K GmbH übertragen. Auch diese beiden vorherigen Arbeitgeberinnen des
Klägers sind 100%ige Töchter der E AG. Der Kläger nahm im gesamten Beschäftigungszeitraum vom 01.09.2000 bis 31.08.2004 denselben
Arbeitsplatz ein, d. h. die Tätigkeit blieb unverändert. Die Beklagte hatte der E K GmbH gem. schriftlicher Vereinbarung vom 26.08.2002 (vgl. Abl.
126) den Kläger für die Zeit vom 01.09.2002 bis 29.02.2004 zur Verfügung gestellt gegen Zahlung einer monatlichen Pauschale i. H. von EUR
3.450,–, in welcher evtl. Fehlzeiten bereits berücksichtigt sein sollten. Eine entsprechende Anschlussvereinbarung für die Zeit vom 01.09.2003
bis 31.08.2004 kam am 19.11.2003 zustande (vgl. Abl. 127).
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Mit der am 20.09.2004 eingegangenen Klage hat der Kläger bereits beim Arbeitsgericht die Rechtsunwirksamkeit der sachgrundlosen Befristung
zum 31.08.2004 geltend gemacht. Es liege ein Verstoß gegen das Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG oder aber jedenfalls eine
rechtsmissbräuchliche und deshalb unwirksame Umgehung vor. Faktischer Arbeitgeber sei unverändert auch über den 31.08.2002 hinaus die E
K GmbH gewesen. Der Arbeitgeberwechsel sei ebenso wie im Fall weiterer Arbeitnehmer nur zu Umgehungszwecken erfolgt mit dem Ziel, eine
längere sachgrundlose Befristung zu ermöglichen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG liege nicht vor. Arbeitgeber i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 2
TzBfG sei der Vertragsarbeitgeber. Nur auf diesen habe der Gesetzgeber abstellen wollen. Darüber hinaus liege im Streitfall keine
rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der durch das TzBfG vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten vor. Bereits vor Gründung des
Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der E K GmbH sei Gegenstand des Unternehmens der Beklagten gewesen, ihre Mitarbeiter zu verleihen.
Die Einrichtung eines Leiharbeitsunternehmens innerhalb eines großen Konzern sei für sich genommen nicht zu missbilligen. Es stelle keinen
Fall unzulässiger Rechtsausübung dar, wenn im Anschluss an ein normales befristetes Arbeitsverhältnis einmalig ein weiteres befristetes
Arbeitsverhältnis mit einer Verleiherfirma abgeschlossen werde, das die Möglichkeit der Verleihung an den bisherigen Arbeitgeber enthalte. Es
sei auch nicht ungewöhnlich, dass der Kläger, da er an seinen vorherigen Arbeitgeber verliehen worden sei, dieselben Tätigkeiten wie bereits im
früheren Arbeitsverhältnis ausgeführt habe. Im Übrigen wird zur näheren Sachdarstellung auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 17.02.2005
Bezug genommen.
7
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er macht insbesondere geltend, es gebe genügend Anzeichen, wonach von der
Befristungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 2 TzBfG rechtsmissbräuchlich und zu Umgehungszwecken Gebrauch gemacht worden sei. Bei der
Beklagten handle es sich um eine Papierfirma und tatsächlich nicht um ein Unternehmen der Leiharbeit. Es würden in bewusstem und gewolltem
Zusammenwirken mit dem bisherigen Arbeitgeber lediglich die Verträge umgeschrieben, ohne dass sich irgendetwas an den tatsächlichen
Verhältnissen ändere. Dies geschehe systematisch und in einer Vielzahl von Fällen, weshalb es entgegen der Überlegung des Arbeitsgerichts
auch nicht auf einen Einzelfall ankomme. Die Beklagte habe überhaupt keine "Disziplinargewalt" ausüben können, weil keine Personen für sie
gehandelt hätten, die ihre Mitarbeiter gewesen seien. Auch die Geschäftsleitung stehe lediglich auf dem Papier und werde in der Praxis
überhaupt nicht tätig.
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Der Kläger beantragt:
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1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 17.09.2004 wird abgeändert und nach den Schlussanträgen I. Instanz erkannt.
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2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
11 Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
13 Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Entgegen der Betrachtungsweise des Klägers handle es sich bei der Beklagten zunächst
keineswegs um ein "Werkzeug zur Umgehung von Befristungsbeschränkungen". Die Geschäftstätigkeit der Beklagten gehe über Rückleihe
befristet beschäftigter Arbeitnehmer weit hinaus, denn die Beklagte nehme für den Konzern wirtschaftlich bedeutende Tätigkeiten wie die
Übernahme von Werkleistungen und wesentliche soziale Aufgaben wahr, zu denen insbesondere die befristete Übernahme ehemaliger
Auszubildender zähle. Zur Mitarbeiterstruktur der Beklagten führt sie aus, im April 2002 seien dies insgesamt 263 Arbeitnehmer gewesen. Bei 22
Arbeitnehmern habe es sich um ehemalige im Konzern befristet Beschäftigte gehandelt. Hiervon wiederum seien 18 Mitarbeiter an den
ehemaligen Arbeitgeber verliehen und von diesem mit im Wesentlichen gleichem Aufgabengebiet beschäftigt gewesen.
Geschäftstätigkeit/Aufgabenbereich der Beklagten bestünden darin, bei bestehenden Personalüberhängen innerhalb des Konzern die
Vermittlung an ein Konzernunternehmen anzustreben, insbesondere für ehemalige Auszubildende ein "Sprungbrett" auszubauen. Entsprechend
diesem Sprungbrettgedanken würden in der Regel bei der Beklagten befristete Arbeitsverträge abgeschlossen, die sämtlich einen Einsatz als
Leiharbeitnehmer erlaubten. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bei der E K GmbH sei nicht in Betracht gekommen, weil aufgrund der
Liberalisierung des Strommarkts und der bevorstehenden Fusion der E AG und einiger ihrer Konzerngesellschaften mit der N S AG und deren
Tochtergesellschaften nicht absehbar gewesen sei, ob ein dauerhafter Beschäftigungsbedarf bestehen würde. Es fehle nicht nur an einem
Verstoß gegen das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Auch könne von einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung dieses Verbots
keine Rede sein. Die "Rückleihe" eines Arbeitnehmers stelle eine nach § 14 Abs. 2 TzBfG zulässige Gestaltung dar. Desweiteren spreche gegen
einen Rechtsmissbrauch, dass mit der Einstellung des Klägers beabsichtigt gewesen sei, diesem ein Sprungbrett für eine spätere Tätigkeit
innerhalb oder außerhalb des E Konzerns zu bauen. Indem die Beklagte mit der E K GmbH zunächst eine Entleihdauer nur bis zum 29.02.2004
vereinbart gehabt habe, sei das Risiko übernommen worden, dass für den Kläger bis zum Ende der Vertragslaufzeit am 31.08.2004 keine
Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehen könnte.
14 Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15 Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
I.
16 Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Parteien mit Abschluss des schriftlichen Arbeitsvertrages vom April 2002 nicht gegen das
Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verstoßen haben. Dies folgt entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts
daraus, dass diese Bestimmung das Anschlussverbot auf den sogenannten "Vertragsarbeitgeber" bezieht. Auf die Beibehaltung des
Beschäftigungsbetriebes oder sonstige Umstände, aus denen sich ein innerer – insbesondere wirtschaftlicher – Zusammenhang der beiden
Arbeitsverhältnisse ergäbe, kommt es nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht an. Für einen derartigen gesetzgeberischen Willen spricht
überdies, dass bereits zu § 1 Abs. 1 BeschFG 1985 die Maßgeblichkeit des Vertragsarbeitgebers (bzw. des rechtlichen Arbeitgeberbegriffs)
problematisiert worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 08.12.1988 – 2 AZR 308/88).
II.
17 Zwar spricht viel für den vom Kläger eingenommenen Standpunkt, wonach die unter Berufung auf § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vereinbarte
Befristung eine rechtsmissbräuchliche Umgehung darstellt. Dies führt allerdings nicht zum Bestand eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses der
Parteien des vorliegenden Rechtsstreits.
18 1. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft i.d.R. nichtig, welches gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. In entsprechender Weise können nach
den §§ 134, 242 BGB keine Rechtsfolgen aus einem Umgehungsgeschäft abgeleitet werden. Eine Umgehung liegt vor, wenn eine vom Gesetz
verbotene Regelung bei gleicher Interessenlage durch eine andere Gestaltung erreicht werden soll, die objektiv nur den Sinn haben kann, dem
gesetzlichen Verbot zu entgehen.
19 2. Das Vorbringen des Klägers, mit welchem er die zum 31.08.2004 vorgenommene Befristung auch wegen Rechtsmißbrauchs beanstandet,
läuft indes nicht auf eine von der Beklagten, sondern mit Wirkung für seine vorherige Arbeitgeberin, die E K GmbH, begangene Umgehung des §
14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG hinaus. Denn die Ausführungen des Klägers sollen ein Licht darauf werfen, dass/weshalb die durch § 14 Abs. 2 Satz 2
TzBfG verbotene Anschlussbefristung durch die E K GmbH bei gleichbleibendem Interesse eben dieser Arbeitgeberin an der unveränderten
Beschäftigung des Klägers als Kundenbetreuer durch die bloß formale Übertragung der Arbeitgeberstellung auf die Beklagte – in der
Ausdruckweise des Klägers: als "Scheinfirma" – nur den Sinn gehabt habe, dem dem Beschäftigungsinteresse der E K GmbH hinderlichen
Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zu entgehen.
20 Die Kammer neigt dazu, dem Kläger in seiner Wertung zu folgen. Denn es sind keine einleuchtenden Tatsachen, insbesondere keine
nachvollziehbaren wirtschaftlichen Interessen auf Seiten der Beklagten ersichtlich, welche die Annahme rechtfertigten, die Beklagte habe
irgendwelche eigenen Geschäftszwecke als Verleiherin des Klägers verfolgen wollen. Das Fehlen eines nach objektiven Kriterien begründbaren
Eigeninteresses indiziert gerade bei der – auch nach Einschätzung der Beklagten maßgeblichen – Betrachtung des Einzelfalles des Klägers, daß
mit dem befristeten Vertrag vom April 2002 zu Gunsten der E K GmbH § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG umgangen werden sollte. Dieses Ergebnis bedarf
im Streitfall keiner näheren Begründung, weil es sich auf das Rechtsverhältnis der Parteien jedenfalls nicht in Gestalt des angestrebten
unbefristeten Arbeitsverhältnisses auswirkt.
21 Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt der Kläger die Kosten der Berufung.
22 Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.
23 Witte
24 Rennig
25 Schultheiß