Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 27.06.2005

LArbG Baden-Württemberg: ordentliche kündigung, unwirksamkeit der kündigung, wirtschaftliche identität, feststellungsklage, arbeitsgericht, vergütung, kündigungsfrist, anfang, klagerücknahme

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 27.6.2005, 3 Ta 87/05
Kündigungsschutzklage ohne Kündigungsschutz; Verhältnis zu umfassend bewilligter Prozesskostenhilfe; Vergleich zwischen Wert der
Kündigungsschutzklage und dem Gesamtwert der hiervon abhängigen Leistungsklagen zur Feststellung des höheren Werts erforderlich;
keine Festsetzung des Gebührenstreitwerts nach Zeitabschnitten
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 03. Juni 2005 - 3 Ca 177/05 -
abgeändert:Der Gebührenstreitwert wird auf 10.801,67 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts nach § 63 Abs. 2 GKG. Gegenstand des
Ausgangsverfahrens waren eine Feststellungsklage im Sinne des § 4 Satz 1 KSchG gegen eine außerordentliche Kündigung und eine solche
nach § 256 Abs. 1 ZPO, ferner eine Leistungsklage, die teils auf restliche Vergütung für den Zeitraum vor dem Kündigungstermin, teilweise auf
Vergütung für den nachfolgenden Zeitraum gerichtet war. Der Kündigungsschutzantrag entspricht dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG. In der
Klagebegründung wird darauf abgehoben, dass die gegenständliche außerordentliche Kündigung wegen § 612a BGB unwirksam sei. Weiterhin
hat der Kläger seine Weiterbeschäftigung als Lkw-Fahrer und Spesenersatz in Höhe von 825,00 EUR verlangt. Mit dem Klageantrag zu 7 hat der
Kläger einen Anspruch auf ein qualifiziertes Zwischenzeugnis geltend gemacht. Das Arbeitsverhältnis hat nach Darlegung des Klägers seit
Februar 2005 bestanden und die vereinbarte Vergütung monatlich 2.200,00 EUR brutto betragen. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger wegen der
von ihm erhobenen Klageanträge in vollem Umfang Prozesskostenhilfe bewilligt.Das Ausgangsverfahren hat teilweise durch Klagerücknahme im
Gütetermin, im Übrigen durch einen im selben Termin abgeschlossenen Prozessvergleich geendet. Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen
Beschluss, auf dessen Begründung Bezug genommen wird (Bl. 34 d.A.), den Gebührenstreitwert für das Verfahren auf insgesamt 6.401,67 EUR
für die Zeit vor der teilweise erfolgten Klagerücknahme und auf 4.278,70 EUR für den nachfolgenden Zeitraum festgesetzt. Dabei hat es die
Feststellungsklage(n) mit 2.200,00 EUR bewertet. Den Weiterbeschäftigungsanspruch hat es nicht bewertet, weil er mit dem Wert der
Feststellungsklage identisch sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, der Prozessbevollmächtigten des Klägers im
Ausgangsverfahren. Sie sind der Auffassung, der Wert der Feststellungsanträge sei in Höhe von drei Monatslöhnen festzusetzen. Das
Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie hierher vorgelegt.
II.
2 Die Beschwerde ist zulässig, da ihr Gegenstand den in § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG genannten Wert übersteigt, und auch in der Sache gerechtfertigt.
Antragsgemäß ist der Wert der Feststellungsklage mit dem Betrag der nach Behauptung des Klägers vereinbarten Vergütung für ein Vierteljahr
nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG festzusetzen, da das wirtschaftliche Interesse des Klägers, das er mit dem Klageantrag verfolgte, zum Zeitpunkt der
Klageerhebung (§ 40 GKG) über diesen Zeitraum hinausgeht. Er hat seinen Antrag ausdrücklich nicht auf die Einhaltung einer Kündigungsfrist
beschränkt. Vielmehr hat der Kläger ausgeführt, dass er in der Kündigung einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot sehe. Wenn das
Arbeitsgericht meint, das Arbeitsverhältnis sei in der Probezeit ohne weiteres ordentlich kündbar gewesen, wird es dieser, rechtlich zutreffenden
oder nicht zutreffenden Auffassung des Klägers nicht gerecht. Zum einen kommt es bei der Bemessung des Gegenstandswerts auf das Interesse
des Klägers an und nicht auf die Frage, was der Beklagte alles tun könnte, zum anderen kann sich der Kläger mit diesem Argument auch gegen
eine, bisher noch nicht ausgesprochene weitere ordentliche Kündigung wenden wollen. Auch sonst gibt es keinen Umstand, der die Annahme
rechtfertigen könnte, das wirtschaftliche Interesse des Klägers sei geringer. Streitwertrechtlich kommt es nicht auf die Erfolgsaussicht der Klage an.
Auch eine unzulässige oder unschlüssige Klage ist nach dem mit ihr von der klagenden Partei verfolgten Interesse zu bewerten. Der Klageantrag
wie auch die Klagebegründung lassen erkennen, dass es dem Kläger nicht nur um die Einhaltung der Kündigungsfrist ging, von welcher Dauer
sie bei Klageerhebung auch immer ausgegangen sein mag, sondern von der generellen Unwirksamkeit der Kündigung. Ist aber eine Kündigung
als solche unwirksam, fehlt es aus der Sicht der klagenden Partei an einem Beendigungstatbestand mit der Folge, dass das Rechtsverhältnis
fortbesteht. Ob sich der Kläger auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen kann, ist für das Interesse, das er mit der Klage verfolgt, ohne jede
Bedeutung, wenn er nur erreichen will, dass das Arbeitsverhältnis auch über den Ablauf der ordentlichen Kündigung hinaus fortbesteht. Dass im
Übrigen der Rückgriff auf den bisherigen Bestand des Arbeitsverhältnisses kein ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des
Gebührenstreitwerts sein kann, entspricht der langjährigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer und bedarf nicht der ständigen
Wiederholung. Die Vergangenheit ist insoweit streitgegenständlich nicht ohne weiteres von Bedeutung. Dass der Klageantrag schon bei
Klageerhebung in diesem Sinne zu verstehen war, ergibt sich ungeachtet der Klagebegründung auch aus dem weiteren Umstand, dass der
Kläger seine Weiterbeschäftigung auf unbestimmte Zeit verlangt hat.
3 Die Erwägungen des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Schlüssigkeit eines auf unbestimmte Zeit gerichteten Bestandsschutzbegehrens hätten im
Verfahren bezüglich der beantragten Prozesskostenhilfe angestellt werden müssen. Insoweit hätte von Belang sein können, ob eine hinreichende
Erfolgsaussicht der Klage in diesem Umfang besteht (§ 114 Satz 1 ZPO). Es gibt aber keine Rechtsgrundlage dafür, eine möglicherweise zu weit
gehend bewilligte Prozesskostenhilfe über eine Begrenzung des Streitwerts auf einen etwa aussichtsreichen Teil des Klageantrags zu korrigieren
und den für nicht erfolgreich eingeschätzten wertmäßig unberücksichtigt zu lassen. Ob die außerordentliche Kündigung als jedenfalls ordentliche
umzudeuten gewesen wäre und eine solche mangels Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes jedenfalls wirksam gewesen wäre, ist eine
Einwendung der beklagten Partei, die auf das mit der Klage verfolgte Ziel nicht zu antizipieren ist, soweit die Auslegung des Klageantrags
mangels gegenteiliger Umstände ein solches weit gehendes Ziel erkennen lässt. Gibt es keine ordentliche Kündigung, weil sie unwirksam ist, gibt
es auch kein Ende des Arbeitsverhältnisses.
4 In Betracht wäre auch gekommen, dass nach Hinweis auf eine etwa mangelnde Erfolgsaussicht der Klage im Rahmen des
Prozesskostenhilfeverfahrens in diesem Umfang der Klageantrag mit Zustimmung des Klägers so hätte ausgelegt werden können, dass von
Anfang an nur die Wahrung der Kündigungsfrist begehrt worden wäre. Aber auch eine solche Klarstellung ist im Rahmen des Verfahrens nicht
erfolgt. Jedenfalls hat sich der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht gegen die von den Beschwerdeführern vorgetragene Meinung gestellt, dass
von Anfang an eine auf den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtete Feststellungsklage erhoben worden sei. Im Übrigen ist
es schon im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unentbehrlich, den Streitgegenstand des Verfahrens unverzüglich klarstellen zu lassen. Allenfalls
dann, wenn Zweifel bestehen, was mit einem bestimmten Antrag gewollt ist, kann eine Auslegung dahingehend erfolgen, dass die Partei das
beantragt, was ihr nützt und was nach der Rechtsordnung geboten ist. Hier hat aber der Kläger schon in der Klagebegründung darauf abgehoben,
dass die Kündigung als solche und nicht nur als außerordentliche unwirksam sei.
5 Nach allem ist für die Bestimmung des Gebührenstreitwerts beider Feststellungsklagen der Rahmen des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG voll
auszuschöpfen. Zwischen ihnen besteht jedoch wirtschaftliche Identität, sodass keine Wertaddition stattfindet. Der sich sonach ergebende Wert
von 6.600,00 EUR ist mit dem Wert der Zahlungsklage, die sich auf einen Zeitraum vor Ausspruch der Kündigung bezieht, also hier mit 3.226,67
EUR, zu addieren (§ 39 Abs. 1 GKG). Hinzu kommt noch der Wert der Zeugnisklage mit 150,00 EUR, gegen den sich die Beschwerde nicht richtet.
Ferner ist noch die Spesenforderung über 825,00 EUR mit diesen Beträgen zu addieren. Soweit für die Zeit nach Zugang der Kündigung ein
Vergütungsanspruch eingeklagt ist, der betragsmäßig niedriger liegt als die Vergütung für ein Vierteljahr, hat das Arbeitsgericht zu Recht wegen
wirtschaftlicher Teilidentität mit den Feststellungsklagen keine Addition vorgenommen.
6 Das Arbeitsgericht hat mit der an sich zutreffenden Begründung, dass der Wert der Leistungsklage mit dem der Feststellungsklage nicht addiert
werde, eine Bewertung dieses Antrags völlig unterlassen. Es besteht zwar in den Fällen, in denen das Rechtsverhältnis insgesamt
Streitgegenstand ist und im Wege der objektiven Klagehäufung zusätzlich auch ein Teilanspruch aus diesem dem Grunde nach streitigen
Rechtsverhältnis zusätzlich zum Gegenstand einer Klage gemacht wird, wegen wirtschaftlicher Identität in reduzierender Auslegung des § 5 ZPO
und des § 39 GKG ein Additionsverbot (vgl. etwa Beschluss vom 23. September 2004 - 3 Ta 162/04 - www.lagbw.de/Ta/3ta16204.htm - m.w.Nw.).
Maßgeblich ist aber der höhere Wert. Wegen der Deckelung des Streitwerts nach § 42 Abs. 4 Satz 1 kann es beim Streit über das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses insgesamt aber zu einem höheren Streitwert kommen, wenn der geltend gemachte Teilanspruch oder eine in sich zu
addierende Mehrheit von Teilansprüchen außerhalb der Reichweite des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG einen höheren Wert repräsentiert. Dann ist dieser
maßgeblich. Um dies festzustellen, ist also eine Bewertung dieses Anspruchs unabdingbar.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist der Beschäftigungsantrag nach § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO nach den
individuellen Umständen zu bewerten. Bei dem Beschäftigungsantrag kann es, da sich die Vergütungsansprüche auch ohne Arbeitsleistung aus §
615 BGB ergeben können, wertmäßig nur auf die Frage ankommen, ob der klagende Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung oder Erweiterung seiner
Fertigkeiten auf die tatsächliche Beschäftigung angewiesen ist. Es könnte auch der Umstand in Betracht kommen, dass er sich für weitere
Bewerbungen eine Erhöhung seines Marktwerts auf dem Arbeitsmarkt erhofft, wenn er aktiv tätig ist. Schließlich erfahren viele Arbeitnehmer in
ihrer beruflichen Betätigung auch ihre Selbstverwirklichung und leiten daraus auch ihr gesellschaftliches Prestige ab. Besondere Umstände sind
hierzu nicht vorgetragen. Hier ist also die Aktenlage entscheidend. Nach der Art der beruflichen Tätigkeit des Klägers sind keine spezifischen
Interessen an einer tatsächlichen Beschäftigung erkennbar. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, inwieweit er mit Rücksicht auf seine beruflichen
Fertigkeiten als Lkw-Fahrer auf eine kontinuierliche Beschäftigung angewiesen war. Dieses Interesse wird deshalb im Hinblick auf die
"Selbstverwirklichung in der Arbeit" und den sozialen Status im Unternehmen mit einem Betrag von 1.000,00 EUR bewertet und führt somit
gemeinsam mit dem hier zu berücksichtigenden Zahlungsantrag nicht zu einem höheren Wert.
8 Die für das Urteilsverfahren festzusetzenden Gebühren richten sich nach Vorbemerkung 8 und Nrn. 8210, 8211 KV GKG danach, wie das
Verfahren insgesamt erledigt wird. Deshalb brauchen die Gebührenwerte in der Regel nicht mehr nach Zeitabschnitten bestimmt zu werden,
soweit es um die Bemessung des Gebührenstreitwerts geht. Die Auswirkungen auf die Gebühren der Rechtsanwälte sind gegebenenfalls im
Verfahren nach § 33 RVG zu klären, wenn die für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Werte nicht für die Anwaltsgebühren zutreffen (hier also
insbesondere bezüglich des Prozessvergleichs und der daraus folgenden Einigungsgebühr). Dass hier zum Teil die Klage zurückgenommen und
zum Teil ein Prozessvergleich geschlossen worden ist, wirkt sich für den Gebührenstreitwert deshalb nicht aus, weil der maßgebliche
Privilegierungstatbestand nur nach Maßgabe der Nr. 8211 KV GKG (und Nr. 8210 Abs. 2) bei Erledigung des gesamten Verfahrens eingreift.
Soweit vor abschließender Erledigung des Verfahrens Teile der Streitgegenstände unstreitig erledigt werden, hat dies seit dem 01. Juli 2004 auf
die Gerichtsgebühren keinen Einfluss mehr, sodass sich eine Bestimmung des Gebührenstreitwerts nach Zeitabschnitten als nicht mehr
erforderlich erweist. Es ist stets der höchste Wert maßgeblich.
III.
9 Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).