Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 29.06.2004

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LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 29.6.2004, 14 Sa 44/04
Betriebsbedingte Änderungskündigung
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim (HD) vom 27.10.2003 – 10 Ca 300/03 – wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen mit der Maßgabe folgender Neufassung des Urteilstenors:
Es wird festgestellt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 19.04.2003 rechtsunwirksam
ist.
II.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 19.04.2003 ausgesprochenen
Änderungskündigung, die zum 31.07.2003 wirksam werden soll.
2
Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen, welches bundesweit Handel mit Unterhaltungselektronik, sogenannter weißer Ware, Computern
sowie Artikeln der Tele- und Bürokommunikation, Foto u. dgl. betreibt und zu diesem Zweck mehr als 90 Verkaufsfilialen errichtet hat.
3
Der Kläger, geboren am 01.11.1967, ist seit dem 16.09.1996 bei der Beklagten – bzw. ihrer Rechtsvorgängerin – in der Filiale ... (...) beschäftigt.
Als Verkäufer in der Abteilung Tonträger bezog der Kläger zuletzt ein monatliches Bruttogehalt i. H. von ca. Euro 2.000,00, wobei die tarifliche
Einstufung nach Gruppe II/6 erfolgen sollte (vgl. hierzu auch die schriftliche Betriebsratsanhörung vom 09.04.2003, die das Tarifgehalt i. H. von
Euro 1.915,00 brutto erwähnt).
4
Mit Schreiben vom 19.04.2003, welchem ein Entwurf für einen geänderten Arbeitsvertrag (vgl. i. E Abl. 59 ff) beigefügt war, sprach die Beklagte
die in Streit stehende, auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung zum 31.07.2003 aus. Das dem Kläger unterbreitete Änderungsangebot sieht
u. a. eine Vergütung i. H. von monatlich Euro 1.650,00 brutto vor.
5
Hintergrund der in Streit stehenden Änderungskündigung ist eine von der Beklagten bundesweit initiierte Umgestaltung ihrer Verkaufsfilialen.
Diese sollten vom Facheinzelhandel in reine Abverkaufsstellen umfunktioniert werden. Dem Kunden sollte ein – überdies deutlich reduziertes –
Warensortiment zum Kauf ohne fachliche Beratung angeboten werden. Dieses Konzept sah in personeller Hinsicht vor, dass eine Verkaufsfiliale
nur noch mit einem Marktleiter und einer (reduzierten) Anzahl von nachgeordneten Kräften besetzt sein sollte. Letztere sollten sämtliche
anfallenden Funktionen im Bereich der Kassentätigkeit, der Pflege und des Nachfüllens der Ware, der Entgegennahme von Reklamationen
sowie der Lagertätigkeit wahrnehmen. Zum Zwecke der Durchsetzung dieses Konzepts hatte die Beklagte mit dem jeweils zuständigen
Betriebsrat, so auch mit dem für die Filiale ... zuständigen Betriebsrat, einen Interessenausgleich abgeschlossen (vgl. Vereinbarung vom
13.02.2003, Vor Abl. 9 ff).
6
Der Kläger hat das ihm gemachte Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen. Er hat bereits beim Arbeitsgericht sowohl die durchgeführte
Betriebsratsanhörung bemängelt als auch die Sozialwidrigkeit der Kündigung vom 19.04.2003 geltend gemacht. U. a. hat der Kläger die
Auffassung vertreten, dass es entgegen der Behauptung der Beklagten nicht zu einer Umsetzung des neuen unternehmerischen Konzeptes
gekommen sei. Der Kläger könne ohne weiteres als Verkäufer in der Tonträgerabteilung weiter beschäftigt werden, was nach dem 31.07.2003
tatsächlich auch praktiziert werde. Auch sei die nur auf die Beschäftigungsfiliale bezogene Sozialauswahl fehlerhaft.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
19.04.2003 nicht aufgelöst sei. Zur Begründung ist ausgeführt, die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß. Die Kündigung sei nicht
sozial gerechtfertigt, weil nicht ersichtlich sei, dass der Arbeitsplatz des Klägers tatsächlich mit Ablauf der Kündigungsfrist weggefallen sei. Das
dem Kläger gemachte Änderungsangebot sei vom Kläger billigerweise nicht hinnehmbar, auch sei das Änderungsangebot nicht hinreichend
bestimmt gewesen. Zur näheren Sachdarstellung wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 27.10.2003 Bezug genommen.
8
Die Beklagte macht mit der Berufung unverändert geltend, dass sie eine rechtswirksame Änderungskündigung ausgesprochen habe. Entgegen
der Meinung des Arbeitsgerichtes habe die Beklagte insbesondere zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers ausreichend
vorgetragen. Bei Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2003 sei die beschlossene Umgestaltung der Fachfiliale vollzogen gewesen. Bereits ab
dem 09.05.2003 habe es in der Discountfiliale ... keine Fachberater mehr gegeben, sondern nur noch Verkäufer mit Kassen- und zugleich
Lagertätigkeiten. Hinsichtlich des dem Kläger im Zusammenhang mit der Kündigung gemachten Änderungsangebotes handle es sich um die
Weiterbeschäftigung auf einem neu geschaffenen Arbeitsplatz. Ein derartiger Arbeitsplatz habe bisher nicht existiert. Die Beklagte sei frei, selbst
zu entscheiden, wie sie die materiellen Arbeitsbedingungen einer neu geschaffenen Stelle gestalten wolle, also auch hinsichtlich der
Vergütungshöhe, der Arbeitszeit, arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifverträge usw. Die materielle Ausgestaltung der neuen Arbeitsplätze
sei nicht zu beanstanden, denn unter Berücksichtigung der fachlich einschlägigen Tarifverträge über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen
und Sozialleistungen des Einzelhandels in Baden-Württemberg wäre für die neu geschaffenen Arbeitsplätze die Beschäftigungsgruppe II
einschlägig. Während die tarifliche Grundvergütung dieser Gruppe Euro 1.305,00 brutto monatlich betragen habe, liege das einheitlich für alle
Filialen, so auch dem Kläger, gemachte Angebot einer Vergütung i. H. von Euro 1.650,00 brutto darüber.
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Das Arbeitsgericht habe auch zu Unrecht eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vermisst. In diesem Zusammenhang sei der Beklagten
nicht ausreichend Gelegenheit zum Vortrag gegeben worden.
10 Die Beklagte beantragt
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage anzuweisen.
12 Der Kläger beantragt
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen mit der Maßgabe folgender Antragstellung:
14
Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 19.04.2003 nicht
wirksam ist.
15 Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Auch die Berufungskammer ist der Auffassung, dass die in Streit stehende Änderungskündigung
am Maßstab der §§ 2, 1 Abs. 2 KSchG nicht gerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam ist.
1.
17 Für die Änderungskündigung nach § 2 KSchG müssen hinsichtlich ihrer sozialen Rechtfertigung die Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1
bis 3 KSchG vorliegen. Hierbei ist zunächst die soziale Rechtfertigung der angebotenen Vertragsänderung zu überprüfen. Handelt es sich wie im
Streitfall um eine betriebsbedingte Änderungskündigung, so ist das Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende
betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG das Änderungsangebot bedingen und ob der Arbeitgeber sich bei einem an sich
anerkennenswerten Anlass zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer
billigerweise hinnehmen muss (ständige BAG-Rechtsprechung, vgl. etwa Urteil vom 12.11.1998 – 2 AZR 91/98, m.w.N.).
2.
18 Die in Streit stehende Änderungskündigung vom 19.04.2003 entspricht nicht den oben aufgeführten Voraussetzungen. Für die dem Kläger
unterbreiteten neuen Vertragsbedingungen liegen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG vor. Es mangelt
vielmehr an der sozialen Rechtfertigung dafür, dass die Beklagte dem Kläger für seinen künftigen Einsatz als umfassend einzusetzender
Mitarbeiter einer Abverkaufsstelle lediglich Euro 1.650,00 brutto als Monatsverdienst angeboten hat.
a.
19 Tatsache ist zunächst, dass im Zusammenhang mit der von der Beklagten vorgetragenen Umstrukturierung des Marktes in eine Abverkaufsstelle
die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht entfallen ist. Denn unstreitig steht für den Kläger ein Arbeitsplatz zur Verfügung, der den
umfassenden Einsatz im Bereich Kasse, Pflege/Nachfüllen von Ware, Annahme von Reklamationen sowie Lagertätigkeiten vorsieht. Selbst wenn
es zur Übertragung dieser Tätigkeit überhaupt einer Änderungskündigung bedurft hätte, so gibt es jedenfalls für die dem Kläger angesonnene
Gehaltsreduzierung keinen, insbesondere auch keinen betrieblichen Grund gemäß § 1 Abs. 2 KSchG.
b.
aa.
20 Zunächst liegen die Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Änderungskündigung, die eine aus wirtschaftlichen Gründen anderenfalls
erforderlich werdende Beendigungskündigung vermeidet, nicht vor. Die Beklagte hat erst gar nicht geltend gemacht, die Unrentabilität des
Gesamtbetriebes erfordere die Anpassung der Personalkosten der in den umgestalteten Filialen verbleibenden Mitarbeiter.
bb.
21 Die Beklagte hat sich vielmehr darauf berufen, einen neuen Arbeitsplatz geschaffen zu haben, den sie aufgrund ihrer unternehmerischen Freiheit
neu dotieren dürfe. Die Befugnis, außerhalb bestehender tariflicher oder einzelvertraglicher Bindungen die von ihr zu zahlenden Entgelte
bestimmen zu können, soll der Beklagten auch nicht streitig gemacht werden. Indes folgt hieraus keineswegs die soziale Rechtfertigung der in
Streit stehenden Änderungskündigung. Denn insoweit ist maßgeblich, dass es gegenüber dem Kläger keinen Grund dafür gibt, das Entgelt bei
zwar geänderter, aber objektiv gleichwertiger Tätigkeit herabzusetzen.
22 Der Kläger erfüllte in seiner Tätigkeit als Verkäufer in der Tonträgerabteilung die Voraussetzungen der Beschäftigungsgruppe II des fachlich
einschlägigen Tarifvertrages über die Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für die Arbeitnehmer des Einzelhandels in
Baden-Württemberg. Dementsprechend sind die Parteien auch von einer Eingruppierung des Klägers in Beschäftigungsgruppe II/6
ausgegangen (vgl. das von der Beklagten bei der Betriebsratsanhörung mitgeteilte Tarifgehalt II/6 i. H. von Euro 1.915,00 brutto). Weiter ist
festzustellen, was insbesondere auch dem eigenen Vorbringen der Beklagten entspricht, dass der neu geschaffene Arbeitsplatz des umfassend
zuständigen Angestellten in der Abverkaufsfiliale gleichermaßen die Voraussetzungen der Beschäftigungsgruppe II des einschlägigen
Tarifvertrages erfüllt. Eine sachliche Begründung dafür, weshalb der Kläger für diese neue gleichwertige Tätigkeit nunmehr nicht mehr
entsprechend der vertraglichen Vereinbarung die tarifliche Vergütung erhalten soll, ist die Beklagte schuldig geblieben. Denn für das
Vertragsverhältnis der Parteien ist nicht entscheidend, ob der jetzt verfügbare Arbeitsplatz "neu" ist, maßgeblich ist statt dessen die
Gleichwertigkeit gegenüber der bisherigen Tätigkeit.
23
***
24 Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Beklagte die Kosten der Berufung.
25 Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision zugelassen.
26 Witte
27 Schultheiß
28 Rennig