Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 24.02.2005
LArbG Baden-Württemberg: konzept, umgestaltung, betriebsrat, anfang, ware, markt, presse, umbau, arbeitsamt, verfügung
LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 24.2.2005, 19 Sa 72/04
Betriebsbedingte Kündigung
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 20.04.2004 - 4 Ca 231/03 - in Ziffer 1 vollständig und in Ziffer 2
teilweise abgeändert:
Die Klage wird hinsichtlich des Feststellungsbegehrens sowie hinsichtlich der Forderung wegen eines über EUR 718,11 brutto hinausgehenden
Betrages abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges hat die Klägerin 19/20 und die Beklagte 1/20 zu tragen.
Von den Kosten der Berufung hat die Klägerin 9/10 und die Beklagte 1/10 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten in der Berufung über die Wirksamkeit einer mit Schreiben vom 22.04.2003 gegenüber der Klägerin ausgesprochenen
ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum 30.09.2003 und über den Umfang des Anspruchs auf eine tarifliche Sonderzahlung in Form
eines zusätzlichen Urlaubsgeldes. Hilfsweise macht die Klägerin auch einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend. Über diesen wurde
jedoch versehentlich nicht entschieden (s. unter 4. der Entscheidungsgründe).
2
Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen, welches bundesweit Handel mit Unterhaltungselektronik, sogenannter weißer Ware, Computern
sowie Artikeln der Tele- und Bürokommunikation, Foto und dergleichen betreibt und zu diesem Zweck mehr als 90 Verkaufsfilialen errichtet hatte.
Die 1956 geborene, verheiratete Klägerin war ab 01.01.1992 in der ursprünglich mit ca. 40 Arbeitnehmern besetzten Filiale P. als Kassiererin bei
einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von durchschnittlich EUR 1.925,00 beschäftigt.
3
Bei der Beklagten sind Regionalbetriebsräte gebildet. Mit dem auch für die Filiale M. zuständigen Betriebsrat für die Region S. und S. schloss die
Beklagte am 13.02.2003 eine Vereinbarung ab, die u.a. einen Interessenausgleich sowie personelle Auswahlrichtlinien zum Gegenstand hat
(vgl. Bl. 11 ff. d. Vorakte). Hiernach ist geregelt, dass sämtliche in einer Anlage aufgeführten Filialen, darunter auch die Beschäftigungsfiliale des
Klägers, zu "reinen Abverkaufsstellen umgestaltet" werden sollten. Hierzu ist u.a. näher ausgeführt:
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"B) Interessenausgleich
5
§ 1 Betriebsänderung
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1. Alle in der Anlage 1 aufgeführten Filialen werden zu reinen Abverkaufsstellen umgestaltet, und zwar voraussichtlich beginnend zu den dort
jeweils genannten Zeitpunkten. Die Parteien sind sich dabei einig, dass eine Verschiebung der dort genannten Zeitpunkte von bis zu 4 (vier)
Monaten keine wesentliche Abweichung darstellt. Angelieferte Ware wird zukünftig weitestgehend direkt vom LKW oder aus dem Lager
unausgepackt auf Paletten in den Markt gefahren. Kunden müssen sich die Ware überwiegend direkt von der Palette/aus den Regalen
entnehmen und zur Kasse befördern. Es findet nur noch eine eingeschränkte Kundenberatung/Serviceleistung in den einzelnen Filialen statt. Zur
Durchführung dieser Maßnahme wird das bisherige Warensortiment an die neuen Verhältnisse angepaßt.
7
2. Aufgrund dieser Umgestaltung wird in einer durchschnittlichen Filiale nur noch ein Marktleiter sowie 9 Mitarbeiter beschäftigt. Allen diesen
Mitarbeitern obliegt je nach Bedarf die Kassentätigkeit, die Pflege und das Nachfüllen der Waren, die Annahme von Kundengeräten im Rahmen
der Gewährleistung bzw. der Kulanz sowie Lagertätigkeiten. Zusammen mit dem Marktleiter sind diese 9 Mitarbeiter notwendig, um das
Funktionieren der Abverkaufsstelle innerhalb der täglichen Öffnungszeit zu gewährleisten. Diese Tätigkeit ist im Verhältnis zu den bisherigen im
Betrieb bestehenden Arbeitsplätzen neu. Eine Versetzung im Rahmen des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts ist deshalb nicht möglich. Alle
Arbeitnehmer - mit Ausnahme des Marktleiters - werden deshalb gekündigt. 9 Arbeitnehmer erhalten nach den nachstehenden Regelungen
keine Beendigungskündigung, sondern eine Änderungskündigung.
8
C.) Auswahlrichtlinie
9
§ 1 Auswahlkriterien
10 1. Die Auswahlrichtlinie ist nur für die Auswahl der Mitarbeiter anzuwenden, denen im Zuge der Umgestaltung einer Filiale zur reinen
Abverkaufsstelle die in diesem Zusammenhang zu bildende Stellen angeboten werden.
11 2. Vergleichbar sind dabei alle bislang in der Filiale tätigen Arbeitnehmer, ...
12 3. Die Parteien vereinbaren, dass die Auswahl der neu zu besetzenden Arbeitsplätze nach den folgenden Maßgaben erfolgt:
..."
13 Die Filiale M. sollte im Rahmen dieser Betriebsänderung nur noch mit 13 Filialmitarbeitern besetzt werden. Die Klägerin, die nach den
Auswahlrichtlinien der Vereinbarung vom 13.02.2003 nicht zu demjenigen Personenkreis gehörte, demgegenüber lediglich eine
Änderungskündigung in Betracht kam, erhielt daher die streitgegenständliche Beendigungskündigung. Vor Aushändigung der Kündigung an die
Klägerin schrieb die Beklagte neugeschaffene Arbeitsplätze innerbetrieblich aus, inserierte solche in der regionalen Presse und machte
Stellenangebote beim zuständigen Arbeitsamt.
14 Die Klägerin hält die Kündigung mangels betrieblicher Gründe für sozial nicht gerechtfertigt. Sie hat geltend gemacht, die soziale Auswahl sei
falsch getroffen. Bei ihr liege ein sozialer Härtefall vor, da ihr Ehemann zur gleichen Zeit von der Beklagten gekündigt worden sei. Dieser
Besonderheit hätte Rechnung getragen werden müssen, indem sie nicht wie eine verheiratete Mitarbeiterin mit voll berufstätigem Partner (= 0
Punkte), sondern als Mitarbeiterin mit nicht, bzw. nicht voll berufstätigem Partner (= 8 Punkte) oder zumindest als alleinstehende Partnerin (= 5
Punkte) oder anhand eines Durchschnitts der beiden Möglichkeiten (= 6-7 Punkte) behandelt wird. Bei Anlegung dieses Maßstabes sei sie
bessergestellt als der Mitarbeiter D. .
15 Für den Fall, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei, könne sie nach § 113 BetrVG einen Nachteilsausgleich fordern. Die Beklagte sei von
dem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung erheblich abgewichen. Statt am 01.09.2004 sei die Filiale M. bereits Anfang Mai
2003 umgestaltet worden. Anstelle von vorgesehenen 9 Mitarbeitern pro Filiale seien in der Folgezeit in der Filiale P. Mitarbeiter beschäftigt
worden und es gebe auch Mitarbeiter die ausschließlich beim Kassieren oder im Wareneingang tätig seien. Die Klägerin hat beantragt:
16 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.04.2003, zugegangen am 28.04.2003, nicht
beendet werde;
17 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, EUR 957,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
18 Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag Ziff. 1:
19 3. die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin eine angemessene Abfindung nach § 113 Abs. 1, 3 BetrVG zu zahlen.
20 Die Beklagte hat den Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 718,11 brutto anerkannt und im übrigen Klagabweisung beantragt.
21 Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang mit der Begründung stattgegeben, es könne nicht davon die Rede sein, dass der
Weiterbeschäftigung des Klägers gegebenenfalls zu geänderten Arbeitsbedingungen dringende betriebliche Erfordernisse entgegengestanden
hätten. Mit Rücksicht auf die noch vor Kündigungsausspruch auf unterschiedlichen Wegen von der Beklagten ausgeschriebenen Stellen hätte
die Beklagte zunächst der Klägerin eine Stelle anbieten müssen, mit dem Hinweis, dass es im Ablehnungsfall zur Kündigung kommen werde.
Erst wenn diese hiernach vorbehaltlos endgültig abgelehnt hätte, wäre die Beendigungskündigung statthaft gewesen.
22 Zur näheren Sachdarstellung wird im Übrigen auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 20.04.2004 Bezug genommen.
23 Die Beklagte hat gegen das ihr am 10.08.2004 zugestellte Urteil am 30.08.2004 Berufung eingelegt und diese am 08.10.2004 ausgeführt. Das
Urlaubsgeld hat sie der Klägerin inzwischen in voller Höhe ausgezahlt, den 718,11 EUR übersteigenden Betrag allerdings nur zur Abwendung
der Zwangsvollstreckung.
24 Die Beklagte macht mit ihrer Berufung unverändert geltend, dass nach dem beschlossenen und bereits Ende April/Anfang Mai 2003 vollzogenen
Umbau der Filiale M. für die Klägerin dauerhaft keine Beschäftigungsmöglichkeit als Kassiererin mehr bestanden habe.
25 Die Beklagte habe, wie dies im Interessenausgleich vom 13.02.2003 niedergelegt sei, die für die Arbeitsgerichte bindende
Unternehmerentscheidung zur Umgestaltung der Beschäftigungsfiliale der Klägerin in eine Discountfiliale getroffen, in der neben dem Marktleiter
nur noch 13 Angestellte beschäftigt würden, die je nach Arbeitsanfall als Verkäufer mit Kassen- und Lagertätigkeit eingesetzt würden.
Dementsprechend hätten 13 Arbeitnehmer eine Änderungskündigung erhalten, im Übrigen seien, so auch gegenüber der Klägerin,
Beendigungskündigungen auszusprechen gewesen. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts habe es bei Kündigungsausspruch für die
Klägerin keinen freien Arbeitsplatz gegeben. Die Stellenausschreibungen im April 2003 seien, wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, nur
vorsorglich erfolgt. Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien am 30.09.2003 geendet habe, stehe der Klägerin lediglich das bis dahin
anteilig zu errechnende Urlaubsgeld zu.
26 Hinsichtlich eines Betrages von EUR 718,11 hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen. Im Übrigen beantragt die Beklagte,
27 unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Kündigungsschutzklage und die Zahlungsklage in Höhe von EUR 239,30 nebst Zinsen
abzuweisen.
28 Die Klägerin beantragt,
29 die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30 Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.
31 Wegen des Parteivortrages im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden
Rechtszügen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
32 Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die in Streit stehende ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 22.04.2003 ist
sozial gerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.09.2003 beendet. Deshalb steht der Klägerin das tarifliche Urlaubsgeld
auch nur anteilig (9/12) zu. Die Klage ist, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde, in vollem Umfang abzuweisen.
33 Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gerechtfertigt.
34 1. Inner- und außerbetriebliche Umstände begründen ein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. des § 1 Abs. 2 KSchG, wenn sich diese
Umstände konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken. In der Regel entsteht das betriebliche Erfordernis nicht
unmittelbar und allein durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktionsrückgang usf.), sondern aufgrund einer durch wirtschaftliche
Entwicklungen veranlassten Entscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung). Die Zweckmäßigkeit einer derartigen
Entscheidung ist von den Arbeitsgerichten nur begrenzt nachprüfbar, nämlich darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.
35 Zum Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers gehört auch die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine
Arbeitsaufgabe erledigt werden soll. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als
auch das diesem zugeordnete Arbeitskräftevolumen (Menge der aufzuwendenden Arbeitszeit) und damit auch das Verhältnis dieser beiden
Größen zueinander festlegen. Dagegen obliegt es den Arbeitsgerichten nachzuprüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung überhaupt
getroffen wurde und ob sie sich betrieblich dahingehend auswirkt, dass der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist.
Zwar muss nicht ein bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein. Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom
Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin,
Personal einzusparen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluß heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nicht frei, sondern an das
Vorliegen von Gründen gebunden ist, ist der Arbeitgeber in solchen Fällen gehalten, seine Entscheidung hinsichtlich der organisatorischen
Durchführbarkeit und hinsichtlich der Nachhaltigkeit ("Dauer") zu verdeutlichen, damit das Gericht prüfen kann, ob die Entscheidung im Sinne der
oben aufgezeigten Anforderungen unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (so zutreffend BAG, Urteil vom 22.05.2003 - 2 AZR 326/02, m. w.
N.).
36 2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.
37 a) Die Beklagte hat eine gestaltende Unternehmerentscheidung dahingehend getroffen, ihre bisherige Verkaufspraxis grundsätzlich zu ändern
und ihre bundesweit verteilten Fachfilialen mit intensiver Kundenberatung, darunter auch die Filiale M. , in reine Abverkaufsstellen mit geringem
Personalbestand umzugestalten. Diese Entscheidung findet ihren Niederschlag in der mit dem zuständigen Betriebsrat getroffenen Vereinbarung
vom 13.02.2003. In diesem Interessenausgleich nach § 112 BetrVG ist im Einzelnen das Ob und Wie der Umgestaltung der Filialen geregelt.
Vorgesehen ist, dass die Ware vom Kunden nunmehr selbst zu entnehmen und zur Kasse zu befördern ist und eine an den individuellen
Kundenwünschen orientierte Beratung nur noch im Rahmen der erheblich reduzierten Belegschaft erfolgt, soweit es die übrigen Aufgaben
gerade zulassen. Dieses Konzept hat die Beklagte auch in der Filiale M. Ende April/Anfang Mai umgesetzt. Sie hat die Filiale in eine reine
Abverkaufsstelle umgestaltet.
38 Die von der Beklagten getroffene Unternehmerentscheidung zur Umgestaltung ihrer Filialen erscheint weder unsachlich noch unvernünftig oder
willkürlich. Im Gegenteil. Sie ist betriebswirtschaftlich motiviert. Bei der Festlegung der Anzahl der noch im Markt eingesetzten Mitarbeiter wurde
eine erhebliche Reduzierung des Sortiments der Waren zu Grunde gelegt. Außerdem sollten neben dem Marktleiter nur noch so viele Filialkräfte
beschäftigt werden, wie dies zum Funktionieren der Abverkaufsstelle innerhalb der täglichen Öffnungszeiten unerläßlich ist. Mit diesem Konzept
sollte erreicht werden, im Unternehmen zu einem zumindest ausgeglichenen Ergebnis zurückzukehren. All dies erscheint sowohl
betriebswirtschaftlich als auch personalwirtschaftlich einleuchtend. Ob das von der Beklagten gewählte Konzept in der Praxis tatsächlich zu dem
angestrebten Ergebnis führt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.
39 Bei Kündigungsausspruch Ende April/Anfang Mai 2003 lagen auch greifbare Formen der unternehmerischen Entscheidung vor. Denn bereits in
der Vereinbarung mit dem Betriebsrat vom 13.02.2003 hat sich das Konzept zur Umgestaltung der Filialen manifestiert. Es ist in der Filiale M.
dann auch bereits Ende April/Anfang Mai 2003 umgesetzt worden.
40 Diese Umgestaltung in eine Abverkaufsstelle führt zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin in ihrer bisherigen Funktion als
Kassiererin. Eine derartige Funktion besteht nicht mehr, da das unternehmerische Konzept der Beklagten gerade darin besteht, dass die außer
einem Marktleiter noch im Markt beschäftigten weiteren 13 Mitarbeiter ausnahmslos je nach Bedarf für Verkauf, Kassen sowie Lagertätigkeit
eingesetzt werden.
41 b) Entgegen der Argumentation der Klägerin und entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts kann das Vorliegen eines dringenden
betrieblichen Erfordernisses zur Kündigung der Klägerin auch nicht mit der Begründung, der Klägerin hätte aus Verhältnismäßigkeitsgründen
zunächst ein Änderungsangebot, das den Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genügt, gemacht werden müssen,
in Frage gestellt werden. Auch der Umstand der Stellenausschreibung erlangt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung.
42 Bei Kündigungsausspruch standen keine anderweitigen freien Arbeitsplätze zur Verfügung, die der Klägerin hätten angeboten werden können
und müssen. Ausgehend von 40 Beschäftigten hat die Beklagte zu diesem Zeitpunkt den Personalbestand auf nur noch 13 Mitarbeiter durch
Beendigungskündigung reduziert und die Arbeitsbedingungen der verbleibenden Mitarbeiter ihrem neuen Konzept durch die ausgesprochenen
Änderungskündigungen anzupassen versucht.
43 Anhaltspunkte dafür, dass bereits zu dieser Zeit festgestanden hätte, dass einzelne der "neueingerichteten" Arbeitsplätze nicht - wie zunächst
vorgesehen - dauerhaft besetzt werden können, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie beruft sich vielmehr nur auf Neueinstellungen ab dem
10.06.2003, also geraume Zeit nach Ausspruch der Kündigung. Aus der Tatsache, dass die Beklagte über das Arbeitsamt, die regionale Presse
sowie im Wege interner Stellenausschreibung versucht hat, Mitarbeiter anzuwerben, kann nicht geschlossen werden, dass tatsächlich bereits im
Zeitpunkt der Kündigung freie Stellen vorhanden waren. Die Beklagte hält überzeugend dagegen, dass sie diese Maßnahmen ergreifen mußte,
um sicherzustellen, dass die noch verbleibenden 13 Arbeitsplätze tatsächlich auf Dauer besetzt werden können. Denn es lag nicht fern, dass
einzelne betroffene Mitarbeiter die ihnen gemachten Änderungsangebote nicht annehmen würden.
44 Die Beklagte war auch nicht gehalten, mit einer Beendigungskündigung gegenüber der Klägerin solange zuzuwarten, bis feststünde, ob und in
welchem Umfang Arbeitnehmer, denen gegenüber eine Änderungskündigung auszusprechen war, unbedingt ausscheiden würden. Sie war
vielmehr bereits Ende April 2003 zum Ausspruch einer Beendigungskündigung befugt, weil nach ihrem personellen Konzept zum maßgeblichen
Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs tatsächlich kein freier Arbeitsplatz für die Klägerin vorhanden war und die zügige Durchsetzung eines
solchen Personalkonzepts nur in der Weise Erfolg versprochen hat, dass alle für die Umsetzung erforderlichen Kündigungen zeitgleich
ausgesprochen werden.
45 Soweit während des Laufes der Kündigungsfrist Mitarbeiter mit Änderungskündigung endgültig ausgeschieden und somit freie Stellen
entstanden sind, bestand für die von Beendigungskündigungen betroffenen Arbeitnehmer, also auch für die Klägerin, als Korrektiv die
Möglichkeit, einen Wiedereinstellungsanspruch geltend zu machen.
46 c) Die von der Beklagten durchgeführte soziale Auswahl ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat im Zusammenhang damit gerügt, bei der
Berechnung ihrer Sozialpunkte sei die etwa zeitgleiche Kündigung ihres Ehemannes nicht berücksichtigt worden. Dieser Umstand hat indes
keine Auswirkungen. Die Klägerin konnte maximal 8 Punkte mehr, also 47 Punkte erhalten und wäre auch dann unter den Mitarbeitern gewesen,
denen gegenüber eine Beendigungskündigung auszusprechen war, da aus der Gruppe der 46 - 55 Jährigen nur 3 Mitarbeiter mit 56, 70 und 89
Punkten eine Änderungskündigung erhalten haben. Im übrigen hat die Klägerin das von der Beklagten in der Vereinbarung vom 13.02.2003 mit
dem Betriebsrat vereinbarte Konzept der personellen Auswahl und das dort niedergelegte Punkteschema nicht beanstandet.
47 3. Die Kündigung ist auch nicht nach § 102 BetrVG unwirksam.
48 Dem Betriebsrat lag der Umbauplan "M." vom 24.02.2003 vor, in dem der Umbau der Filiale M. für Ende April 2003 vorgesehen war. Auch dass
dem Betriebsrat der Tätigkeitsbereich der Klägerin als Kassiererin nicht mitgeteilt wurde, schadet nicht, da dem Betriebsrat aufgrund des
Interessenausgleichs bekannt war, dass allen Filialmitarbeitern unabhängig von deren Aufgabenbereich gekündigt werden sollte, letzterer also
für den Kündigungsentschluss deshalb nicht entscheidend war.
49 4. Hilfsweise hat die Klägerin einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gem. §§ 111, 113 BetrVG geltend gemacht. Dieser wegen Zuerkennung
des Hauptantrages nicht beschiedene Hilfsantrag ist allein durch die Rechtsmitteleinlegung seitens der Beklagten in der Berufungsinstanz
angefallen (ständige Rspr. zuletzt BGH, Urteil vom 20.09.2004 - II ZR 264/02 - NJW RR 05, 220). Dieser Hilfsantrag wurde durch die Kammer
versehentlich übersehen. Er war deshalb weder Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2005, noch wurde über
ihn entschieden. Insoweit wird auf § 321 ZPO hingewiesen.
50 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 91 a ZPO.
51 Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Sonstiger Langtext
52 Rechtsmittelbelehrung
53 Gegen dieses Urteil findet die Revision für d. Kl. an das Bundesarbeitsgericht statt. Die Revisionsschrift muss innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Berufungsurteils, die Revisionsbegründung innerhalb von zwei Monaten nach diesem Zeitpunkt bei dem Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt eingehen.
54 Die Revisions- und die Revisionsbegründungsschrift müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet
sein.