Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 26.01.2004

LArbG Baden-Württemberg: beendigung, vertragliche arbeitszeit, vergütung, ordentliche kündigung, masseverbindlichkeit, leistungsklage, gehalt, erfüllung, verfügung, begriff

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 26.1.2004, 15 Sa 113/03
Tarifvertraglicher Differenzanspruch eines Altersteilzeiters im Falle der vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses in der
Insolvenz
Tenor
I. Auf die Berufung des beklagten Insolvenzverwalters wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 25. September 2003 – Az.: 1 Ca 305/03 –
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.009,92 EUR netto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
hieraus seit dem 04. Juni 2003 zu bezahlen.
2. Die weitergehende Klage wird als unzulässig abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 82% und dem Beklagten zu 18% auferlegt.
IV. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche aus einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis.
2
Der am 8. April 1941 geborene verheiratete Kläger ist mit Wirkung vom 1. Januar 1982 in die Dienste der Firma ... – der späteren
Insolvenzschuldnerin – getreten. Die Arbeitsvertragsparteien schlossen am 21. Dezember 2000 einen "Vertrag für verblockte Altersteilzeit".
Danach sollte das Altersteilzeitarbeitsverhältnis das bisherige Arbeitsverhältnis für den Zeitraum 1. Januar 2001 bis 31. August 2003 ablösen.
Dieser Vertrag beruhte auf der Grundlage des Tarifvertrages zur Altersteilzeit in der Druckindustrie (TV ATZ).
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§ 3 TV ATZ enthält die Regelung:
4
Nr.3 Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, ab dem der/die Altersteilzeitarbeitnehmer/-arbeitnehmerin von der
Arbeit freigestellt ist, nicht kündigen. Das Recht zur fristlosen Kündigung bleibt erhalten.
5
Nr.
4
Endet das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig, so hat der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin Anspruch auf eine etwaige Differenz
zwischen der erhaltenen Vergütung und dem Entgelt für den Zeitraum seiner/ihrer tatsächlichen Beschäftigung, das er/sie ohne Eintritt in
die Altersteilzeit erzielt hätte. Dabei sind die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung geltenden Tarifentgelte zu Grunde zu legen.
Zuschläge bleiben jedoch unberücksichtigt. Bei Tod des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin steht dieser Anspruch seinen/ihren Erben
zu.
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Der Kläger arbeitete während der Arbeitsphase vom Januar 2001 bis einschließlich April 2002 und somit für 16 Monate in Vollzeit bei
reduziertem Gehalt. Dieses Gehalt sollte er in der Ruhephase vom Mai 2002 bis August 2003 für ebenfalls 16 Monate ohne Arbeitsleistung
erhalten.
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Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde am 1. Januar 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter
bestellt. Dieser kündigte das Altersteilzeitarbeitsverhältnis während der Freistellungsphase zum 31. Oktober 2002. Der Kläger erhielt für den
Zeitraum Oktober bis Dezember 2001 Insolvenzausfallgeld auf der Basis des reduzierten Altersteilzeitgehaltes.
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Mit seiner am 30. Mai 2003 erhobenen Klage hat er für die Monate Januar 2001 bis Oktober 2002 einen monatlichen Differenzbetrag in Höhe
von 502,48 EUR geltend gemacht, dessen Höhe unstreitig ist.
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Der Kläger hat gemeint, er könne für 22 Monate die Differenz zwischen dem tatsächlich ausbezahlten reduzierten Gehalt und dem höheren
Gehalt beanspruchen. Der von ihm erhobene Anspruch sei eine Masseverbindlichkeit. Bei dem unter § 3 Nr. 4 TV ATZ geregelten Anspruch
handele es sich um einen zusätzlichen Anspruch für den Fall, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig ende. Der Anspruch sei erst nach
der Insolvenzeröffnung entstanden. In jedem Falle stehe ihm ein Anspruch für die zehn Monate nach der Beendigung des
Altersteilzeitverhältnisses durch die Kündigung des Beklagten bis zu dem vereinbarten Ende zu.
10 Der Kläger hat beantragt,
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der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 11.054,56 netto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
12 Der Beklagte hat eingewandt, die Klage sei unzulässig. Bei der erhobenen Forderung handle es sich um eine einfache Insolvenzforderung, die
somit zur Tabelle anzumelden sei. Ein Anspruch gegen ihn als Insolvenzverwalter direkt bestehe insoweit nicht. Die abgeschlossene
Vereinbarung über die verblockte Altersteilzeit unterliege der Regelung des § 7d SGB IV. Eine Absicherung des Wertguthabens sei nicht erfolgt.
Ohne eine solche Absicherung handele es sich um eine gewöhnliche Insolvenzforderung mit dem entsprechenden Ausfallrisiko.
13 Das Arbeitsgericht hat den Beklagten in Höhe von 5.024,80 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, der Anspruch ergebe sich aus dem in Bezug genommenen Tarifvertrag. Es handele sich um eine Masseverbindlichkeit, da der
Anspruch durch eine Handlung des Insolvenzverwalters begründet worden sei. Dieser habe von dem Sonderkündigungsrecht Gebrauch
gemacht. Die Vorschrift des § 7d SGB IV sei nicht einschlägig. Der monatliche Differenzbetrag sei jedoch nicht für 22, sondern nur für zehn
Monate zu zahlen. Von der sich an die Arbeitsphase anschließenden Ruhephase habe der Kläger lediglich sechs Monate "abgefeiert". Bei
normalem Verlauf der Dinge wären noch weitere zehn Monate hinzugekommen. Nach der tariflichen Bestimmung solle der Kläger für die noch
nicht verbrauchte Zeit der Freistellung einen Ausgleich erhalten, jedoch nicht je länger die Ruhephase andauere, eine zusätzliche stetig
anwachsende Entlohnung ausbezahlt erhalten.
14 Gegen diese am 30. September 2003 an die Prozessbevollmächtigten zugestellte Entscheidung haben beide Parteien Berufung eingelegt.
15 Die Berufung des Beklagten ist am 23. Oktober 2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Das Rechtsmittel ist, nachdem die
Begründungsfrist durch Verfügung vom 6. November 2003 bis zum 31. Dezember 2003 verlängert worden war, mit dem am 12. Dezember 2003
eingereichten Schriftsatz ausgeführt worden. Die Berufung des Klägers ist am 28. Oktober 2003 als Fax und am Folgetag im Original zum
Landesarbeitsgericht gelangt und mit dem am 24. November 2003 eingereichten Schriftsatz ausgeführt worden.
16 Der Beklagte begründet sein Rechtsmittel damit, bei der in Streit stehenden Forderung handele es sich um eine einfache Insolvenzforderung, die
zur Tabelle anzumelden sei. Die tarifliche Sonderregelung des § 3 Nr. 4 TV ATZ habe im vorliegenden Fall keine Gültigkeit, da es sich dabei um
eine Kündigungserschwerung handele. § 113 InsO schließe Sonderkündigungsschutzregelungen grundsätzlich aus.
17 Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 25.09.2003 – Az.: 1 Ca 305/03 abzuändern und Klage abzuweisen.
19 Der Kläger tritt der Berufung des Beklagten entgegen und verweist zur Begründung seiner Berufung auf den Wortlaut des in Bezug genommenen
Tarifvertrages und führt dazu aus, das Beschäftigungsverhältnis habe 22 Monate während der Altersteilzeit bestanden. Unter Beschäftigung sei
der Zeitraum des rechtlichen Bestandes des Anstellungsverhältnisses zu verstehen. Das Adjektiv "tatsächlich" bedeute die tatsächliche Dauer
des Teilzeitarbeitsverhältnisses. Damit sei für den gesamten Zeitraum der tatsächlichen Dauer des Altersteilzeitverhältnisses der Differenzbetrag
zu bezahlen. Er, der Kläger, erleide durch die vorzeitige Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erhebliche Nachteile. Er könne keine
ungekürzte Altersrente beziehen.
20 Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 25.09.2003 – Az.: 1 Ca 305/03 dahin abzuändern, dass der Beklagte zur Zahlung weiterer
6.029,76 EUR netto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 04.06.2003 verurteilt wird.
22 Der Beklagte wendet dem gegenüber ein, der Kläger könne, wenn ihm überhaupt ein Anspruch zustehe, nur einen solchen für zehn Monate
geltend machen. Nach der in Bezug genommenen tariflichen Regelung solle der Kläger für die noch nicht verbrauchte Zeit der Freistellung einen
Ausgleich erhalten.
Entscheidungsgründe
I.
23
Die Berufungen beider Parteien sind gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft. Die Klage ist in Höhe eines den gesetzlichen
Grenzwert vom 600 Euro übersteigenden Betrages abgewiesen worden. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verurteilung des Beklagten.
Beide Rechtsmittel sind form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig, das der Beklagten vor Ablauf der auf den fristgerechten Antrag hin
verlängerten Frist zur Berufungsbegründung, und ordnungsgemäß ausgeführt worden. Sie sind daher gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG,
519, 520 ZPO zulässig. Die Berufung des Beklagten hat insoweit Erfolg, als er zur Zahlung von mehr als 2.009,92 EUR netto nebst Zinsen
verurteilt worden ist. Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch nur für die Monate der Arbeitsphase zu, welche in die Zeit nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens fielen. Differenzbeträge für die Monate der Freistellungsphase bis zur Beendigung des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch die Kündigung des Beklagten sind nicht geschuldet. Differenzansprüche für die Monate der
Arbeitsphase vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Insolvenzforderungen und können nicht mit der Leistungsklage gegen den
Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
II.
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Da das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vor dem vertraglich vereinbarten Termin (31. August 2003) durch die Kündigung des
Insolvenzverwalters beendet worden ist, kann der Kläger an sich für die 16 Monate der Arbeitsphase den der Höhe nach unstreitigen
monatlichen Differenzbetrag beanspruchen. Auf seine Zahlungsklage hin kann der Beklagte jedoch nur in Höhe eines für die Monate Januar
bis April 2002 geschuldeten Betrages verurteilt werden.
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1. Der "Vertrag für verblockte Altersteilzeit" ist zwischen dem Kläger und seiner vormaligen Arbeitgeberin – der späteren
Gemeinschuldnerin – auf der Grundlage des Tarifvertrages zur Altersteilzeit in der Druckindustrie (TV ATZ) abgeschlossen worden.
Unter § 10 Nr. 2 der Altersteilzeitvereinbarung ist daneben bestimmt, dass "im Übrigen die Bestimmungen des Tarifvertrages zur
Altersteilzeit in der Druckindustrie sowie des Altersteilzeitgesetzes in seiner jeweiligen Fassung" gelten. Während es sich hinsichtlich
der Bezugnahme auf das Altersteilzeitgesetz nur um eine deklaratorische Regelung handelt, denn einschlägige gesetzliche
Bestimmungen gelten auch ohne eine Bezugnahme, kann der Kläger aufgrund der Verweisungsklausel auf den TV ATZ – eine
beiderseitige Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien ist nicht geltend gemacht worden – im Falle der vorzeitigen Beendigung
des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eine etwaige Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und dem Entgelt für den Zeitraum
seiner tatsächlichen Beschäftigung an sich beanspruchen.
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2. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis ist vorzeitig durch die Kündigung des Insolvenzverwalters beendet worden. Nach § 1 Nr. 2 der
Altersteilzeitvereinbarung haben dessen Parteien vereinbart, das Altersteilzeitarbeitsverhältnis solle ohne Kündigung am 31. August
2003 enden. Der Beklagte hat das Rechtsverhältnis während der Freistellungsphase zum 31. Oktober 2002 gekündigt. Diese
Kündigung ist vom Kläger nicht gerichtlich angegriffen worden, so dass es nicht darauf ankommt, dass nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 2 AZR 571/01, AP Nr. 125 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung)
eine Betriebsstilllegung kein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung auch durch den Insolvenzverwalter eines in der
Freistellungsphase befindlichen Arbeitnehmers darstellt, mit dem Block-Altersteilzeit vereinbart worden ist. Hatte der Insolvenzverwalter
das Arbeitsverhältnis gekündigt, musste nach der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Bestimmung des § 113 Abs. 2 Satz 1 InsO
(vgl. Art. 4 und 5 des Gesetzes zur Reform am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 3001) der gekündigte Arbeitnehmer
unabhängig vom Unwirksamkeitsgrund eine Klagfrist von drei Wochen wahren, um sich seine Rechte gegebenenfalls zu erhalten. Der
Kläger hat sich nicht klageweise gegen die Kündigung gewandt, so dass ihre Wirksamkeit zugrunde zu legen ist.
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3. Nach dem Wortlaut der Regelung unter § 3 Nr. 4 TV ATZ hat der Arbeitnehmer, dessen Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig endet,
Anspruch auf eine etwaige Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und dem Entgelt für den Zeitraum seiner tatsächlichen
Beschäftigung, das er ohne Eintritt in die Altersteilzeit erzielt hätte. Schon der Wortlaut der tariflichen Bestimmung kann keine
ernsthaften Zweifel darüber aufkommen lassen, dass von ihr die Freistellungsphase einer verblockten Altersteilzeit nicht erfasst wird.
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a) Seit der Grundlagenentscheidung zur Methodenlehre der Tarifauslegung (vgl. BAG, Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR
336/82, BAGE 46, 306 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) sind Tarifverträge wie Gesetze auszulegen, wobei zunächst vom
Wortlaut auszugehen ist. Dabei ist über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit
von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dies in den tariflichen Normen seinen
Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG, Urt. v. 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge:
Wohnungswirtschaft). Definiert eine tarifliche Regelung einen verwandten Begriff nicht, hat sich die Auslegung des verwandten
Begriffs am allgemeinen Sprachgebrauch, an der Entstehungsgeschichte und am Sinn und Zweck der Bestimmung zu orientieren
(vgl. BAG, Urteil vom 24. Oktober 2001 – 10 AZR 46/01, BAGE 99, 198 = AP Nr. 31 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen). Diese Grundsätze
der Tarifauslegung gelten auch im Falle der Tarifgeltung kraft Vereinbarung, da anderenfalls die Möglichkeit und Gefahr einer
gespaltenen Auslegung bestünde und die Wahrung der Rechtseinheit gefährdet wäre (vgl. BAG, Urteil vom 28. April 1988 – 2 AZR
750/87, AP Nr. 25 zu § 622 BGB).
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b) Die Anwendung der Grundsätze der Tarifauslegung ergibt vorliegend, dass weder dem Auslegungsergebnis des Arbeitsgerichts
noch dem des Klägers bzw. des Beklagten gefolgt werden kann. Während der Kläger den verwandten Begriff "tatsächliche
Beschäftigung" gleichsetzt mit der Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, misst das Arbeitsgericht der Tarifbestimmung die
Bedeutung zu, der Arbeitnehmer, dessen Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig geendet hat, solle für die noch nicht verbrauchte
Zeit der Freistellung einen Ausgleich erhalten. Es kommt daher zu dem Ergebnis, da der Kläger von der 16 Monate umfassenden
Freistellungsphase bis zur Wirksamkeit der Kündigung lediglich sechs Monate "abgefeiert" habe, könne er für die restlichen zehn
Monate den Differenzbetrag beanspruchen.
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Ein Differenzanspruch steht dem Arbeitnehmer, dessen Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig geendet hat, nach dem Wortlaut der
Tarifbestimmung "für den Zeitraum seiner tatsächlichen Beschäftigung" zu. Damit wird nicht die Dauer des Rechtsverhältnisses als
Bezugszeitraum herangezogen, sondern der Zeitraum, in welchem der Altersteilzeitarbeitnehmer tatsächlich (= wirklich) tätig
gewesen ist. Der Zeitraum der tatsächlichen Beschäftigung ist die Arbeitsphase, in welcher der Altersteilzeitarbeitnehmer weiterhin
die vormals im Arbeitsverhältnis geschuldete Arbeitszeit (vorliegend 35 Stunden pro Woche) erbringt, jedoch ein Zeitguthaben für
die Freistellungsphase in Höhe der Hälfte der vertraglichen Arbeitszeit erwirbt. Weil der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase
die bisherige vertragliche Arbeitszeit erbringt, jedoch ein Entgelt nach Maßgabe der reduzierten Arbeitszeit zuzüglich eines
Aufstockungsbetrages erhält, soll er, wenn das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nicht wie vereinbart durch Fristablauf sondern vorzeitig
endet, für den Zeitraum der Arbeitsphase des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses so gestellt werden, als wenn er nicht in Altersteilzeit
eingetreten wäre. Der Arbeitnehmer, der mit seinem Arbeitgeber ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach dem Blockmodell vereinbart
hat, erhält in der Arbeitsphase ein geringeres Entgelt als er ohne den Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erhalten
hätte. Da das erarbeitete Zeitguthaben in der Freistellungsphase entweder gar nicht oder nur zum Teil zum Tragen kommt, soll der
Altersteilzeiter, dessen Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig endet, für die Arbeitsphase den Differenzbetrag zwischen der
erhaltenen Vergütung (Arbeitsentgelt zuzüglich Aufstockungsbetrag) und dem Entgelt erhalten, das er ohne Eintritt in die
Altersteilzeit erzielt hätte. Somit steht dem Kläger an sich ein Differenzanspruch für die Monate Januar 2001 bis April 2002 zu. Das
Altersteilzeitarbeitsverhältnis war für insgesamt 32 Monate abgeschlossen worden. Es sollte am 1. Januar 2001 beginnen und am
31. August 2003 enden. In der ersten Hälfte des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses sollte die bisherige Arbeitszeit von 35 Stunden in
der Woche erbracht werden. Die erste Hälfte des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses umfasste die 16 Monate von Januar 2001 bis
April 2002.
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c) Der Auslegung, dass der Altersteilzeiter, dessen Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig endet, für die in der Arbeitsphase erbrachte
tatsächliche Arbeitsleistung einen Differenzanspruch erwirbt, steht nicht entgegen, dass die vorzeitige Beendigung zu
unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten kann. Vorliegend war der Kläger nach Ablauf der Arbeitsphase im
Altersteilzeitarbeitsverhältnis noch sechs Monate von der Arbeit freigestellt und konnte für diese Zeit ein Entgelt beanspruchen, das
sich aus der Vergütung für die Hälfte der bisher vereinbarten individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zuzüglich des
Aufstockungsbetrages zusammensetzte. Unabhängig davon, in welchem Umfang der Altersteilzeiter von seinem Zeitguthaben in
der Freistellungsphase Zeiten abbaut, steht ihm im Falle der vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses der
Differenzanspruch für die Arbeitsphase zu, ohne dass eine Verrechnung erfolgen kann bzw. soll. Über das vorzeitige Ende der
Freistellungsphase hinaus hat er jedoch keinen Anspruch für die ursprünglich vereinbarte Dauer der Freistellungsphase.
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4. Steht somit dem Kläger an sich für 16 Monate der unstreitige Differenzbetrag von monatlich 502,48 EUR zu, kann er mit seiner
Zahlungsklage gegen den Beklagten jedoch nur die Differenzbeträge für die vier Monate Januar bis April 2002 geltend machen, da es
sich dabei um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt. Soweit die Differenzansprüche den Zeitraum Januar bis
Dezember 2001 betreffen, können diese vom Kläger nur als Insolvenzgläubiger geltend gemacht werden.
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a) Masseverbindlichkeiten sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung
zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Eine
Masseverbindlichkeit ist ein Anspruch dann, wenn er erst während des Insolvenzverfahrens, also nach dessen Eröffnung,
entstanden ist. Lohn- und Gehaltsansprüche sind wie für die Zeit nach Eröffnung des Konkursverfahrens (vgl. LAG München, Urteil
vom 8. März 1990 – 4 Sa 564/89, ZIP 1990, 1217) auch für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseschulden bzw.
nunmehr Masseverbindlichkeiten (Eickmann in HK-InsO, § 55 Rn. 22 f.; MünchKomm InsO-Hefermehl, § 55 Rn. 165;
Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 55 Rn. 52). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Arbeitgeberstellung auf den
Insolvenzverwalter über. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis hat vorliegend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch zehn
Monate bestanden. In diese zehn Monate fielen noch vier Monate der Arbeitsphase, die mit dem April 2002 endete. Da das
Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig durch die Kündigung des Insolvenzverwalters endete, kann der Kläger für die nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens fallenden Monate der Arbeitsphase die Differenzbeträge beanspruchen. Da der Beklagte keine
Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, war er zur Zahlung von 2.009,92 EUR zu verurteilen.
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b) Die Differenzansprüche für die den Zeitraum Januar bis Dezember 2001 umfassende Arbeitsphase kann der Kläger nicht mit der
Leistungsklage geltend machen. Dabei handelt es sich um Insolvenzforderungen. Eine Leistungsklage gegen den
Insolvenzverwalter auf unmittelbar vorweggenommene Leistung außerhalb der Vorschriften des Insolvenzverfahrens ist unzulässig
(vgl. BAG, Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89, AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972; Urteil vom 25. September 1997 – 8 AZR
710/96, BAGE 86, 331 = AP Nr. 1 zu § 11 GesO).
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Insolvenzgläubiger sind solche Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten
Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Masseverbindlichkeiten sind entweder nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der
Insolvenzmasse begründet werden oder nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren
Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Der
Schadensersatzanspruch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 InsO wird durch eine Handlung des Insolvenzverwalters begründet, jedoch
ausdrücklich zu einer Insolvenzforderung herabgestuft. Für die Frage, ob es sich um einen Anspruch vor oder nach
Insolvenzeröffnung handelt, ist nicht auf die Fälligkeit, sondern auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderung abzustellen (vgl.
BAG, Urteil vom 12. Januar 1967 – 5 AZR 269/66, AP Nr. 3 zu § 61 KO). Eine Masseverbindlichkeit ist ein Anspruch dann, wenn er
erst während des Insolvenzverfahrens, also nach dessen Eröffnung, entstanden ist (vgl. BAG, Urteil vom 23. August 1988 – 1 AZR
276/87, BAGE 59, 242 = AP Nr. 17 zu § 113 BetrVG 1972; Urteil vom 13. Juni 1989 – 1 AZR 819/87, BAGE 62, 88 = AP Nr. 19 zu §
113 BetrVG 1972; Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89, AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972). Dies trifft etwa auf einen
Nachteilsausgleichsanspruch zu, welchen ein vom Insolvenzverwalter entlassener Arbeitnehmer geltend macht, weil der
Insolvenzverwalter keinen Interessenausgleich vor der Betriebsänderung versucht hat (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 22. Juli 2003 – 1
AZR 541/02, DB 2003, 2708 = (demnächst) AP Nr. 42 zu § 113 BetrVG 1972).
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Vorliegend ist der Rechtsgrund für die Entstehung des vom Kläger erhobenen Anspruchs auf die Differenzbeträge nach § 3 Nr. 4 TV
ATZ die durch den Beklagten als Insolvenzverwalter herbeigeführte vorzeitige Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses,
denn er hat das Rechtsverhältnis während der Freistellungsphase gekündigt. Hätte der Beklagte das Altersteilzeitarbeitsverhältnis
nicht gekündigt, hätte der Kläger noch für den Zeitraum November 2002 bis August 2003 die Altersteilzeitvergütung beanspruchen
können. Da das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig beendet worden ist, steht dem Kläger an sich für die 16 Monate umfassende
Arbeitsphase ein monatlicher Differenzbetrag in Höhe von 502,48 EUR zu. Wenn auch der Rechtsgrund für die Entstehung des vom
Kläger erhobenen Anspruchs die vom Insolvenzverwalter herbeigeführte vorzeitige Beendigung des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ist, handelt es sich dabei, soweit er auf die Arbeitsphase vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
entfällt, nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern um eine Insolvenzforderung. Nach § 108 Abs. 2 InsO kann der andere Teil (der
Gläubiger) Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
Rückständige Entgeltansprüche aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung sind Insolvenzforderungen. Bei § 108 Abs. 2 InsO handelt
es sich um eine vorrangige Spezialvorschrift. Da nach der im Altersteilzeitvertrag in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen
des § 3 Nr. 4 TV ATZ der vorzeitig aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ausgeschiedene Arbeitnehmer für die in der Arbeitsphase
geleistete Arbeit eine etwaige Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und dem Entgelt für den Zeitraum seiner tatsächlichen
Beschäftigung erhalten soll, welches er ohne Eintritt in die Altersteilzeit erzielt hätte, er also nachträglich für die geleistete Arbeit in
voller Höhe eine Vergütung erhalten soll, handelt es sich bei dem Differenzanspruch für die Monate der Arbeitsphase, die vor der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen, um einen Anspruch für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der
tarifvertragliche Differenzanspruch ist eine Gegenleistung für eine vor der Insolvenzeröffnung erbrachte Leistung. Dieses Ergebnis
wird auch durch das dem § 55 InsO zugrunde liegende Erarbeitungsprinzip bestätigt. Den größten Teil der vollen Arbeitsleistung hat
der Kläger in der Zeit Januar bis Dezember 2001 also vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht. Durch den unter § 3 Nr. 4
TV ATZ geregelten Differenzanspruch erhält der Altersteilzeiter einen Ausgleich für das nicht mehr zum Tragen kommende
erarbeitete Zeitguthaben. Vor der Insolvenzeröffnung aufgebaute Zeitguthaben, die an sich zu einem Anspruch des Altersteilzeiter
auf entsprechende Freistellung ab dem vereinbarten Zeitpunkt bei Weiterzahlung einer Vergütung führen sollten, werden nicht zu
Masseverbindlichkeiten (MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rn. 179; Hanau/Arteaga, BB 1998, 2054). Es handelt sich auch nicht
um eine Masseverbindlichkeit aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO), da die (volle) Arbeitsleistung vor der
Insolvenzeröffnung erbracht worden ist und somit nicht die Insolvenzmasse vermehrt hat. Bezüglich der Differenzansprüche für die
Monate Januar bis Dezember 2001 ist der Kläger also Insolvenzgläubiger, seine diesbezügliche Leistungsklage ist unzulässig.
Eine Umstellung der Leistungsklage auf eine Feststellungsklage war nicht anzuregen, da der Insolvenzverwalter in der
Berufungsverhandlung die noch nicht angemeldete Forderung nicht bestritten hat.
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5. Der Einwand des Beklagten, bei der Anspruchsgrundlage, auf welche der Kläger seinen Klaganspruch stütze, handle es sich um eine
Kündigungserschwerung, greift nicht durch. Die von ihm erklärte Kündigung ist nicht dadurch erschwert worden, dass auf das
Arbeitsverhältnis bzw. Altersteilzeitarbeitsverhältnis eine Bestimmung Anwendung findet, wonach die ordentliche Kündigung
ausgeschlossen ist. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis war bis zum 31. August 2003 befristet und ist vom Insolvenzverwalter
offensichtlich nach § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO gekündigt worden. Der infolge der vorzeitigen Beendigung des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses entstandene Anspruch auf die Differenzbeträge hat die Kündigung weder rechtlich noch wirtschaftlich
erschwert. Hätte der Insolvenzverwalter das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nicht zum 31. Oktober 2002 gekündigt, hätte er die
Altersteilzeitvergütung noch für weitere 10 Monate und somit in Höhe von 20.224,40 EUR leisten müssen. Durch die vorzeitige
Beendigung ist ein Differenzanspruch für die 16 Monate der Arbeitsphase in Höhe von 8.039,68 EUR entstanden.
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6. Auf die Vorschrift des § 7 d SGB IV, welche ohnehin eine sanktionslose Verpflichtung enthält (vgl. ErfK/Rolfs, § 8 AltersteilzeitG Rn. 3;
Rittweger/Petri/Schweikert, Altersteilzeit, 2. Aufl.; B Rn. 34), kommt es vorliegend nicht an. Es geht nicht um ein Wertguthaben, sondern
der Altersteilzeiter soll, wenn das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig beendet worden ist, weil etwa durch eine Kündigung ein
"Störfall" eingetreten ist, nicht wie in der Arbeitsphase nur auf die Altersteilzeitvergütung verwiesen bleiben, sondern nachträglich die
Differenz zu dem Entgelt beanspruchen können, welches er bezogen hätte, wenn kein Altersteilzeitrechtsverhältnis vereinbart worden
wäre.
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7. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB i.V.m. §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 247 BGB. Da die Klagschrift am 3. Juni 2003 zugestellt worden ist,
begann die Verzinsungspflicht entsprechend § 187 Abs. 1 BGB mit Beginn des Tages, der dem Tage folgte, an dem die Klage zugestellt
worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 – VIII ZR 296/88, NJW – RR 1990, 518 (519); BAG, Urteil vom 15. November 2000 – 5
AZR 365/99, BAGE 98, 228 = AP Nr. 7 zu § 4 MuSchG 1968). Dies hat der Kläger bei seiner Antragstellung im zweiten Rechtszug auf
einen entsprechenden Hinweis berücksichtigt.