Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 09.11.2009

LArbG Baden-Württemberg: arbeitsgericht, unwirksamkeit der kündigung, nicht vermögensrechtliche streitigkeit, beschwerdekammer, rechtssicherheit, anknüpfung, rechtsschutzversicherung, bruchteil

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 9.11.2009, 5 Ta 123/09
Streitwertfestsetzung - Antrag auf vertragsgemäße Beschäftigung
Leitsätze
1. Die Bewertung eines Antrags auf vertragsgemäße Beschäftigung richtet sich nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.
2. Bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Interesses steht dem Gericht ein Ermessensspielraum zu. Dabei ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn
sich das Gericht im Rahmen seiner Ermessenentscheidung auch von der Bewertungsgröße des Monatsgehalts der klagenden Partei leiten lässt.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 9. Oktober 2009 - 9 Ca
59/09 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Beschwerde des Klägers richtet sich gegen die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gem. § 63 Abs. 2 GKG.
2
Im Ausgangsverfahren stritten die Beteiligten über die Beschäftigung des Klägers im Nachgang zu einer mit Schreiben vom 19. August 2008
ausgesprochenen außerordentlich fristlosen sowie hilfsweise außerordentlichen Kündigung unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist. Der im
April 1954 geborene Kläger ist seit Juli 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als kaufmännischer Sachbearbeiter zu
einem durchschnittlichen Entgelt in Höhe von EUR 2.816,41 brutto tätig. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter
Mensch anerkannt. Der Ausgangsrechtsstreit über die Beschäftigungsklage endete - nachdem das Landesarbeitsgericht das auf Unwirksamkeit
der Kündigung lautende Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg in einem Parallelverfahren zwischen den Parteien bestätigt hatte - durch Vergleich
gemäß Beschluss vom 9. Oktober 2009. In dem Vergleich vereinbarten die Parteien, dass der Kläger im Zeitraum vom 10. August bis 8.
September 2009 bezahlten Urlaub gewährt erhalten hat und ab 9. September 2009 von der Beklagten vertragsgemäß beschäftigt wird.
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Mit Beschluss vom 9. Oktober 2009 hat das Arbeitsgericht den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf EUR 8.449,23 festgesetzt und
dabei drei Bruttomonatsbezüge des Klägers angesetzt.
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Gegen diesen Beschluss legt der Kläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - auf Veranlassung der Rechtsschutzversicherung
des Klägers mit am 5. November 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde
mit begründetem Beschluss vom 5. November 2009 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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Die nach dem Wert der Beschwer statthafte (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet.
Die mit Schriftsatz vom 4. November 2009 erhobene Beschwerde ist als eine im Namen des Klägers eingelegte Beschwerde zu verstehen.
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Das Arbeitsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3
ZPO auf insgesamt EUR 8.449,23 festgesetzt.
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1. Die Beschwerde ist als Beschwerde des Klägers statthaft. Zwar ist dem Schreiben vom 4. November 2009 nicht genau zu entnehmen, ob der
Prozessbevollmächtigte des Klägers in eigenem Namen oder im Namen des Klägers die Beschwerde führt; aus der Begründung ergibt sich
jedoch, dass die Beschwerde auf Veranlassung der Rechtsschutzversicherung des Klägers geführt wird, weil diese den Streitwert für übersetzt
hält. Damit ergibt sich, dass eine Streitwertbeschwerde im Namen des Klägers geführt werden sollte. Der Kläger ist - anders als es sein
Prozessbevollmächtigter wäre - auch gem. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG durch die Wertfestsetzungsentscheidung des Arbeitsgerichts hinreichend
beschwert.
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2. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Beschluss den für die Gerichtsgebühren
maßgebenden Wert zutreffend festgesetzt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Der Antrag auf vertragsgemäße Beschäftigung ist vom
Arbeitsgericht zu Recht gem. § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO bewertet worden. Die konkret vorgenommene Bewertung begegnet unter
Berücksichtigung des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessensspielraumes keinen durchgreifenden Bedenken.
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a) § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO kommt als Maßstab für die nach freiem Ermessen vorzunehmende Schätzung des Gebührenstreitwertes
nur in vermögensrechtlichen Streitigkeiten in Betracht. Im Fall einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit bemisst sich der Streitwert nach §
48 Abs. 2 GKG. Er orientiert sich dann nicht am Interesse desjenigen, der das Verfahren einleitet, sondern an den in dieser Vorschrift
genannten Umständen. Eine solche nicht vermögensrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn sie nicht auf Geld oder Geldwertes gerichtet ist und
nicht einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis entstammt. Zwar ist das erste Merkmal erfüllt, wenn der Antrag wirtschaftlich auf einen
Umstand gerichtet ist, der keinen Vermögenswert beinhaltet, sondern vielmehr auf einen solchen verzichtet. Unzweifelhaft ergibt sich der
Beschäftigungsanspruch des Klägers aus dem als vermögensrechtlich zu begreifenden Arbeitsverhältnis. Es geht um die Berechtigung des
Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer keine Tätigkeit zuzuweisen und ihn nicht zu beschäftigen. Das Verlangen des Klägers nach
vertragsgemäßer Beschäftigung ist deshalb als vermögensrechtliche Streitigkeit zu qualifizieren und entsprechend zu bewerten. Auch bei
vermögensrechtlichen Streitigkeiten können neben rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten immaterielle Interessen (Affektionsinteresse) bei
der Bewertung herangezogen werden, wenn gerade diese Anlass für den Rechtsstreit sind und diesem seinen Sinn verleihen (vgl. BGH 16.
Januar 1991 -XII ZR 244/90 - FamRZ 1991, 547; LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 -, zu II 1 a der Gründe unter
Bezugnahme auf Entscheidungen der früheren Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erweist sich der angefochtene Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-
Schwenningen - als nicht ermessensfehlerhaft. Der Beschwerde des Klägers bleibt deshalb der Erfolg versagt. Der vom Arbeitsgericht
festgesetzte Wert für den Klageantrag mit EUR 8.449,23 wird dem Interesse des Klägers zum Zeitpunkt der Klagerhebung (§ 40 GKG)
gerecht. Weder die Anknüpfung an das Monatseinkommen des Klägers bei der Ermessensausübung noch eine Bewertung mit dem
Vielfachen des Monatseinkommens sind für sich betrachtet ermessensfehlerhaft nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Für eine Ausrichtung
der Streitwertfestsetzung am aktuellen Einkommen der klagenden Partei streiten - im Hinblick auf die in Streitwertsachen erforderliche
Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit und damit letztlich die Rechtssicherheit - die besseren Argumente. Im Ergebnis hält sich auch die
Bewertung mit insgesamt drei Monatsbezügen im Rahmen des Ermessens des Arbeitsgerichts.
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aa) Die für Streitwertbeschwerden ausschließlich zuständige Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg geht bei
Streitigkeiten über die Beschäftigung davon aus, dass es im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO nach freiem Ermessen
vorzunehmenden Schätzung des Gebührenstreitwertes grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn das Arbeitsgericht sich im
Rahmen seiner Ermessensentscheidung von der Bewertungsgröße des Monatsgehalts der klagenden Partei leiten lässt (grundlegend
LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - zitiert nach juris, zu II 1 b der Gründe; 28. September 2009 - 5 Ta 87/09 -, zu II 2 b
der Gründe).
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(1) Eine Klage, mit der sich ein Arbeitnehmer gegen seine Nichtbeschäftigung wendet, entstammt dem vermögensrechtlich zu
begreifenden Arbeitsverhältnis. Der aus diesem Vertragsverhältnis erzielte Verdienst stellt, neben anderen Gesichtspunkten, den
Wert der Anerkennung und Achtung durch die geleistete Arbeit dar. Er bildet einen bedeutsamen Maßstab für die Ermittlung des
Wertes eines Arbeitsverhältnisses und der daraus resultierenden Ansprüche. Diese Bezugsgröße kann bei der Bewertung einzelner
vermögensrechtlicher, nicht unmittelbar in Geld zu bewertender Ansprüche nicht außer Betracht bleiben, denn das aktuelle
Monatseinkommen ist zumindest bei Ansprüchen in einem nach gerichtlicher Entscheidung bestehenden und in Vollzug
befindlichen Arbeitsverhältnis ein Indikator für die wirtschaftliche Bedeutung des Arbeitsverhältnisses und dessen Ausgestaltung.
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(2) Das monatliche Einkommen aus dem Arbeitsverhältnis ist auch ein geeigneter Bewertungsmaßstab. Neben anderen
Gesichtspunkten ist es gerade das aktuelle Monatseinkommen, das den vom Arbeitnehmer verfolgten Anspruch auf
vertragsgemäße Beschäftigung und damit verbunden Zuweisung eines Aufgabengebietes und damit den Wert des
Arbeitsverhältnisses in besonderem Maße prägt. Die wirtschaftliche Bedeutung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses hängt in
besonderem Maße gerade auch von dem daraus erzielten Einkommen des Arbeitnehmers ab.
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(3) Daneben sprechen auch Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit für ein Anknüpfen an das jeweilige
Monatseinkommen. Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts hat weitreichende Bedeutung für die Kosten des Rechtsstreits sowohl
hinsichtlich der Gerichtsgebühren (§ 63 GKG) als auch hinsichtlich der Vergütung der mit der Prozessvertretung beauftragten
Rechtsanwälte (§ 32 RVG). Deshalb haben alle am Wertfestsetzungsverfahren Beteiligten ein Interesse daran, dass die
Wertfestsetzung vorhersehbar und transparent erfolgt. Dies kann nach Auffassung der Beschwerdekammer auch bei Streitigkeiten
über die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers über eine Anknüpfung an das Monatseinkommen erreicht werden.
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bb) Auch die Bewertung eines Antrags auf vertragsgemäße Beschäftigung mit einem Vielfachen oder Bruchteil des Monatseinkommens
der den Anspruch verfolgenden Partei ist für sich nicht ermessensfehlerhaft.
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(1) Zwar geht die Beschwerdekammer davon aus, dass die Bewertung eines solchen Antrags mit einem Monatsgehalt regelmäßig
den Wert der Streitigkeit ausreichend abbildet; im Rahmen des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens kommt jedoch auch
eine Bewertung mit einem Vielfachen oder einem Bruchteil eines Monatsbezugs in Betracht, ohne dass dadurch die
Wertfestsetzung von vornherein ermessensfehlerhaft werden würde. Wie bereits in anderem Zusammenhang von der
Beschwerdekammer entschieden, kommt ein Rückgriff auf die Wertungsgrenze des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (nunmehr § 42 Abs. 3
Satz 1 GKG n. F.) weder unmittelbar noch in analoger Anwendung in Betracht. Ebenso wenig kann nach Auffassung der
Beschwerdekammer jedoch eine absolute Festlegung dergestalt erfolgen, dass lediglich die Bewertung mit einem
Bruttomonatseinkommen in Betracht kommt und ermessensfehlerfrei sein kann. Dies würde das dem Arbeitsgericht zustehende und
von diesem auszuübende Ermessen zu sehr einschränken und letztlich dazu führen, dass die Beschwerdekammer sich an die
Stelle des Arbeitsgerichts setzt. Die erkennende Beschwerdekammer respektiert den Ermessensspielraum des Arbeitsgerichts auch
dann, wenn sie selbst eine andere Festsetzung im konkreten Fall vornehmen würde, solange die ermessensleitenden Erwägungen
des Arbeitsgerichts nicht fehlerhaft sind. Die Festlegung einer starren Grenze seitens der Beschwerdekammer - so wünschenswert
diese im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Streitwertfestsetzung auch wäre - ist mit diesem Ansatz der Beschwerdekammer nicht in
Einklang zu bringen. Das Arbeitsgericht könnte dann den Umständen des Einzelfalls, die nach § 3 ZPO in die Bewertung
einzustellen sind, nicht in ausreichendem Maße genügen.
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(2) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die vom Arbeitsgericht im Entscheidungsfall angestellten
Ermessenserwägungen nicht nur nicht ermessensfehlerhaft sind und sich die Wertfestsetzung in den Grenzen des Ermessens nach
§ 3 ZPO hält, sondern vielmehr die vorgenommene Wertfestsetzung völlig zutreffend erfolgt ist. Das Arbeitsgericht hat sein
Ermessen dahingehend ausgeübt, dass es den Wert mit dem dreifachen Bruttomonatsbezug des Klägers bewertet hat. Es hat dabei
berücksichtigt, dass dem vorliegenden Rechtsstreit eine Mehrzahl von Streitigkeiten der Parteien vorausgegangen ist; die
außergewöhnliche Dauer des Arbeitsverhältnisses, die erhebliche Konfliktlage am Arbeitsplatz und der Umstand, dass der Kläger
von seiner persönlichen Lage her in besonderem Maße auf die "Selbstverwirklichung in der Arbeit" angewiesen ist. Diese
Gesichtspunkte hat das Arbeitsgericht zu Recht in seine Entscheidung einfließen lassen und ist damit, ohne die Grenzen seines
Ermessens zu überschreiten, von einem Interesse des Klägers in der festgesetzten Höhe ausgegangen. Der Entscheidungsfall hebt
sich durch die individuellen Besonderheiten des Rechtsverhältnisses der Parteien derart aus der Masse der Beschäftigungsklagen
heraus, dass eine Verdreifachung des Werts angemessen ist.
III.
18 Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
19 Rechtsmittelbelehrung
20 Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).