Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 30.09.2003

LArbG Baden-Württemberg: befristung, befristeter vertrag, beendigung, europarecht, arbeitsgericht, organisation, eigenschaft, staat, arbeitsmarkt, unvereinbarkeit

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 30.9.2003, 14 Sa 41/03
Befristung - älterer Arbeitnehmer
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 13.03.2003 3 Ca 517/02 – wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte macht in erster Linie eine vereinbarte Befristung des
Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2002 geltend, hilfsweise hat die Beklagte ordentliche Kündigungen zum 30.11.2002 sowie zum 31.01.2003
ausgesprochen.
2
Die Klägerin ist am 16.08.1934 geboren. Sie ist Biologin und wurde von der Beklagten, beginnend mit dem 03.06.1996, auf Grundlage befristeter
Arbeitsverträge am Institut für Zellbiologie in ... beschäftigt. Der letzte Vertrag datiert vom 28.08.2001 ("Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrages
vom 14.07.1999 und 05.06.2000") und regelt eine Beschäftigung der Klägerin "als Zeitangestellte nach § 14 Abs. 5 S. 3 TzBfG" für die Laufdauer
vom 01.09.2001 bis 31.08.2002 (vgl. Vor.A Bl. 4). Eine weitere Beschäftigung der Klägerin wurde seitens der Beklagten abgelehnt.
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Nachdem die Klägerin sich mit der am 20.09.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage auf die Rechtsunwirksamkeit der Befristung zum
31.08.2002 berufen hatte, sprach die Beklagte hilfsweise ordentliche Kündigungen "nach § 60 Abs. 2 BAT" aus, und zwar mit Schreiben vom
24.10.2002 und 20.12.2002.
4
Die Klägerin hält die zum 31.08.2002 vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses für rechtsunwirksam. Insbesondere macht sie einen
Verstoß des § 14 Abs. 3 TzBfG gegen die EG-Befristungsrichtlinie 1999/70/EG geltend. Die von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen
seien sozial nicht gerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam.
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Demgegenüber geht die Beklagte von einer rechtswirksamen Befristung des Arbeitsverhältnisses auf Grundlage des § 14 Abs. 3 TzBfG und
hilfsweise von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die in Streit stehenden Kündigungen aus.
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Das Arbeitsgericht hat die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2002 als rechtswirksam angesehen und deshalb die Klage
abgewiesen. Im Einzelnen wird zur Sachdarstellung auf das Urteil vom 13.03.2003 Bezug genommen.
7
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin unverändert ihr Klageziel weiter.
8
Die Klägerin beantragt:
9
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 13.03.2003 – Az.: 3 Ca 517/02 wird abgeändert und festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
10
a.) aufgrund der Befristung nicht zum 31.08.2002 beendet ist.
11
b.) durch die Kündigung des Beklagten vom 24.10.2002/20.12.2002 nicht zum 30.11.2002/31.01.2003 aufgelöst wurde.
12
c.) auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern unverändert über den 31.01.2003 hinaus weiter fortbesteht.
13
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
14 Die Beklagte beantragt:
15
Die Berufung zurückzuweisen.
16 Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17 Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
I.
18 Auch die Berufungskammer geht von einer rechtswirksamen Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31.08.2002 auf Grundlage des
§ 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG aus.
1.
19 Die Parteien haben wirksam von § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG Gebrauch gemacht. Abgesehen davon, daß die Vorschrift kein Zitiergebot enthält, ist im
schriftlichen Vertrag vom 28.08.2001 die Befristung nach § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG geregelt. Hierbei enthält der Vertragstext einen geringfügigen
und offenkundigen Fehler, der unschädlich ist.
20 Auch ist nicht gegen das Anschlußverbot gem. § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG verstoßen worden. Dem Vertrag vom 28.08.2001 ist ein befristeter Vertrag,
auf die Vorgängerregelung gem. § 1 Abs. 2 BeschFG 1996 gestützt, vorausgegangen (vgl. Vertrag vom 05.06.2000, Vor. A Bl. 14). Nach § 17 S. 1
und 2 TzBfG i. V. mit § 7 KSchG gilt die zum 31.08.2001 vereinbarte Befristung gem. Vertrag vom 05.06.2000 als rechtswirksam.
2.
a.)
21 Allerdings lässt sich die Rechtswirksamkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG, entsprechend der Argumentation der Klägerin, aus respektablen Gründen in
Zweifel ziehen. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, daß in der Literatur auf breiter Basis Bedenken gegen § 14 Abs. 3 TzBfG erhoben werden.
Insbesondere wird die Unvereinbarkeit mit Europarecht, insoweit wiederum mit § 5.1 der Rahmenvereinbarung der Richtlinie 1999/70/EG
(Befristungs-RL), geltend gemacht. Hiernach sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge bzw.
Arbeitsverhältnisse nur noch unter den zu lit. a.) bis c.) im Einzelnen genannten Voraussetzungen zuzulassen. Hiergegen könnte § 14 Abs. 3
TzBfG verstoßen, denn die beliebige Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse mit älteren Arbeitnehmern ist erlaubt. Auf der anderen
Seite, zugunsten einer Vereinbarkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG mit dem einschlägigen Europarecht, wird argumentiert, die Richtlinie 1999/70/EG
lasse es ausdrücklich selbst zu, Eigenarten bestimmter Arbeitnehmergruppen zu berücksichtigen (§ 5.1 Einleitungssatz der
Rahmenvereinbarung). § 14 Abs. 3 TzBfG berücksichtige gerade die Eigenart der weitaus schlechteren Beschäftigungschancen älterer
Arbeitnehmer und verfolge das arbeitsmarktpolitische Ziel, diesem Personenkreis überhaupt neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu verschaffen.
Die damit verbundene Ungleichbehandlung wegen des Alters sei europarechtlich durch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gedeckt, wonach
Mitgliedstaaten Ungleichbehandlungen wegen des Alters ausnahmsweise gestatten dürfen, sofern sie im Rahmen des nationalen Rechts durch
ein legitimes Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Zu den erlaubten Zielen zähle Art. 6
Abs. 1 der Richtlinie ausdrücklich Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt. Einen derartigen beschäftigungspolitischen
Ansatz verfolge § 14 Abs. 3 TzBfG (vgl. Maschmann in Annuß/Thüsing, Teilzeit- und Befristungsgesetz, Rndziff. 83 zu § 14 TzBfG, m.w.N.).
b.)
22 Das Berufungsgericht, welches der zur Rechtswirksamkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG geführten Diskussion nichts Nennenswertes hinzuzufügen hat
(vgl. zum Meinungsstand auch Dörner, Sonderbeilage zu NZA Heft 16/2003), bevorzugt die zugunsten der Rechtswirksamkeit des § 14 Abs. 3
TzBfG angeführten Argumente. Darüber hinaus stehen europarechtliche Bedenken aber auch deshalb der rechtswirksamen Befristung des
Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31.08.2002 nicht entgegen, weil die Richtlinie 1999/70/EG zwischen den Prozeßparteien keine
unmittelbare Anwendung findet. Die Richtlinie hat im Unterschied zu Normen des Primärrechts und Regelungen in EG-Verordnungen keine
unmittelbare Wirkung. Richtlinien wenden sich an die Mitgliedstaaten und verpflichten diese, die Richtlinienvorgaben in nationales Recht
umzusetzen (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Kommt mithin ein Anwendungsvorrang der Richtlinie nicht in Betracht, so sind die Arbeitsgerichte gehalten,
die möglicherweise gemeinschaftswidrige Vorschrift anzuwenden.
23 Die Beklagte ist auch keine staatliche Einrichtung, die anders als ein privater Arbeitgeber unmittelbar verpflichtet wäre, die Richtlinie 1999/70/EG
umzusetzen. Denn die Beklagte ist keine Organisation oder Einrichtung, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstünde oder mit besonderen
Rechten ausgestattet wäre, die über diejenigen hinaus gehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten.
Die Beklagte ist ein privatrechtlicher Verein, der gegenüber staatliche Stellen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber keine Weisungen erteilen
können (vgl. zu alledem im Einzelnen bereits BAG, Beschluß vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02, m. w. N.).
II.
24 Darauf, daß die von der Beklagten hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen gem. Schreiben vom 24.10. und vom 20.12.2002 zur
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in der Lage gewesen wären, kommt es nach alledem nicht an. Hierauf muß somit nicht eingegangen
werden.
25 Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Klägerin die Kosten der Berufung.
26 Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision zugelassen.