Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 13.06.2001

LArbG Baden-Württemberg: anspruch auf rechtliches gehör, arbeitsgericht, örtliche zuständigkeit, negativer kompetenzkonflikt, geschäftsführer, zustellung, bindungswirkung, hauptsache, handelsregister

LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 13.6.2001, 3 SHa 3/01
Keine Bindung an Verweisungsentscheidung bei objektiv willkürlicher Verweisung des Rechtsstreits
Tenor
Auf den durch Beschluss vom 23.05.2001 - 6 Ca 1022/2001 - angebrachten Antrag des Arbeitsgerichts Suhl wird in dem Rechtsstreit Dieter H.gegen
Firma M. T. GmbH das Arbeitsgericht Mannheim als das örtlich zuständige Arbeitsgericht bestimmt.
Gründe
I.
1
Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat gegen die Beklagte zum Arbeitsgericht Eisenach Klage auf Zahlung von Lohn und Aufwendungsersatz
eingereicht, die ihr im Wege der Ersatzzustellung "durch Übergabe an einen Bediensteten" am 23.02.2001 zugestellt wurde. Das Arbeitsgericht
Eisenach hat sich durch Beschluss vom 13.03.2001 für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Mannheim
verwiesen.
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Dieses hat die Parteien darauf hingewiesen, die Beklagte habe ihren Sitz in Sonneberg, das zum Bezirk des Arbeitsgerichts Suhl gehört.
Entsprechend der Ankündigung hat es sich durch Beschluss vom 24.04.2001 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das
Arbeitsgericht Suhl verwiesen. Dieses hat durch den in der Formel angeführten Beschluss die "Übernahme" des Rechtsstreits abgelehnt und die
Sache zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
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Das Arbeitsgericht Mannheim war als das örtlich zuständige Arbeitsgericht zu bestimmen.
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1. Zur Entscheidung berufen ist (gemäß § 36 Abs. 2 ZPO) das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Da die Entscheidung (gemäß § 37 Abs.
1 ZPO) ohne mündliche Verhandlung ergeht, trifft sie der Vorsitzende allein (§ 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
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2. Es besteht zwischen dem Arbeitsgericht Mannheim und dem Arbeitsgericht Suhl ein negativer Kompetenzkonflikt im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr.
6 ZPO.
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a) Das Klagbegehren ist rechtshängig, denn die Klageschrift ist der Beklagten zugestellt (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). Der
Zustellungsbedienstete hat in der Zustellungsurkunde die auf § 183 Abs. 1 ZPO zugeschnittene Rubrik, statt - richtig - die auf § 184 Abs. 1 ZPO
ausgerichtete angekreuzt und unterschriftlich bestätigt, deshalb habe er die Sendung in dem Geschäftslokal dem Bediensteten "K." übergeben.
Es mag offenbleiben, ob darin ein Zustellungsmangel zu sehen ist, obwohl sich bereits aus dem Gesamtzusammenhang der Urkunde ergibt,
dass der Zustellungsbedienstete den Geschäftsführer der Beklagten, H. U., richtig als Zustellungsadressaten angesehen und diesen, dem Inhalt
seiner Erklärung gemäß, in dem Geschäftslokal nicht angetroffen hat, weshalb er befugt war, die Sendung - wie geschehen - einem dort
anwesenden Bediensteten zu übergeben. Der darin zu erblickende Mangel, dass der richtige Adressat - versehentlich - in einer anderen
Funktion (Partei/Person, der die Stellung eines gesetzlichen Vertreters der Partei zukommt [Organ]) im Geschäftslokal aufgesucht, jedoch nicht
angetroffen wurde, ist nämlich geheilt (§ 187 ZPO). Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Klageschrift dem Geschäftsführer der
Beklagten noch am selben Tag zugegangen ist. Der Umstand, dass sie sich bislang - wie in anderen Verfahren auch - nicht auf die Klage
eingelassen hat, beruht ersichtlich auf ihrem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Anhaltspunkte für die Annahme, seine Mitarbeiter hätten dem
Geschäftsführer "Gerichtspost unterschlagen" sind nicht ersichtlich.
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b) Mit Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 28.02.2001 (IN 75/01) wurde für das Vermögen der Beklagten ein vorläufiger
Insolvenzverwalter bestellt. Ob dem in gegenwärtigem Zusammenhang Bedeutung zukommen konnte, bedarf keiner Prüfung, weil die
Zustellung/der Zugang der Klageschrift bereits am 23.02.2001 erfolgt ist.
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Deshalb kommt es auch auf die spätere Aufhebung dieser Maßnahme nicht an.
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2. Die beiden Arbeitsgerichte haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt, denn die
diesbezüglichen Beschlüsse sind unanfechtbar (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG), und die Frage, ob die Bindungswirkung des Beschlusses des
Arbeitsgerichts Mannheim zu beachten war, ist nur für die Entscheidung darüber relevant, welches der beiden Arbeitsgerichte für örtlich
zuständig zu erklären ist. Darauf, ob der Beschluss des Arbeitsgerichts Mannheim der sogenannten außerordentlichen Beschwerde wegen
greifbarer Gesetzeswidrigkeit unterlag, kommt in diesem Zusammenhang nichts an, weshalb nicht zu erörtern ist, ob die Frist für die sofortige
Beschwerde bereits verstrichen ist oder nicht.
10 3. Das Arbeitsgericht Suhl ist nach Maßgabe der Gerichtsstandsnormen nicht zuständig. Selbst wenn die Beklagte nach Zustellung der Klage
ihren Sitz nach Sonneberg verlegt hätte, hätte das die nach §§ 12, 17; § 29 ZPO gegebene örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Mannheim
unberührt gelassen (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Eine solche Änderung fand überdies ausweislich des zur Akte gelangten Auszugs aus dem
Handelsregister nicht statt. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts ist die Beklagte in Sonneberg "überhaupt nicht" existent, hat also
insbesondere kein Geschäftslokal.
11 4. Das Arbeitsgericht Suhl ist an den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim nicht gebunden. Die Bindungswirkung nach § 281
Abs. 2 Satz 5 ZPO entfaltet sich nach der ständigen Rechtsprechung von BAG und BGH nur dann nicht, wenn die Entscheidung den Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt oder - objektiv - willkürlich ist. Ersterer Hinderungsgrund greift - entgegen der Annahme des vorlegenden Gerichts -,
wie sich begründungslos erschließt, nicht ein.
12 Die Entscheidung ist jedoch objektiv willkürlich. Denn örtlich zuständig war allein das Arbeitsgericht Mannheim, das sich zudem über den ihn
bindenden Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Eisenach hinweg gesetzt hat, durch den das in diesem Punkt ursprünglich bestehende
Sachentscheidungshindernis der Klage beseitigt werden sollte und beseitigt wurde.
13 Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn dieses Bestimmungsverfahren ist unselbstständiger Teil des Hauptsacheverfahrens, weshalb
etwaige Kosten als solche in der Hauptsache zu behandeln sind (vgl. Patzina, in: Münchner Kommentar § 37 Rn. 9).