Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 07.01.2005

LArbG Baden-Württemberg: urlaub, arbeitsgericht, berufsausbildung, verkäuferin, formularvertrag, vergütung, unklarheitenregel, pauschal, tarifvertrag, rechtsberatung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 7.1.2005, 14 Sa 88/04
Dynamische Verweisungsklausel
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 09.03.2004 -2 Ca 658/03 - abgeändert: Die Klage wird
abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf restliches Urlaubsgeld für die Jahre 2002 und 2003, insoweit um insgesamt der Höhe
nach unstreitige Euro 188,60 brutto.
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Die Beklagte ist ein in Karlsruhe ansässiges Einzelhandelsunternehmen, welches Möbelhäuser betreibt. Der Kläger wird seit 1978 in Karlsruhe
beschäftigt. Es existiert ein schriftlicher Arbeitsvertrag, welcher dem seinerzeit betriebseinheitlich verwendeten Formularvertrag entspricht. § 4
dieses Vertrages bestimmt: "Der Urlaub richtet sich nach den tariflichen Regelungen des örtlichen Einzelhandels".
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Nach dem ab 01.01.1994 gültigen Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-
Württemberg (MTV 1994), der mit Wirkung ab dem 01.11.1996 für allgemeinverbindlich erklärt wurde, erhielten die Arbeitnehmer seit dem
01.01.1996 ein zusätzliches Urlaubsgeld i. H. von 55 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruches für das letzte tariflich vereinbarte Berufsjahr
eines Verkäufers/einer Verkäuferin mit abgeschlossener Berufsausbildung (§ 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994). Mit Tarifvertrag vom 26.11.1997 (ÄndTV
1997) haben die am Abschluss des MTV 1994 beteiligten Tarifpartner Änderungen zum MTV 1994 vereinbart. § 2 ÄndTV 1997 bestimmt, dass
das Urlaubsgeld gem. § 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994 ab 01. Januar 2000 50 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruches für das letzte tariflich
vereinbarte Berufsjahr eines Verkäufers/einer Verkäuferin mit abgeschlossener Berufsausbildung beträgt.
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Der MTV 1994 ist zu dem in § 1 ÄndTV 1997 geregelten frühesten Termin 31.01.2000 gekündigt worden.
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Die Beklagte, die in dem hier interessierenden Zeitraum nicht Mitglied des Einzelhandelsverbandes war, zahlte an ihre Arbeitnehmer, mithin
auch an den Kläger, seit 2001 nur noch das auf 50 % der maßgeblichen Bezugsgröße abgesenkte tarifliche Urlaubsgeld.
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Der Kläger hat bereits beim Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, er habe unverändert, mithin auch ab dem Jahr 2001, Anspruch auf
zusätzliches Urlaubsgeld gem. MTV 1994. Dem hat sich das Arbeitsgericht angeschlossen und der auf Zahlung des nach Abzug des gewährten
Urlaubsgeldes verbleibenden Differenzbetrages gerichteten Klage stattgegeben. Im Wesentlichen ist ausgeführt, dass die Urlaubsgeldregelung
gem. § 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994 aufgrund von § 4 Abs. 5 TVG nachwirke. Eine die nachwirkende tarifliche Regelung ersetzende "andere
Abmachung" i. S. des § 4 Abs. 5 TVG liege nicht vor. Insoweit sei auch aus § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien und der dortigen
Inbezugnahme tariflicher Bestimmungen zugunsten der Beklagten nichts herzuleiten. Nach dem Inhalt von § 4 des Arbeitsvertrages sei fraglich,
ob die Inbezugnahme tariflicher Urlaubsregelungen auch das zusätzliche Urlaubsgeld umfasse. Die nach § 305 c Abs. 2 BGB maßgebliche für
den Kläger günstige Auslegung besage, dass die Regelungen zum tariflichen Urlaubsgeld nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien
geworden sind.
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Zur näheren Sachdarstellung wird im Einzelnen auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 09.03.2004 Bezug genommen.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Arbeitsgericht zugelassenen Berufung. Die Beklagte ist weiterhin der Meinung, dass sich das
dem Kläger zustehende Urlaubsgeld nach der Neuregelung gem. ÄndTV 1997 richte. Sie ist der Auffassung, dass § 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994
keineswegs eine isolierte Nachwirkung habe entfalten können. Jedenfalls handle es sich in § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien
um eine verdrängende Abmachung i. S des § 4 Abs. 5 TVG.
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Die Beklagte beantragt:
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1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 09.03.2004, Az.: 2 Ca 658/03, wird abgeändert.
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2. Die Klage wird abgewiesen.
12 Der Kläger beantragt:
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Kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.
14 Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
15 Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Berufung der Beklagten ist begründet.
17 Dem Kläger steht lediglich das gem. ÄndTV 1997 abgesenkte Urlaubsgeld zu. Dieses hat er erhalten.
18 Mit der Regelung gem. § 2 ÄndTV 1997 wurde § 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994 mit Wirkung ab dem 01.01.2000 geändert mit der Folge der
Nachwirkung der Altregelung gem. § 4 Abs. 5 TVG. Diese Nachwirkung tritt ungeachtet der Tatsache ein, dass es sich um die Änderung einer
einzelnen Bestimmung des MTV 1994 handelt. Auch entspricht es inzwischen gefestigter BAG-Rspr., dass die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG
auch dann zum Zuge kommt, wenn die Tarifgeltung gem. § 5 Abs. 4 TVG aufgrund einer behördlichen Allgemeinverbindlichkeitserklärung
zustande gekommen ist (vgl. etwa BAG, Urteil vom 25.10.2000 - 4 AZR 212/00, m. w. N.).
19 Für sog. Außenseiter wie den Kläger galt mithin ab dem 01.01.2000 die Urlaubsgeldregelung gem. § 19 A. Ziffer 1 a MTV 1994 grundsätzlich kraft
Nachwirkung. Gleichwohl steht dem Kläger lediglich das nach § 2 ÄndTV 1997 abgesenkte Urlaubsgeld zu, weil die Parteien in § 4 ihres
schriftlichen Arbeitsvertrages die Geltung der jeweils im Bereich des Einzelhandels Baden-Württemberg geltenden tariflichen Urlaubsregelungen
vereinbart haben. In § 4 des Arbeitsvertrages ist mithin eine "andere Abmachung" i. S. des § 4 Abs. 5 TVG getroffen.
20 1. Wie schon das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien gem. den §§ 133, 157 BGB
auslegungsbedürftig.
21 Dem Wortlaut nach ist nicht auf die tarifliche Regelung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes Bezug genommen. Vielmehr heißt es abstrakt und
pauschal, dass sich "der Urlaub" nach den tariflichen Bestimmungen richte.
22 Das konnte von den Arbeitnehmern, denen gegenüber der Formulararbeitsvertrag verwendet worden ist, also auch vom Kläger, redlicherweise
so verstanden werden, dass zum tariflichen Urlaub im Sinne bezahlter Freistellung in einem bestimmten Umfang auch das zusätzliche tarifliche
Urlaubsgeld hinzukommen sollte. Für eine derartige umfassende Inbezugnahme spricht zunächst die abstrakte Verwendung des Begriffs "der
Urlaub". Damit wird die Vorstellung hervorgerufen, dass alles, was tariflich zum Komplex "Urlaub" existiert, unterschieds- und ausnahmslos zum
einzelvertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers dazugehören sollte. Überdies spricht für eine derartige Auslegung auch die Bedeutung des
Urlaubsgeldes als besonderer tariflicher Leistung. Tariflicher Urlaub zeichnet sich typischerweise im Gegensatz zum gesetzlichen Urlaub nicht
nur durch eine höhere Anzahl an Urlaubstagen, sondern auch und gerade dadurch aus, dass eine zusätzliche Vergütung in Form eines
zusätzlichen Urlaubsgeldes gewährt wird.
23 Demgegenüber erscheint es bei der Auslegung eher unbedeutend, dass im Bereich des Einzelhandels Baden-Württemberg das zusätzliche
tarifliche Urlaubsgeld, neben einer sog. tariflichen Sonderzuwendung, nicht bei den Urlaubsregelungen gem. den §§ 15,16 und 17 MTV
angesiedelt ist, sondern unter § 19 "Tarifliche Sonderzahlungen" seinen Standort hat. Dadurch geht keineswegs der unmittelbare innere
Zusammenhang mit dem Regelungsgegenstand "Urlaub" verloren. Die besondere Zweckbindung und der Charakter des Urlaubsgeldes bleiben
unverkennbar erhalten. Ergänzend darf darauf hingewiesen werden, dass das hier gefundene Auslegungsergebnis eine gewisse
Übereinstimmung aufweist mit der Entscheidung des BAG vom 17.11.1998 -9 AZR 584/97, bei welcher über eine ähnliche Auslegungsfrage zu
befinden war.
24 2. Der Auffassung des Arbeitsgerichts, welches mittels der Unklarheitenregel gem. § 305 c Abs. 2 BGB zu dem Ergebnis gelangt, das zusätzliche
tarifliche Urlaubsgeld sei in § 4 des Arbeitsvertrages der Parteien nicht in Bezug genommen, kann nicht gefolgt werden.
25 Zunächst sind die §§ 305 ff BGB i. d. F. des Gesetzes vom 26.11.2001 auf Dauerschuldverhältnisse aus Altverträgen erst mit Wirkung ab dem
01.01.2003 anwendbar (vgl. EG BGB 229 § 5 S. 2). Dies bedeutet, dass § 305 c Abs. 2 BGB hinsichtlich des für 2002 beanspruchten
Differenzbetrages nicht eingreift. Der Argumentation des Arbeitsgerichts kann aber auch im Übrigen nicht gefolgt werden. Mittels der
Auslegungsregel gem. § 305 II c BGB ist zu fragen und sodann im Sinne eines einheitlichen Auslegungsergebnisses festzustellen, welcher
Geschäftsinhalt der günstigste für den Vertragspartner des Verwenders ist. Dies würde im Streitfall zu dem Ergebnis führen, dass das zusätzliche
tarifliche Urlaubsgeld von der Inbezugnahme gem. § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien erfasst wird. Demgegenüber folgt aus §
305 c Abs. 2 BGB nicht, dass sich der Vertragspartner des Verwenders in einem Rechtsstreit, bei welchem es auch auf den Inhalt eines
Formularvertrages ankommt, zunächst die ihm günstigste Rechtsfolge wählen und zu diesem Zweck den Formularvertrag beliebig bzw. passend
auslegen kann.
26 3. § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien enthält eine dynamische Verweisungsklausel. Danach sollen die jeweils geltenden
tariflichen Urlaubsbestimmungen Anwendung finden. Damit ist auch die Geltung des abgesenkten Urlaubsgeldes gem. § 2 ÄndTV 1997
vereinbart.
27 Zwar läßt es sich nicht zweifelsfrei beantworten, ob eine "andere Abmachung" i. S. des § 4 Abs. 5 TVG auch schon vor Ablauf des betreffenden
Tarifvertrages, d. h. vor Eintritt der Nachwirkung getroffen werden kann. Dies dürfte aber im Streitfall deshalb bejaht werden können, weil es sich
bei der Vereinbarung gem. § 4 des Arbeitsvertrages nicht um eine statische Regelung über Urlaub handelt, sondern die jeweils geltenden
einschlägigen tariflichen Vorschriften in Bezug genommen sind. Auch steht einer wirksamen einzelvertraglichen Abänderung nicht entgegen,
dass die Tarifgeltung im Streitfall ausschließlich auf die Allgemeinverbindlichkeit des MTV 1994 zurückzuführen ist. Dadurch ist die
Abänderbarkeit durch eine "andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG nicht berührt, denn die Nachwirkung leitet sich nicht aus der
Allgemeinverbindlichkeit ab. Die Nachwirkung ist vielmehr Folge des Ablaufs des Tarifvertrages bzw. - wie im vorliegenden Fall - einer tariflichen
Bestimmung.
28 Der Kostenausspruch beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
29 Nach § 72 Abs. 2 ArbGG ist die Revision zugelassen.