Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 27.09.2004

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LArbG Baden-Württemberg Beschluß vom 27.9.2004, 4 TaBV 3/04
Betriebsänderung - Interessenausgleich - Produktionsstandort - Einigungsstelle
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15.07.2004 - 21 BV 175/04 - abgeändert.
Der Antrag wird abgewiesen.
Gründe
A
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (im Folgenden: Betriebsrat) verlangen kann, dass im Zusammenhang mit der
Entscheidung der Antragsgegnerin (im Folgenden: Arbeitgeberin), das Produkt Heatronic III als Nachfolgeprodukt des im Werk W. gefertigten
Produkts Heatronic II im Werk B. in Portugal fertigen zu lassen, eine Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs zu bilden
ist.
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Von der Darstellung des Sachverhalts wird in entsprechender Anwendung des § 313 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil gegen den
vorliegenden Beschluss gem. § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG unzweifelhaft kein Rechtsmittel stattfindet.
B
I.
3
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 15.07.2004 ist gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthaft. Die
Beschwerde ist innerhalb der gesetzlichen Form und Frist nach § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG eingelegt und begründet worden. Sie richtet sich
dagegen, dass nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts anlässlich der geplanten Fertigung des Produkts Heatronic III in B. eine
Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht zu bilden ist und die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf
zwei festgesetzt wird. Soweit der Betriebsrat die Festsetzung von je vier Beisitzern begehrt hat, hat das Arbeitsgericht den Antrag in der
Sache abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betriebsrat nicht.
II.
4
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist die Einigungsstelle – derzeit – offensichtlich
unzuständig im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG für die Herbeiführung eines Interessenausgleichs im Zusammenhang mit der
Entscheidung der Arbeitgeberin, das Produkt Heatronic III im Werk B. in Portugal fertigen zu lassen. Eine geplante Betriebsänderung, die die
Arbeitgeberin verpflichten würde, in Verhandlungen mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs einzutreten, liegt
nach dem eigenen Vortrag des Betriebsrats – noch - nicht vor.
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1. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Er ist insbesondere unter Berücksichtigung der Antragsbegründung hinreichend bestimmt im
Sinne des § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO.
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a) Ein Antrag im Beschlussverfahren muss ebenso bestimmt sein, wie die Klageschrift im Urteilsverfahren. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO
ist auf das Beschlussverfahren und die in ihm gestellten Anträge entsprechend anwendbar. Ein bestimmter Antrag ist auch im
Verfahren nach § 98 ArbGG zur Einsetzung einer Einigungsstelle erforderlich. Aus dem Antrag muss sich ergeben, in Bezug auf
welche Gegenstände zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Regelungsstreit besteht. Geschieht dies nicht, so kann der
Arbeitgeber nicht erkennen, welchen Gegenstand der Betriebsrat der Einigungsstelle zur Regelung vorlegen will (Germelmann u.a.,
ArbGG, 4. Auflage, § 98 Rz. 18; LAG Düsseldorf, 21.08.1987 – 9 TaBV 132/86 – NZA 1988, 211; LAG Hamburg, 10.04.1991 – 5
TaBV 3/92 – DB 1991, 2195; Behrens, NZA 1991 Beilage 2, S. 23, 25).
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b) Aus dem vom Betriebsrat gestellten Antrag lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit der Regelungsgegenstand der zu bildenden
Einigungsstelle entnehmen. Zwar heißt es im Antrag Ziff. 1 der Klageschrift lediglich, dass die Einigungsstelle zur Herbeiführung
eines Interessenausgleichs anlässlich der geplanten Verlagerung der Elektronikfertigung nach B. bestellt werden solle. Das
Arbeitsgericht hat diesen Antrag aber zutreffend dahingehend ausgelegt, dass es konkret um die Produktionsverlagerung des
Produkts Heatronic III und – wie der Betriebsrat nunmehr in der Beschwerdeinstanz vorgetragen hat – wohl auch um die
Produktionsverlagerung der ebenfalls in der Elektronikabteilung gefertigten Temperaturregler geht. Der Antrag des Betriebsrats ist
entsprechend auszulegen. Darüber hinaus ist es zwar nicht im Antrag angegeben, versteht sich aber von selbst, dass der zu
verhandelnde Interessenausgleich für das Werk W. gelten soll.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil eine geplante Betriebsänderung für das Werk W. im Zusammenhang mit der Entscheidung der
Arbeitgeberin, das Produkt Heatronic III und wohl auch die Temperaturregler im Werk B. fertigen zu lassen, offensichtlich noch nicht vorliegt.
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a) Nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kann der Antrag des Betriebsrats wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann
zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Die offensichtliche Unzuständigkeit der
Einigungsstelle ist nach einhelliger Auffassung nur dann zu bejahen, wenn ihre Zuständigkeit unter keinem denkbaren rechtlichen
Gesichtspunkt als möglich erscheint (Germelmann, a.a.O., Rz. 11; LAG Köln, 19.08.1998 – 7 TaBV 32/98 – AP ArbGG 1979 § 78 Nr.
10 mit zahlreichen Nachweisen). Dies ist der Fall, wenn die Zuständigkeit der Einigungsstelle bei fachkundiger Beurteilung durch
das Gericht auf den ersten Blick erkennbar unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist. Das Bestellungsverfahren soll
nicht mit der Klärung schwieriger Rechtsfragen belastet werden. Inwieweit das Gericht im Bestellungsverfahren von Amts wegen zur
Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (vgl. die Nachweise bei LAG Köln,
05.12.2001 – 7 TaBV 71/01 – LAGE ArbGG 1979§ 98 Nr. 38). Ergibt sich aber bereits aus dem Tatsachenvorbringen des
Antragstellers, dass die Einigungsstelle für den angegebenen Regelungsgegenstand unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
zuständig ist, so liegt die Voraussetzung der "offensichtlichen Unzuständigkeit" vor.
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b) Nach dem Vorbringen des Betriebsrats kommt im vorliegenden Fall eine Betriebsänderung nur unter dem Gesichtspunkt der
Einschränkung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen nach § 111 Satz 3 Ziff. 1 BetrVG in Betracht. Die anderen
Fallgruppen einer Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Ziff. 2 bis 5 BetrVG liegen offensichtlich nicht vor. Der Betriebsrat geht davon
aus, die Entscheidung der Arbeitgeberin, das Produkt Heatronic III sowie die Temperaturregler im Werk B. fertigen zu lassen, führe
zu einem Personalabbau im Werk W. Betroffen seien potentiell 130 Arbeitnehmer in der Fertigung, darunter 112 Mitarbeiter der
Stammbelegschaft und 25 befristet beschäftigte Arbeitnehmer, sowie weitere 25 Arbeitnehmer in den indirekten Bereichen.
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Käme es zu einem Personalabbau in diesem Umfang, so läge eine Betriebseinschränkung im Sinne des § 111 Satz 3 Ziff. 1 BetrVG
zweifellos vor. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG, 07.08.1990 – 1 AZR 445/89 –
AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34; BAG, 10.12.1996 – 1 AZR 290/96 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32) sind die Zahlen und
Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG im Falle einer Betriebseinschränkung in Form eines "bloßen" Personalabbaus als
Richtschnur heranzuziehen, allerdings mit der Maßgabe, dass von dem Personalabbau mindestens 5 % der Belegschaft des
Betriebs betroffen sein müssen. Da im Betrieb W. rd. 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind, wären potenziell mehr als 5 % der
Beschäftigten von einem Personalabbau betroffen.
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c) Die Einigungsstelle ist jedoch deswegen derzeit offensichtlich unzuständig, weil im Anschluss an die erwähnte unternehmerische
Entscheidung – noch – keine "geplante" Betriebsänderung bezogen auf das Werk W. vorliegt.
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aa) Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 111, 112 BetrVG setzen voraus, dass der Arbeitgeber eine
Betriebsänderung "plant". Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 14.09.1976 – 1 AZR 784/75 – AP BetrVG
1972 § 113 Nr. 2) besagt das Wort "geplant", dass der Betriebsrat schon in einem möglichst frühen Stadium der Planung der
Betriebsänderung zu beteiligen ist. Das in den §§ 111, 112 BetrVG vorgesehene Verfahren muss noch in einem Zeitraum
abgewickelt werden, in dem der Plan noch nicht, und zwar auch noch nicht teilweise verwirklich ist und er überhaupt noch nicht
abschließend feststeht. Die Interessen der Belegschaft können sachgemäß nur dann gewahrt werden, wenn der Betriebsrat eine
Einwirkungsmöglichkeit auf die endgültige Entscheidung des Unternehmers hat, also bevor sie gefallen ist und bevor ihre
Modalitäten festliegen. Eine "geplante" Betriebsänderung liegt somit vor, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener
Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen ist (BAG, 28.10.1992 – 10 ABR 75/91 – AP
BetrVG 1972 § 112 Nr. 63; GK – Fabricius/Oetker, BetrVG 7. Auflage, § 111 Rz. 149), aber noch nicht abschließend über die
Betriebsänderung entschieden hat (Däubler u.a., BetrVG, 8. Aufl. § 111 Rz. 132; Fitting u.a., BetrVG, 22. Aufl., § 111 Rz. 110).
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Zur Frage, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs verpflichtet ist, hat das
Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.01.1999 (1 AZR 342/98 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 37) darüber hinaus Folgendes
ausgeführt:
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"Richtig ist (nur), das Betriebsrat und Arbeitgeber für noch nicht geplante, aber in groben Umrissen schon abschätzbare
Betriebsänderungen einen Sozialplan in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung aufstellen können (Senatsbeschluss vom
26.08.1997 – 1 ABR 12/97 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 117). Das gilt jedoch nicht in gleichem Umfang für den Abschluss eines
Interessenausgleichs. Bei Sozialplänen geht es um die Festlegung von Ansprüchen der Arbeitnehmer für den Fall, dass sie in Folge
einer Betriebsänderung bestimmte Nachteile erleiden, z.B. entlassen werden. Dieser Gegenstand ist einer auf künftige Fälle
bezogenen Regelung in abstrakt – genereller Form zugänglich. Von den besonderen Umständen der einzelnen Betriebsänderung
kann dabei abgesehen werden. Im Unterschied dazu ist der Interessenausgleich seiner Natur nach auf den Einzelfall bezogen,
denn durch ihn soll der Betriebsrat Einfluss auf die Gestaltung der konkreten Betriebsänderung nehmen können. Dies schließt
vorweg genommene Regelungen für künftige, in ihren Einzelheiten noch nicht absehbare Maßnahmen aus. In einer solchen
Regelung läge in Wirklichkeit ein Verzicht auf die Mitgestaltung der künftigen Betriebsänderung (...)."
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bb) Nach dem eigenen Vorbringen des Betriebsrats liegt die vom Bundesarbeitsgericht geforderte Voraussetzung einer konkret
absehbaren Betriebsänderung im Streitfall – noch – nicht vor. Die offenkundig bereits vor Frühjahr 2003 getroffene
unternehmerische Entscheidung, die Produktion des Produkts Heatronic III im Werk B. aufzunehmen, stellt keine "geplante"
Betriebsänderung bezüglich des Werks W. dar. Es handelt sich hierbei um eine unternehmens- oder konzernbezogene Planung,
nicht aber um eine Planung bezogen auf den Standort W. Zwar ist die Befürchtung des Betriebsrats, diese unternehmerische
Entscheidung könne personelle Auswirkungen auf den Standort W. haben, nicht von der Hand zu weisen. Weder in zeitlicher noch
in inhaltlicher Hinsicht war aber im Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung konkret absehbar, welche Auswirkungen
hierdurch eintreten werden. Die vom Betriebsrat vorgelegten Übersichten über die Entwicklung der Stückzahlen und des
Personalbestands belegen dies anschaulich. Nach der Übersicht vom 28.03.2003 sollen sich Auswirkungen auf den
Produktionsumfang in W. in gewissem Umfang bereits im Jahr 2005 abzeichnen; im Jahr 2006 sollen sie sich erheblich verstärken.
Nach der wenig später gefertigten Übersicht vom 14.07.2004 sollen sich die Auswirkungen bis in das Jahr 2007 verschieben.
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Im Jahr 2003 ließ sich somit offenkundig nicht absehen, welcher Zeitplan für die Aufnahme der Produktion in B. eingehalten werden
könne. Erst stand nicht fest, ob der Wegfall von Produkten im Werk W. durch andere Produkte kompensiert wird. Letzteres mag zwar
angesichts der bisherigen Erfahrungen in einer globalisierten Wirtschaft weniger nahe liegen, ist aber keineswegs auszuschließen.
Würde man dies anders sehen, so wäre bereits dadurch, dass die Arbeitgeberin anlässlich ihrer unternehmerischen Entscheidung
keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht hat, die Verpflichtung zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113
Abs. 3 BetrVG ausgelöst, falls in Folge der Maßnahme im Verlauf der Jahre 2006 bis 2008 Arbeitnehmer entlassen werden.
Auslöser für einen etwaigen Personalabbau ist aber nicht die Standortentscheidung der Arbeitgeberin, sondern deren weitere
Entscheidung, den Wegfall des Produkts Heatronic III nicht mit anderen Produkten zu kompensieren.
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cc) Die Kammer kann sich auch nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts anschließen, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt liege
bereits eine konkret absehbare Betriebsänderung vor. Das Arbeitsgericht hat dies daraus abgeleitet, die Produktion des
Nachfolgeproduktes Heatronic III habe zwangsläufig und denknotwendig Auswirkungen auf das Vorgängerprodukt Heatronic II. Die
Produktion des Nachfolgeproduktes führe zwangsläufig zu einem Rückgang der Stückzahlen für das Vorgängerprodukt. Der
Arbeitgeberin sei zwar zuzugestehen, das vorliegend sehr vage Planungen vorlägen. Tatsache sei jedoch, dass sich auch bei
einem langfristigen Planungshorizont unmittelbare und nicht nur mittelbare Auswirkungen für die Produktion in W. ergäben. Alles
andere sei wirklichkeitsfremd. Dem widerspreche nicht, dass die Beklagte noch nicht konkret plane, auf welche Weise sie den
Rückgang an Stückzahlen im Betrieb W. begegne. Denn diese konkreten Planungen solle der Betriebsrat von Anfang an mit
begleiten.
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Bei diesen Erwägungen hat das Arbeitsgericht jedoch nach Auffassung der Beschwerdekammer verschiedene Gesichtspunkte nicht
berücksichtigt bzw. aufgrund des ergänzten Vorbringens in der Beschwerdeinstanz nicht berücksichtigen können. So ist
schriftsätzlich erstmalig in der Beschwerdeinstanz vorgetragen worden, von den über 130 Arbeitnehmern in der Elektronikfertigung
seien 25 Arbeitnehmer befristet beschäftigt. Arbeitnehmer, die aufgrund des Auslaufens eines befristeten Arbeitsverhältnisses
ausscheiden, spielen jedoch bei der Beurteilung, ob mehr als 5 % der Belegschaft von einem Personalabbau betroffen sind, keine
Rolle (BAG, 02.08.1983 – 1 AZR 516/81 – AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 12; GK-Fabricius/Oetker, a.a.O., Rz. 78; Fitting, a.a.O., § 11 Rz.
80; a.A. Däubler, a.a.O., § 111 Rz. 57). Durch das Ausnutzen der "natürlichen Fluktuation" ergeben sich für die Arbeitgeberin
Spielräume. Bei der aus Sicht des Betriebsrats ungünstigsten Fallgestaltung könnte die Arbeitgeberin bis zu 75 Arbeitsplätze
abbauen, ohne dass die maßgebliche Schwelle von 5 % der Gesamtbelegschaft bei einem Personalabbau überschritten wäre. Legt
man die vom Betriebsrat in der Beschwerdeinstanz vorgelegten Übersichten vom 28.03. und 14.07.2003 über die
Mitarbeiterentwicklung zugrunde, so lässt sich bereits daraus nicht ersehen, ob und zu welchem konkreten Zeitpunkt ein darüber
hinausgehender Personalabbau stattfinden wird.
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Darüber hinaus ist nach Auffassung der Beschwerdekammer zu berücksichtigen, dass eine Betriebsänderung in Form einer
Betriebseinschränkung zwar eine wahrscheinliche, keineswegs aber eine zwingende Folge der Standortentscheidung der
Arbeitgeberin darstellt. Dass das Auslaufen der Produktion des Produkts Heatronic II durch ein anderes Produkt kompensiert wird,
mag nach den Erfahrungen des Betriebsrats unwahrscheinlich sein, darf jedoch nicht ausgeblendet werden. In diesem
Zusammenhang können die Folgen der im Anhörungstermin mitgeteilten Übernahme eines anderen Unternehmens noch an
Bedeutung gewinnen. Unter Umständen könnte durch eine Produktionsumstellung zwar eine Betriebsänderung nach den
Fallgruppen Nr. 4 und 5 des § 111 Satz 3 BetrVG, nicht aber ein Personalabbau im Umfang von mehr als 5 % der
Gesamtbelegschaft erfolgen. Die Arbeitgeberin führt in diesem Zusammenhang zutreffend aus, dass eine Einigungsstelle unter
gegebenen Umständen entweder über die Art und Weise der Betriebsänderung selbst befinden müsse oder aber zum Nichtstun
verurteilt sei.
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dd) Für die Kammer ist nachvollziehbar, dass der Betriebsrat rechtzeitig Anstrengungen unternehmen möchte, um den Standort W.
zu sichern. Hierzu stellt das Betriebsverfassungsgesetz jedoch zunächst andere Instrumentarien zur Verfügung, etwa die
Beteiligungsrechte nach § 92 BetrVG und § 92a BetrVG. Die Einfügung des § 92a BetrVG (Beschäftigungssicherung) durch das
Betriebsverfassungs-Reformgesetz vom 23.07.2001 beruht gerade auf der Erwägung des Gesetzgebers, die
Beschäftigungssicherung sei ein Schwerpunkt der Betriebsratsarbeit. Dem Betriebsrat sollte ein Mittel an die Hand gegeben
werden, um die Initiative für eine Beschäftigungssicherung ergreifen zu können (Bundestags-Drucksache 14/5741 S. 29 und 49).
Hierzu stellt das Gesetz dem Betriebsrat jedoch nur die schwächeren Beteiligungsrechte der §§ 92, 92a BetrVG zur Verfügung. Eine
Pflicht zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs besteht indessen erst dann, wenn der Arbeitgeber plant, ob und in welcher
Form des § 111 BetrVG eine Betriebsänderung durchführt wird. Mit Blick auf die vom Betriebsrat befürchtete Betriebseinschränkung
ist dieses Stadium nach Auffassung der Beschwerdekammer erst dann erreicht, wenn die Arbeitgeberin erkennen lässt, dass der
Produktionsrückgang im Standort Wernau nicht durch andere Maßnahmen aufgefangen wird. Nach dem eigenen Vorbringen des
Betriebsrats ist damit nach dem derzeitigen Sachstand erst im Jahr 2006 zu rechnen.
III.
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In diesem Verfahren werden nach § 2 Abs. 2 GKG Kosten nicht erhoben.
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Dr. Natter