Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 19.01.2007

LArbG Baden-Württemberg: mitgliedschaft, satzung, arbeitgeberverband, akte, arbeitsgericht, lohnstufe, tarifvertrag, wechsel, aussetzung, rechtshängigkeit

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 19.1.2007, 7 Sa 86/06
Ausgestaltung einer den sofortigen Wechsel zur OT-Mitgliedschaft gestattenden Verbandssatzung - Tariflohn - Aussetzung des Rechtsstreits
nach § 97 Abs 5 S 1 ArbGG
Leitsätze
1. Die OT-Mitgliedschaft im so genannten Stufenmodell ist an sich zulässig (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 18.07.2006 - 1 ABR 36/05 - AP
TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 19; BAG, Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42). Ihre Zulässigkeit im Streitfall hängt
von der Ausgestaltung der Verbandssatzung ab.
2. Die OT-Mitgliedschaft betrifft nicht die personelle Tarifzuständigkeit, sondern die mitgliedschaftliche Tarifgebundenheit. Deswegen kommt eine
Aussetzung des Rechtsstreites nach § 97 Absatz 5 Satz 1 ArbGG nicht in Betracht (entgegen BAG, Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG §
4 Nachwirkung Nr. 42; BAG, Beschluss vom 23.10.1996 - 4 AZR 409/95 (A) - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 15).
3. Selbst ein während laufender Tarifverhandlungen erfolgter einvernehmlicher, mit sofortiger Wirkung erfolgter Wechsel von der T-Mitgliedschaft in
die OT-Mitgliedschaft ist zulässig. Das einer funktionierenden Tarifautonomie zu Grunde liegende Kräftegleichgewicht wird dadurch nicht
verschoben, denn es besteht für die Tarifvertragsparteien weder ein Verhandlungsanspruch geschweige denn ein Anspruch auf Abschluss eines
Tarifvertrages. Das tarifverhandlungsakzessorische Arbeitskampfrecht sichert die Funktionalität der Tarifautonomie ab.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14.07.2006 - 4 Ca 505/05 - wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger tarifliche Lohnerhöhungen zu zahlen.
2
Der am ... 1959 geborene Kläger ist seit 26.08.1991 im Versandbereich der Beklagten, einem Unternehmen des Einzelhandels, als Kraftfahrer
mit benötigter Führerscheinklasse 2 beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist der Arbeitsvertrag vom 12.08.1991, auf den
Bezug genommen wird (Blatt 8 bis 10 der ArbG-Akte). Dessen § 14 lautet wie folgt:
3
„Die Tarifverträge für den Einzelhandel sowie die Betriebsordnung finden in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die Bestimmungen
dieses Vertrages sind vorrangig, soweit nicht zwingende tarifliche Regelungen bestehen. Der Arbeitnehmer erklärt, dass er von diesen
Bestimmungen Kenntnis genommen hat.“
4
Die Beklagte, die bereits längere Zeit vor Abschluss des Arbeitsvertrages Mitglied des Einzelhandelsverbandes war, beantragte mit Schreiben
vom 13.05.2003 (Blatt 47 der ArbG-Akte) die Mitgliedschaft im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Baden-Württemberg e. V.
als Mitglied ohne Tarifbindung (fortan OT-Mitgliedschaft). Mit Schreiben vom 14.05.2003 (Blatt 32 der ArbG-Akte) bestätigte der Verband die OT-
Mitgliedschaft „ab sofort“. Die Verbandssatzung in der Fassung vom 06.11.2003, auf die im Übrigen verwiesen wird (Blatt 48 bis 55 der ArbG-
Akte), lautet auszugsweise wie folgt:
5
㤠4 a Tarifbindung
6
1. Die Mitgliedschaft im Sinne von § 3 kann als eine solche mit Verbandstarifbindung (Mitglied T) als auch eine ohne Verbandstarifbindung
(Mitglied OT) erworben werden.
7
2. Mitglieder, die eine Verbandstarifbindung nicht wünschen und aus der Tarifgemeinschaft ausscheiden wollen, können sich hiervon mit
schriftlicher Erklärung an die Geschäftsstelle des Verbandes befreien.
8
Erfolgt diese Erklärung während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages, so wird sie erst mit dessen Ablauf (einschließlich Nachwirkung im
Sinne von § 3 Abs. 3 TVG) wirksam.
9
Über die Folgen des Austritts aus der Tarifgemeinschaft ist das Mitglied schriftlich durch die Geschäftsstelle aufzuklären.
10 3. Mitglieder ohne Tarifbindung werden von den vom Verband abgeschlossenen Tarifverträgen nicht erfasst. Der Abschluss eines
firmentarifbezogenen Verbandstarifvertrages ist ausgeschlossen.
11 4. Die Mitglieder mit Verbandstarifbindung benennen und entsenden aus ihren Reihen Vertreter des eigenen Unternehmens in den
Tarifpolitischen Ausschuss (§ 4 b) durch schriftliche Mitteilung an die Geschäftsstelle des Verbandes.
12
Mitglieder ohne Verbandstarifbindung haben kein Benennungs- und Entsenderecht.
13 5. Die Beschlußfassung in der Mitgliederversammlung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen unterliegt allein den Mitgliedern mit
Verbandstarifbindung.
14 § 4 b Tarifpolitischer Ausschuß
15 1. Dem Tarifpolitischen Ausschuß gehören an:
16
- Der Vorsitzende des Verbandes, sofern er einem Unternehmen mit Verbandstarifbindung zugehörig ist. Im übrigen wird der amtierende
Vorsitzende wie seine Stellvertreter gewählt.
17
- Vertreter der Mitgliedsunternehmen mit Verbandstarifbindung. ...
18
Sie bilden die Große Tarifkommission der Tarifgemeinschaft.
...
19 3. Der Tarifpolitische Ausschuß ist für die Verbandstarifverträge zuständig. Ihm obliegt die Bearbeitung, Beratung sowie Beschlussfassung in
allen Fragen der Tarifpolitik.
20
Der Tarifpolitische Ausschuß hat insbesondere folgende Aufgaben:
21
a) Abschluß und Kündigung von Tarifverträgen
22
b) Bei Bedarf Einsetzen von Ausschüssen und/oder Arbeitskreisen
23
c) Bildung einer Verhandlungskommission, die aus mindestens 10 Personen bestehen sollte.
24 4. Vorstandsmitglieder ohne Tarifbindung nehmen an den Sitzungen des Tarifpolitischen Ausschusses mit beratender Stimme teil.
...
25 7. Der Vorsitzende des Tarifpolitischen Ausschusses kann je nach Bedarf in Abstimmung mit seinen Stellvertretern und im Benehmen mit der
Geschäftsführung bis zu fünf tarif- und sozialpolitisch sachkundige Personen befristet in die Große Tarifkommission/Verhandlungskommission
sowie in deren Arbeitskreise/Ausschüsse berufen.“
26 Der Kläger ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Zwischen dem Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft wurden am
26.07.2002 (fortan Entgelt-TV 2002, gültig ab 01.04.2002) und am 28.07.2003 (fortan Entgelt-TV 2003, gültig ab 01.04.2003) Tarifverträge über
Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen im Einzelhandel Baden-Württemberg abgeschlossen. Der in II Löhne,
Tätigkeitsgruppe I, Lohnstufe 8 eingruppierte Kläger erhielt bis einschließlich Juni 2003 tarifvertragskonform einen Monatsbruttolohn in Höhe von
EUR 2 156,00. Der Tariflohn für Vollzeitbeschäftigte in der für den Kläger maßgeblichen Tätigkeitsgruppe
I
01.07.2003 monatlich EUR 2 193,00 brutto und ab dem 01.07.2004 monatlich EUR 2 230,00 brutto.
27 Die Beklagte gewährte über den 01.07.2003 hinaus an den Kläger unverändert den monatlichen Tariflohn von EUR 2 193,00 brutto. Die
monatliche tarifliche Vergütungsdifferenz beträgt seit dem 01.07.2004 EUR 37,00 brutto. Der Entgelt-TV 2003 wurde durch den am 01.04.2005
rückwirkend in Kraft getretenen Entgelttarifvertrag vom 22.03.2006 abgelöst. Nach diesem Entgelttarifvertrag beläuft sich der entsprechende
monatliche Tariflohn ab 01.09.2006 auf EUR 2 252,00 brutto.
28 Der Kläger verlangt mit seiner Klage die Nachzahlung der monatlichen Tariflohnerhöhung von EUR 37,00 brutto seit dem 01.07.2004 bis Januar
2006 zuzüglich sich jeweils daraus ergebender erhöhter Sonderzahlung 2004 in Höhe von EUR 23,13 brutto und erhöhtem Urlaubsgeld 2004 in
Höhe von EUR 18,00 brutto. Wegen der einzelnen Differenzbeträge ab Juli 2004 bis einschließlich Januar 2006 wird auf die Klageschrift vom
07.11.2005, Seiten 5 und 6 (Blatt 5 und 6 der ArbG-Akte) und auf den Schriftsatz des Klägers vom 07.02.2006, Seite 2 (Blatt 34 der ArbG-Akte)
ergänzend Bezug genommen. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab dem 01.02.2006
monatlichen Lohn nach Tätigkeitsgruppe I, Lohnstufe 8 des jeweils gültigen Tarifvertrages über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und
Sozialzulagen für den Bereich des Einzelhandels in Baden-Württemberg zu bezahlen. Die Ausschlussfristen wurden jeweils beachtet.
29 Der Kläger hat im Wesentlichen behauptet und geltend gemacht, seine Ansprüche seien aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Anwendbarkeit
der Tarifverträge unabhängig von der Verbandsmitgliedschaft der Beklagten begründet. Eine Gleichstellungsabrede im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne vorliegend deshalb nicht angenommen werden, weil sie lediglich eine fehlende
Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers ersetzen solle. Dieser Zweck sei vorliegend nicht gegeben, weil zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Arbeitsvertrages die jeweiligen Entgelttarifverträge allgemeinverbindlich gewesen seien, aber selbst im Fall der Annahme einer so genannten
Gleichstellungsabrede sei die Beklagte auch nach ihrem Verbandswechsel aufgrund ihres Verhaltens verpflichtet, alle Tarifänderungen
vorzunehmen. So sei der maßgebliche Tarifvertrag am Schwarzen Brett betriebsintern ausgehängt gewesen. Darüber hinaus habe der
Geschäftsführer der Beklagten auf eine entsprechende Frage eines Betriebsratsmitgliedes, ob beabsichtigt sei, aus der Tarifbindung
auszuscheiden, geantwortet: „Tarifverträge sind gut und nützlich. Am bestehenden Zustand wird sich daran nichts ändern.“. Schließlich habe die
Beklagte mit Wirkung ab dem 01.07.2003 gleichwohl seinen Lohn um monatlich EUR 37,00 brutto auf EUR 2 193,00 brutto erhöht, obwohl sie zu
diesem Zeitpunkt bereits OT-Mitglied gewesen sei. Im Übrigen sei die OT-Mitgliedschaft nach der in § 3 Nr. 5 a der Satzung des Verbandes
verankerten Kündigungsfrist erst zum 31.12.2003 wirksam geworden mit der Folge, dass der Entgelt-TV 2003 vom 28.07.2003 unmittelbar
Anwendung finde.
30 Der Kläger hat beantragt:
31
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger restlichen Lohn für die Monate Juli 2004 bis zunächst einschließlich September 2005 in Höhe
von EUR 596,13 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
32
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger restlichen Lohn für die Monate Oktober 2005 bis einschließlich Januar 2006 in Höhe von EUR
148,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
33
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.02.2006 nach der Tarifgruppe II, Tätigkeitsgruppe I, Lohnstufe
8 des jeweils gültigen Tarifvertrages über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für den Bereich des
Einzelhandels in Baden-Württemberg mit einem Monatsgehalt in Höhe von derzeit EUR 2 230,00 brutto zu vergüten.
34 Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
35 Sie hat behauptet und im Wesentlichen geltend gemacht, die Bezugnahmeklausel begründe keinen einzelvertraglichen Anspruch. Diese Klausel
sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als Gleichstellungsabrede auszulegen. Dies bedeute, dass der Kläger auch nur
während der Dauer ihrer Tarifgebundenheit an der Tarifentwicklung der in Bezug genommenen Tarifregelungen teilnehmen könne. Eine
Kündigungsfrist sei bei Verbandswechsel nicht zu beachten, sondern lediglich die Regeln über die Nachwirkung von Tarifverträgen. Es sei auch
bedeutungslos, ob der Entgelt-TV 2003 tatsächlich in der einen oder anderen Niederlassung der Beklagten am Schwarzen Brett ausgehangen
habe. Eine Tarifbindung könne hierdurch nicht entstehen. Ebenso wenig ergebe sich eine Anspruchsgrundlage
aus
ab dem 01.07.2003 in Kraft getretenen Tariflohnerhöhungen dem Kläger gewährt habe. Hieraus ergebe sich keine betriebliche Übung. Die
Äußerung „dass sich an dem bestehenden Zustand nichts ändern werde“ habe ihr Geschäftsführer nicht getätigt. Im Übrigen sei sie lediglich ein
Hinweis auf eine vorläufige Beibehaltung des Status quo insofern, als in diesem Jahr freiwillig auch alle Betriebsratsmitglieder eine
Entgelterhöhung bekommen hätten, an dem „bestehenden Zustand“ sich also tatsächlich nichts geändert habe. Eine Zusage für eine
Weitergewährung der Tariflohnerhöhungen sei darin nicht zu sehen.
36 Mit Urteil vom 14.07.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, weil Ansprüche weder kraft beiderseitiger Bindung noch aufgrund
einzelvertraglicher Vereinbarung noch aufgrund anderer Umstände begründet seien. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die
Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts unter I Bezug genommen.
37 Gegen das dem Kläger am 28.07.2006 zugestellte Urteil legte dieser mit beim Berufungsgericht am 10.08.2006 eingegangenem Schriftsatz
Berufung ein und führte sie innerhalb der mit Verfügung vom 25.09.2006 bis zum 30.10.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit beim
Landesarbeitsgericht am 30.10.2006 eingegangenem Schriftsatz aus.
38 Der Kläger bestreitet das Bestehen einer Mitgliedschaft der Beklagten im Arbeitgeberverband zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Arbeitsvertrages vom 12.08.1991. Eine solche ergebe sich weder aus dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben vom 03.03.2006 (Blatt 76
der ArbG-Akte) noch aus dem auszugsweise wiedergegebenen Mitgliederverzeichnis aus dem Jahr 1974. Darüber hinaus rügt der Kläger
fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insofern, als § 14 des Arbeitsvertrages vom 12.08.1991 nicht als Gleichstellungsabrede
auszulegen sei. Zwar sei eine solche Klausel regelmäßig als Gleichstellungsabrede zu verstehen, etwas anderes gelte jedoch dann, wenn der
Sinn und Zweck einer Gleichstellungsabrede nicht vorliege. Gegen die Annahme einer Gleichstellungsabrede sprächen sowohl die im Zeitpunkt
des Abschlusses des Arbeitsvertrages gegoltenen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen als auch das als Folge davon nicht bestehende
Bedürfnis der Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der Gewerkschaft. Zwar habe das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom
18.07.2006 (1 ABR 36/05) die Zulässigkeit einer verbandsgeregelten OT-Mitgliedschaft an sich anerkannt, gleichwohl habe es offen gelassen,
welche Schranken insoweit zu beachten seien. Vorliegend gestatte die Satzung die Möglichkeit der Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf die
Tarifpolitik. Dies ergebe sich aus § 4 b Nummern 4 und 7 der Satzung. Vorstandsmitglieder ohne Tarifbindung könnten insofern die Tarifpolitik
beeinflussen, als sie mit beratender Stimme an den Sitzungen des Tarifpolitischen Ausschusses teilnehmen. Darüber hinaus sei über den Weg
des Konstruktes der tarif- und sozialpolitisch sachkundigen Person eine Einflussnahme auf die Tarifvertragsgestaltung durch OT-Mitglieder
möglich. Hinzu komme, dass der Wechsel der Beklagten in eine OT-Mitgliedschaft weder vom Verband noch von ihr selbst gegenüber der
Gewerkschaft mitgeteilt worden sei. Dies sei insofern problematisch, als die Beklagte als tarifgebundenes Mitglied an den
Tarifvertragsverhandlungen nach Kündigung des Entgelt-TV 2002 durch ver.di mit Schreiben vom 25.02.2003 zum 31.03.2003 und nach
Kündigung des Manteltarifvertrages vom 13.01.1994 in der Fassung vom 06.06.2000 durch den Arbeitgeberverband mit Schreiben vom
25.03.2003 zum 30.04.2003 teilgenommen habe. Durch ihre bis zum 14.05.2003 bestandene Tarifmitgliedschaft habe sie auch auf den Inhalt
und den Abschluss der Tarifverträge vom 28.07.2003, jeweils gültig ab 01.04.2003, eingewirkt mit der Folge, dass sie an die
Tarifvertragsabschlüsse auch gebunden sein müsse. Etwas anderes könne höchstens dann gelten, wenn in der Satzung eine Verpflichtung zur
Offenlegung einer OT-Mitgliedschaft vorgesehen sei. Im Übrigen könne ein Wechsel der Mitgliedschaftsform nur einheitlich
,
Bezug auf das komplette Tarifregime, erfolgen. In diesem Sinne sei auch die Wechselklausel der Satzung des Verbandes zu verstehen. Ein
Statuswechsel ohne jegliche Kündigungsfrist, so wie es die Satzung vorsehe, sei nicht zulässig; denn ansonsten könnten sich ordentliche
Mitglieder während der Nachwirkung eines Tarifvertrages durch Erklärung kurz vor der Unterzeichnung eines ausgehandelten Tarifvertrages von
der Bindung desselben lossagen auch wenn sie Mitglied der Verhandlungskommission gewesen seien. Ein solches Ergebnis widerspreche aber
einer funktionierenden Tarifautonomie.
39 Der Kläger beantragt unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14.07.2006, Aktenzeichen 4 Ca 505/05:
40
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger restlichen Lohn für die Monate Juli 2004 bis einschließlich September 2005 in Höhe von EUR
596,13 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
41
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger restlichen Lohn für die Monate Oktober 2005 bis einschließlich Januar 2006 in Höhe von EUR
148,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
42
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.02.2006 nach der Tarifgruppe II, Tätigkeitsgruppe 1,
Lohnstufe 8 des jeweiligen gültigen Tarifvertrages über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für den Bereich
des Einzelhandels Baden-Württemberg mit einem Monatsgehalt in Höhe von derzeit EUR 2 230,00 brutto zu vergüten.
43 Die Beklagte beantragt,
44
die Berufung zurückzuweisen.
45 Sie behauptet, im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages seien beide Parteien tarifgebunden gewesen. Sie selbst sei seit dem
01.04.1960 Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbandes, was sich aus dem Schreiben des Verbandes vom 11.12.1959 ergebe (Blatt 131 der
LAG-Akte). Der umgehende Statuswechsel, bestätigt mit Schreiben vom 14.05.2003, sei nur deshalb eingetreten, weil sie als Antrag stellendes
Mitglied nicht zugleich auch in der Tarifkommission des Einzelhandels vertreten sei. Andernfalls würde einem solchen Antrag erst nach erfolgtem
Rückzug aus den tariflichen Gremien entsprochen werden. Dies ergebe sich zwingend aus § 4 a Nummern 4 und 5 der Verbandssatzung. Eine
Rechtsgrundlage für die Mitteilung eines Statuswechsels gebe es nicht.
46 Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 30.10.2006 (Blatt 20 bis 34 der
LAG-Akte) und auf den Schriftsatz der Beklagten vom 21.11.2006 (Blatt 119 bis 130) einschließlich des Protokolls über die
Berufungsverhandlung vom 19.01.2007 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A
47 Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu
Recht die zulässige Klage abgewiesen. Eine Anspruchsgrundlage für die im Wege der objektiven Klagenhäufung zur Entscheidung gestellten
Begehren besteht nicht.
I.
48 Der Rechtsstreit ist nicht gemäß § 97 Absatz 5 Satz 1 ArbGG bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Absatz
1
auszusetzen. Seine Entscheidung hängt nicht von der Frage der personellen Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbandes der Beklagten ab. Die
OT-Mitgliedschaft betrifft nämlich die Tarifgebundenheit der Beklagten als Mitglied ihres Arbeitgeberverbandes.
49 1. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreites davon ab, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung
gegeben ist, so hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen (§ 97
Absatz 5 Satz 1 ArbGG). Für die Aussetzung ist es unerheblich, in welcher Instanz das Verfahren anhängig ist; das Verfahren muss also auch
in der Berufungsinstanz ausgesetzt werden (BAG, Beschluss vom 23.10.1996 - 4 AZR 409/95 (A) - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr.
15).
50 2. Danach kommt eine Aussetzung nicht in Betracht. Die OT-Mitgliedschaft der Beklagten in ihrem Arbeitgeberverband betrifft nicht die
personelle Tarifzuständigkeit, sondern die Tarifbindung der Beklagten als Mitglied im Arbeitgeberverband.
51
a) Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde die OT-Mitgliedschaft als Ergebnis einer personellen
Beschränkung der Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbandes auf seine Tarifmitglieder angesehen (BAG, Beschluss vom 23.10.1996 -
4 AZR 409/95 (A) - a. a. O., zu II 2.1 der Gründe). Nach dieser Entscheidung beruht der Ausschluss der Tarifbindung für die OT-Mitglieder
darauf, dass der Verband seine Tarifzuständigkeit personell auf seine tarifwilligen Mitglieder begrenzen kann mit der Folge, dass die von
ihm abgeschlossenen Tarifverträge nicht für tarifunwillige Mitglieder gelten. Dem entspricht auch noch die Entscheidung des 4. Senats
des Bundesarbeitsgerichts (4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42). In dieser Entscheidung kam die Vorschaltung eines
Beschlussverfahrens nur deshalb nicht zur Geltung, weil die Tarifzuständigkeit im Rahmen des Prozesses um Bezahlung eines
Tariflohnes nicht in Frage gestellt wurde (vergleiche Buchner, NZA 2006, 1377, 1380).
52
b) Demgegenüber verneint der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 18.07.2006 (1 ABR 36/05 - AP TVG § 2
Tarifzuständigkeit Nr. 19, zu B II 2 a der Gründe) die Beschränkung der Tarifzuständigkeit auf die jeweiligen Verbandsmitglieder. Nach
seiner Auffassung betrifft die OT-Mitgliedschaft die Tarifbindung des einzelnen Mitgliedes. Von der Tarifzuständigkeit, die den autonom
bestimmten Aktionsradius einer Tarifpartei beschreibt, innerhalb dessen sie ihre Tarifautonomie ausüben möchte, sei die
Tarifgebundenheit zu unterscheiden. Die Tarifzuständigkeit komme dem Verband, nicht dem Mitglied zu und sei Ausdruck der kollektiven
Betätigungsfreiheit. Demgegenüber betreffe die Tarifgebundenheit das einzelne Verbandsmitglied und beruhe auf der individuellen
Koalitionsfreiheit. Eine Beschränkung der Tarifzuständigkeit auf die Tarifmitglieder sei ausgeschlossen, weil der Umfang der
Tarifzuständigkeit dann im Ergebnis von der Entscheidung einzelner Mitglieder über Ein- und Austritt abhänge. Das sei aber mit den
Erfordernissen eines durch Artikel 9 Absatz 3 GG gewährleisteten funktionierenden Tarifvertragssystemes unvereinbar. Bei einer
Beschränkung der personellen Tarifzuständigkeit auf die tarifwilligen Mitglieder würden die vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge
nicht mehr nach § 3 Absatz 3 TVG fortgelten. Würde nämlich der Arbeitgeber den Verband verlassen, würde er nicht mehr in den
Geltungsbereich der Verbandstarifverträge fallen mit der Folge, dass diese lediglich noch nachwirken könnten. Ebenfalls könnten OT-
Mitglieder von einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG nicht erfasst werden, weil sie mangels Tarifzuständigkeit nicht in
den Geltungsbereich des Tarifvertrages fielen und dieser durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht ausgeweitet werde. Ebenfalls
würde § 77 Absatz 3 Satz 1 BetrVG weitestgehend seiner Funktion entkleidet, wenn die Sperrwirkung mangels Tarifzuständigkeit und
dadurch fehlender Erfassung durch den tarifvertraglichen Geltungsbereich nicht eintreten könnte. Im Übrigen sei die Tarifzuständigkeit
des Arbeitgeberverbandes allein mit Hilfe der Satzung durch Dritte nicht zuverlässig zu ermitteln, wenn einzelne Arbeitgeber durch ihre
Entscheidung über ihren Aus- und Eintritt die Tarifzuständigkeit beeinflussen könnten. Die Berufungskammer schließt sich den
überzeugenderen Gründen des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts an und macht sich die auszugsweise wiedergegebenen
vorerwähnten Erwägungen ausdrücklich zu Eigen.
II.
53 Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Eine Anspruchsgrundlage ist nicht gegeben.
54 1. Die im Wege der objektiven Klagenhäufung zur Entscheidung gestellten Begehren sind zulässig.
55
a) Soweit der Kläger für den Zeitraum Juli 2004 bis einschließlich Januar 2006 im Wege der Leistungsklage einen monatlichen
Differenzlohn in Höhe von EUR 37,00 brutto einschließlich der sich daraus ergebenden erhöhten Sonderzahlung für 2004 in Höhe von
EUR 23,13 brutto und erhöhtes Urlaubsgeld für 2004 im Umfang von EUR 18,00 brutto beansprucht, ist sein zur Entscheidung gestelltes
Begehren hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO. Bedenken bestehen weder hinsichtlich der materiellen
Rechtskraftwirkung (§ 322 Absatz 1 ZPO) noch hinsichtlich der Vollstreckungsfähigkeit einer in Betracht kommenden Schuldnerschaft der
Beklagten; denn die monatlichen Differenzlohnbeträge sind sowohl dem Grund als auch der Höhe nach monatsbezogen nachvollziehbar
abgegrenzt und damit unterscheidbar und hinreichend bestimmt.
56
b) Soweit der Kläger die Feststellung einer Leistungspflicht der Beklagten ab Februar 2006 fortfolgende zur Entscheidung gestellt hat,
bestehen gleichfalls keine durchgreifenden Bedenken in Bezug auf die Bestimmtheit und das Feststellungsinteresse des
Feststellungsrechtsverhältnisses.
57
(1) Aus der Begründung des Feststellungsantrages einschließlich der Klarstellung im Protokoll über die Berufungsverhandlung vom
19.01.2007 ergibt sich vermittels der Angaben zur übereinstimmend beurteilten Eingruppierung hinreichend bestimmt in
Fortsetzung der Leistungsbegehren der monatliche Differenzlohnanspruch ab Februar 2006 fortfolgende. Nach der im
wohlverstandenen Interesse des Klägers vorzunehmenden Auslegung der nicht eindeutigen Textfassung seines
Feststellungsantrages beansprucht er nach dem jeweiligen Entgelttarifvertrag des Einzelhandels in Baden-Württemberg auf der
Grundlage seiner Eingruppierung nach II (Löhne), Tätigkeitsgruppe I, Lohnstufe 8 den jeweiligen monatlichen Bruttodifferenzbetrag
zwischen dem von der Beklagten geleistetem Entgelt und dem jeweiligen tarifvertraglich festgelegten Bruttobetrag.
58
(2) Mit dem Arbeitsgericht vertritt auch die Berufungskammer die Auffassung, dass ein Feststellungsinteresse gegeben ist (§ 256 Absatz
1 ZPO). Bedenken bestehen vorliegend deshalb, weil der Kläger seinen monatlichen Bruttodifferenzbetrag hätte beziffern können.
Der Entgelt-TV 2003 wurde durch den Entgelt-Tarifvertrag vom 22.03.2006, in Kraft getreten am 01.04.2005, abgelöst, wonach sich
bis 31.08.2006 entsprechend der Eingruppierung des Klägers ein Tarifentgelt von monatlich EUR 2 230,00 brutto und ab
01.09.2006 ein solches in Höhe von EUR 2 252,00 brutto ergeben würde. Das Feststellungsinteresse für das monatliche Verlangen
des Klägers ab Januar 2007 fehlt nicht. Die Möglichkeit einer Klage auf zukünftige Leistung gemäß § 259 ZPO steht nach
allgemeiner Ansicht einer Feststellungsklage nicht entgegen (zum Beispiel BGH, Urteil vom 07.02.1986 - V ZR 201/84 - NJW 1986,
2507, zu II 1 der Gründe mit weiteren Nachweisen); aber auch für den Zeitraum des fälligen Monatsdifferenzlohnes bis
einschließlich Dezember 2006 (Berufungsverhandlung war am 19.01.2007) ist vorliegend von einem Feststellungsinteresse
auszugehen. Ein fälligkeitsbezogener Umstellungs- und Anwendungsvorrang der Leistungsklage ist wegen der umfassenden
gegenwärtigen und zukünftigen Streiterledigung nicht anzunehmen (vergleiche zum Beispiel BAG, Urteil vom 11.11.1986 - 3 AZR
194/85 - AP BGB § 613a Nr. 61, zu A der Gründe). Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger für den Zeitraum ab Juli 2004 bis
einschließlich Januar 2006 jeweils einen Leistungsantrag gestellt hat. Im Fall einer Verurteilung wird sich die Beklagte angesichts
der den Kern des Rechtsstreites bildenden Rechtsfrage der Zulässigkeit ihrer OT-Mitgliedschaft einem Feststellungsantrag beugen.
59 2. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte die monatlichen Differenzbruttobeträge zur tariflichen Vergütung nicht zu. Ein solcher Anspruch ist
weder kraft beiderseitiger Tarifbindung noch aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung noch aufgrund anderer Umstände begründet. Das hat
das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
60
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Entgelt-TV vom 28.07.2003 (§§ 4 Absatz 1 Satz 1, 3 Absatz 1 TVG) in Verbindung mit dem
Arbeitsvertrag der Parteien. Die Beklagte ist nämlich nicht tarifgebunden im Sinne des § 3 Absatz 1 TVG. Mit der zulässigen OT-
Mitgliedschaft der Beklagten endete deren Tarifbindung ab 14.05.2003.
61
aa) Der Entgelt-TV 2002 vom 26.07.2002 galt bis zum 31.03.2003, mit Schreiben vom 25.02.2003 kündigte ver.di den Tarifvertrag zum
31.03.2003,aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend gemäß §§ 4 Absatz 1 Satz 1, 3 Absatz 1 TVG.
Dass im zeitlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages eine beiderseitige Tarifgebundenheit bestand, hat das Arbeitsgericht
festgestellt; die Feststellung wurde auch nicht angegriffen.
62
bb) Eine Tarifbindung der Beklagten an den am 01.04.2003 in Kraft getretenen Entgelt-TV 2003 vom 28.07.2003 besteht nicht. Dieser
Tarifvertrag sieht ab 01.07.2003 bis 30.06.2004 nach der vom Kläger schlüssig dargelegten und von der Beklagten nicht
bestrittenen Eingruppierungsbestimmung nach II (Löhne), Tarifgruppe I, Lohnstufe 8 einen Brutto-Monatslohn in Höhe von EUR 2
193,00 und ab 01.07.2004 einen solchen in Höhe von EUR 2 230,00 vor. Die Beklagte hat nämlich rechtswirksam einen
Statuswechsel von der Tarifmitgliedschaft zur OT-Mitgliedschaft mit Wirkung ab 14.05.2003 vorgenommen. Die so genannte
Nachbindung der Beklagten gemäß § 3 Absatz 3 TVG endete vorliegend mit der rechtlichen Beendigung des Entgelt-TV 2002 vom
26.07.2002 mit Ablauf des 31.03.2003. Die Beklagte ist an den am 01.04.2003 rückwirkend in Kraft getretenen Entgelt-TV 2003 vom
28.07.2003 mangels Tarifmitgliedschaft nicht gebunden. Tarifvertragsrechtlich trat vielmehr eine Nachwirkung gemäß § 4 Absatz 5
TVG an den Entgelt-TV 2002 vom 26.07.2002 ein (vergleiche BAG, Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4
Nachwirkung Nr. 42, zu I 4 der Gründe mit zahlreichen Nachweisen).
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(1) Die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband, die keine Tarifgebundenheit im Sinne von § 3 Absatz 1 TVG erzeugt, ist nach
der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich anerkannt (BAG, Beschluss vom 18.07.2006 - 1 ABR 36/05 - AP
TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 19, zu B II 2 a ee (3) der Gründe; BAG, Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4
Nachwirkung Nr. 42, zu I 2 b der Gründe). Die Berufungskammer schließt sich den überzeugenden Gründen des
Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 18.07.2006 (1 ABR 36/05, a. a. O.) an und macht sich die für die
grundsätzliche Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaff angeführten Argumente zu Eigen.
64
(2) Die in der Satzung des Arbeitgeberverbandes vom 06.11.2003 vorgesehene und von der Beklagten ausgeübte OT-
Mitgliedschaft ist zulässig. Die vom Kläger hiergegen vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
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(a) Die Beklagte ist seit 14.05.2003 satzungsgemäßes OT-Mitglied im zuständigen Arbeitgeberverband. Das hat das
Arbeitsgericht im Tatbestand festgestellt. Mit Schreiben vom 13.05.2003 beantragte die Beklagte eine Mitgliedschaft ohne
Tarifbindung und bat um Bestätigung (Blatt 47 der ArbG-Akte). Mit Schreiben vom 14.05.2003 bestätigte der zuständige
Arbeitgeberverband neben dem Eingang des vorgenannten Schreibens auch die mit sofortiger Wirkung eingetretene OT-
Mitgliedschaft (Blatt 32 der ArbG-Akte). Nach erneuter Vorlage des Schreibens vom 13.05.2003 in der Berufungsinstanz
und Erörterung des Inhaltes einschließlich der Erklärung des zuständigen Arbeitgeberverbandes vom 14.05.2003 in der
Berufungsverhandlung vom 19.01.2007 hat sich der Kläger hierauf nicht mehr mit Bestreiten erklärt.
66
(b) Eine Tarifgebundenheit der Beklagten an den Entgelt-TV 2003 ist nicht gegeben. Die rückwirkend vereinbarte Geltung
dieses Tarifvertrages ab 01.04.2003 ändert daran nichts. Die Beklagte war nämlich bei Abschluss des Entgelt-TV 2003 am
28.07.2003 nicht mehr Tarifmitglied im vertragsschließenden Arbeitgeberverband.
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(c) In seiner Entscheidung vom 18.07.2006 (1 ABR 36/05, a. a. O.) hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offen gelassen,
an welche Voraussetzungen eine derartige OT-Mitgliedschaft gebunden ist und welchen Beschränkungen sie unterliegt.
Dabei hat es in den Raum gestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die OT-Mitglieder von der tarifpolitischen
Willensbildung des Verbandes ausgeschlossen sein müssen und welche Fristen etwa bei einem Statuswechsel zum
Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie einzuhalten sind (Randnummer 61). Die satzungsgemäße Auskleidung
der OT-Mitgliedschaft begegnet vorliegend keinen durchgreifenden Bedenken. Die satzungsgemäße Ge-staltung trägt
einerseits sowohl dem Selbstbestimmungsrecht des Verbandes und des einzelnen Mitgliedes als auch der negativen
Koalitionsfreiheit (vergleiche BVerfG, Urteil vom 14.06.1983 - 2 BvR 488/80 - BVerfGE 64, 208, 213, zu B I der Gründe) des
Mitgliedes und andererseits den Erfordernissen einer funktionsfähigen Tarifautonomie Rechnung.
68
(aa) Die äußere Gestaltung der Satzung vom 06.11.2003 genügt der Transparenz, die für den Verhandlungspartner im
Interesse einer funktionierenden Tarifautonomie ersichtlich - vorliegend im so genannten Stufenmodell (vergleiche zur
Begriffsbildung Wilhelm/ Dannhorn, NZA 2006, 466, 467; Thüsing/Stelljes, ZfA 2005, 527, 529) -die Möglichkeit einer
Tarifmitgliedschaft und einer OT-Mitgliedschaft ausweist, § 4 a Nr. 1 der Satzung (zum Erfordernis der Transparenz
Bayreuther, BB 2007, 325, 326; Buchner, NZA 2006, 1377, 1382). Außerdem sieht die Satzung ausdrücklich und damit
transparent sowohl den Beitritt in eine der beiden Mitgliedschaftsarten als auch das Überwechseln in eine OT-
Mitgliedschaft (§ 4 a Nr. 2) vor. Im Übrigen differenziert die Satzung ausdrücklich je nach Rechtsstellung der Mitgliedschaft
die insoweit jeweils bestehenden Mitwirkungsrechte. Dabeigibt die Satzung deklaratorisch die Rechtslage einer OT-
Mitgliedschaft wieder(vergleiche § 4 a).
69
(bb) Die Satzung schließt eine direkte Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen aus. Insoweit
bestehen für OT-Mitglieder keine Mitwirkungsrechte. OT-Mitglieder haben kein Benennungs- und Entsenderecht in Bezug
auf die personelle Zusammensetzung des Tarifpolitischen Ausschusses (§ 4 a Nr. 4 der Satzung). Des Weiteren ist
eindeutig festgelegt, dass die Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung über Tariffragen und
Arbeitskampfmaßnahmen allein den Mitgliedern mit Tarifbindung unterliegt (§ 4 a Nr. 5 der Satzung). Dem steht nach
Auffassung der Berufungskammer nicht entgegen, dass nach § 4 b Nr. 4 Vorstandsmitglieder ohne Tarifbindung an den
Sitzungen des Tarif-politischen Ausschusses mit beratender Stimme teilnehmen. Zum einen besteht kein Stimmrecht. Zum
anderen gilt dies lediglich für Vorstandsmitglieder. Nach § 8 Nr. 1 der Satzung bilden allenfalls 10 Mitglieder den
Vorstand. Dieser Bestimmung, aber auch der Regelung des § 4 b Nr. 7 (Berufung von bis zu fünf tarif- und sozialpolitisch
sachkundigen Personen) geht es ersichtlich nicht um eine missbräuchliche Gestaltungsform, sondern einzig und allein
darum, fundierten Sachverstand nutzbar zu machen. Die Berufungskammer verkennt nicht, dass insbesondere durch das
Beratungsrecht der Vorstandsmitglieder Einfluss auf die Tarifpolitik des Verbandes genommen werden kann. Die
abstrakte und sachlich motivierte Fassung der Satzung sieht eine tendenziöse Beratung ausdrücklich nicht vor.
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(cc) Der Kernbereich der Tarifautonomie ist auch nicht durch die in der Satzung vorgesehene allgemeine Beitragspflicht
tangiert (§ 5 Nr. 1). Durch die von den OT-Mitgliedern erbrachten Beiträge wird allenfalls mittelbar Einfluss auf das
Streitgeschehen ausgeübt (vergleiche Bayreuther, BB 2007, 325, 327). Die Verhandlungsparität wird dadurch nicht
verschoben (LAG München, Beschluss vom 12.04.2005 - 11 TaBV 33/04 - NZA-RR 2006, 145, zu B II 2 c der Gründe; Otto,
NZA 1996, 628).
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(dd) Bedenken an der Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft der Beklagten bestehen auch insofern nicht, als der Statuswechsel
auf der Grundlage der Satzung, die insoweit keine Fristen vorsieht, ein-vernehmlich mit sofortiger Wirkung erfolgte (zum
Meinungsstand vergleiche LAG Hamm, Urteil vom 27.09.2005 - 19 Sa 936/05 - Juriszitat, zu II 2 c bb (1) (a) der Gründe;
Buchner, NZA 2006, 1377, 1382). Die dem Verband zustehende Satzungsautonomie und die negative Koalitionsfreiheit
der Beklagten gestatten es, einen Statuswechsel in die OT-Mitgliedschaft auch einvernehmlich durchzuführen. Damit wird
nicht in unzulässiger Weise das einer funktionierenden Tarifautonomie zugrunde liegende ungefähre Kräftegleichgewicht
tangiert. Zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und damit zur Bestandssicherung ist es für einen Verband durchaus
wünschenswert, anstatt eines Ausscheidens aus dem Verband jedenfalls einen Statuswechsel im Interesse des
Mitgliedes zu ermöglichen und damit auch nicht des Beitrages verlustig zu werden (vergleiche auch die Rechtsprechung
zu den Kündigungsfristen bei einem Austritt aus einem Arbeitgeberverband, BAG, Beschluss vom 19.09.2006 - 1 ABR
2/06 - Juriszitat, zu B II 2 a der Gründe mit weiteren Nachweisen). Der Kläger weist in diesem Zusammenhang darauf hin,
dass ein Wechsel in die OT-Mitgliedschaft kurz vor Abschluss eines Verbandstarifvertrages die Funktionalität der
Tarifautonomie tangieren kann. Dem steht jedoch entgegen, dass dem System der Tarifautonomie weder ein
Verhandlungsanspruch geschweige denn ein Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrages zugrunde liegt. Die negative
Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitgliedes und die Satzungsautonomie des Verbandes als Ausdruck der ausgeübten
Bestandsgarantie stehen einer Unzulässigkeit eines einvernehmlichen Statuswechsels entgegen (vergleiche hierzu
Buchner, NZA 2006, 1377, 1382; Bayreuther, BB 2007, 325, 326, 327). Jeder Tarifvertragspartei ist es unbenommen, dem
Abschluss einer bereits ausverhandelten Tariflösung gleichwohl noch die Unterschrift zu versagen. Dem Gegenspieler
bleibt dann die Möglichkeit, sich des Instrumentes des Arbeitskampfes zu bedienen. Abgesehen von dieser durchaus
realitätsnahen Vor-gehensweise eines Tarifmitgliedes im Stadium der Tarifvertragsverhandlungen finden im Übrigen das
Recht der Nachbindung (§ 3 Absatz 3 TVG) und das der Nachwirkung (§ 4 Absatz 5 TVG) als kompensatorische und
stabilisierende Elemente der Tarifautonomie Anwendung. Eine analoge Anwendung der Kündigungsfrist bei
Verbandsaustritt auf einen Statuswechsel kommt nicht in Betracht. Die ausgeübte Satzungsautonomie hat beide
Mitgliedschaftsformen einschließlich deren Veränderungen eigenständig geregelt.
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(ee) Soweit der Kläger auf das Tarifregime als Einheit für die Rechtsfolge der OT-Mitgliedschaft abstellt, lässt sich diese
Argumentation mit dem Tarifvertragsgesetz nicht vereinbaren. Die Verbandssatzung beruht auf dem Tarifvertragsgesetz,
das wiederum seine Rechtsfolgen nicht an das Tarifregime als Ganzes, sondern an den einzelnen Tarifvertrag anknüpft.
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(ff) Soweit der Kläger auf die mit der Anerkennung der OT-Mitgliedschaft einhergehende Intransparenz der Tarifgebundenheit
einzelner Mitglieder abstellt, betrifft dieses Argument nicht die Ausgestaltung der konkreten OT-Mitgliedschaft, sondern
deren Zulässigkeit an sich. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 18.07.2006 (1 ABR 36/05, a. a.
O., Randnummer 60) hierzu erklärt und die Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft hieran nicht scheitern lassen.
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b) Dem Kläger steht auch kein arbeitsvertraglicher Anspruch nach § 14 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 12.08.1991 in Verbindung
mit dem Entgelt-TV 2003 zu. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede ausgelegt. Diese
Auslegungsregel findet jedenfalls auf den vor dem 31.12.2001 abgeschlossenen Arbeitsvertrag („Altvertrag“) uneingeschränkte
Anwendung (BAG, Urteil vom 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39, zu I 2 c der Gründe).
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aa) Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich die Berufungskammer der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts
vollumfänglich an. Von daher bedarf es keiner erneuten Darstellung der Obersätze und der Subsumtion des festgestellten
Sachverhaltes. Der Kläger stellt lediglich seine bereits erstinstanzlich vertretene Auffassung auch zweitinstanzlich der Ansicht des
Arbeitsgerichts entgegen, ohne neue Argumente vorzubringen.
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bb) Zur Klarstellung und Ergänzung weist die Berufungskammer darauf hin, dass die Mitgliedschaft der Beklagten im
Arbeitgeberverband vor Abschluss des Arbeitsvertrages der Parteien vom 12.08.1991 vom Arbeitsgericht festgestellt wurde.
Insoweit liegt bereits kein zulässiger Berufungsangriff nach § 520 Absatz 3 Nr. 3 ZPO vor. Danach bedarf es der Bezeichnung
konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil
begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Was unter „konkreten Anhaltspunkten für Zweifel“ zu verstehen ist,
beantworten die Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 14/6036, Seite 124) dahin, es sollte wenigstens eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für die Fehlerhaftigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sprechen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12.06.2003 - 1 BvR 228/02 - NJW 2003, 2524, zu II 1 b der Gründe) genügt die
„Möglichkeit“ einer unterschiedlichen Wertung. Vorliegend kann es aber dahingestellt bleiben, welcher Auffassung der Vorzug
gebührt; denn nach Vorlage des Schreibens vom 11.12.1959 in der Berufungsinstanz, das der ehemalige Vorsitzende und auch
der ehemalige Geschäftsführer des zuständigen Arbeitgeberverbandes an die Beklagte richtete, steht zur Überzeugung der
Berufungskammer fest, dass die Beklagte bereits ab 01.04.1960 durchgehend Mitglied im Arbeitgeberverband war. Der Kläger hat
hierzu keine verwertbaren Anhaltspunkte vorgetragen, die den Schluss auf einen nachträglichen Austritt der Beklagten vor
Abschluss des Arbeitsvertrages vom 12.08.1991 zulassen.
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c) Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass aus sonstigen Umständen kein Anspruch des Klägers auf Zahlung der
streitgegenständlichen Forderungen besteht. Auch insoweit schließt sich die Kammer der Begründung des Arbeitsgerichts unter I 3 der
Entscheidungsgründe gemäß § 69 Absatz 2 ArbGG vollumfänglich an. Im Übrigen hat sich hierzu der Kläger in der Berufungsinstanz
auch nicht mehr verhalten. Ergänzend wird ausgeführt, dass nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 27.11.2002 - 4 AZR
540/01 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 29, zu I 2 e der Gründe) aus der einmaligen Anwendung eines nach der
Bezugnahmeklausel nicht anwendbaren Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis kein Rückschluss auf einen generellen
Verpflichtungswillen gezogen werden kann, alle Tarifänderungen nach einem Verbandsaustritt zu vollziehen (BAG, Urteil vom
09.02.2005 - 5 AZR 284/04 - Juriszitat, zu III 3 b der Gründe mit weiteren Nachweisen; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.03.2006 - 6
Sa 158/05 - Juriszitat, zu 3 der Gründe). Einen schlüssigen, einen Verpflichtungswillen der Beklagten begründenden Tatsachenvortrag
hat der Kläger nicht gehalten.
B
78 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.
79 Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG.