Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 07.10.2004

LArbG Baden-Württemberg: kündigung, vergütung, rechtfertigung, arbeitsgericht, arbeitsbedingungen, umgestaltung, anhörung, betriebsrat, umbau, beendigung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 7.10.2004, 19 Sa 25/04
Änderungskündigung - Facheinzelhandelsfiliale zu reiner Abverkaufsstelle
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim – Kammern Heidelberg – vom 27.10.2003 – Az.: 10 Ca 285/03 – wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer mit Schreiben vom 19.04.2003 gegenüber dem Kläger ausgesprochenen ordentlichen
betriebsbedingten Änderungskündigung zum 30.09.2003.
2
Die Beklagte betreibt als Einzelhandelsunternehmen mit ca. 90 Verkaufsfilialen bundesweit Handel mit Unterhaltungselektronik, Computern,
weißer Ware sowie Artikeln der Tele- und Bürokommunikation und dergleichen.
3
Der 1968 geborene Kläger ist seit 1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in der Filiale D. H.-C. in H. als Radiofachverkäufer
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund des Arbeitsvertrages vom 15.09.1989 (vgl. ABl. 10-14 der Vorakte) die
Tarifverträge für den Einzelhandel in B.-W. Anwendung. Der Kläger bezog zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von Euro
2.500,00 wobei die Vergütung nach Beschäftigungsgruppe II/6 des einschlägigen Tarifvertrages zuzüglich übertariflicher Zuschläge erfolgte.
4
Mit Schreiben vom 19.04.2003, dem der Entwurf für einen geänderten Arbeitsvertrag beigefügt war, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis
aus betrieblichen Gründen zum 30.09.2003. Das dem Kläger unterbreitete Änderungsangebot sieht dessen Beschäftigung als Verkäufer mit
Kassentätigkeit bei einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von Euro 1.650,00 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei Wegfall der
bisherigen Tarifbindung vor.
5
Anlass für diese Änderungskündigung ist die von der Beklagten beabsichtigte Umgestaltung ihrer bisher als Facheinzelhandel geführten
Verkaufsfilialen in reine Abverkaufsstellen mit deutlich reduziertem Warensortiment und eingeschränkter Beratung. Besetzt werden sollen die
Filialen nur noch mit einem Marktleiter und einer (stark) reduzierten Anzahl von Mitarbeitern, die sämtliche Funktionen im Bereich Kasse,
Warenpflege, Lagertätigkeit unterschiedslos wahrzunehmen haben. Um dieses Konzept umsetzen zu können hat die Beklagte jeweils mit den
zuständigen Betriebsräten, hier mit dem für die Filiale D. H. zuständigen einen Interessenausgleich abgeschlossen (vgl. Vereinbarung vom
13.02.2003 ABl. 19 ff. der Vorakte).
6
Vor Ausspruch der Kündigung wurde der Betriebsrat mit Schreiben vom 09.04.2003 (ABl. 37 ff.) unterrichtet. Ob dem Anhörungsschreiben der
geänderte Arbeitsvertrag beilag, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist, dass dem Betriebsrat nicht der bis dahin geltende
Anstellungsvertrag vom 15.09.1989 vorlag.
7
Der Kläger hat das ihm gemachte Änderungsangebot nicht angenommen.
8
Er hat die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht und bestreitet eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates. Unter anderem hat
er die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten, ihre Filiale in einen Abverkaufsmarkt umzugestalten, sei willkürlich. Im Übrigen sei
die tatsächliche Umsetzung dieser Entscheidung zu bestreiten. Darüber hinaus sei die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen
unzumutbar.
9
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 19.04.2003
nicht aufgelöst worden sei. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, dass eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nicht dargelegt
sei. Darüber hinaus sei die Kündigung nicht durch zwingende betriebliche Gründe bedingt. Das von der Beklagten unterbreitete
Änderungsangebot sei vom Kläger billigerweise nicht hinnehmbar und im außerdem auch nicht bestimmt genug.
10 Zur näheren Sachdarstellung wird auf Tatbestand und Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 27.10.2003 verwiesen.
11 Die Beklagte macht mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung weiterhin die Rechtswirksamkeit der Änderungskündigung geltend. Zur
Anhörung des Betriebsrates trägt die Beklagte weiter vor und meint dieser sei ausreichend unterrichtet worden. Zur Betriebsbedingtheit der
Kündigung führt sie aus, der Umbau der Filiale D. H. sei zum 09.05.2003 vorgesehen gewesen. Mit Rücksicht auf die laufenden
Kündigungsfristen habe zunächst nicht verhindert werden können, dass sich Arbeitnehmer weiter in ihren früheren Warengruppen bewegen.
Inzwischen sei das Discountkonzept in der Filiale D. H. jedoch vollzogen. Es gebe nur noch Verkäufer mit Kassen- und Lagertätigkeiten.
Hinsichtlich der geänderten Arbeitsbedingungen sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger ein neu eingerichteter Arbeitsplatz angeboten worden
sei. Ein solcher Arbeitsplatz habe bisher nicht existiert. Ausgestaltung und Dotierung eines solchen neuen Arbeitsplatzes stehe der Beklagten
frei. Die vorgesehene Vergütung in Höhe von Euro 1.650,00 brutto monatlich sei angemessen. Denn für den neu eingerichteten Arbeitsplatz sei
bei Anwendung der fachlich einschlägigen Tarifverträge über Gehälter, Löhne etc. des Einzelhandels in B.-W. die Beschäftigungsgruppe II
maßgeblich, die eine Grundvergütung von lediglich Euro 1.305,00 brutto monatlich vorsehe.
12 Die Beklagte beantragt:
13 unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
14 Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
15 Wegen des Parteivortrages im einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden
Rechtszügen verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
17 Die Änderungskündigung der Beklagten ist – wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – nicht im Sinne der §§ 2, 1 Abs. 2 KSchG
gerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam.
18 Für eine Änderungskündigung nach § 2 KSchG müssen hinsichtlich ihrer sozialen Rechtfertigung die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 KSchG
vorliegen. Dabei ist auch bei einer Ablehnung des Änderungsangebotes durch den Arbeitnehmer – wie vorliegend – nicht auf die Beendigung
des Arbeitsverhältnisses, sondern auf das Änderungsangebot und seine soziale Rechtfertigung abzustellen (BAG in st. Rspr. – vgl. Urteil vom
17.06.1998 – 2 AZR 336/97 – in AP Nr. 49 zu § 2 KSchG 1969, zu II 3 a der Gründe, m. w. N.). Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung
ist das Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende betriebliche Erfordernisse gem. § 1 Abs. 2 KSchG das
Änderungsangebot bedingen (BAG in st. Rspr. – vgl. zuletzt: Urteil vom 16.05.2002 – 2 AZR 292/01 – in AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969, zu B I der
Gründe, m. w. N.). Soweit neben einer Änderung der Tätigkeit auch eine Änderung der Vergütung angestrebt wird, muß die Vergütungsänderung
für sich gerechtfertigt sein, es sei denn, die Höhe der Vergütung ergibt sich ohne weiteres aus einem Vergütungssystem (BAG, Urteil vom
18.10.2000 – 2 AZR 465/99 – AP Nr. 116 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung). Dabei ist davon auszugehen, dass eine
Gehaltsreduzierung nur ausnahmsweise in Betracht kommen kann. Sollen für eine solche wirtschaftliche Gründe geltend gemacht werden, so
sind die Finanzlage des Betriebes und die Auswirkungen der beabsichtigten Kostensenkung detailliert darzustellen und insbesondere
darzulegen, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Besteht ein anerkennenswerter Anlaß zur Änderungskündigung so ist zu
prüfen, ob sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen
muß (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2002 a. a. O.).
19 Es kann offenbleiben, ob es zur Übertragung der Verkäufertätigkeit mit Einsatz im Bereich Kasse, Warenpflege, Lagertätigkeit etc. einer
Änderungskündigung bedurfte und für eine solche Änderung betriebliche Gründe bestanden. Für die dem Kläger vorgeschlagene
Gehaltsreduzierung auf Euro 1.650,00 monatlich jedenfalls besteht kein rechtfertigender Grund.
20 Die von der Beklagten angebotene Vergütungsregelung ergibt sich nicht mit Rücksicht auf die dem Kläger angesonnene veränderte Tätigkeit aus
einem auf das Arbeitsverhältnis angewandten Vergütungssystem. Die Tätigkeit des Klägers sollte sich nach den Vorstellungen der Beklagten
zwar inhaltlich ändern, sie ist aber dennoch objektiv gleichwertig geblieben. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger bereits als
Radiofachverkäufer die Voraussetzungen der Beschäftigungsgruppe II des fachlich einschlägigen Tarifvertrages über die Gehälter, Löhne,
Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für die Arbeitnehmer des Einzelhandels in B.-W. erfüllt hat und dementsprechend nach Tarifgruppe
II/6 vergütet wurde. Der neu geschaffene Arbeitsplatz eines Verkäufers mit Kassentätigkeit in der Abverkaufszentrale erfüllt nach dem Vorbringen
der Beklagten ebenfalls die Voraussetzungen der Beschäftigungsgruppe II des einschlägigen Tarifvertrages. Ein Grund für eine Veränderung der
Vergütung liegt von daher nicht vor.
21 Wirtschaftliche Gründe in dem Sinne, dass die Anpassung der Personalkosten für die Mitarbeiter, die in den zu Abverkaufsstellen umgestalteten
Filialen weiterbeschäftigt werden, wegen der Unrentabilität des Gesamtbetriebes erforderlich ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Es fehlt
bereits an näheren Ausführungen zu ihrer wirtschaftlichen Situation. Insbesondere wird nicht erkennbar, inwieweit neben der Umgestaltung der
Filialen zu Abverkaufsstellen mit erheblich weniger Personal auch noch die Reduzierung der Gehälter der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer
erforderlich war, um die Rentabilität des Gesamtbetriebes zu erhalten und weitere Personalreduzierungen, bzw. die Schließung des Betriebes zu
vermeiden.
22 Die Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung der Gehaltsreduzierung auf die Vergütungsregeln, die sie kraft unternehmerischer Entscheidung für
die neu eingerichteten Arbeitsplätze erstellt hat. Sie meint, diese auch gegenüber solchen Mitarbeitern durchsetzen zu können, die bisher
aufgrund arbeitsvertraglicher Bindung höher vergütet waren. Dahinter steht der Gedanke, dass alle Mitarbeiter in den Abverkaufsstellen
unabhängig von persönlichen Merkmalen gleich vergütet werden sollen. Der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller auf einer Ebene der
Betriebshierarchie beschäftigten Arbeitnehmer vermag indes eine Reduzierung einer arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung grundsätzlich
nicht zu rechtfertigen (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.2000 – 2 AZR 465/99 – AP Nr. 116 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung m. w. N.).
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.