Urteil des KG Berlin vom 02.04.2017

KG Berlin: rücknahme der klage, abgabe, prozess, post, klagerücknahme, mwst, link, quelle, sammlung, gerichtsgebühr

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 378/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 3100 RVG,
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 3101 RVG,
§ 15 Abs 3 RVG, § 91 Abs 1 S 1
ZPO, § 91 Abs 2 S 1 ZPO
Rechtsanwaltsgebühren: Anspruch des Prozessbevollmächtigten
des Beklagten auf eine Verfahrensgebühr nach Abgabe des
Mahnverfahrens bei Klagerücknahme vor Anspruchsbegründung
Leitsatz
Nimmt der Kläger nach der von ihm beantragter Abgabe des Mahnverfahrens an das
Streitgericht die Klage vor Anspruchsbegründung zurück, so ist die dem
Prozessbevollmächtigten des Beklagten erwachsene Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3101
erstattungsfähig. Stellt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten einen Antrag nach § 269
Abs. 4 ZPO, ist zusätzlich eine nach dem Kostenwert bemessene Verfahrensgebühr gemäß
VV Nr. 3100 in den Grenzen des § 15 Abs. 3 RVG zu erstatten. (Aufgabe der früheren Rspr.
JurBüro 2002, 641)
Tenor
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 13.4.2005 von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden
Kosten über den bereits festgesetzten Betrag hinaus in Höhe weiterer 255,43 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 18.4.2005 festgesetzt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.
Die Erinnerung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf 25 EUR ermäßigt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerde- und Erinnerungs-verfahrens haben nach
einem Wert bis zu 600 EUR die Klägerin zu 88 %, die Beklagte zu 12 % zu tragen.
Gründe
I.
Die am 12. Juli 2005 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten
gegen den ihr am 28. Juni 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2005 ist gemäß § 11 Abs. 1 RpflG in Verbindung mit §
104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Der
Beschwerdewert übersteigt 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO).
Auch die am 2. Juli 2005 bei Gericht eingegangene Erinnerung der Klägerin gegen
denselben, ihr am 23. Juni 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2005 ist fristgerecht eingelegt und zu Recht zusammen
mit der sofortigen Beschwerde der Beklagten dem Kammergericht als eine
Angelegenheit zur Entscheidung vorgelegt worden (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe,
RVG, 17. Aufl., § 16 Rn. 99).
II.
In der Sache ist die sofortige Beschwerde der Beklagten teilweise begründet, die
Erinnerung der Klägerin jedoch unbegründet. Der Beklagten sind an Kosten für ihre
anwaltliche Vertretung im Mahnverfahren und nach Abgabe im Streitverfahren vor dem
Landgericht Berlin eine nach einem Streitwert von 12.357,32 EUR bemessene 0,8
Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 in Höhe von 420,80 EUR und eine nach einem
Streitwert von bis 2.000 EUR bemessene 1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3100 in
Höhe 172,90 EUR zuzüglich Auslagenpauschalen und Mehrwertsteuer als notwendige
Kosten der Rechtsverteidigung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erstatten.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Prozessbevollmächtigen der Beklagten
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1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Prozessbevollmächtigen der Beklagten
nicht nur eine Verfahrensgebühr von 0,5 nach VV Nr. 3307 für den Widerspruch gegen
den Mahnbescheid des Amtsgerichts ... erwachsen, sondern auch Verfahrensgebühren
für den nachfolgenden Rechtsstreit angefallen, in denen die Widerspruchsgebühr
aufgeht.
Nachdem das Mahnverfahren aufgrund des eingelegten Widerspruchs antragsgemäß an
das Landgericht Berlin abgegeben worden ist, ist dort die Streitsache mit dem Eingang
der Akten am 28. Januar 2005 gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO anhängig geworden und
damit in das Streitverfahren übergeleitet worden. In diesem Rechtsstreit ist dem
Prozessbevollmächtigten der Beklagten für seine bis zur Klagerücknahme am 11. März
2005 entwickelte Tätigkeit eine nach dem Streitwert der Hauptsache bemessene 0,8
Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 angefallen. Der Prozessbevollmächtigte der
Beklagten hat glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 ZPO), dass sein Mandat nicht auf die
Erhebung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid beschränkt war, sondern dass er
– wie das in aller Regel der Fall ist – von der Beklagten sogleich mit der Prozessführung
beauftragt worden ist. Im vorliegenden Fall kann auch unbedenklich angenommen
werden, dass der Prozessbevollmächtigte im streitigen Verfahren für die Beklagte tätig
geworden ist. Hierzu genügte bereits die Entgegennahme der Nachricht des Gerichts
vom 23. Februar 2005 über den Akteneingang und die der Klägerin erteilte befristete
Auflage, weil als glaubhaft gemacht angesehen werden kann, dass der Anwalt
anschließend pflichtgemäß geprüft hat, ob etwas für seine Mandantin zu veranlassen ist.
Die Einreichung eines Schriftsatzes ist nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 6.4.2005 -
V ZB 25/04, NJW 2005,2233). Allerdings ist die Verfahrensgebühr nicht in voller Höhe
entstanden, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Rücknahme der Klage
keinen Sachantrag gestellt hat.
Der nach Rücknahme der Klage gemäß § 269 Abs. 4 ZPO gestellte Antrag, die Kosten
des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen, hat zwar eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß
VV Nr. 3100 ausgelöst, diese ist jedoch nur noch nach dem Kostenstreitwert zu
bemessen (OLG Köln, JurBüro 2000, 77; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 1231; vgl. auch
BGH, JurBüro 2003, 256). Diese Verfahrensgebühr entsteht nach § 15 Abs. 3 RVG neben
der Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3101, ist jedoch in der Weise begrenzt, dass die aus
dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr
nicht überschritten werden darf (OLG Köln, JurBüro 2000, 77; OLG Koblenz, JurBüro 1983,
558 für das Berufungsverfahren). Im vorliegenden Fall errechnet sich die
Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 mit 172,90 EUR, da die Kosten des Rechtsstreits
(nämlich die Anwaltsgebühren beider Parteien zuzüglich der Gerichtskosten von 219
EUR) zwischen 1.500 EUR und 2.000 EUR betragen. Sie fällt in voller Höhe neben der 0,8
Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 an, weil die Summe der beiden errechneten
Verfahrensgebühren mit 593,70 EUR niedriger ist als die vom Gesamtstreitwert nach
dem höchsten Gebührensatz von 1,3 errechnete Gebühr von 683,80 EUR (§ 15 Abs. 3
RVG).
2. Die im streitigen Verfahren angefallenen Verfahrensgebühren sind auch im vollen
Umfang nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung
erstattungsfähig. Das gilt – entgegen der vom Senat früher vertretenen Auffassung
(Senat, JurBüro 2002, 641 m.w.N.) - auch für die hier angefallene Verfahrensgebühr nach
VV Nr. 3101.
Nach der Rechtsprechung des Senats war eine im Mahnverfahren in Anspruch
genommene Partei grundsätzlich gehalten, ihre Rechtsverteidigung zunächst auf die
Erhebung des Widerspruchs zu beschränken. Aus erstattungsrechtlicher Sicht sei die
Erteilung eines unbedingten Prozess-auftrages erst dann geboten, wenn ihr gemäß §
697 Abs. 2 ZPO die Anspruchsbegründung zugestellt worden sei oder sie wegen
unterlassener fristgemäßer Anspruchsbegründung Veranlassung habe, selbst gemäß §
697 Abs. 3 ZPO auf eine Terminsbestimmung hinzuwirken (Senat, JurBüro 2002, 641;
JurBüro 2001, 138; m.w.N.). An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten, um einen
Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu vermeiden, wonach
im Falle einer nur fristwahrend eingelegten und noch nicht begründeten Berufung die mit
dem Rechtsmittel überzogene Partei ohne weiteres Zuwarten einen Rechtsanwalt
bestellen darf und die hierdurch entstehenden Kosten auch erstattungsfähig sind (BGH,
NJW 2003, 756). Der Bundesgerichtshof hat auf § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO verwiesen, der
die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in
allen Prozessen zu den erstattungsfähigen Kosten zählt. Daraus sei zu entnehmen, dass
eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen dürfe und diese Befugnis
stehe uneingeschränkt auch dem Rechtsmittelgegner in einer als risikobehaftet
empfundenen Situation zu. In einer solchen Lage befindet sich auch die Partei, die im
Mahnverfahren in Anspruch genommen wurde, wenn die Streitsache nach Abgabe an
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Mahnverfahren in Anspruch genommen wurde, wenn die Streitsache nach Abgabe an
das Prozessgericht dort anhängig geworden ist. Die in Anspruch genommene Partei
muss mit der Durchführung der Klage rechnen, nachdem der Antragsteller im
Mahnverfahren den Antrag nach § 696 Abs. 1 Satz 1 GKG gestellt, die Kosten für die
Durchführung des streitigen Verfahrens gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG eingezahlt und
dadurch die Abgabe an das Prozessgericht bewirkt hat. Sie kann regelmäßig nicht selbst
beurteilen, was in dieser Lage des Verfahrens zu ihrer Rechtsverteidigung sachgerecht
zu veranlassen ist. Der beklagten Partei kann daher nicht zugemutet werden, ohne den
Beistand eines Rechtsanwalts zunächst die Klagebegründung oder die vom
Prozessgericht zur Klagebegründung gesetzte Frist abzuwarten.
3. Insgesamt errechnen sich die von der Klägerin an die Beklagten zu erstattenden
Kosten wie folgt:
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
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