Urteil des KG Berlin vom 29.03.2017
KG Berlin: identitätsnachweis, reisepass, identitätskarte, echtheit, staatsangehörigkeit, libanon, rechtsgrundsatz, beweismittel, registrierung, gewissheit
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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 249/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 438 ZPO, § 11 PersStdV, § 20
PersStdG, § 25 PersStdV, § 46a
PersStdG
Geburtenbuch: Nachweis der Identität anders als durch
Reisepass
Leitsatz
1) Ein Rechtsgrundsatz, dass bei Beurkundungen des Personenstandes zum
Identitätsnachweis gegenüber dem Standesbeamten nur ein gültiger oder erst kürzlich
abgelaufener Reisepass geeignet ist, besteht nicht.
2) Die Anforderung an den Identitätsnachweis setzt im Zweifelsfalle der Standesbeamte nach
Maßgabe des Einzelfalles fest. Dabei ist ein Pass wegen des Lichtbildes, der Registrierung und
seiner durch die zeitliche Begrenzung seiner Gültigkeit erzwungenen regelmäßigen
Überprüfung ein besonders geeignetes, jedoch nicht das einzig mögliche Mittel zum Nachweis
der Identität. Steht die Identität der Person bereits anderweitig fest, ist die Vorlage des
Reisepasses entbehrlich.
Tenor
Die weitere Beschwerde wird nach einem Wert von 3.000,- EUR zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Beteiligten zu 1) und 2) verlangen die Berichtigung des Geburtseintrages Nr. ... des
Standesamts Mitte von Berlin. Dieser lautet:
„Eine Frau, deren Identität nicht geklärt ist, deren Wohnort unbekannt, hat am 14.
Oktober 2002 ... einen Knaben geboren. Das Kind hat noch keinen Vornamen erhalten
und noch keinen Familiennamen“.
Das Amtsgericht Schöneberg hat den Standesbeamten mit Beschluss vom 4. Februar
2004 - 70 III 31/03 - angewiesen, den Eintrag durch Beischreibung folgenden Vermerks
zu berichtigen:
„Mutter des Kindes ist I. E., wohnhaft in B., B. Das Kind hat den Vornamen S. erhalten
und führt den Familiennamen E.“.
Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3)
mit Beschluss vom 17. Juni 2004 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige
weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3).
B.
Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 47, 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 Satz 1 und Abs.
2 PStG in Verbindung mit §§ 22, 27, 29 FGG zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg.
I. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Senats ausgeführt, im Verfahren nach § 25 PStV könne ein
Beteiligter, der keine Personenstandsurkunde vorlegen könne, seine Angaben zur
Person durch andere öffentliche Urkunden nachweisen, die seine Identität bezeugten.
Entsprechend habe die Beteiligte zu 1) durch Vorlage der Identitätskarte für
palästinensische Flüchtlinge, ihre Geburtsurkunde sowie die weiteren vorgelegten
Urkunden zur Überzeugung der Kammer ihre Identität nachgewiesen.
Die Beteiligte zu 3) ist dem mit dem Argument entgegengetreten, es gebe im
Personenstandsrecht bei der Identitätsfeststellung einen allgemeinen „Passvorrang“.
II. Die auf Rechtsfehler beschränkte Überprüfung dieser Entscheidung durch den Senat
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II. Die auf Rechtsfehler beschränkte Überprüfung dieser Entscheidung durch den Senat
führt nicht zu Beanstandungen.
1) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei Eintragung in das
Geburtenbuch der Identitätsnachweis der Beteiligten anders als durch die Vorlage eines
Reisepasses geführt werden kann.
Bei der Eintragung eines Kindes in das Geburtenbuch trifft den Standesbeamten nach §
20 PStG eine Nachprüfungspflicht nur bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben des
Anzeigenden.
Dabei ist zu unterscheiden:
a) Die nach § 68a PStG, § 25 PStV vorzulegenden Personenstandsurkunden bilden nach
§ 60 PStG in der Regel eine verlässliche Eintragungsgrundlage, so dass der
Standesbeamte nur auftretenden Unstimmigkeiten nachzugehen hat, etwa wegen
inhaltlicher Abweichungen zwischen den Angaben in der Anzeige und den vorgelegten
Urkunden (vgl. Hepting/Gaaz, PStR, § 20 PStG, Rn. 9). Bei nicht verheirateten Eltern
genügt gemäß § 25 Satz 1 Nr. 2 PStV zunächst die Vorlage der Geburtsurkunde der
Mutter; sind die Zweifel dadurch nicht ausgeräumt, kann der Standesbeamte die
Vorlage weiterer Urkunden verlangen, § 25 Satz 3 PStV.
Ausländischen Personenstandsurkunden kommt der besondere Beweiswert nach § 60
PStG zwar nicht zu (vgl. § 46a Abs. 2 PStG). Ihre Beweiskraft richtet sich nach den in §
438 ZPO niedergelegten Grundsätzen (§§ 48 Abs. 2 PStG, 12 FGG; vgl. Jansen, FGG, § 12
FGG, Rn. 29, und EinlBeurkG , Rn. 50; s.a. Hepting/Gaaz, PStG § 66 Rn. 14). Danach
können Zweifel an der Echtheit insbesondere durch Legalisation ausgeräumt werden.
b) Die Zweifel des Standesbeamten können sich aber auch auf die Identität der
Beteiligten beziehen. Bei der Vorlage von Personenstandsurkunden geht es dann um die
Frage, ob diese den namentlich bezeichneten Personen zuzuordnen sind. In diesem
Zusammenhang stellt sich die Frage, wie der Nachweis der Identität zu erfolgen hat.
aa) § 11 Abs. 2 PStV betrifft nur Eheschließung und Heiratsbuch und in diesem
Zusammenhang den Nachweis der Staatsangehörigkeit. Mittelbar betrifft er auch die
Eintragung im Geburtenbuch, wenn es auf die Staatsangehörigkeit ankommt.
bb) Allgemein ist ein Pass wegen des Lichtbildes, der Registrierung bei der Passbehörde
und seiner durch die zeitliche Begrenzung seiner Gültigkeit erzwungenen regelmäßigen
Überprüfung ein besonders geeignetes Mittel zum Nachweis der Identität. Seine Vorlage
ist erforderlich, wenn Zweifel des Standesbeamten nicht anders behoben werden
können. Allerdings existiert entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kein aus
dem Gesetz oder der Rechtsprechung ableitbarer Rechtsgrundsatz, dass zum
Identitätsnachweis im Bereich des Personenstandswesens stets ein gültiger oder erst
kürzlich abgelaufener Reisepass vorzulegen ist, sofern er beschafft werden kann. Steht
die Identität bereits anderweitig fest, ist die Vorlage eines Reisepasses entbehrlich.
Umgekehrt kann - je nach den Umständen des Einzelfalles - die Nichtvorlage oder
Nichtverlängerung eines vorhandenen oder ohne Schwierigkeiten erhältlichen
Reisepasses Zweifel an den Angaben i.S.d. § 20 PStG begründen (vgl. zu den
praktischen Möglichkeiten des Standesbeamten bei der Prüfung einer zweifelhaften
Identität Jauß, StAZ 2004, 118 ff.; auch Hepting/Gaaz, a.a.O., Rn. 11 ff.).
Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf Entscheidungen des Senats ergibt nichts
anderes. Der Beschluss des Senats vom 27. Juni 2000 (StAZ 2000, 303), auf den sich
auch das Landgericht bezieht, betrifft die Erteilung eines Ehefähigkeitszeugnisses, für die
§ 11 Abs. 2 PStV bei Nicht-Deutschen die Vorlage eines Reisepasses ausdrücklich
verlangt. Der weiter zitierte Beschluss des Senats vom 9. April 2000 - 1 W 416/01 -
betrifft die Berichtigung der Schreibweise eines Namens im Familienbuch nach Maßgabe
der lateinischen Schriftzeichen in einem ausländischen Reisepass. Der von der
Beschwerdeführerin daraus abgeleitete allgemeine „Passvorrang“ bei der
Identitätsprüfung im Personenstandswesen findet in der Entscheidung keine Stütze.
Keinesfalls steht es im Belieben der Beteiligten, wie sie ihre Identität nachweisen; die
Anforderungen setzt vielmehr pflichtgemäß nach Maßgabe des Einzelfalls der
Standesbeamte fest. Danach verbleibende Zweifel können im Berichtigungsverfahren
gerichtlich überprüft werden.
2) Zweifel an der Identität der Beteiligten zu 1), die nur durch Vorlage eines Passes zu
beseitigen wären, haben das Amtsgericht und das Landgericht unter Würdigung der
vorhandenen Urkunden rechtsfehlerfrei verneint.
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Das Landgericht hat die Fotos in dem vom Landeseinwohneramt ausgestellten
Ausweisersatzpapier und in der vorgelegten Identitätskarte für Palästinensische
Flüchtlinge verglichen und ist zu dem Bewertung gelangt, sie zeigten dieselbe Person.
Unter Berücksichtigung der Angaben in der Geburtsurkunde der Republik Libanon vom
28. April 1980 sowie der weiteren vorgelegten Urkunden ist es zu der Gewissheit über die
Richtigkeit jedenfalls des einzutragenden Namens der Beteiligten zu 1) und
Kindesmutter gelangt. Dies ist bei der vorzunehmenden Rechtsprüfung nicht zu
beanstanden und wahrt die vorstehend dargelegten Grundsätze der Amtsprüfung.
Soweit sich aus dem Inhalt dieser Urkunden Widersprüche über sonstige Angaben zur
Person ergeben (die Geburtsurkunde gibt als Geburtsdatum den 11. März 1980 an,
während im Ausweisersatzpapier der 4. Februar 1980 genannt ist, und der
Identitätskarte zufolge handelt es sich um eine im Libanon lebende Palästinenserin,
während die Antragstellerin zu 1) gegenwärtig in Berlin lebt), bedurfte und bedarf dies im
Hinblick auf die erstrebte Eintragung in das Geburtsregister keiner weiteren Aufklärung.
Diese Umstände könnten im vorliegenden Fall allenfalls mittelbar Bedeutung erlangen,
denn das Geburtsdatum der Mutter ist nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG nicht
eintragungsbedürftig (vgl. § 21 PStG), und ihr richtiger Wohnort - Berlin - steht
anderweitig fest (vgl. Ausweisersatzpapier, ausgestellt vom Landeseinwohneramt Berlin
vom 9. Februar 2001). Eine Unstimmigkeit, die die Unrichtigkeit der übrigen
übereinstimmenden Angaben indiziert oder Zweifel an der Echtheit der vorgelegten
Urkunden nahe liegt, brauchte das Landgericht jedoch auch nicht anzunehmen. In
diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es sich nicht um die einzigen
Beweismittel gehandelt hat. Bereits das Amtsgericht hat die Ausländerakte der
Beteiligten zu 1) beigezogen, ohne dass dies zu Zweifeln an deren Identität geführt
hätte. Das Amtsgericht, ihm folgend das Landgericht, haben in der Gesamtschau der
vorliegenden Beweismittel die Identität als festgestellt angesehen. Dies ist von Rechts
wegen nicht zu beanstanden.
C.
Für eine Kostenerstattungsanordnung nach der an sich zwingenden Vorschrift des § 13a
Abs. 1 Satz 2 FGG ist kein Raum, da die Beschwerdeführerin als
Standesamtsaufsichtsbehörde im Berichtigungsverfahren öffentliche Interessen
wahrnimmt und deshalb nicht Beteiligte im Sinne des § 13a Abs. 1 FGG in Verbindung
mit § 48 Abs. 1 PStG ist (Senat, StAZ 2000, 216 m.w.N.).
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30, 161 KostO.
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