Urteil des KG Berlin vom 02.11.2010
KG Berlin: beweiswürdigung, unfall, beweismittel, könig, höchstgeschwindigkeit, akte, link, sammlung, quelle, erfahrung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 203/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 286 ZPO
Leitsatz
Zur Feststellung einer bestimmten Geschwindigkeit eines Fahrzeugs, insbesondere eines
Fahrzeugs im Querverkehr, ist der Zeugenbeweis jedenfalls dann ein ungeeignetes
Beweismittel, wenn nicht die besondere Sachkunde des Zeugen dargelegt wird oder
Bezugstatsachen erläutert werden.
(Berufung zurückgewiesen durch Beschluss vom 2. November 2010)
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss
zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz
1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Zu Recht ist das Landgericht in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass
die Zeugin R. den streitgegenständlichen Unfall durch eine Sorgfaltspflichtverletzung
verschuldet hat und die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs dahinter vollständig
zurücktritt.
Dabei hat das Landgericht richtig ausgeführt, dass sich der Unfall unstreitig innerhalb
des Einmündungsvierecks der Kreuzung ereignete und dem Beklagten zu 2. gegenüber
der Zeugin A. die Vorfahrt gebührte.
Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung, wonach es nicht die
Überzeugung hat gewinnen können, dass an dem Unfall ein Verschulden des Beklagten
zu 2., insbesondere eine Geschwindigkeitsüberschreitung mitursächlich war, ist rechtlich
nicht zu beanstanden.
Die von der Berufung hiergegen vorgebrachten Angriffe haben keine Aussicht auf Erfolg.
Der Senat folgt der Beweiswürdigung des Landgerichts auch in der Sache.
a. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom
Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit
nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges sich bei der
Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO
gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der
Beweiswürdigung abzuweichen.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, den Sachverhalt auf Grundlage des Parteivorbringens
möglichst vollständig aufzuklären (BGH, Urteil vom 26. März 1997 – IV ZR 91/96 – NJW
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
möglichst vollständig aufzuklären (BGH, Urteil vom 26. März 1997 – IV ZR 91/96 – NJW
1997, 1988). Er hat die in erheblicher Weise beantragten Beweise erschöpfend zu
erheben und sich in der Urteilsbegründung mit dem Prozessstoff und dem
Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinanderzusetzen (BGH, Urteil vom
15. März 2000 – VIII ZR 31/99 – NJW 2000, 2024; Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 – 12
U 211/02, DAR 2004, 223). Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne
Parteivorbringen ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der
Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO,
31. Aufl., § 286 Rn. 3, 5 und 6 m. w. N.).
Dabei darf der Richter im Rahmen seiner Überzeugungsbildung einer Partei mehr
Glauben schenken, als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender
Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung als erwiesen ansehen (KG,
Urteil vom 3. November 2003 – 22 U 136/03 - KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533), wenn
dies nach den übrigen Beweismitteln oder nach dem Inhalt der Akten seiner
Überzeugung entspricht.
b. An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das Landgericht gehalten.
Es hat den Beklagten zu 2. persönlich gehört sowie u.a. die Zeugin R. vernommen und
dies auf den Seiten 5 und 6 des angegriffenen Urteils gewürdigt.
Dabei hat das Landgericht dargelegt, warum es trotz der Aussage der Zeugin R., der
Beklagte zu 2. sei nach ihrer Einschätzung 50-60 km/h gefahren, eine überhöhte
Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs nicht hat feststellen können.
Soweit die Berufung der Auffassung ist, dass das Landgericht die Aussagen
insbesondere auch der Zeugen F., Z. und A. im Hinblick auf die gefahrene
Geschwindigkeit des von dem Beklagten zu 2. gefahrenen Fahrzeugs nicht hinreichend
gewürdigt habe, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg.
Aussagen von Zeugen sind grundsätzlich nicht geeignet, eine bestimmte
Geschwindigkeit eines Fahrzeugs nachzuweisen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um
ungeschulte Zeugen handelt. Es ist nach der Erfahrung der Verkehrssenate für nicht
besonders darin geübte Personen ausgeschlossen, die Geschwindigkeit eines anderen
Fahrzeugs ohne weitere Orientierungen auch nur annähernd verlässlich zu schätzen. Für
den Beweis einer bestimmten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist
der Zeugenbeweis deshalb ein ungeeignetes Beweismittel, wenn nicht die besondere
Sachkunde des Zeugen dargelegt oder Bezugstatsachen erläutert werden (vgl. Senat,
Beschluss vom 15. Januar 2007 – 12 U 205/06 – VRS 113, 28 = SP 2007, 315 = NZV
2007, 524 = KGR 2007, 814 L; siehe auch Senat, Urteil vom 25. April 1996 – 12 U
1631/95 –, vom 17. Oktober 1996 – 12 U 5672/95 – und vom 13. August 1998 – 12 U
1760/97 –).
Dies gilt insbesondere auch für Geschwindigkeitsschätzungen des Querverkehrs (vgl.
hierzu auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 3 StVO Rn. 63)
Da weder vorgebracht, noch ersichtlich ist, weshalb die Zeugen zu verlässlichen
Schätzungen in der Lage gewesen sein sollten, war es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das
Landgericht die Aussagen der Zeugen für die Frage, ob der Beklagte zu 2. mit
überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist, bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt
hat.
c. Das Landgericht war entgegen den Angriffen der Berufung auch nicht gehalten, ein
Sachverständigengutachten hinsichtlich der von dem Beklagten zu 2. gefahrenen
Ausgangsgeschwindigkeit einzuholen.
Ein derartiges Gutachten kann lediglich feststellen, mit welcher Geschwindigkeit die
Fahrzeuge kollidiert sind. Welche Geschwindigkeit sie zu dem Zeitpunkt innehatten,
bevor sie abgebremst wurden, kann nur unter Einbeziehung weiterer Faktoren, wie
Bremsspuren bzw. genaue Angaben zu zurückgelegten Entfernungen festgestellt
werden. Hierzu finden sich jedoch weder im Vorbringen der Klägerin, noch sonst in der
Akte ausreichend konkrete Anhaltspunkte, zumal selbst die Fahrerin des klägerischen
Fahrzeugs angab, das Beklagtenfahrzeug vor dem Zusammenstoß nicht gesehen zu
haben und deshalb auch keine Angaben zu dessen Entfernung machen zu können.
2. Der Klägerin wird anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu
überdenken.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum