Urteil des KG Berlin vom 29.03.2017

KG Berlin: abmahnung, die post, versendung, internet, zustellung, absendung, rechtsmissbrauch, auflage, anfang, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 65/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 4 UWG
Missbräuchliche Aufteilung der Rechtsverfolgung in zwei
Abmahnungen bei einem Gegenangriff
Leitsatz
1. Die Abmahnung eines Dritten ist nicht allein schon wegen ihres Charakters als
Gegenangriff auf eine vorangegangene Abmahnung des Dritten missbräuchlich. Nichts desto
trotz ist schon die Ausgangssituation einer "Retourkutsche" regelmäßig nicht unbedenklich
und sie zwingt den (abgemahnten) Abmahnenden in einem besonderen Maß zu einer
zurückhaltenden, kostenschonenden Verfahrensweise.
2. Auch wenn einem Verfahrensbevollmächtigten mehrere Wettbewerbsverstöße in einem
Internetauftritt an zwei Tagen zeitlich nacheinander bekannt geworden sind, kann die
Rechtsverfolgung in zwei Abmahnungen missbräuchlich sein, wenn der
Verfahrensbevollmächtigte beauftragt war, den gesamten Internetauftritt
wettbewerbsrechtlich zu prüfen und dann abzumahnen.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Kammer für
Handelssachen 96 des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2010 - 96 O 15/10 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 30.000 €.
Gründe
I.
Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der
Antragstellerin ist nicht begründet, §§ 935, 940 ZPO. Zutreffend hat das Landgericht im
angefochtenen Beschluss gerichtlich verfolgbaren Unterlassungsansprüche der
Antragstellerin gegen den Antragsgegner aus dessen Internetauftritten (eBay-Angebot
und Onlineshop) wegen eines Rechtsmissbrauchs gem. § 8 Abs. 4 UWG verneint.
1.
Von einem Missbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn sich der
Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden
Motiven leiten lässt. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers
sein. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Anhaltspunkte für ein
missbräuchliches Verhalten können sich unter anderem daraus ergeben, dass ein
Gläubiger bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß getrennte Verfahren anstrengt
und dadurch die Kostenlast erheblich erhöht, obwohl eine Inanspruchnahme in nur
einem Verfahren für ihn mit keinerlei Nachteilen verbunden ist (BGH, GRUR 2000, 1089,
1093 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; GRUR 2006, 243, TZ. 16 – MEGA SALE;
Urteil vom 22. Oktober 2009, I ZR 58/07, juris Rn. 18 - Klassenlotterie). Diese zunächst
auf einen einheitlichen Wettbewerbsverstoß beschränkten Grundsätze sind ebenfalls
anwendbar, wenn es um die mehrfache Verfolgung gleichartiger oder ähnlich gelagerter
Wettbewerbsverstöße geht (BGH, GRUR 2009, 1180, TZ. 20 - 0,00 Grundgebühr; a.a.O.,
Klassenlotterie) und sie erfassen bereits das Abmahnverhalten des
Unterlassungsgläubigers (BGH, GRUR 2002, 357, 359 - Missbräuchliche
Mehrfachabmahnung; Senat, NJWE-WettbewerbsR 1998, 160, 161).
2.
Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte, die es rechtfertigen, ein
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Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte, die es rechtfertigen, ein
missbräuchliches Verhalten der Antragstellerin wegen der in getrennten Verfahren
erfolgten Abmahnungen 1586/09 und 1590/09 (jeweils Geschäftszeichen des
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers) anzunehmen.
a) Eine die Verfahrensaufspaltung sachlich rechtfertigende unterschiedliche Rechts -
oder Beweissituation war nicht gegeben. Die beanstandeten Klauseln waren teilweise
inhaltsgleich. Die Glaubhaftmachungslage hinsichtlich der Abmahnung des eBay-
Angebots (1586/09) unterschied sich nicht von der für die Abmahnung des Onlineshops
(1590/09). Darüber hinaus wären, worauf schon das Landgericht zutreffend hingewiesen
hat, etwaige unterschiedliche rechtliche und tatsächliche Risiken eines gerichtlichen
Verfahrens für die vorhergehende Obliegenheit der Abmahnung unerheblich.
b) Die Antragstellerin hatte sich bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie vom Antragsgegner
urheberrechtlich abgemahnt worden ist, durch die rechtliche Ausgestaltung der
Internetauftritte des Antragsgegners nicht behindert gefühlt. Erst diese Abmahnung war
für sie Veranlassung, das Verhalten des Antragsgegners im Internet rechtlich überprüfen
zu lassen. Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass eine solche eigene
Abmahnung nicht alleine schon wegen ihres Charakters als Gegenangriff missbräuchlich
ist. Nichts desto trotz ist schon die Ausgangssituation einer "Retourkutsche" regelmäßig
nicht unbedenklich und sie zwingt den (abgemahnten) Abmahnenden in einem
besonderen Maß zu einer zurückhaltenden, kostenschonenden Verfahrensweise. Denn
es ist nach der Lebenserfahrung nicht völlig fern liegend, dass die eigene Abmahnung
vorwiegend deshalb ausgesprochen werden soll, um (auch) den Gegner kostenmäßig zu
belasten, so wie der Abmahnende zuvor selbst kostenmäßig belastet worden ist.
Vorliegend kommt insoweit noch hinzu, dass die Antragstellerin selbst offenbar noch
keinerlei konkrete Zweifel hinsichtlich der Internetauftritte des Antragsgegners hegte,
sondern sie insoweit ihren Verfahrensbevollmächtigten erst mit näheren Ermittlungen
beauftragt hat.
c) Unerheblich ist vorliegend der Vortrag der Antragstellerin, die den beiden
vorgenannten Abmahnungen zu Grunde liegenden Wettbewerbsverstöße seien ihrem
Verfahrensbevollmächtigten zeitlich nacheinander bekannt geworden, und zwar die
Wettbewerbsverstöße der Abmahnung zum Onlineshop (1590/09) erst nach dem
Versand der Abmahnung zum eBay-Angebot (1586/09).
aa) Es mag sein, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin sich mit dem
Onlineshop des Antragsgegners erst nach der Versendung der Abmahnung zum eBay-
Angebot näher befasst hat.
Die Antragstellerin trägt aber selbst vor, sie habe ihren Verfahrensbevollmächtigten als
Gegenreaktion auf die urheberrechtliche Abmahnung des Antragsgegners damit
beauftragt, "den Inter-netauftritt des Antragsgegners auch wettbewerbsrechtlich prüfen
und dann abmahnen zu lassen". Dabei rückt als erstes der Onlineshop des
Antragsgegners in den Blick, erst nachrangig ein irgendwie, irgendwann und irgendwo
gefundenes einzelnes eBay-Angebot des Antragsgegners. Auch die Antragstellerin trägt
vor, "Es wurde dann am gleichen Tag" [gemeint ist der 1.12.2009] "die
Wettbewerbswidrigkeit des Gegners bei eBay festgestellt und nach Übersendung des
Entwurfs der ersten Abmahnung 1586/09 mitgeteilt, dass der Internetauftritt www.b... -
m... .de" [des Antragsgegners] "noch geprüft und gegebenenfalls abgemahnt werden
solle". Es spricht somit vorliegend alles dafür, dass im Zeitpunkt der Absendung der
ersten Abmahnung betreffend das eBay-Angebot der Antragstellerin und ihrem
Verfahrensbevollmächtigten bewusst war, dass der Internetauftritt des Antragsgegners
in seinem Onlineshop jedenfalls noch zu prüfen war. Abgesehen davon, dass schon ein
kurzer Blick in die rechtliche Ausgestaltung des Onlineshops wesentliche inhaltliche
Übereinstimmungen zu den Beanstandungen bezüglich des eBay-Angebots aufgezeigt
hätte, bestand für die Absendung der ersten Abmahnung betreffend das eBay-Angebot
keine so große Eilbedürftigkeit, dass mit dieser Abmahnung nicht einige wenige Stunden
bis zur Prüfung des Onlineshops hätte zugewartet werden können. Nach den
eingereichten Faxprotokollen ist die erste Abmahnung betreffend das eBay-Angebot
(1586/09) am 2.12.2009 gegen 9:30 Uhr versendet worden, die zweite Abmahnung
bezüglich des Onlineshops (1590/09) nach Übermittlung der diesbezüglichen zweiten
Vollmacht durch den Antragsteller (am 2.12.2009 um 12: 56 Uhr).
bb) Darüber hinaus hätte es sich der Antragstellerin und ihrem
Verfahrensbevollmächtigten - auch bei einer zeitversetzten Kenntniserlangung bezüglich
der jeweils abgemahnten Wettbewerbsverstöße - aufdrängen müssen, die spätere
Abmahnung nicht als gesonderte Angelegenheit zum Gegenstand einer gesonderten
Abmahnung zu machen, sondern diese Abmahnung hätte unter Bezugnahme auf die
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Abmahnung zu machen, sondern diese Abmahnung hätte unter Bezugnahme auf die
erste Abmahnung um die neu hinzutretenden bzw. zu wiederholenden Beanstandungen
ergänzt und erweitert werden können, so wie auch ein gerichtliches Verfahren nach
seiner Einleitung um neue Streitgegenstände erweitert werden kann.
Angesichts der wenigen Stunden Zeitunterschied waren insoweit keine Probleme
hinsichtlich der Fristabläufe zu befürchten. Denn die Frist hätte einheitlich auf die
Zustellung der zweiten, ergänzenden Abmahnung berechnet werden können. Dass in
der Praxis Empfangsbekenntnisse verschwinden und auch nicht "retourniert" werden
könnten, mag im Einzelfall so sein. Dieses Problem hätte sich aber gleichermaßen
gestellt, und zwar unabhängig davon, ob eine gesonderte zweite oder nur eine
ergänzende Abmahnung versand wird. Im Übrigen ging es bei den hier in Rede
stehenden Abmahnungen nicht um eine Zustellung durch Empfangsbekenntnis, sondern
durch die Post an den Antragsgegner persönlich.
d) Unerheblich ist es, wenn die Antragstellerin mit Fax vom 10.12.2009 dem
Antragsgegner angeboten hat, die zu erstattenden Kosten auf die einer einzigen
Abmahnung zu beschränken. Zu Recht hat das Landgericht in seiner
Nichtabhilfeentscheidung hierzu darauf hingewiesen, dass dieses Angebot nur bedingt
für den Fall erfolgt ist, dass der Antragsgegner insgesamt eine Unterlassungserklärung
abgibt. Zudem war der Antragstellerin (aus der zeitlich vorhergehenden Antwort des
Antragsgegners vom 9.12.2009 auf seine Abmahnungen) das Problem des Vorwurfs
eines Rechtsmissbrauchs bereits offenbar geworden. Deshalb hilft der Antragstellerin
auch nicht ihr Hinweis darauf weiter, sie habe im vorliegenden Eilverfahren die
Beanstandungen beider Abmahnungen zusammengeführt (vgl. hierzu Köhler in:
Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Auflage, § 8 Rn. 4.17) und auch mit 30.000 € insgesamt nur
einen geringen Verfahrenswert geltend gemacht.
e) Zwar hat die Antragstellerin vereinzelt sogar rechtlich umstrittene Gestaltungen des
Antragsgegners beanstandet und in das vorliegende gerichtliche Verfahren eingeführt. In
ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl betrafen ihre Abmahnungen aber doch rechtlich
einfach gelagerte, weit gehend (jedenfalls im Hinblick auf die Entscheidungspraxis des
Senats) rechtlich unumstrittene und über das Internet leicht feststellbare Verstöße.
d) Vorliegend ist die Missbräuchlichkeit nicht nur auf die der zweiten Abmahnung zu
Grunde liegenden Beanstandungen bzw. Verstöße beschränkt.
aa) Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist zwar für jeden mit der Klage oder dem
Verfügungsantrag geltend gemachten Anspruch selbstständig zu prüfen (Köhler, a.a.O.,
§ 8 Rn. 4.17). Das kann aber, insbesondere bei mehr oder weniger gleichzeitig
erhobenen Klagen dazu führen, dass alle Klagen unzulässig sind (Köhler, a.a.O.). Liegt
dagegen zwischen der Erhebung der Klagen eine gewisse Zeitspanne, so ist aus der
Erhebung der späteren Klage nicht unbedingt zu schließen, dass auch bereits die frühere
Klage als unzulässig anzusehen ist (vgl. BGH, GRUR 2000, 1089, 1093 - Missbräuchliche
mehrfache Verfolgung; Köhler, a.a.O.).
bb) Vorliegend beziehen sich die oben erörterten Umstände, die einen
Rechtsmissbrauch belegen, im Wesentlichen auf beide Abmahnungen gleichermaßen.
Da insbesondere davon auszugehen ist, dass bei der Versendung der ersten
Abmahnung die Prüfung des Onlineshops des Antragsgegners bewusst noch
(zumindest) offen war, stellt sich schon die (unter einen willkürlichen Zeitdruck gestellte)
erste Abmahnung als maßgeblich im Kostenbelastungsinteresse veranlasst und damit
rechtsmissbräuchlich dar. Die Ausgangssituation einer "Retourkutsche" bestand ohnehin
schon bei der ersten Abmahnung. Darüber hinaus sprechen der enge zeitliche und
rechtliche Zusammenhang beider Abmahnungen für ein von Anfang an durch ein
Kostenbelastungsinteresse geprägtes Verhalten der Antragstellerin.
II.
Die Nebenentscheidungen zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und zur
Wertfestsetzung beruhen auf § 97 Abs. 1, § 3 ZPO.
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