Urteil des KG Berlin vom 29.03.2017

KG Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, säumnis, kontrolle, dolmetscher, verschulden, quelle, sammlung, link, begriff, verwertung

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 67/05 - 5 Ws
240/05, 2 AR 67/05, 5
Ws 240/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 2 S 1 StPO, § 46 Abs 3
StPO, § 329 Abs 1 StPO, § 329
Abs 3 StPO
Wiedereinsetzung: Verspätung des Angeklagten nach
Verzögerung bei der Einlasskontrolle und Saalsuche
Leitsatz
Zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der
Berufungsverhandlung bei verspäteten Eintreffen im Saal nach Verzögerung bei
Einlasskontrolle und Saalverlegung.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin
vom 11. April 2005 aufgehoben.
Der Angeklagte wird gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung am 18. Februar
2005 in den vorigen Stand eingesetzt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen. Die Kosten des
Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer in diesem Rechtszug
erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse Berlin auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 12. August 2004
wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zu
einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35 Euro. Da der Angeklagte zu der auf den
18. Februar 2005 um 9.00 Uhr anberaumten Verhandlung über seine Berufung trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht rechtzeitig erschienen war, verwarf das Landgericht das
Rechtsmittel um 9.15 Uhr nach § 329 Abs. 1 StPO. Den fristgerecht gestellten Antrag
seiner Verteidigerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung
der Berufungsverhandlung verwarf das Landgericht mit der Begründung als unzulässig,
daß der Antrag auf Entschuldigungsgründe gestützt sei, mit denen sich das Landgericht
bereits im Urteil auseinandergesetzt habe. Die nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO
zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg.
Nach der glaubhaft gemachten und nicht zu widerlegenden Darstellung des zu 9.00 Uhr
in das Landgericht Berlin, Eingang Turmstraße 91 geladenen Angeklagten hat sich dieser
am Terminstage um 8.40 Uhr in das Gerichtsgebäude begeben. Bis er die
Einlaßkontrolle passiert hatte, vergingen wegen des großen Andranges ca. 25 Minuten.
Anschließend benötigte er bis 9.13 Uhr, um den Saal 409, zu dem er geladen war, zu
finden. Dort befand sich eine Mitteilung, daß die Sitzung in den Saal 220 verlegt wurde.
Der Angeklagte, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, und die Mitteilung daher
nicht verstand, wartete einige Minuten vor dem Saal und entschloß sich dann, den Saal
220 zu suchen. Als er diesen Saal um 9.22 Uhr erreichte, war seine Berufung bereits
verworfen, da das Landgericht um 9.15 Uhr mit der Urteilsverkündung begonnen hatte.
1. Die Wiedereinsetzungsvorschriften finden Anwendung. Zwar kann ein
Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 3 StPO nicht auf dieselben Tatsachen gestützt
werden, die Gegenstand der Würdigung des Berufungsgerichts gewesen sind (vgl. OLG
Koblenz VRS 64, 211; KG GA 1974, 116 und Beschlüsse vom 5. August 2004 - 5 Ws
302/04 - und vom 13. Juni 2003 - 5 Ws 303/03 -). Denn nur im Revisionsverfahren kann
geprüft werden, ob das Berufungsgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung in
§ 329 Abs. 1 StPO verkannt hat (vgl. OLG Hamm wistra 1997, 157, 158; KG, a.a.O.). So
liegen die Dinge hier aber nicht, denn das Berufungsurteil hat sich mit den nunmehr
vorgebrachten Entschuldigungsgründen nicht tatsächlich auseinandergesetzt. Soweit es
darin heißt: „Sollte er durch verkehrsbedingte Verzögerungen, zeitaufwendige
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darin heißt: „Sollte er durch verkehrsbedingte Verzögerungen, zeitaufwendige
Parkplatzsuche, intensive Einlaßkontrollen oder langandauernde Suche des Saals an
einem rechtzeitigen Erscheinen gehindert gewesen sein, so hat er seine dadurch
bedingte Säumnis selbst verschuldet“, ergibt sich bereits aus der Formulierung selbst,
daß es sich um reine Vermutungen handelt, die durch keinerlei Tatsachen oder
Erkenntnisse des Gerichts belegt sind. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls
wurde von der Verteidigerin nichts dergleichen vorgetragen. Sie hat dem Gericht
lediglich mitgeteilt, daß der Angeklagte bereits im Hause sei und erscheinen werde. Nur
mit diesem Vorbringen hat sich der Tatrichter in einer die Wiedereinsetzung
ausschließenden Weise auseinandergesetzt. Die übrigen vom Gericht erwähnten, nur
generell möglichen und hypothetischen Gründe einer Säumnis würdigen keinen
konkreten, dem Gericht bekannten Sachverhalt. Sie sollten offensichtlich nur dazu
dienen, dem Angeklagten die Möglichkeit der Wiedereinsetzung von vornherein zu
verschließen und ihn auf die Revision zu verweisen, die im Erfolgsfall zur
Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper führt und sich so von der
Wiedereinsetzung unterscheidet (vgl. Senat, Beschluß vom 5. November 2002 - 5 Ws
558/02 -).
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat den
Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen. Denn
der Beschwerdeführer hat gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO einen Sachverhalt
vorgetragen und glaubhaft gemacht, der sein verspätetes Erscheinen zur
Berufungshauptverhandlung entschuldigt.
Der Angeklagte, der um 8.40 Uhr vor dem Eingang in der Turmstraße war, ist rechtzeitig
am Gerichtsort erschienen.
Obwohl bei den Einlaßkontrollen mit einem längeren Zeitaufwand zu rechnen und auch
die Suche des Sitzungssaales vom Angeklagten in seinen Zeitplan einzukalkulieren ist
(vgl. KG, Beschlüsse vom 26. Januar 2005 - 5 Ws 13/05 -; vom 11. November 2004 - 4 Ws
129/04 -; vom 24. Juli 2003 - 4 Ws 124/04 - und vom 27. Mai 2002 - 3 Ws 143/02 -), ergibt
vorliegend eine Gesamtschau, daß den Angeklagten kein Verschulden trifft. Denn er ist
ungefähr 20 Minuten vor dem Termin erschienen und mußte nicht damit rechnen, daß er
nahezu 25 Minuten benötigen wird, um die Einlaßkontrolle zu passieren. Der Angeklagte,
der aktenkundig einen Dolmetscher benötigt, erreichte um 9.13 Uhr den Saal 409. Den
dort angebrachten schriftlichen Hinweis, daß die Sitzung in den Saal 220 verlegt wurde,
verstand er nicht und wartete zunächst einige Minuten bevor er den Saal 220 suchte.
Unter diesen Umständen hätte es zunächst einmal nahe gelegen, den Hinweis auf die
Saalverlegung von dem anwesenden Dolmetscher in die russische Sprache übersetzen
zu lassen. Hinzu kommt, daß das Landgericht trotz der Saalverlegung und dem für den
Angeklagten unverständlichen Hinweis lediglich die üblichen 15 Minuten gewartet und
bereits um 9.15 Uhr mit der Urteilsverkündung begonnen hat. Da der Angeklagte
rechtzeitig ins Gericht gekommen ist und mit einer solchen Vorgehensweise nicht
rechnen mußte, hat er die Säumnis nicht verschuldet. Seinem Wiedereinsetzungsantrag
ist daher zu entsprechen.
Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen nach § 473 Abs. 7 StPO dem Beschwerdeführer
zur Last. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse, weil sonst
niemand für sie haftet. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers in diesem Rechtszug folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
467 Abs. 1 StPO.
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