Urteil des KG Berlin vom 11.12.2005

KG Berlin: untersuchungshaft, haftbefehl, haftprüfung, fortdauer, anklageschrift, fluchtgefahr, tatverdacht, vollzug, vollstreckung, festnahme

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Gericht:
KG Berlin 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(3) 1 HEs 147/05
(52/05)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 112 StPO, § 116 StPO, § 121
Abs 1 S 1 StPO, § 122 StPO
Untersuchungshaft: Zeitpunkt des Beginns der 6-Monatsfrist bei
Vorliegen von Serienstraftaten
Leitsatz
Zur Bewertung "derselben Tat" bei Vorwurf der Begehung von Teilakten einer Serienstraftat.
Tenor
Die Untersuchungshaft des Angeschuldigten dauert fort.
Bis zum Urteil, längstens bis zum 11. Dezember 2005, wird die Haftprüfung dem
Landgericht Berlin übertragen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeschuldigten mit der am 28. Juli 2005 vor
dem Landgericht Berlin erhobenen Anklage vier in der Zeit vom 23. Dezember 2004 bis
zum 3. März 2005 begangene gemeinschaftliche bewaffnete Raubüberfälle auf
Ladengeschäfte in Berlin zur Last, darunter (Fall 4 der Anklage) den auf die Filiale der
Drogeriemarktkette Schlecker in ... Berlin, N.-straße ..., am 3. März 2005, der beim
Versuch verblieben ist, einhergehend mit einer gefährlichen Körperverletzung. Wegen
der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 26. Juli 2005 Bezug genommen.
Der Angeschuldigte befindet sich in dieser Sache im Anschluss an seine Festnahme am
Vortage seit dem 4. März 2005 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Deren Grundlage
bildete zunächst ein an diesem Tage wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr
ergangener Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 353 Gs 1213/05 -. Er
stützte sich allein auf den Vorwurf des versuchten Raubüberfalls auf die Schlecker-Filiale
vom 3. März 2005. An seine Stelle ist inzwischen der nur noch auf Fluchtgefahr
gegründete Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 19. August 2005 getreten, der
übereinstimmend mit der Anklage in den Tatvorwürfen erweitert ist. Das Landgericht hält
die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus für erforderlich und hat
die Akten daher dem Senat durch die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung nach § 122
Abs. 1 StPO vorgelegt. Die Haftfortdauer ist anzuordnen.
1. Die Voraussetzungen für die Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO liegen vor. Der
Vollzug der Untersuchungshaft hat die Dauer von sechs Monaten erreicht und dies
„wegen derselben Tat“ im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die weiteren Tatvorwürfe,
die hinzugetreten sind, haben der Inhaftierung zu einer verbreiterten Grundlage
verholfen, ohne dabei eine Änderung zu bewirken, aufgrund derer ein
hinausgeschobener Neubeginn der Sechsmonatsfrist anzusetzen wäre. Hier kommt der
Rechtsprechungsgrundsatz zum Zuge, dass sich der Zeitpunkt des Fristbeginns gemäß
§ 121 Abs. 1 StPO nicht dadurch verschiebt, dass sich im Laufe eines
Ermittlungsverfahrens der gegen einen Beschuldigten bestehende Tatverdacht, weitere
Straftaten eines zusammengehörenden Komplexes („Serientaten“) begangen zu
haben, zu unterschiedlichen Zeiten zum dringenden Tatverdacht erhärtet (vgl.
Kammergericht, Beschlüsse vom 16. März 2005 - [4] 1 HEs 34/05 [18/05] -, 28. Februar
2005 - [5] 1 HEs 11/05 [3/05] -, und 30. August 1999 - [4] 1 HEs 146/99 [92/99] - Juris).
Dieser Grundsatz ist orientiert an dem Schutzzweck, dem der durch die §§ 121, 122
StPO geschaffene Überwachungsmechanismus dient, nämlich die Untersuchungshaft
zeitlich zu begrenzen und zugleich die Strafverfolgungsbehörden dazu anzuhalten, die
Ermittlungen und das weitere Verfahren zu beschleunigen (vgl. Boujong in KK, StPO 5.
Aufl., § 121 Rdn. 1).
Es ist hier berechtigt, den Angeschuldigten als von vornherein der Serientäterschaft
verdächtig zu behandeln, mit der Folge des Eintretens der Schutzwirkung nach Maßgabe
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verdächtig zu behandeln, mit der Folge des Eintretens der Schutzwirkung nach Maßgabe
des diesbezüglichen Rechtsprechungsgrundsatzes. Zwar war er, als er inhaftiert wurde,
durch den Haftbefehl als ein Beschuldigter gekennzeichnet, der nicht mehr als nur einer
einzigen Straftat dringend verdächtig war. Tatsächlich war seine Lage mit derjenigen
eines von vornherein durch den Haftbefehl als Serientäter ausgewiesenen Beschuldigten
aber in so hohem Maße vergleichbar, dass es gerechtfertigt ist, ihn diesem in der
Handhabung der Sechsmonatsfrist gleichzustellen. Er hatte durch die Festnahme im
Zusammenhang mit dem Überfall auf den Schlecker-Markt am 3. März 2005 den Ansatz
geliefert, ihn mit einer Reihe unaufgeklärter weiterer Taten aus jüngster Zeit mit
entsprechendem Ablaufprofil in Verbindung zu bringen. Es drängte sich sogleich
geradezu auf, dass er als serientätermäßig Beteiligter auch an einer oder mehreren
dieser anderen Taten in Frage kam und es nur eine Frage der Zeit sein werde, bis
dahingehend die bislang fehlenden Beweismittel gegen ihn zur Verfügung stünden und
die Annahme eines dringenden Tatverdachts erlauben würden. So hatten die
Ermittlungsbehörden denn auch noch im April 2005 eine Übersicht über die bis dahin
begangenen gleich gelagerten Raubüberfälle erstellt, die u. a. schon zwei weitere Fälle
enthielt, die dann später in die vorliegende Anklageschrift eingegangen sind (Fälle 2 und
3).
Ist danach die Haftprüfung zeitlich angesagt, ermangelt es auch nicht der
Voraussetzungen für die Haftfortdauer.
2. Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend
verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das ergibt sich aus den in dem Haftbefehl und
der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln, insbesondere den geständigen Angaben
des gesondert verfolgten Y., der dringend verdächtig ist, als Mittäter jeweils die aktiv
handelnde Rolle im Verkaufsraum ausgefüllt zu haben. Er hat den Angeschuldigten auch
wegen der Tat vom 3. März 2005 (Schlecker N.-Straße) belastet.
3. Es besteht Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Sie ergibt sich aus der einen
erheblichen Fluchtanreiz begründenden Höhe der Straferwartung. Der Angeschuldigte
hat im Falle seiner Verurteilung mit der Verhängung einer langjährigen
Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung schon der Höhe wegen nach dem
Gesetz nicht mehr wird zur Vollstreckung ausgesetzt werden könnte. Die Straferwartung
wird noch durch die Aussicht darauf verschärft, dass sich gemäß Ankündigung der
Staatsanwaltschaft Berlin die Anzahl der Vorwürfe in Kürze durch eine weitere Anklage
um vier weitere Fälle des gemeinschaftlichen schweren Raubes erhöhen wird.
Dem durch die hohe Straferwartung begründeten Fluchtanreiz stehen keine sozialen
Bindungen gegenüber, die ihn erheblich herabsetzen könnten. Der Angeschuldigte ist
weder beruflich noch familiär verankert. Er ist arbeitslos, seine Ehe ist geschieden. Vor
diesem Hintergrund sind auch weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der
Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht geeignet, deren Ziel zu erreichen.
4. Wichtige Gründe haben das Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die
Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO).
Es waren hier nach der Verhaftung noch weiterführende Ermittlungen anzustellen und
galt schließlich, umfangreich angewachsenen Tatsachenstoff zu erfassen. Wegen des
Seriencharakters der Taten und der gemeinschaftlichen Ausführungsweise musste den
Verzweigungen und Verflechtungen nachgegangen werden. Der Angeschuldigte hat die
sich daraus ergebenden zeitlichen Belastungen als sachbezogen hinzunehmen. Eben so
wenig wie am Vorgehen der Staatsanwaltschaft ein Verstoß gegen das Gebot
beschleunigter Sachbehandlung in Haftsachen zu ersehen ist, kommt ein solcher im
Bereich des Landgerichts in Betracht. Dort steht die Entscheidung über die Eröffnung
des Hauptverfahrens unmittelbar bevor und ist für den Fall der Eröffnung der Beginn der
Hauptverhandlung für den 20. Oktober 2005 vorgesehen. Bei dem Umfang der Sache
versteht sich von selbst, dass gewisse Zeit für die Einarbeitung und die Vorbereitung der
Hauptverhandlung benötigt wird.
5. Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu
erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
6. Die befristete Übertragung der Haftprüfung auf das Landgericht beruht auf § 122 Abs.
3 Satz 3 StPO.
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