Urteil des KG Berlin vom 29.03.2017

KG Berlin: offensichtliches versehen, gebühr, sorgfalt, winter, verschulden, sammlung, entstehung, link, quelle, transport

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 193/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 21 Abs 1 GKG, Nr 2110 GKVerz
Zulässigkeit der Erhebung einer Gebühr für die Erteilung einer
weiteren vollstreckbaren Ausfertigung nach Verlust des ersten
Exemplars im Verantwortungsbereich des Gerichts
Leitsatz
Geht die vom Gläubiger eingereichte vollstreckbare Ausfertigung bei Gericht verloren, so ist
die für die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung nach GKG-KV 2110
angefallene Gebühr nach § 21 Abs. 1 GKG nicht zu erheben. Der Verlust im
Verantwortungsbereich des Gerichts stellt eine unrichtige Sachbehandlung dar, auch wenn
ein persönliches Verschulden nicht festzustellen ist.
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten vom 25. April 2007 gegen den Beschluss der
Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 7. März 2007 wird zurückgewiesen.
Gründe
1. Die Beschwerde ist zulässig, da sie vom Landgericht zugelassen worden ist (§ 66 Abs.
2 Satz 2 GKG). Der Senat ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden (§ 66 Abs. 3
Satz 4 ZPO).
2. a) In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Der Senat folgt dem Landgericht
darin, dass die nach KV 2110 GKG angefallene Gebühr für die Erteilung einer zweiten
vollstreckbaren Ausfertigung (§ 733 ZPO) nach § 21 Abs. 1 GKG nicht zu erheben ist.
Eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ist gegeben, wenn
das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und dies offen zu
Tage tritt oder wenn dem Gericht ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (BGH NJW
1962, 2107; BfH/NV 2005, 2012 f.; Beschluss vom 21.08.2006 - VE 1/06 - juris).
Allerdings kommt eine Nichterhebung nur bei unrichtiger Sachbehandlung durch
Angehörige der staatlichen Rechtspflege in Betracht (OLG Koblenz, Rpfleger 1981, 37;
Meyer, GKG, 8. Aufl., § 21 Rdn. 2). Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die unrichtige
Sachbehandlung einem Angehörigen des richterlichen Dienstes zu Last fällt. So reicht es
etwa aus, wenn ein Gerichtswachtmeister falsch gehandelt hat (Meyer a.a.O. Rdn. 2;
Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, 2004, § 21 Rdn. 11). Selbst das Versagen mechanischer
Einrichtungen der Justizverwaltung (Nachtbriefkasten usw.) kann zu einer Nichterhebung
nach § 21 GKG führen (Oestreich/Winter/Hellstab a.a.O. Rdn. 11). Von diesem Maßstab
ausgehend sind die Voraussetzungen für ein Nichterheben der Gebühr nach KV 2110
GKG im vorliegenden Fall erfüllt. Auch die Beteiligte geht davon aus, dass die erste
vollstreckbare Ausfertigung des Anerkenntnisteilurteils im Verantwortungsbereich des
Amtsgerichts Schöneberg auf dem Weg von der Rechtspflegerin in die Kanzlei abhanden
gekommen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der eingetretene Verlust auf der
Einwirkung einer gerichtsfremden Person beruht, sind nicht ersichtlich. Unter diesen
Umständen spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass entweder die
Rechtspflegerin, der der Vollstreckungstitel noch vorlag, oder der für den Transport der
Akten in die Kanzlei verantwortliche Gerichtswachtmeister oder eine der Kanzleikräfte die
beim Umgang mit eingereichten Vollstreckungsunterlagen objektiv erforderliche Sorgfalt
nicht beachtet und so den Verlust der vollstreckbaren Ausfertigung verursacht hat. Ob
der Verlust auf einem - subjektiv - schuldhaften Handeln der betreffenden Person
beruht, kann dahinstehen, denn die Anwendung des § 21 GKG setzt kein Verschulden bei
der unrichtigen Sachbehandlung voraus (Meyer a.a.O. § 21 Rdn. 4 m. w. N.). Der
Einschätzung der Beschwerde, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der
Verlust der Vollstreckungsunterlagen auf einem offensichtlichen Versehen eines
Mitarbeiters des Vollstreckungsgerichts beruht, kann nicht gefolgt werden. Soweit die
Bezirksrevisorin dazu die vom Landgericht zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofes (NJW 1962, 2107) anführt, wonach „nicht jeder kleine Fehler die
Nichterhebung der Kosten“ rechtfertige, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg.
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Nichterhebung der Kosten“ rechtfertige, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Zwar trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung nicht jeder leichte Verfahrensverstoß
ausreicht, um von der Nichterhebung der Kosten abzusehen. Vielmehr wird
grundsätzlich ein schwerer Verfahrensverstoß verlangt, um zu verhindern, dass es zu
einer Kette nicht endender Nichterhebungsverfahren kommt (BGH MDR 2005, 956).
Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf den Fall einer fehlerhaften
Rechtsanwendung durch ein Gericht. Es genügt für die Nichterhebung von Kosten nicht,
wenn eine Rechtsfrage, über die sich streiten lässt, letzten Endes anders beurteilt wird
als in den ersten Rechtszügen (BGH JVBl. 1961, 67 m. w. N.). Allein die abweichende
Beurteilung einer Rechtsfrage führt noch nicht zur Anwendung des § 21 GKG (BGHZ 93,
213; Meyer a.a.O. § 21 Rdn. 5). Um einen solchen Fall einer abweichenden rechtlichen
Beurteilung handelt es sich hier jedoch nicht. Darüber, dass es sich um einen
offensichtlichen Fehler handelt, wenn im Verantwortungsbereich des Gerichts wegen
Nichtbeachtung der erforderlichen Sorgfalt die vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils
abhanden kommt, kann vernünftigerweise nicht gestritten werden.
b) Der Bezirksrevisorin kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie aus der Einführung des
Gebührentatbestandes des KV 2110 GKG schließen will, dass die Nichterhebung von
Kosten für die Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung nur unter erhöhten
Anforderungen in Betracht kommt. Wie bei allen Kostentatbeständen des
Kostenverzeichnisses ist zwischen der Entstehung der Kosten einerseits und der
Kostentragung bzw. der Nichterhebung andererseits zu unterscheiden. Die Erteilung
einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung kommt nach der zu § 733 ZPO ergangenen
Rechtsprechung nicht nur bei Verlust der ersten Ausfertigung in Betracht, sondern
beispielsweise auch dann, wenn gleichzeitig an mehreren Orten in verschiedene
Vermögenswerte des Schuldners zu vollstrecken ist, wenn ein Gesamtgläubiger eine
gesonderte Ausfertigung zur selbständigen Vollstreckung gegen den Schuldner verlangt
oder wenn der Titel gegen Gesamtschuldner ausgefertigt ist und der Gläubiger ein
Interesse an selbständiger Vollstreckung gegen die einzelnen Schuldner an
verschiedenen Orten oder durch mehrere Vollstreckungsorgane hat. All diesen Fällen ist
gemeinsam, dass die Notwendigkeit einer zweiten Ausfertigung aus dem Risikobereich
des Gläubigers stammt und daher nicht durch die allgemeine Verfahrensgebühr
abgegolten ist. Gleiches gilt, wenn eine zweite vollstreckbare Ausfertigung deshalb
beantragt wird, weil die erste Ausfertigung verlorengegangen ist, dieser Verlust jedoch
nicht im Verantwortungsbereich des Gerichts eingetreten ist. Diese Begründung trägt
jedoch dann nicht, wenn der Verlust in der Sphäre des Gerichts eingetreten ist. Dass der
Gesetzgeber mit der Einführung des Gebührentatbestandes nach KV 2110 GKG auch
das Risiko eines Verlusts der ersten Ausfertigung im Bereich des Gerichts dem Gläubiger
überbürden wollte, ist dem auch diesem Fall deckenden Gebührentatbestand nicht zu
entnehmen. Vielmehr erfolgt die sachgerechte Einschränkung durch die in diesem Fall
gebotene Anwendung des § 21 GKG.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
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