Urteil des KG Berlin vom 29.03.2017

KG Berlin: fahrstreifen, ablauf der frist, kreuzung, abbiegen, fahrzeug, vorrang, sorgfaltspflicht, fahrbahn, einspruch, vortritt

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 89/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 5 StVO, § 9 Abs 1 S 2
StVO, § 41 Abs 3 Nr 5 Zeichen
297 StVO, § 7 StVG, § 17 StVG
Verkehrsunfallhaftung: Sorgfaltspflichten beim parallelen
Rechtsabbiegen
Leitsatz
Den nach rechts abbiegenden Verkehrsteilnehmer, der sich - entgegen der Regel des § 9
Abs. 1 Satz 2 StVO - nicht möglichst weit rechts eingeordnet hatte und links neben einen
weiteren Rechtsabbieger fährt, trifft gegenüber diesem eine erhöhte Sorgfaltspflicht; er muss
den vorschriftsmäßig eingeordneten Rechtsabbieger sorgfältig beobachten, darf ihn nicht
behindern, in Bedrängnis bringen oder gefährden und muss ihm notfalls den Vortritt lassen.
Dies gilt auch für den Fall des parallelen Rechtsabbiegens von zwei jeweils mit
Rechtsabbiegerpfeilen (Z 297 zu § 41 Abs. 3 Nr. 5 StVO) markierten Fahrstreifen jedenfalls
dann, wenn die Markierung nach der Haltelinie nicht fortgesetzt wird und Fahrstreifen auf der
Straße, in welche abgebogen wird, nicht markiert sind; denn die Pfeile sagen in einem solchen
Fall über Sorgfaltspflichten beim Abbiegen im Bereich der Kreuzung oder Einmündung nichts
aus, zumal auch ohne Pfeile paarweises Rechtsabbiegen zulässig ist.
Endet die Markierung von Fahrstreifen an der Haltelinie und wird nicht im Kreuzungsbereich
weitergeführt, so ist die Weiterfahrt des Rechtsabbiegers nach dem Abbiegen in einem
anderen als dem bisher befahrenen Fahrstreifen kein Fahrstreifenwechsel.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26. Februar 2003 verkündete Urteil der
Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin – 24 O 19/02 – teilweise abgeändert:
Das Versäumnisurteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 31. Mai 2002 wird
aufrechterhalten.
Die Kläger haben die weiteren Kosten des ersten Rechtszuges sowie die Kosten des
Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg und führt, unter
Abänderung des Urteils des Landgerichts vom 26. Februar 2003, zur Wiederherstellung
des klagabweisenden Versäumnisurteils des Landgerichts vom 31. Mai 2002.
a. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Urteil des Landgerichts allerdings nicht
verfahrensfehlerhaft ergangen.
Zwar haben die Kläger ihren fristgerechten Einspruch gegen das klagabweisende
Versäumnisurteil vom 31. Mai 2002 nicht in der Einspruchsschrift und auch nicht in der
Frist des § 339 Abs. 1 ZPO begründet. Die Begründung, insbesondere das erhebliche
Vorbringen zur Aktivlegitimation, erfolgte vielmehr erst mit Schriftsatz vom 22. Juli 2002,
ohne, dass eine Fristverlängerung beantragt worden wäre. Entgegen der Annahme der
Beklagten führt die fehlende Begründung des Einspruchs jedoch nicht zu dessen
Unzulässigkeit, so dass das Landgericht auch nicht gehalten war, den Einspruch als
unzulässig zu verwerfen. Die Begründung des Einspruchs ist entgegen des insoweit
missverständlichen Wortlautes des § 340 Abs. 3 ZPO nicht notwendiger Inhalt der
Einspruchsschrift (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 340 ZPO, Rn. 7).
Der Ablauf der Frist hat (nur) die Wirkung des § 296 Abs. 1 ZPO, so dass es allein auf die
Frage ankommt, ob die Zulassung des verspäteten Vorbringens den Rechtsstreit
verzögert hätte. Ob dies der Fall war kann jedoch dahinstehen, da das Urteil jedenfalls in
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verzögert hätte. Ob dies der Fall war kann jedoch dahinstehen, da das Urteil jedenfalls in
der Sache keinen Bestand haben kann.
b. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz des nach ihrer Behauptung bei dem
Verkehrsunfall vom 6. Dezember 2000 an dem Fahrzeug Mercedes Benz Sprinter ...
entstandenen Schaden (§§ 7, 17, 18 StVG, § 823 BGB, § 3 Pflichtversicherungsgesetz).
Der Unfall stellte für den Fahrer des Lkw des Beklagten zu 2. zwar kein unabwendbares
Ereignis gemäß § 7 Abs. 2 StVG a. F. dar. Das Ausmaß des Verursachungsanteils und
des Verschuldens des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs führt jedoch, auch unter
Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr, dazu, dass
der an dem klägerischen Fahrzeug entstandene Schaden durch die Beklagten nicht zu
ersetzen ist (§ 17 Abs. 1 StVG a. F.).
aa. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Fahrer des Lkw des
Beklagten zu 2. einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5
StVO vorgenommen hatte und die diesbezüglichen Grundsätze, insbesondere der
Beweis des ersten Anscheins gegen den Fahrstreifenwechsler, zum Tragen kommen.
Ein Fahrstreifenwechsel noch auf der Autobahnausfahrt ist weder der polizeilichen
Unfallaufnahme, noch dem Vorbringen der Parteien oder den Zeugenaussagen zu
entnehmen.
Die Weiterfahrt in einem anderen als dem bisher befahrenen Fahrstreifen nach dem
Abbiegen stellt grundsätzlich keinen Fahrstreifenwechsel dar (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 7 StVO Rn 16, § 5 Rn 67). Die Fahrstreifen der bisher
befahrenen Straße enden an der Kreuzungseinmündung, sofern sie nicht durch
Markierungen in die neue Straße weitergeführt werden (BayObLG bei Janiszewski, NStZ
1988, 121). Dass die Fahrstreifen der Autobahnausfahrt nicht durch Markierungen in die
Buschkrugallee weitergeführt wurden, ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich
auch aus der Skizze der polizeilichen Unfallaufnahme. Der Rechts- (oder Links-)
Abbieger, der sich noch nicht auf dem rechten (bzw. linken) Fahrstreifen der neuen
Straße eingeordnet hat sondern diesen lediglich überquert, um sich im nächsten
Fahrstreifen der neuen Straße einzuordnen, nimmt deshalb keinen Fahrstreifenwechsel
vor (vgl. hierzu BayObLG, DAR 1980, 277; Haarmann in DAR 1987, 139). Dies gilt
insbesondere, wenn sich der Unfallgegner, hier der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs,
noch nicht im Fahrstreifen der neuen Straße eingeordnet hatte und damit noch nicht
zum fließenden Verkehr gehörte (Senat, Urteile vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 - und
vom 17. Dezember 1990 - 12 U 960/90 -). Im Streitfall befanden sich beide Fahrzeuge
noch im Abbiegevorgang, als der Zusammenstoß erfolgte.
bb. Für den streitgegenständlichen Unfall gelten vielmehr, wie die Berufung zutreffend
hervorhebt, die Grundsätze über das paarweise Rechtsabbiegen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2
StVO hat sich der Rechtsabbieger möglichst weit rechts einzuordnen. Auch wenn
paarweises Rechtsabbiegen möglich und zulässig ist, trifft den Verkehrsteilnehmer, der
sich entgegen der genannten Vorschrift nicht möglichst weit rechts eingeordnet hatte,
eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er darf den äußerst rechts Abbiegenden nicht einengen
oder behindern und muss ihm notfalls den Vortritt lassen (Hentschel, a.a.O., § 9 StVO,
Rn 27; Senat a.a.O. sowie KG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - 22 U 3/03 -).
Der Vorrang des äußerst rechts Eingeordneten gilt auch unabhängig davon, ob der links
neben ihm Abbiegende möglicherweise schneller in die Kreuzungseinmündung einfährt
(vgl. hierzu Senat, Urteil vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 -).
Es kommt mithin nicht darauf an, welches der beiden an dem Unfall beteiligten
Fahrzeuge die Kreuzung zuerst erreicht hatte, sondern allein darauf, dass sich der
Fahrer des Lkw des Beklagten zu 2. auf der äußerst rechten Spur zum Abbiegen
eingeordnet hatte. Der Fahrer des so eingeordneten Lkw hatte zudem die Wahl, in
welchen der Fahrstreifen der neuen Straße er einfahren wollte (vgl. hierzu Senat, Urteile
vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 - und vom 17. Dezember 1990 - 12 U 960/90 -). Nach
alledem hätte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Lkw sorgfältig beobachten und
im Hinblick auf dessen Größe auch damit rechnen müssen, dass dieser auch in die
mittlere Spur der Buschkrugallee einfahren würde.
Soweit sich aus den Aussagen der Zeugen ... und ... die Behauptung ergab, sie seien mit
ihrem Fahrzeug zuerst in die Kreuzung eingefahren, nachdem sie den Lkw an der Ampel
überholt hatten, welcher sodann so plötzlich herangefahren sei, dass sie diesem nicht
mehr hätten ausweichen können, hält der Senat dieses Vorbringen für nicht
überzeugend (§ 286 ZPO). Wäre der Sprinter zuerst in die Kreuzung eingefahren, so
hätte er diese zu dem Zeitpunkt, als der wesentlich größere und demnach in der Anfahrt
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hätte er diese zu dem Zeitpunkt, als der wesentlich größere und demnach in der Anfahrt
auch langsamere Lkw die Kreuzung erreicht hatte, längst wieder verlassen. Hierauf
kommt es jedoch nach den obigen Ausführungen nicht einmal an.
cc. An der Geltung der Regeln zum paarweisen Rechtsabbiegen ändert sich schließlich
auch dadurch nichts, dass sämtliche Spuren der Autobahnausfahrt mit Pfeilen des
Zeichens 297 des § 41 Abs. 3 Nr. 5 StVO versehen waren, wobei die Spur des Lkw des
Beklagten zu 2. einen Rechtsabbiegerpfeil und die mittlere Abbiegespur, auf welcher der
Mercedes Sprinter fuhr, einen Links- und Rechtsabbiegepfeil aufwiesen.
Die entsprechenden Zeichen stellen, soweit sich zwischen ihnen keine
Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295) oder Leitlinien (Zeichen 340) befinden, lediglich
eine Empfehlung dar, sich frühzeitig einzuordnen. Sind – wie im Streitfall - Leitlinien oder
Begrenzungen vorhanden, folgt daraus zwar ein Gebot über die künftige Fahrtrichtung
auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung, so dass ein Weiterfahren entgegen der
durch die Pfeile vorgeschriebenen Richtung nicht zulässig ist.
Keine Aussage treffen diese reinen Verkehrslenkungsmittel (vgl. Verwaltungsvorschriften
zu Zeichen 297 § 41 Abs. 3 StVO in Hentschel, a.a.O., S. 819) jedoch zum Vorrang oder
über zu beachtende Sorgfaltspflichten der Verkehrsteilnehmer. Einen Einfluss auf die
Grundregel des § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO hat das Vorhandensein von Pfeilen auf der
Fahrbahn, auch wenn durch diese die Richtung der Weiterfahrt auf der Kreuzung
vorgeschrieben wird, deshalb nicht.
Etwas anderes könnte möglicherweise gelten, wenn die Spuren der bisherigen
Fahrstreifen über die Kreuzung hinaus durch Markierungen in die neue Fahrbahn
weitergeleitet werden (so bereits Senat, Urteil vom 13. Juni 1996, a.a.O.). Dies war hier
jedoch, wie bereits oben dargelegt, nicht der Fall.
2. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung
hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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