Urteil des KG Berlin vom 22.09.2008
KG Berlin: beweiswürdigung, abrechnung, prozess, quelle, unfall, totalschaden, zeugenaussage, polizei, anhörung, meinung
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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 169/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 93 ZPO, § 286 ZPO, § 249 BGB
, §§ 249ff BGB, § 7 StVG
Verkehrsunfallprozess: Würdigung der Aussage eines
nachbenannten Zeugen; Kostenentscheidung nach sofortigem
Anerkenntnis
Leitsatz
Im Rahmen der Würdigung einer Zeugenaussage müssen Unklarheiten oder Unrichtigkeiten
in den Einzelheiten außerhalb des Kerngeschehens nicht zwingend Auswirkungen auf die
Glaubhaftigkeit der Kernaussage haben.
Bei Würdigung der Aussage eines - erst nachträglich benannten Zeugen, der am Unfallort
nicht in Erscheinung getreten ist, gewinnen jedoch dessen Angaben und Erinnerungen
bezüglich der allgemeinen Rahmenbedingungen des Unfallgeschehens (Zeitpunkt des
Unfalls, Witterungsbedingungen) an indizieller Wichtigkeit.
Die Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers nach § 93 ZPO setzt eine sofortige Zahlung
der anerkannten Geldforderung jedenfalls dann nicht voraus, wenn der Prozess zuvor eine
überraschende Wendung genommen hat (hier: Umstellung der Klage von Abrechnung als
wirtschaftlicher Totalschaden auf Abrechnung auf Reparaturkostenbasis).
(Berufung zurückgewiesen durch Beschluss vom 20. Oktober 2008)
Tenor
1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach
Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine
Aussicht auf Erfolg hat.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
II.
Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der
angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet
werden.
1. Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung durch das Landgericht, aufgrund derer es
die über den nach einer Quote von 50 % berechneten anerkannten Betrag von 1.991,88
EUR hinausgehende Klage abgewiesen hat, ist nicht zu beanstanden.
a) Die - wenn auch knappe - Beweiswürdigung entspricht formal und inhaltlich den
Anforderungen des § 286 ZPO.
(1) § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu
entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an
Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten
aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung
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aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung
bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten
Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer
Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine
Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es
nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich
einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende
Beurteilung stattgefunden hat.
(2) Dem werden die Ausführungen auf Seite 7 und 8 UA zur Aussage des Zeugen
S. gerecht. Das Landgericht hat dargelegt, dass es sich von der Richtigkeit der
Zeugenaussage deshalb nicht überzeugen konnte, weil die Erinnerung des Zeugen auf
einen Kernsachverhalt beschränkt war, er an das Unfalldatum unter Hinweis auf den
Zeitablauf nur eine ungefähre Angabe machten konnten, vor allem aber die Tageszeit
unzutreffend angegeben hat und dabei nicht nur eine Erinnerungslücke offenbart,
sondern definitiv unzutreffende Angaben zu den Lichtverhältnissen gemacht hat. Das
genügt den Anforderungen an eine Beweiswürdigung.
b) Der Senat teilt auch die inhaltliche Bewertung der Aussage unter Berücksichtigung
der Berufungsangriffe. Es ist richtig, dass bei der Einschätzung der Zuverlässigkeit einer
Aussage zu unterscheiden ist zwischen den Angaben zu dem rechtlich relevanten
Kerngeschehen und den Angaben zu rechtlich nicht bedeutsamen Details. Unklarheiten
oder Unrichtigkeiten bei den Einzelheiten am Rande der Aussage müssen nicht
notwendig Auswirkungen auf die Richtigkeit der Kernaussage haben. Sie können die
Hauptaussage jedoch - je nach Fallgestaltung - durchaus in Frage stellen. So liegen die
Dinge hier. Der Zeuge hat sich am Unfallort nicht bei der Polizei gemeldet, und auch der
Kläger hat sich gegenüber der Polizei dort nicht auf ihn berufen. Die Beklagten haben im
Hinblick darauf erstinstanzlich ausdrücklich bestritten, dass er sich überhaupt am
Unfallort aufgehalten hat. Vor diesem Hintergrund gewinnen auch die Angaben zu
allgemeinen Rahmenbedingungen des Unfallgeschehens an indizieller Wichtigkeit. Dazu
gehört die Frage, wann sich der Unfall zugetragen hat ebenso wie die Frage der
Witterungsbedingungen. Die erstgenannte Frage konnte der Zeuge erklärtermaßen nicht
beantworten, sondern hat sich mit der Antwort „es war vielleicht Mitte des Jahres, ich
weiß es nicht mehr so genau, es ist so lang her“ nicht einmal auf eine Jahreszahl
festlegen können. Bei einer zeitlichen Differenz von nur gut eineinhalb Jahren zwischen
Unfall (24. November 2005) und Vernehmung (5. Juli 2007) lässt das aufmerken. Die
Frage nach den Witterungsbedingungen (in der auch die Frage nach den
Sichtverhältnissen enthalten ist, oberhalb des Mittelstreifens der S. Straße verläuft die
Hochbahntrasse) hat der Zeuge evident unzutreffend beantwortet, und zwar zunächst,
ohne dabei auf Erinnerungsprobleme zu verweisen. Erst auf Fragen der Klägervertreterin
hat er auch insoweit Erinnerungsprobleme offenbart. Selbst wenn man daraus nicht
Zweifel an der Anwesenheit des Zeugen am Unfallort ableitet, zieht das die Richtigkeit
seiner übrigen mit gleicher Sicherheit vorgetragenen Äußerungen zum Unfallgeschehen
in Zweifel.
Soweit das Landgericht sich im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung auf
Ausführungen des nach § 141 ZPO zum Termin geladenen und dort angehörten
Beklagten zu 2) bezieht, handelt es sich ersichtlich um ergänzende Erwägungen, auf
denen die Entscheidung nicht beruht. Das ergibt sich aus der Bemerkung auf Seite 8 UA,
die Angaben des Zeugen reichten noch nicht einmal „für das geringere Beweismaß aus
§ 287 Abs. 1 ZPO“. Damit ist deutlich, dass es auf die bei der persönlichen Anhörung
des Beklagten gewonnenen Informationen für die Entscheidung nicht angekommen ist,
sondern schon die unzureichende Aussage des einzigen vom Kläger benannten Zeugen
allein zur Klageabweisung geführt hat. Die mit der Berufung vorgetragenen Bedenken
gegen die Anhörung des Beklagten zu 2) zur Sachaufklärung und gegen die
Nichtanhörung des Klägers sind daher unerheblich.
Ebenfalls unerheblich ist die in der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung,
bereits anhand der unstreitigen Schadensstellen am klägerischen Fahrzeug sei
nachvollziehbar, dass sich der Vorgang nicht so, wie von der Beklagtenseite geschildert,
ereignet haben könne (Berufungsbegründung Seite 4 oben). Für die Klägerdarstellung,
vor der Kollision sei das Beklagtenfahrzeug aus der S. Straße bei rotem Ampellicht in die
Kreuzung eingefahren dort mit dem bei grün einfahrenden Klägerfahrzeug kollidiert,
ergibt sich aus den Fahrzeugschäden nichts, denn man kann aus ihnen nichts zur
Ampelschaltung ablesen.
Dementsprechend ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht
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Dementsprechend ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht
veranlasst, und zwar unabhängig von der Frage, ob der Kläger mit der erstmaligen
Berufung auf ein Sachverständigengutachten präkludiert ist, wie die Beklagten meinen:
Der Gutachter könnte möglicherweise aus den vorliegenden Informationen,
Schadensbildern etc. die relative Kollisionsstellung der Fahrzeuge zueinander feststellen,
vielleicht auch etwas zur - ohnehin nicht thematisierten - Kollisionsgeschwindigkeit
sagen; die fallentscheidende seinerzeitige Ampelschaltung entzieht sich jedoch einer
sachverständigen Begutachtung.
2. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Landgericht dem Kläger die Kosten des
Rechtsstreits nach § 93 ZPO auch auferlegt hat, soweit die Beklagten im Schriftsatz vom
1. Juni 2006 die Forderung in Höhe von 1.991,88 EUR anerkannt und
Anerkenntnisteilurteil ergangen ist.
a) Die auf Seite 5 der Berufungsbegründung unter Hinweis auf die Kommentierung
bei Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 93 ZPO, Rn. 6, Stichwort „Geldschulden“
vertretene Rechtsauffassung des Klägers, bei einer Geldforderung genüge das
Anerkenntnis allein nicht den Anforderungen des § 93 ZPO, denn es müsse auch die
geschuldete Leistung sofort erbracht werden, ist schon im rechtlichen Ansatz
unvollständig und unrichtig.
Zwar wird - wie in der genannten Kommentierung dargestellt - die Meinung vertreten,
die Kostenentscheidung nach § 93 ZPO setze auch eine sofortige Erbringung der
Leistung voraus; diese Ansicht setzt jedoch voraus, dass der Prozess nicht zuvor eine
überraschende Wendung genommen hat, etwa durch Änderung des Klageantrages, die
eine Reaktionszeit des Anspruchsgegners im Rahmen des § 93 ZPO rechtfertigt.
b) So liegen die Dinge hier. Selbst wenn - was hier ausdrücklich offen bleiben kann -
dieser den Wortlaut des § 93 ZPO einschränkenden Auslegung zu folgen wäre, liegen die
darin aufgestellten Sperrvoraussetzungen für § 93 ZPO nicht vor.
Der Kläger hat nämlich im Verlauf des Rechtsstreit die ursprüngliche Abrechnung auf
Gutachtenbasis als wirtschaftlichen Totalschaden aufgegeben und den Schaden neu auf
Reparaturkostenbasis berechnet. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem angefochtenen
Urteil (UA Seite 3 und 4). Damit kommt es auf die vom Kläger erörterten Fragen, ob die
Beklagten gehalten gewesen wären, die ursprünglich erhobene Forderung umgehend zu
begleichen und die Einzelheiten der Berechnung dieser Forderung nicht mehr an.
Erst mit Schriftsatz vom 4. Mai 2006 hat der Kläger eine Reparaturbestätigung der
DEKRA vom 12. Februar 2006 vorgelegt (Zugang ausweislich des
Empfangsbekenntnisses Bl. 61 d.A. beim Beklagtenvertreter am 11. Mai 2006).
Daraufhin hat die Beklagte in ihrer nächsten Prozesserklärung vom 1. Juni 2006 - also
sofort i. S. d. § 93 ZPO - die Forderung anerkannt und zeitnah beglichen, wobei zu die
Büroabläufe bei der Beklagten zu 2. als zahlender Haftpflichtversicherung zu
berücksichtigen sind.
3. Auf die im Rahmen der Berufung erklärte hilfsweise Klageerweiterung wegen
vorgerichtlicher Gebühren als Nebenforderung - bezogen auf eine später so nicht mehr
geltend gemachte Forderung - kommt es daher nicht weiter an.
III.
Im übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken. Der
Berufungsstreitwert soll auf 4.519,01 EUR festgesetzt werden.
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