Urteil des KG Berlin vom 07.03.2002

KG Berlin: öffentliche meinung, meldung, erfüllung, auskunft, unterlassen, wahrheitspflicht, richtigstellung, bedürfnis, demokratie, sorgfaltspflicht

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
KG Berlin 10.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 U 105/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 2 BGB, § 88 Nr 1
BörsG, § 3 Abs 2 PresseG BE, §
23 PresseG BE
Schutzgesetzverletzung durch eine Falschmeldung in einer
Fernsehsendung
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. März 2002 verkündete Urteil des
Landgerichts Berlin – 27 O 1/02 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO abgesehen, da die Revision nicht zugelassen wurde und eine
Nichtzulassungsbeschwerde nicht stattfindet (§§ 543, 544 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8
EGZPO).
I. Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte wegen der unzutreffenden Meldung der
Übernahme der Fa. T AG durch das Unternehmen M W m in der Sendung "Telebörse"
vom 29. Mai 2001 Schadenersatzansprüche aus abgetretenem Recht nicht zu.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§
3 Abs. 2, 23 PresseG Bln, denn § 3 Abs. 2 PresseG Bln ist kein Gesetz, das dem Schutz
des Vermögens einzelner Fernsehzuschauer dienen soll (ebenso Löffler, Presserecht, 4.
Aufl. § 6 LPG RNrn. 17, 10; Koebel, NJW 1964, 1108).
a) Ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm nach ständiger
Rechtsprechung dann, wenn sie – sei es auch neben dem Schutz der Allgemeinheit –
gerade dazu dienen soll, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die
Verletzung eines Rechtsguts zu schützen. Dabei kommt es auf Inhalt und Zweck des
Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen
der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von
Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat (vgl.
BGH, NJW 1973, 1547; BGH NJW 1964, 396; BGH NJW 1988, 1383). Es genügt nicht, dass
der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden
kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen und im Gesetz angelegt
sein (BGH, NJW 1993, 1580). Das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der
Kreis der geschützten Personen müssen in dem Schutzgesetz hinreichend klargestellt
und bestimmt sein (BGHZ 40, 306, 307).
Es muss sich aus dem Gesamtzusammenhang des Normengefüges ergeben, dass die
Schaffung eines – unter Umständen zusätzlichen – Schadensersatzanspruchs
tatsächlich vom Gesetz erstrebt wird, das heißt, dass ein solcher besonderer
Schadensersatzanspruch sinnvoll und im Licht des haftungsrechtlichen Gesamtsystems
tragbar erscheint (BGHZ 66, 388, 390). In diesem Zusammenhang kann es eine Rolle
spielen, ob der Geschädigte in ausreichender Weise anderweitig abgesichert ist.
Schließlich ist darauf zu achten, ob ein durch ein Schutzgesetz geschaffener
Schadensersatzanspruch im Widerspruch zu allgemeinen Rechtsprinzipien stünde, und
zu fragen, ob dieser Widerspruch wirklich gewollt ist (BGH, NJW 1994, 1801). Stets muss
in umfassender Würdigung des Regelungszusammenhanges, in den die Norm gestellt
ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die
Verletzung des geschützten Interesses eine deliktische Einstandspflicht zu knüpfen
(BGHZ 66, 388, 390).
b) Nach diesen Grundsätzen ist § 3 Abs. 2 PresseG Bln kein Gesetz, welches den Schutz
des Vermögens des einzelnen Medienrezipienten bezweckt. Aus der
8
9
10
11
12
13
14
des Vermögens des einzelnen Medienrezipienten bezweckt. Aus der
Entstehungsgeschichte der Norm ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Landesgesetzgeber an die Verletzung des § 3 Abs. 2 PresseG eine deliktische
Einstandspflicht zum Ausgleich von Vermögensschäden knüpfen wollte. Auch der
Regelungszusammenhang spricht gegen einen entsprechenden gesetzgeberischen
Willen.
Im einzelnen:
Nach § 3 Abs. 2 PresseG Bln hat die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit
der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Wahrheit und Herkunft zu
prüfen. Für den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) gilt die Vorschrift entsprechend, § 23
PresseG Bln. In der Vorlage des Senats zur Beschlussfassung über das
Landespressegesetz vom 4. September 1964 war das Sorgfaltsgebot noch unter der
Überschrift "Sorgfaltspflicht der Presse" in § 6 Satz 1 geregelt (Drucksachen des
Abgeordnetenhauses von Berlin, IV. Wahlperiode, Nr. 659, ausgegeben am 11.
September 1964). Diese Drucksache enthält die Gesetzesbegründung zum
Pressegesetz. Im Pressegesetz vom 15. Juni 1965 (GVBl. 744) wurde das Sorgfaltsgebot
schließlich in § 3 Abs. 2 normiert. Die Vorschrift gilt bis heute unverändert.
Der Begründung zur Gesetzesvorlage vom 4. September 1964 lässt sich ein Wille des
Gesetzgebers nicht entnehmen, mit der Normierung des Sorgfaltsgebotes eine das
Vermögen schützende Vorschrift zu schaffen. In der Vorbemerkung (A. I. 1. a) heißt es
zwar, dass mit dem Gesetz "auch die der Presse gegenüber der Öffentlichkeit
obliegenden Pflichten gebührend berücksichtigt werden" sollten. Allein daraus ist ein
bezweckter Individualschutz jedoch nicht abzuleiten. Der Verwendung des Begriffs der
"Öffentlichkeit" lässt vielmehr darauf schließen, dass in erster Linie Interessen der
Allgemeinheit geschützt werden sollten.
Auch aus der Bezugnahme der Einzelbegründung zu § 6 auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 1961 (BVerfGE 12, 113 ff.) sowie auf die in
BGHZ 31, 308 und BGHSt. 4, 338 veröffentlichten Urteile des Bundesgerichtshofs läßt
sich nicht herleiten, dass der Gesetzgeber einen Vermögensschutz bezweckt hat. Diese
Entscheidungen betreffen Eingriffe von Presseorganen in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht Einzelner durch ehrverletzende Äußerungen und nicht
Schadensersatzansprüche wegen Vermögensschäden.
Gegenstand der in BVerfGE 12, 113 veröffentlichten Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts war eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine
strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung richtete. Der Beschwerdeführer hatte sich
in einem Zeitungsartikel mit einem zuvor über ihn im Nachrichtenmagazin "D S"
veröffentlichen Artikel auseinandergesetzt und dabei u. a. ausgeführt, "D ... S" habe eine
Lüge weitergegeben. Im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit der Verteidigung
des Beschwerdeführers gegen den "S" hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt,
dass die Presse zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung verpflichtet sei. Die Erfüllung
dieser Wahrheitspflicht werde nach gesicherter Rechtsprechung schon um des
Ehrenschutzes des einzelnen willen gefordert. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 22. Dezember 1959 (BGHZ 31, 308) betrifft eine Unterlassungsklage wegen
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Bundesgerichtshof hat in dem
Urteil ausgeführt, dass es für die Frage, ob eine ehrverletzende Presseveröffentlichung
gerechtfertigt sei, auf eine Güter- und Interessenabwägung ankomme. In seinem Urteil
vom 22. September 1953 (BGHSt 3, 338) hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage
auseinandergesetzt, ob Richter des Bundesverfassungsgerichts "im politischen Leben
des Volkes stehende Personen" i. S. v. § 187 a StGB a. F. seien. Auch in dieser
Entscheidung ging es um ehrverletzende Äußerungen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin deutet auch der letzte Absatz der
Einzelbegründung zu § 6 nicht darauf hin, dass der Gesetzgeber einen Vermögensschutz
bezweckt hat. Zwar heißt es dort, dass die Vorschrift – abgesehen vom Sonderfall des §
20 Abs. 2 – nicht "bewehrt" sei, "aber die Wirkung eines Schutzgesetzes im Sinne des §
823 Abs. 2 BGB äußern" könne. Aus dem systematischen Zusammenhang mit dem
ersten Absatz der Einzelbegründung wird jedoch deutlich, dass damit der dort
angeführte "Ehrenschutz des Betroffenen" und die in den genannten
Gerichtsentscheidungen behandelten Fälle der Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht
gemeint sind. Anhaltspunkte dafür, dass mit dem letzten Satz der Einzelbegründung ein
deliktischer Schutz des Vermögens gemeint sei, sind nicht ersichtlich.
Auf die Frage, ob es dem Gesetzgeber darauf angekommen ist, § 3 Abs. 2 PresseG Bln
als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB zum Schutz der Ehre bzw. des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts auszugestalten, kommt es für die Entscheidung nicht an. Denn der
15
16
17
18
Persönlichkeitsrechts auszugestalten, kommt es für die Entscheidung nicht an. Denn der
zivilrechtliche Schutz im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ist immer auf das Rechtsgut
beschränkt, dessen Sicherung die Vorschrift dienen soll, und zwar ausschließlich
gegenüber der nach dieser Vorschrift abzuwendenden Gefahr (BGHZ 46, 17, 23).
Ein Wille des Gesetzgebers, das Vermögen der Rezipienten zu schützen, ist auch nicht
aus der weiteren Begründung zu schließen, soweit es dort heißt, dass die besondere
Sorgfaltspflicht der Presse "schon um des Ehrenschutzes des Betroffenen willen
gefordert" werde. Die Gesetzesbegründung zitiert damit wörtlich aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 1961 (BVerfGE 12, 113). In dieser
Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Erfüllung der
Wahrheitspflicht "zugleich in der Bedeutung der öffentlichen Meinungsbildung im
Gesamtorganismus einer freiheitlichen Demokratie begründet" sei. Nur dann, wenn der
Leser – im Rahmen des Möglichen – zutreffend unterrichtet werde, könne sich die
öffentliche Meinung "richtig" bilden. Mit der Klägerin geht der Senat davon aus, dass
durch die zitatweise Bezugnahme auf das Urteil auf wiederholende Begründungen
verzichtet werden sollte. Daraus ist entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch nicht der
Schluss zu ziehen, der Landesgesetzgeber habe einen umfassenden Schutz des
Vermögens jedes "Lesers" bezweckt. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil gerade nicht auf den Schutz von Rechten und Rechtsgütern einzelner Leser
abgestellt, sondern die Bedeutung der wahrheitsgemäßen Berichterstattung für die
öffentliche Meinungsbildung und deren Funktion in einer freiheitlichen Demokratie
hervorgehoben. Die "richtige" Bildung der öffentlichen Meinung durch zutreffende
Presseberichterstattung liegt aber in erster Linie im Interesse der Allgemeinheit und
nicht im Interesse des einzelnen Individuums. An keiner Stelle hat das
Bundesverfassungsgericht ausgeführt oder auch nur angedeutet, dass die Erfüllung der
Wahrheitspflicht dazu diene, nachteilige Vermögensdispositionen des einzelnen Lesers
zu verhindern.
Auch aus dem Regelungszusammenhang von Pressegesetz und Bürgerlichem
Gesetzbuch ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Schutz
des Rechtsgutes Vermögen bezweckt hat.
Auf die von der Klägerin auf Seite 9 f. der Berufungsbegründung angeführten "modernen
empirischen Erkenntnisse über Wesen und Funktionsweise massenkommunikativer
Vorgänge" kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Allein das Vorliegen einer
Schutzlücke rechtfertigte es nicht, der Norm des § 3 Abs. 2 PresseG
Schutzgesetzcharakter zuzuerkennen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn festgestellt
werden könnte, dass der Gesetzgeber die Schutzlücke erkannt hat und durch die
Gesetzgebung schließen wollte. Dafür fehlen Anhaltspunkte.
Entgegen der Auffassung der Klägerin scheint die Schaffung eines entsprechenden
individuellen Schadensersatzanspruches auch nicht sinnvoll und im Lichte des
haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar. Das Landgericht – dessen Ausführungen
auf Seite 6 f. sich der Senat anschließt – hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die
Einbeziehung der Vermögensinteressen derjenigen, die von der Berichterstattung nicht
unmittelbar angesprochen werden, zu einer mit den Grundprinzipien des Haftungsrechts
nicht zu vereinbarenden Ausweitung der Haftung der Medienorgane führen würde. Der
Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches hat sich bewusst gegen eine allgemeine
Haftung für Vermögensschäden entschieden (vgl. BGHZ 66, 388). Nach den
Grundsätzen des durch Bundesrecht abschließend geregelten Haftpflichtrechts (vgl. Art.
72 Abs. 1, Art. 74 Nr. 1 GG) ist derjenige, der außerhalb eines Vertragsverhältnisses
einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, zum Schadensersatz nicht
verpflichtet, unbeschadet der sich aus einer unerlaubten Handlung ergebenden
Verantwortlichkeit, § 676 BGB. Die Entschädigungslosigkeit für einen unzutreffenden Rat
außerhalb der vertraglichen und deliktischen Haftung nach den Vorschriften des BGB
wird ausdrücklich angeordnet. Es mag zwar nicht ausgeschlossen sein, dass dieser
Grundsatz durch die Auswirkung eines landesrechtlichen Schutzgesetzes entwertet
werden könnte. Im Zweifelsfall ist bei der Auslegung einer landesrechtlichen Vorschrift
ein solches Ergebnis jedoch nur dann hinzunehmen, wenn das Bedürfnis für eine
Schutzerstreckung in den Auswirkungen einer besonderen Rechtsgestaltung auf
Landesebene ersichtlich wird, die bundesrechtlich nicht hatte bedacht werden müssen
(vgl. BGHZ 66, 388 zur Auslegung einer Vorschrift der BauO Bad. Württ.). Ein
besonderes Bedürfnis, einen gegenüber den bundesrechtlichen Regelungen erweiterten
deliktischen Vermögensschutz gerade für die nach dem Berliner Pressegesetz zu
beurteilenden Sachverhalte anzuordnen, ist indes nicht erkennbar. Der Sinn der
grundgesetzlichen Kompetenzabgrenzung spricht somit gegen die Annahme, dass der
Berliner Landesgesetzgeber ohne Anlass eine in die bundesrechtliche Regelung
eingreifende Schutzerstreckung bezweckt oder gewollt hat.
19
20
21
22
23
24
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen
sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§§ 826, 831 Abs. 1 BGB), denn sie hat nicht
schlüssig dargelegt, dass die mit der Recherche und der Verbreitung der Falschmeldung
befassten Mitarbeiter der Beklagten dabei vorsätzlich sittenwidrig gehandelt haben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist in der Erteilung einer bewußt
unrichtigen Auskunft aus eigennützigen Interessen ein sittenwidriges Verhalten im Sinne
des § 826 BGB zu sehen. Wird die Auskunft aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens
leichtfertig in unrichtiger Weise erteilt, ist die Handlung dann als sittenwidrig zu werten,
wenn die Auskunft für die Entschließung des Empfängers – für den Auskunftsgeber
erkennbar – von Bedeutung ist und dieser unter Verfolgung eigener Interessen in dem
Bewußtsein einer möglichen Schädigung des Empfängers handelt (BGH, NJW 1987,
1758, 1759; OLG Frankfurt, WM 1989, 1618, 1619 f.; Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl., §
826 Rdn. 25).
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der
Mitarbeiter R und H der Beklagten nicht schlüssig vorgetragen. Es kann daher
dahinstehen, ob die von der Klägerin auf Seite 11 f. des Schriftsatzes vom 2. Januar
2002 abgegebene Schilderung der Vorgänge in der Nachrichtenredaktion zutrifft.
Zugunsten der Klägerin kann von ihrer Darstellung ausgegangen werden.
Aus dem Umstand, dass die Finanzmarktredakteurin H die vom Leiter der Reaktion
Neue Märkte H übermittelte Information dahin verstanden hat, dass ein Investor die Fa.
T übernommen habe, kann nicht geschlossen werden, dass Herr H seine Kollegin aus
eigennützigen Interessen bewußt unrichtig informiert habe. Aus dem von der Klägerin
geschilderten Geschehensablauf ist weder zwingend zu schließen, dass Herr H die ihm
von dem Assistenten R übermittelte Information bewußt verfälscht hat, noch dass ihm
bewusst geworden ist, wie Frau H die Mitteilung verstanden hatte. Es ist nach dem
äußeren Ablauf nicht auszuschließen, dass es bei der Weiterleitung der Information zu
einem Mißverständnis gekommen ist. Daher kann der Senat nicht feststellen, dass Herr
H unter Verfolgung eigener Interessen leichtfertig eine unrichtige Mitteilung
weitergeleitet hat. Die Klägerin hat auch nicht schlüssig vorgetragen, dass Herr H im
Bewußtsein einer möglichen Schädigung der Fernsehzuschauer handelte. Gleiches gilt
im Hinblick auf das zwischen der Chefin vom Dienst S M und Herrn R vor der
Veröffentlichung geführte Telefonat, bei dem Frau S M die Meldung nach Darstellung der
Klägerin formuliert habe. Zwar hätte der Zeuge R objektiv fahrlässig gehandelt, wenn
ihm die später gesendete Meldung bei dieser Gelegenheit dem Wortlaut nach mitgeteilt
worden ist. Auch insoweit ist jedoch ein Augenblicksversagen dieses Mitarbeiters nicht
auszuschließen, weil nicht festzustellen ist, dass Herrn R das fehlerhafte Verständnis der
Zeugin S M bewusst geworden ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Herr R aus
eigennützigen Gründen die Richtigstellung gegenüber Frau S M unterlassen hat, trägt die
Klägerin nicht vor. Schließlich liegt auch in dem Unterlassen einer Richtigstellung durch
die Zeugen R und H nach der Ausstrahlung der unzutreffenden Meldung keine
sittenwidrige Handlung. Denn insoweit läßt sich nicht feststellen, dass die beiden Zeugen
eine Intervention in Kenntnis, dass eine falsche Meldung gesendet worden war, bewußt
unterlassen haben. Dass und welche eigennützigen Interessen die Zeugen dabei verfolgt
haben sollen, ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin den Vorwurf erhoben hat, die
Zeugen hätten das Ziel verfolgt, den Aktienkurs zu manipulieren, fehlen dafür konkrete
Anhaltspunkte.
3. Schließlich steht der Klägerin auch ein Schadensersatzanspruch aus § 88 Abs. 1 Nr. 1
BörsG i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB nicht zu, denn § 88 BörsG ist kein Schutzgesetz i. S. v. §
823 Abs. 2 BGB (OLG München NJW 2003, 144; LG Augsburg WM 2002, 592; Schwark,
Börsengesetz, 2. Aufl. § 88 Rz. 1; Groß, WM 2002, 477, 484).
II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Rechtssache eine entscheidungserhebliche,
klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
Bedeutung für die Allgemeinheit hat (BGH, WM 2002, 1896, 1897). Allein der Umstand,
dass eine Rechtsfrage – hier die Frage, ob § 3 Abs. 2 PresseG Bln ein Schutzgesetz i. S.
v. § 823 Abs. 2 BGB ist – bisher obergerichtlich nicht geklärt ist, genügt hierfür nicht. Um
einen Musterprozeß oder um ein Verfahren, in dem die Auslegung typischer
Vertragsbestimmungen, Tarife, Formularverträge oder allgemeiner
Geschäftsbedingungen erforderlich wird, handelt es sich bei dem vorliegenden
Rechtsstreit nicht. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der Senat weicht nicht von
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichtes
25
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichtes
ab. Insbesondere besteht keine Divergenz zu der Entscheidung des BGH vom 20. Juni
1972 (BGHZ 59, 76) zur Haftung des Zeitungsverlegers für unrichtige Anzeigen. Denn
der Bundesgerichtshof hat den Schadensersatzanspruch in jenem Verfahren nicht auf §
823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 PresseG NRW, sondern auf § 824 BGB gestützt. Zur Frage
des Schutzgesetzcharakters des § 6 PresseG hat der BGH keine Stellung genommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum