Urteil des KG Berlin vom 08.03.2004

KG Berlin: bewährung, strafzumessung, mangel, link, versicherungsschutz, quelle, sammlung, anfechtung, verwaltungsbehörde, vollstreckung

1
2
3
4
5
Gericht:
KG Berlin 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(3) 1 Ss 210/04
(71/04)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 354 Abs 2 S 1 StPO, § 47 Abs
1 StGB
Berufungsurteil: Nicht ausreichende Bezugnahme auf die
Strafzumessung des amtsgerichtlichen Urteils
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8.
März 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der
Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 23. Juni 2003 wegen
vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Monaten verurteilt - gebildet aus Einzelfreiheitsstrafen von drei Monaten und
vier Monaten - und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf eines Jahres
keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Auf die dagegen eingelegte und auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das
angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe
zur Bewährung ausgesetzt wird. Die dagegen gerichtete, von der
Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die
Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, führt zum (vorläufigen) Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ergreift das angefochtene Urteil in vollem Umfang.
Die Staatsanwaltschaft hat in der Revisionsbegründung zwar nur gegen die
Strafaussetzung zur Bewährung argumentiert und das Urteil damit in einem Punkt
angegriffen, auf den das Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (vgl. Meyer-
Goßner, StPO 47. Aufl., § 328 Rdn. 18, 20, § 344 Rdn. 4). Sie hat diese Ausführungen
aber vorweg im Anschluss an die Erhebung der allgemeinen Sachrüge ausdrücklich als
„nur beispielhaft“ bezeichnet. Darin liegt die Äußerung eines Vorbehalts gegen eine
einengende Auslegung des Rechtsmittels.
An der umfassenden Reichweite änderte sich selbst dann nichts, wenn die Revision
gleichwohl als auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt anzusehen
wäre. Sie so einzustufen käme im Hinblick darauf in Betracht, dass über den Punkt der
Strafaussetzung zur Bewährung hinaus kein Überprüfungsinteresse der
Staatsanwaltschaft zu ersehen ist. Woran der Staatsanwaltschaft nach den gesamten
Umständen allein noch als Ziel gelegen sein könnte, ist eine Heraufsetzung der Strafe.
Die aber ist nicht möglich, weil der Angeklagte auf seine alleinige Strafmaßberufung
nicht schlechter gestellt werden darf (§ 331 StPO). Die aufgrund dieser Überlegungen zur
Interessenlage der Staatsanwaltschaft angenommene Beschränkung wäre dann
jedenfalls unwirksam, weil die Erwägungen zum Strafmaß in dem angefochtenen Urteil
derart unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die
Aussetzungsentscheidung bilden können (vgl. KG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - [5] 1
Ss 404/03 [69/03]).
2. Die Ausführungen zur Bemessung der Strafe im angefochtenen Urteil sind so
lückenhaft, dass sie nicht erkennen lassen, ob das Landgericht sich überhaupt des
Grundsatzes (vgl. KG, Beschluss vom 23. August 2000 - [4] 1 Ss 157/00 [121/00]- Juris)
bewusst gewesen ist, dass die Berufung im Umfang der Anfechtung zu einer völligen
Neuverhandlung der Sache führt und es im Gegensatz zum Revisionsgericht nicht Sache
des Berufungsgerichts ist, das angefochtene Urteil zu prüfen, sondern nach dem
Ergebnis der Berufungsverhandlung neu zu entscheiden, was im Falle einer auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung, wie sie hier vorliegt, einschließt,
losgelöst von den Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils eine eigene umfassende
6
7
8
losgelöst von den Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils eine eigene umfassende
Strafzumessung vorzunehmen. Ob eine solche hier stattgefunden hat - wegen der
Festsetzung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, die nach § 47 Abs. 1 StGB nur in
Ausnahmefällen verhängt werden dürfen, war diesbezüglich eine umfassende
Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände vonnöten
(vgl. nur BGH StV 1994, 370) -, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen.
Die Ausführungen des Landgerichts in dem die Strafzumessung betreffenden Abschnitt
(UA S.4 untere Hälfte bis S.5 Zeile 2) erschöpfen sich im Kern in einer bloßen
Bezugnahme auf den entsprechenden Teil im Urteil des Amtsgerichts. Mit der Angabe
des Strafrahmens einschließlich Verneinung der Milderungsmöglichkeit wegen
verminderter Schuldfähigkeit, der Nennung zweier mildernd zu berücksichtigender
Gesichtspunkte ; Härteausgleich für
Nichteinbeziehbarkeit einer weiteren Verurteilung) und eines belastenden Aspekts (kein
Versicherungsschutz bei den Fahrten) ist nur ein begrenzter Ausschnitt von
Einzelpunkten angesprochen, die Kernaussage bildet hingegen der zentrale Satz:
Mit diesem Inhalt enthält das Urteil keine ausreichenden Gründe zur Strafzumessung. Es
lehnt sich ganz überwiegend an die Ausführungen des Amtsgerichts an, ohne dass
ausgeschlossen werden kann, dass es dessen Erwägungen bloß nach Art eines
Revisionsgerichts auf ihre Vertretbarkeit überprüft und übernommen hat, anstatt, wie
auf die Berufung geboten, selbst die notwendige umfassende Abwägung vorzunehmen
und zu einer eigenen Bemessung der Strafe zu gelangen. Darin liegt ein sachlich-
rechtlicher Mangel des Urteils (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27. Februar 1980 - 4 Ss
2430/79 - Juris). Er führt auf die mit der Revision erhobene Sachrüge der
Staatsanwaltschaft nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision.
Zusätzlich auch der Überprüfung, ob das Landgericht mit der - dem Senat durchaus
angreifbar erschienenen - Strafaussetzung zur Bewährung die ihm gezogenen Grenzen
des rechtlich Vertretbaren überschritten hat, bedarf es nicht. Allein der sachlich-
rechtliche Mangel im Punkte der Strafzumessungserwägungen rechtfertigt die
Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum