Urteil des KG Berlin vom 22.02.2001

KG Berlin: verfügung von todes wegen, erbschein, beginn der frist, gesetzliche erbfolge, einziehung, unrichtigkeit, steuerberater, erbeinsetzung, geschäft, beschwerdebefugnis

1
2
3
4
5
Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 458/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 166 BGB, § 1954 Abs 2 S 1
BGB, § 2361 Abs 1 BGB, § 8 Abs
2 RPflG, § 8 Abs 4 RPflG
Erbscheinseinziehungsverfahren: Einziehung eines vom
Rechtspfleger aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilten
Erbscheins bei nachträglichem Auffinden eines Testaments;
Fristbeginn bei Anfechtung der Erbschaftsannahme
Tenor
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 22.
Februar 2001 werden aufgehoben.
Das Amtsgericht Spandau wird angewiesen, den der früheren Beteiligten am 2.
September 1997 erteilten Erbschein einzuziehen.
Gründe
Die mit dem Ziel der Einziehung des die frühere Beteiligte als Alleinerbin ausweisenden
Erbscheins vom 2. September 1997 eingelegte weitere Beschwerde ist gemäß §§ 27, 29
FGG zulässig. Die Beschwerdebefugnis der früheren Beteiligten ergibt sich bereits aus
dem Umstand, dass ihre Erstbeschwerde erfolglos geblieben ist. Durch den während des
Verfahrens der weiteren Beschwerde eingetretenen Tod der früheren Beteiligten ist keine
Unterbrechung des Verfahrens eingetreten; das Verfahren ist vielmehr mit ihren
Rechtsnachfolgern fortzuführen (vgl. OLG Zweibrücken FGPrax 2000, 66; Jansen, FGG, 2.
Aufl., Vorbem. §§ 8-18, Rdn. 37; Keidel/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 12 Rdn. 115). Da die
jetzigen Beteiligten durch den Erbschein des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23.
Januar 2003 als Miterben der früheren Beteiligten ausgewiesen sind, sind sie nunmehr an
diesem Verfahren beteiligt.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält
einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand und ist daher aufzuheben (§§ 27 Abs. 1 Satz 2
FGG in Verbindung mit 546 f. ZPO). Da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, kann
der Senat selbst in der Sache entscheiden (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i. V. m. 563 Abs. 3
ZPO). Dies führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur
Anweisung an das Amtsgericht, den erteilten Erbschein einzuziehen.
Rechtlich richtig ist das Landgericht zunächst von der Zulässigkeit der Erstbeschwerde
der früheren Beteiligten ausgegangen. Insbesondere ist ihre Beschwerdebefugnis
gegeben. Die mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins eingelegte Beschwerde steht
gemäß § 20 Abs. 1 FGG jedem zu, der durch die Erteilung des Erbscheins in seinen
Rechten beeinträchtigt ist. Durch den Inhalt des Erbscheins beeinträchtigt ist der im
Erbschein ausgewiesene Erbe, der geltend macht, er sei nicht Erbe geworden, und zwar
selbst dann, wenn ihm der Erbschein zuvor auf seinen Antrag hin erteilt worden ist (vgl.
BGHZ 30, 261 = NJW 1959, 1730; Senat NJW 1960, 1158; Keidel/Kahl a.a.O. § 20 Rdn. 73;
Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2361 Rdn. 15, jew. m.w.N.).
In der Sache hat das Landgericht die Erstbeschwerde als unbegründet angesehen. Es
hat übereinstimmend mit dem Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Einziehung
des Erbscheins vom 2. September 1997 gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB als nicht
gegeben erachtet. Entgegen seiner Auffassung führt jedoch bereits der Umstand, dass
der Erbschein trotz Vorliegens eines Testaments mit Erbeinsetzung durch den
Rechtspfleger erteilt worden ist, zu dessen Einziehung.
1. Gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das Nachlassgericht von Amts wegen
verpflichtet, einen erteilten Erbschein einzuziehen, wenn er sich als unrichtig erweist. Die
Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen (verfahrensrechtlichen) oder
materiellen (inhaltlichen) Gründen ergeben. Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins
liegt vor, wenn der Erbschein unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften erteilt
worden ist, die Bedingung für die Zulässigkeit des ganzen Verfahrens sind. Dies ist etwa
dann der Fall, wenn der Erbschein ohne Antrag eines Antragsberechtigten oder
abweichend vom Antrag oder von einem unzuständigen Gericht erteilt worden ist.
6
7
8
9
abweichend vom Antrag oder von einem unzuständigen Gericht erteilt worden ist.
Dagegen rechtfertigt eine Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften – etwa des
rechtlichen Gehörs - im Erteilungsverfahren die Einziehung für sich allein nicht (vgl. zu
Vorstehendem Senat NJW 1963, 766/768; BGHZ 40,54 = NJW 1963, 1972/1973;
Erman/Schlüter, BGB, 10. Aufl., § 2361 Rdn. 1; Palandt/Edenhofer a.a.O. Rdn. 4;
Staudinger/Schilken, BGB, 13. Aufl., § 2361 Rdn. 16 f., jew. m.w.N.).
Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins ist vorliegend im Hinblick darauf gegeben,
dass für das Erbscheinsverfahren der Richter und nicht der Rechtspfleger funktionell
zuständig war. Abweichend von der grundsätzlich nach § 3 Nr. 2 c RpflG gegebenen
Zuständigkeit des Rechtspflegers für das Erbscheinsverfahren bleibt gemäß § 16 Abs. 1
Nr. 6 RpflG dem Richter die Erteilung von Erbscheinen dann vorbehalten, wenn eine
Verfügung von Todes wegen vorliegt. Die Frage, ob eine wirksame Verfügung von Todes
wegen vorhanden und geeignet ist, die gesetzliche Erbfolge zu beeinflussen, erfordert
eine Prüfung oder Entscheidung durch den Richter. Nur wenn der Richter zu dem
Ergebnis gelangt, dass dies nicht der Fall ist und der Erbschein nach gesetzlicher
Erbfolge zu erteilen ist, kann er die Erteilung des Erbscheins gemäß § 16 Abs. 2 RpflG
dem Rechtspfleger übertragen. Sind die Voraussetzungen für eine Übertragung im
Allgemeinen gegeben, ist eine solche aber nicht erfolgt oder fehlt es nur im Einzelfall an
den Voraussetzungen der Übertragung, so ist die Entscheidung des Rechtspflegers
gemäß § 8 Abs. 2 RpflG gleichwohl wirksam. In anderen Fällen, in denen das Geschäft
seiner Art nach nicht übertragbar war, ist das Geschäft des Rechtspflegers dagegen
gemäß § 8 Abs. 4 RpflG unwirksam.
Nach ganz herrschender Auffassung ist ein Erbschein grundsätzlich im Sinne des § 2361
Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspfleger anstelle
des zuständigen Richters erteilt wurde. Dieser Mangel nötigt nur dann nicht zur
Einziehung, wenn deutsches Recht anzuwenden und der Erbschein trotz Vorliegens einer
letztwilligen Verfügung aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist. Denn in solchem
Fall ist der Erbschein gemäß § 8 Abs. 2 RpflG nicht unwirksam, auch wenn die
Übertragung gemäß § 16 Abs. 2 RpflG unterblieben ist oder deren Voraussetzungen im
Einzelfall nicht gegeben waren. In anderen Fällen, in denen die Sache gemäß § 8 Abs. 4
RpflG nicht übertragbar war, ist er dagegen einzuziehen (vgl. zu Vorstehendem - im
Einzelnen abweichend - BayObLGZ 1948-1951, 89/93; 1977, 59/63 f.; FamRZ 1997,
1370; LG Koblenz DNotZ 1969, 43; LG Frankfurt/Main Rpfleger 1983, 486;
Palandt/Edenhofer a.a.O. Rdn. 4, Staudinger/Schilken a.a.O. Rdn. 16; Erman/Schlüter
a.a.O. Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Promberger, 3. Aufl., § 2361 Rdn. 13;
Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 2361 Rdn. 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl.,
§ 39 VI. 1. Fn. 191; Weiß, Rpfleger 1984, 389/393; Arnold/Herrmann, RpflG, 6. Aufl., § 8
Rdn. 9-11; Dallmayer/Eickmann, RpflG, § 8 Rdn. 22, § 16 Rdn. 53).
Hier ergibt sich die ausschließliche Zuständigkeit des Richters für das
Erbscheinsverfahren aus dem Vorliegen des Testaments des Erblassers vom 25. Februar
1990. Da das Testament die Einsetzung der früheren Beteiligten zur Alleinerbin - unter
Anordnung von Ersatzerbfolge – enthält, sind die Voraussetzungen für eine Übertragung
auf den Rechtspfleger nach § 16 Abs. 2 RpflG nicht gegeben. Denn der Erbschein ist
aufgrund testamentarischer Erbfolge zu erteilen, auch wenn diese hier der gesetzlichen
Erbfolge entspricht, weil die frühere Beteiligte zugleich auch gesetzliche Alleinerbin des
Erblassers war. Für die Erteilung eines Erbscheins aufgrund testamentarischer Erbfolge
ist der Rechtspfleger auch nicht „im Einzelfall“ nach Übertragung im Sinne des § 8 Abs.
2 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Satz 1 RpflG zuständig. Die Erteilung des
verfahrensgegenständlichen Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge erweist sich
daher gemäß § 8 Abs. 4 RpflG als unwirksam mit der Folge, dass dieser einzuziehen ist.
Die Ansicht des Senats steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bayerischen
Obersten Landesgerichts (a.a.O.); eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 28
Abs. 2 FGG ist daher nicht geboten. Das Bayerische Oberste Landesgericht vertritt in
ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein aufgrund gesetzlicher Erbfolge
erteilter Erbschein nicht bereits deswegen einzuziehen ist, weil das Vorliegen einer
letztwilligen Verfügung im Streit ist und der Rechtspfleger in diesem Fall unzuständig
war, in Entscheidung dieses Streits den Erbschein zu erteilen. Es verweist darauf, dass
der Richter auch bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen dem Rechtspfleger die
Erteilung des Erbscheins übertragen kann, wenn deutsches Recht anzuwenden und der
Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist; ein im Rahmen dieser
Voraussetzungen erteilter Erbschein sei gemäß § 8 Abs. 2 RpflG nicht unwirksam. Auch
das Bayerische Oberste Landesgericht geht also davon aus, dass bei Vorliegen einer
letztwilligen Verfügung, die eine Erbeinsetzung enthält, die Erteilung eines Erbscheins
aufgrund gesetzlicher Erbfolge durch den Rechtspfleger nicht in Betracht kommt und ein
dennoch erteilter Erbschein wegen dieses Mangels einzuziehen ist (i. Erg. nicht
10
11
12
13
14
dennoch erteilter Erbschein wegen dieses Mangels einzuziehen ist (i. Erg. nicht
abweichend auch LG Frankfurt a.a.O.: Dort lag ein Testament vor, das keine
Erbeinsetzung enthielt, sodass der aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilte Erbschein
inhaltlich richtig war).
Nach allem ist der Erbschein vorliegend schon wegen formeller Unrichtigkeit gemäß §
2361 Abs. 1 Satz 1 BGB einzuziehen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich –
ebenso wie diejenige des Amtsgerichts – bereits aus diesem Grund als unrichtig.
2. Auf die Frage, ob der Erbschein nach erfolgter Anfechtung der Erbschaftsannahme
durch die frühere Beteiligte auch wegen inhaltlicher Unrichtigkeit einzuziehen wäre,
kommt es demnach nicht mehr an. Gleichwohl erscheinen zur Frage der Wirksamkeit der
Anfechtungserklärung die folgenden Hinweise geboten:
Das Landgericht hat angenommen, die frühere Beteiligte sei Erbin des Erblassers
geblieben, der ihr erteilte Erbschein daher inhaltlich richtig, weil ihre notariell beglaubigte
Erklärung der Anfechtung der Annahme der Erbschaft vom 10. August 2000 dem
Nachlassgericht nicht innerhalb der sechswöchigen Anfechtungsfrist gemäß § 1954 Abs.
1 und 2 Satz 1 BGB zugegangen sei. Der Lauf dieser Frist habe spätestens mit Zugang
der Einspruchsentscheidung des Finanzamts Oranienburg vom 31.5.2000 bei ihrem
Steuerberater am 5. Juni 2000 begonnen, sodass die Anfechtungsfrist im Zeitpunkt des
Eingangs der Anfechtungserklärung am 11. August 2000 bereits abgelaufen gewesen
sei. Denn die Kenntnis des Steuerberaters sei ihr gemäß § 166 BGB zuzurechnen.
Diese Auffassung unterliegt durchgreifenden Bedenken. Eine Zurechnung der Kenntnis
des Steuerberaters aufgrund rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht gemäß § 166 Abs.
1 BGB käme nur dann in Betracht, wenn er von der früheren Beteiligten auch mit der
Regelung ihrer Erbschaftsangelegenheit beauftragt gewesen wäre und insoweit
Vollmacht zu ihrer Vertretung erhalten hätte (vgl. BayObLG NJW 1953, 1431; NJW-RR
1999, 590/592; Palandt/Edenhofer a.a.O. § 1954 Rdn. 1). Dafür bietet der Sachverhalt
keinen Anhaltspunkt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er nur mit der Regelung ihrer
Steuerangelegenheit betraut war. In der Erbschaftsangelegenheit bevollmächtigt war
nach dem Vorbringen der weiteren Beschwerde wohl schon damals ihr
Verfahrensbevollmächtigter, dem auf seine Nachfrage vom 3.8.2000 seitens des
Steuerberaters mitgeteilt wurde, dass eine Klage beim Finanzgericht nicht eingereicht
worden und der Bescheid vom 31.5.2000 daher am 5.7.2000 bestandskräftig geworden
war.
Im Hinblick auf das Vorbringen der früheren Beteiligten, sie sei davon ausgegangen, der
Steuerberater werde Klage beim Finanzgericht erheben, und habe erst durch ihren
Verfahrensbevollmächtigten erfahren, dass er dies nicht getan habe, ist weiter zu
prüfen, ob nicht die Kenntnis der Einspruchsentscheidung des Finanzamts Oranienburg
vom 31.5.2000 ihr hinreichend zuverlässige Kenntnis von der nunmehr zu erwartenden
Einkommensteuerforderung und der sich daraus ergebenden Überschuldung des
Nachlasses vermittelte, die jedenfalls den Beginn der Frist zur Anfechtung der
Annahmeerklärung gemäß § 119 Abs. 2, § 1954 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB in Lauf setzte.
Dabei wäre gegebenenfalls zu ermitteln, wann der Steuerberater ihr den Bescheid
mitteilte und aus welchen Gründen sie angeblich annahm, sie habe Klageauftrag erteilt
und eine Klage sei aussichtsreich. Denn der Einspruch war, worauf das Landgericht
zutreffend hinweist, nicht mit sachlichen Einwendungen gegen die Steuerschuld sondern
dem Vorliegen eines Härtefalls begründet worden. Zum Vorbringen der weiteren
Beschwerde, der Feststellungsbescheid des Finanzamts Oranienburg habe eine
Steuerforderung noch nicht begründet, ist zu bemerken, dass es hierauf im Hinblick auf
den bereits vorliegenden Einkommensteuerbescheid vom 8.4.1999 nicht ankommen
dürfte. Entscheidend dürfte sein, ob die frühere Beteiligte nach der von ihrem
Steuerberater erhaltenen Beratung erwarten konnte, durch Klage beim Finanzgericht
noch einen Erlass oder eine erhebliche Minderung der festgesetzten
Einkommensteuerforderung zu erreichen.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum