Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017
KG Berlin: eintritt des versicherungsfalls, annahme des antrages, verschlechterung des gesundheitszustandes, rücktritt, versicherer, diagnose, obliegenheit, versicherungsnehmer, herzinfarkt, abgabe
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Gericht:
KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 8/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 2 VVG, § 513 Abs 1
ZPO, § 522 Abs 2 ZPO, § 529
ZPO, § 546 ZPO
Leitsatz
1. Der Versicherer (VR) einer Dread Disease Versicherung ist gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 VVG von
der Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer (VN) ein geändertes Angebot des VR erst
nach Kenntnis von dem Eintritt einer schweren Krankheit (Versicherungsfall) unterzeichnet
und absendet oder von einem Vertreter absenden lässt.
2. Der VR muss zwar die Kenntnis des VN von dem Eintritt des Versicherungsfalls beweisen
(BGH VersR 2000, 1133 Rz. 11 zit. nach Juris). Den VN trifft jedoch eine erhöhte
Darlegungslast. Er muss vortragen, wann er welche Informationen erhalten hat, wenn er
wegen typischer Symptome eines Herzinfarktes (Schmerzen, Brennen, Druck im Brustbereich
mit Erbrechen) von dem behandelnden Arzt in ein Krankenhaus eingewiesen und von dort
nach Durchführung von Untersuchungen (Echokardiographie, Feststellung erhöhter
Troponinwerte) in ein größeres Krankenhaus auf die Intensivstation eingeliefert wurde und
dort ein Aufnahmegespräch stattgefunden hat.
3. Der VR ist in einem solchen Fall auch wegen der Verletzung der Anzeigeobliegenheit
gemäß §§ 16 ff. VVG a.F. zum Rücktritt berechtigt und nicht zur Leistung verpflichtet. Denn
der VN darf ein geändertes Angebot des VR nicht annehmen, ohne zuvor den VR über die seit
ursprünglicher Antragstellung eingetretenen gefahrerheblichen Umstände - hier: die
aufgetretenen Beschwerden und Untersuchung/Behandlung im Krankenhaus - zu informieren
(vgl. BGHZ 121, 6 ff. Rz. 19).
Berufung wurde zurückgenommen
Gründe
In dem Rechtsstreit … hat der Senat über die Sache nunmehr beraten und beabsichtigt,
die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil durch einstimmigen Beschluss
gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
1. Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach §
529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
2. Die Berufung bleibt danach ohne Erfolg, denn die in 1. genannten Voraussetzungen
liegen nicht vor. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend einen Anspruch der Klägerin
aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag verneint.
a) Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Beweiswürdigung des
Landgerichts und macht geltend, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft
unterlassen, die Zeugin Dr. F. zur mündlichen Vernehmung zu laden. Vielmehr habe das
Landgericht sich unzulässig allein auf die Würdigung der schriftlichen Zeugenaussagen
beschränkt. Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin keinen Erfolg, weil es auf die
Vernehmung der Zeuginnen Dr. Dr. S. und Dr. F. für die Entscheidung des Rechtsstreits
nicht ankam.
Zwar ist die Beklagte nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl.
BGH VersR 2000, 1133 = NJW-RR 2000, 1471 – zitiert nach juris: Rdnr. 11) entgegen der
früher vertretenen Ansicht (vgl. BGHZ 111, 29 ff = VersR 1990, 618 = NJW 1990, 1851 –
zitiert nach juris: Rdnr. 24) dafür beweisbelastet, dass die Klägerin im Zeitpunkt der
Abgabe ihrer Vertragserklärung Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls hatte. Die
Klägerin trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Sie muss konkret vortragen, wann
sie welche Informationen im Zusammenhang mit den Aufenthalten in den zwei Kliniken
über die Art ihrer Erkrankung von welchen Personen erhalten hat. Der Vortrag der
Klägerin beschränkt sich in ihrem Vortrag jedoch auf die Behauptung, dass ihr von den
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Klägerin beschränkt sich in ihrem Vortrag jedoch auf die Behauptung, dass ihr von den
Ärzten nicht mitgeteilt worden sei, dass sie einen Herzinfarkt erlitten habe, bevor sie die
Erklärung vom 15. März 2007 abgegeben habe. Sie trägt zwar vor, dass die Ursache
ihrer Beschwerden zunächst unbekannt gewesen sei und gibt Vermutungen in Richtung
der Unverträglichkeit von Tabletten bzw. Magenproblemen wieder. Sie trägt jedoch nicht
konkret vor, welche Informationen sie tatsächlich erhalten hat. Die Klägerin ist – nach
ihren Angaben im Fragebogen B 10 unstreitig - mit Schmerzen in der Brust und
Erbrechen am 13. März 2007 im Krankenhaus aufgenommen worden. Wenn angesichts
dieser Symptome auch andere Ursachen im Wege der Differentialdiagnostik untersucht
wurden, besagt dies nicht, dass die Ursache der Symptome nicht ermittelt werden
konnte. Gerade wegen des erhöhten Wertes von Troponin I ist die Klägerin dann vom
Kreiskrankenhaus S. (vgl. Schreiben des Krankenhaus vom 20. März 2007 bei B 10) auf
die Intensivstation des Krankenhauses C. verlegt worden, wo sich bei der Aufnahme
ebenfalls ein erhöhter Troponinwert zeigte (Schreiben des Klinikum C. vom 16. März
2007 bei B 10). Bei der Verlegung bestand bereits der dringende Verdacht einer
myokardialen Ischämie. Es wurde letztlich ein akuter nichttransmuraler Myokardinfarkt
diagnostiziert. Die genaue Uhrzeit der Herzkatheteruntersuchung spielt keine
entscheidende Rolle, weil diese Untersuchung zwar als Notfall- und Erstmaßnahme zum
Stellen der Diagnose eines Herzinfarktes durchgeführt werden kann. Diese
Untersuchung macht aber auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einen Sinn, wenn das
genaue Ausmaß, die Schwere der Auswirkungen eines bereits diagnostizierten
Herzinfarktes festgestellt werden soll. Der Zeitpunkt der Durchführung lässt deshalb
keinen Schluss zu, zu welchem Zeitpunkt die Diagnose eines Herzinfarktes gestellt
wurde oder gestellt werden konnte.
b) Das Landgericht hat dem Fall der Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls im
Sinne von § 2 Abs. 2 VVG a. F. das arglistige Verschließen des Antragstellers vor einer
besseren Kenntnis gleichgestellt. Dies ist nicht zu beanstanden und entspricht der
Wertung des Gesetzgebers, die in § 16 Abs. 2 S. 2 VVG a. F. ihren Niederschlag
gefunden hat.
Das Landgericht ist bei zutreffender Würdigung aller Umstände zu dem Ergebnis
gelangt, dass die Klägerin sich hier einer besseren Kenntnis von ihrer Erkrankung
jedenfalls bewusst verschlossen hat, um Schwierigkeiten beim Abschluss des
Versicherungsvertrages in jedem Fall zu vermeiden. Auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen. Jeder
Versicherungsnehmer in der Lage der Klägerin wird erfahren wollen, was ihm fehlt und
wie schwer seine Erkrankung ist. Die Klägerin trägt jedoch nicht konkret vor, welche
Fragen sie wem gegenüber gestellt hat und welche Auskünfte sie erhalten hat.
c) Die angefochtene Entscheidung erweist sich im Ergebnis auch deswegen als
zutreffend, weil die Beklagte wirksam den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt hat
und die Voraussetzung für eine Leistungspflicht der Beklagten gemäß § 21 VVG nicht
vorliegen.
(1) Die Beklagte hat den Rücktritt vom Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 25. April
2007 erklärt (B 11).
(2) Die Klägerin hat die Obliegenheit zur Anzeige gefahrerheblicher Umstände dadurch
schuldhaft verletzt, dass sie die Erklärung vom 15. März 2007 unterzeichnete, ohne die
Beklagte auf die bei der Klägerin zwischenzeitlich aufgetretenen Beschwerden und die
Behandlung im Krankenhaus hinzuweisen. Die Beschwerden der Klägerin waren
gefahrerheblich und mitzuteilen. Dies liegt hier auf der Hand, einer Darlegung der
Risikoprüfungsgrundsätze der Beklagten bedarf es insoweit nicht.
Die Klägerin ist im Antragsformular, das sie am 5. Februar 2007 unterzeichnet hat,
unmittelbar vor der Unterschrift auf die Schlusserklärung hingewiesen worden. In dieser
Schlusserklärung ist im ersten Punkt ausdrücklich die Obliegenheit der Klägerin geregelt,
jede bis zur Annahme des Antrages noch eintretende sowie jede vor Antragstellung
eingetretene aber erst bis zur Annahme des Antrages bekannt werdende
Verschlechterung des Gesundheitszustandes, durchgeführte Untersuchungen und
zusätzlich aufgetretene Beschwerden schriftlich mitzuteilen. Auf das Erfüllen der
Anzeigepflicht hat die Beklagte auch nicht mit dem Schreiben vom 14. März 2007 (K 4)
verzichtet. Gerade der Hinweis auf die durchgeführte versicherungsmedizinische Prüfung
lässt erkennen, dass das Angebot der Beklagten einen unveränderten
Gesundheitszustand, wie er der Beklagten mit der Anlage B 1 bekannt gegeben worden
war, voraussetzte. Der Hinweis darauf, dass ein Einverständnis seitens der Klägerin
durch ihre Unterschrift bis zum 14. April 2007 erklärt werden dürfe, zeigt nur, bis zu
welchem Zeitpunkt sich die Beklagte an ihr Angebot gebunden sehen wollte. Daraus
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welchem Zeitpunkt sich die Beklagte an ihr Angebot gebunden sehen wollte. Daraus
kann ebenfalls kein Schluss dahin gezogen werden, die Beklagte wolle eine Änderung
des Gesundheitszustandes der Klägerin bis dahin nicht erfahren. Der weitere Hinweis der
Beklagten, dass bei einem Zugang nach dem genannten Datum eine erneute
Gesundheitsprüfung erforderlich wäre, besagt aus Sicht eines objektiven
Versicherungsnehmers lediglich, dass nach dem Ablauf dieser Frist jedenfalls eine
komplette erneute Prüfung erfolgen soll, so dass auch bei unverändertem
Gesundheitszustand nicht sicher ist, dass die Beklagte dann noch den Vertrag
abschließen wird. Ein verständiger Versicherungsnehmer versteht diesen Hinweis
jedenfalls nicht so, dass den Versicherer zwischenzeitlich eingetretene
Verschlechterungen im Gesundheitszustand nicht mehr interessieren, für den Abschluss
des Vertrages ohne Bedeutung sind und dem Versicherer deswegen auch nicht mehr
angezeigt werden müssen.
Es kommt hier auch nicht darauf, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einer
angestrebten Rückwärtsversicherung eine Nachmeldepflicht von Änderungen im
Gesundheitszustand nach Abgabe seines Angebotes/Antrages in Betracht kommt
(zweifelnd: OLG Hamm VersR 2003, 185 – zitiert nach juris: Rdnr. 48 m. w. Nachw.). Denn
hier hatte die Beklagte den ursprünglichen Antrag der Klägerin abgelehnt und mit dem
Schreiben vom 14. März 2007 ein neues Angebot unterbreitet. Die maßgebliche
Vertragserklärung war daher diejenige, die die Klägerin auf dieses Angebot abgab. Bei
der Abgabe dieser Erklärung musste sie die Anzeigepflichten erfüllen. Dieser
Obliegenheit konnte sich die Klägerin nicht dadurch entziehen, dass sie lediglich das
Angebot des Versicherers annimmt. Vielmehr konnte sie in der konkreten Situation ihrer
Obliegenheit nur dadurch nachkommen, dass sie zunächst von einer Annahme des
Angebotes der Beklagten absah und diese zunächst wahrheitsgemäß über die
zwischenzeitlich eingetretenen gefahrerheblichen Umstände informierte (vgl. BGHZ 121,
6 ff. = NJW 1993, 596 = VersR 1993, 213 – zitiert nach juris: Rdnr. 19), um dem
Versicherer die Gelegenheit zu geben, seine Risikoprüfung erneut vorzunehmen. Der
Hinweis des Landgerichts vom 18. März 2008 (Bl. 27 d. A.), die Risikoprüfung sei am 14.
März 2007 abgeschlossen gewesen, es sei fraglich, ob eine Mitteilung vom 13. März
2007 die Beklagte noch rechtzeitig erreicht hätte, greift daher zu kurz, weil er nicht
berücksichtigt, dass die Beklagte zwar auf Grund des ursprünglichen Antrages vom 5.
Februar eine Risikoprüfung durchgeführt hatte, wegen der Vorerkrankung der Klägerin
aber deren Angebot im Ergebnis abgelehnt hat. Da die Klägerin erst auf das Angebot der
Beklagten vom 14. März 2007 ihre Vertragserklärung abgab, hatte sie dabei neu
eingetretene gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen und der Beklagten eine erneute
Risikoprüfung zu ermöglichen.
(3) Die Klägerin hat gegen die Anzeigeobliegenheit auch schuldhaft verstoßen, denn es
war ihr möglich, bei der Unterzeichnung der Erklärung vom 15. März 2007 auch auf den
stattfindenden Krankenhausaufenthalt wegen Schmerzen in der Brust mit Erbrechen
sowie die Aufnahme auf die Intensivstation hinzuweisen.
(4) Die Beklagte hat den Rücktritt auch innerhalb der Frist des § 20 VVG a. F. erklärt. Die
Mitteilung der V. P. vom 22. März 2007 an die Beklagte mit dem Inhalt, die Klägerin sei
am 13. März 2007 ins Krankenhaus eingeliefert, es sei die Diagnose Herzinfarkt gestellt
worden, reichte zum Vermitteln der Kenntnis von einer Anzeigepflichtverletzung nicht
aus. Die Beklagte durfte anhand von ärztlichen Auskünften untersuchen, ob und wann
die Klägerin wegen ihres Gesundheitszustandes überhaupt in der Lage war, der
Beklagten Auskünfte zu erteilen. Der Umstand, dass die Klägerin am 15. März 2007 die
Einverständniserklärung unterzeichnet haben soll, spricht zwar für eine entsprechende
Möglichkeit der Klägerin. Die Beklagte durfte sich hier aber Gewissheit verschaffen. Es
war nicht auszuschließen, dass die Klägerin tatsächlich bewusstlos ins Krankenhaus
eingeliefert wurde, mithin keine Kenntnis von den Umständen hatte und die Erklärung
von einem Vertreter unter dem Namen der Klägerin unterzeichnet wurde. Einzelheiten
konnten sich insoweit erst aus den ärztlichen Unterlagen oder den Angaben der Klägerin
ergeben. Der Eingang der ärztlichen Berichte lag jedoch nicht vor dem 5. April 2007, so
dass die Rücktrittserklärung fristgemäß innerhalb eines Monats erfolgte.
(5) Da die anzuzeigenden Beschwerden letztlich ihre Ursache in einem Herzinfarkt
hatten, diese Diagnose jedoch zugleich den Eintritt des Versicherungsfalls bedeutete,
liegen die Voraussetzungen des § 21 VVG a. F. für eine Leistungspflicht der Beklagten
nicht vor.
(6) Der Rücktritt der Beklagten ist auch nicht durch die von der Klägerin eingereichte
Erteilung eines Nachtrags vom 23. Januar 2009 gegenstandslos geworden. Das
Schreiben spricht allenfalls für einen Neuabschluss des Vertrages zu einem späteren
Zeitpunkt.
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3. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Zur Fortentwicklung des Rechts gibt
der hier streitige Sachverhalt keinen Anlass. Auch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil unter Zulassung der
Revision nicht geboten.
4. Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von Wochen
gegeben. Aus Kostengründen sollte erwogen werden, die Berufung zurückzunehmen.
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